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Ich verlasse das Bürogebäude, und freue mich auf das Treffen mit den Jungs, eine weitere Runde Cyberpunk steht an. Wir spielleiten alle immer abwechselnd und heute muss der Michael dran sein. Muss er? Ich nehme mein Handy, rufe ihn an, und oh Schreck – ich bin dran! Panik kommt in mir auf. Ich, der sonst immer sehr gewissenhaft und sauber seine Abenteuer vorbereitet, bin dran, und ich habe echt überhaupt gar keine Ahnung, was wir machen sollen. Ich schaue auf die Uhr. Ich habe noch exakt eine Stunde Zeit. Der Countdown läuft.

Noch 60 Minuten

Ich sitze an der Bushaltestelle und mache mir also Gedanken. Doch die Konzentration kommt nicht zustande. Ich schaue den Eselsberg herunter, über die Felder und frage mich, wie viele Leute werden eigentlich von den Weizenfeldern satt? Weizenfelder? satt? Ich habe eine Idee, es geht um Nahrung. Um Weizenfelder! Die Gruppe wird angeheuert, um das Problem eines Bauern zu lösen.

Und welche Probleme kann so ein Bauer haben? Ich überlege zudem, wo soll das ganze spielen? Zuletzt sehr beeindruckt hat mich bei Mass Effect der Planet, der quasi komplett aus Wasser bestand. Imposant fand ich die langen Straßen, die es dort gab. Das ganze sollte schon immer mal eine Vorlage für ein Abenteuer werden, aber da wir nicht auf einem fremden Planeten sein können, muss es auf der Erde sein. Afrika ist zu abgedroschen, ich nehm‘ was in Mittelamerika. Das ist groß genug. Also, Amerika, Weizenfeld, Wasserproblem.

Noch 55 Minuten

Der Bus kommt, ich steige ein. Er schaukelt heute mehr als sonst den Berg hinunter. Klar, er ist mal wieder spät dran. Mir wird schon fast ein bissel mulmig, wie der rast. Zack, sofort kommt die nächste Idee. Ich sehe die Gruppe in einem großen Fahrzeug den Highway langbrettern. An einem riesigen Stausee entlang. Natürlich haben sie Verfolger. Die Gruppe ist in einem Tanklastzug und transportiert Wasser zu dem Feld. Eine tolle Szene. Ich liebe Verfolgungsjagden.

Noch 35 Minuten

In Ulm angekommen steige ich aus dem Bus aus und sehe, wie so oft, die ganzen Punker und Grufties, die am Bahnhof rumlungern. Die sind ja oft die Bösen hier in Ulm, nein, bei mir sind sie heute die Guten! Ich habe die Bauern, eine ausgestiegene Gruppe von Gangmitgliedern. Gegenüber vom Bahnhof, in der Kneipe Linie 1, sagt man, dass dort die rechte Szene gern ihr Feierabendbier trinkt. Faschos mag ich nicht, die kann ich nicht zu den Guten machen. Nie. Also haben wir die Bösen. Und wie die so an der Theke hocken, und die Punks hier um bissel Geld betteln, das sie eh in Bier umsetzen wollen, weiß ich, die bösen, militante Militaristen kontrollieren den Zapfhahn des Wassers.

Noch 30 Minuten

Ich schlender‘ durch den Bahnhof zu meinem Gleis, und kauf noch schnell eine Tageszeitung, dann kommt fast mein Zug, und ich fahre heim. Den wichtigen Personen muss ich natürlich noch Namen und Beschreibungen, sowie ein wenig Background geben. Von Seite 1 versucht mich Renate Künast anzulächeln, die alte Ökotante. Aber das kann sie nicht, glaube ihr fehlen da einfach ein paar Muskeln im Gesicht. Macht nix, sie wird die Auftraggeberin sein und die Gruppe anheuern. Ich nenn‘ sie einfach Magan Greenwood, gut ist.

Rechts neben ihr, ihr Rivale, Klaus Wowereit. Es geht hier natürlich um die bald anstehende Berliner Landtagswahl. Also Klaus, aus dir mach ich den Anführer der Bösen, auch wenn du es eigentlich echt nicht verdient hast, was mit militanten Typen zu machen. Aus Klaus wird Claude Riderman. Ich blättere weiter, Kontaktanzeigen –  na klar! Die beiden hatten mal was miteinander, und sind nun Gegner. Klaus unterstützt die Militanten, Renate die Guten. Während der Zug nach Illertissen einfährt, sehe ich die große Chemiefabrik. Hah! Das ganze Wasser ist vergiftet in dem Stausee. Die Fabrik, die ab sofort Klaus gehört, säubert das Ganze, nutzt so die Macht in der Region aus.

Noch 15 Minuten

Ich steige in mein Auto und fahre direkt nach Babenhausen zum Spielen, höre dabei mit einem Ohr Bayern 5 Aktuell, und es läuft grade ein Bericht zu dem Thema des Elektroautos, das angeblich beschissen hat, und dann in der Halle abgebrannt ist. Wieder eine Idee – das Wasser war nie vergiftet, alles nur großer Lug und Trug. Und die Siedler sollen verbannt werden, weil sie vorhatten, das Wasser so zu nutzen. Wenn das raus kommt! Natürlich steckt hinter der Chemiefabrik ein großer Konzern.

Noch 3 Minuten

Ich steige aus dem Auto aus, gehe die Treppen hoch und lasse mir die Fakten noch einmal durch den Kopf gehen. Die Charaktere werden angeheuert von einer Öko-Aktivistin. Sie sollen die Siedler dort unterstützen. Dazu muss ein LKW voller Wasser einen Highway an diesem riesigen Stausee entlang zu der Farm gebracht werden. Leider wird der LKW etwas zerschossen.

Es wird nicht genug Wasser sein. Die Charaktere haben dann die Möglichkeit, in dem Ort, auf der Farm, den umliegenden Farmen Informationen zu sammeln und sich ein Bild zu machen.

Zwischendurch wird die Farm von den Militanten angegriffen, sie sollen vertrieben werden. Dann sollen sie eine Wasserprobe vom Stausee holen, der streng bewacht wird und mit Zaun drum herum gesichert ist. Konzerngelände. Die Probe wird ergeben, dass das Wasser sauber ist, ein riesen Skandal. Nun brauchen sie trotzdem noch Wasser und haben die Möglichkeit, durch einen alten Goldstollen ein Rohr zu legen, um Wasser zu klauen, oder eben direkt an die Öffentlichkeit zu gehen, sowie die Fabrik anzugreifen und einen Wassertruck zu stehlen.

Alles in allem ziemlich viele stimmige Möglichkeiten für einen unterhaltsamen Abend.

Showtime

Michael macht die Tür auf, ich lächel ihn an. Direkt sagt er mir, ich würde verdorben lächeln – das wird wohl kein leichter Abend für sie – wie Recht er hat.

Und wenn ihr den Strom der Gedanken einfach und leicht festhalten wollt, dann nutzt doch Hennings Tipp für ERM-Diagramme für den SL

Artikelbild: depositphotos © robeo123

10 Kommentare

  1. Hut ab, das nenn ich mal ein gelungenes Beispiel für schnelles Brainstorming im Notfall. Leider ist mir das nicht in diesem Maße gegeben. Nicht dass ich keine Ideen hätte (eigentlich hab ich ständig welche), aber unter Zeitdruck spielen diese sehr gerne Verstecken, insoweit versuche ich solche Situationen möglichst zu vermeiden.

    Sage ich aber mit einem gewissen Neid. :)

  2. Nicht schlecht. An solchen Tagen macht sich ein gute NSC-Bibliothek auch immer sehr positiv bemerkbar. Und irgendwie lustig zu lesen, wie Du durch eine Gegend fährst in der ich auch immer wieder bin.

    • Das mal ne gute Idee, ich werd mir einfach mal ne NSC Bibliothek anlegen.
      Normalerweise bleiben schonmal genutzte NSC´s die nicht sterben in der Kampagne, oder in dem Setting das ich durchaus auch mit mehreren Gruppen spiele. Aber so ne richtige NSC Bibliothek werd ich mir mal zusammentragen.

  3. Der Neid bezieht sich nur darauf, dass ich zwar für mich durchaus Mittel und Wege gefunden habe, wie ich diese Panikmomente umgehen kann, mein Vorgehen aber mit effizienter Zeitnutzung wenig zu tun hat. ;)

  4. Sehr schöner Text! Die Herangehensweise gefällt mir sehr gut, von einzelnen Impressionen ausgehend eine Geschichte zu erschaffen ist ein schöner Weg, erfordert als Spielleiter aber auch eine gewisse Erfahrung. Das ist auf jeden Fall eine fortgeschrittene Technik. ;)

  5. „Natür­lich haben sie Ver­fol­ger. Die Gruppe ist in einem Tank­last­zug und trans­por­tiert Was­ser zu dem Feld. Eine tolle Szene. Ich liebe Verfolgungsjagden.“ – Das könnte fast Mad Max mit seinem Benzintruck sein… ;)

    Toller Artikel und Respekt für die Fähigkeit so viel Fantastisches aus Deiner Umwelt zu ziehen. Das nenne ich eine wahrhaft romantische Seele. In allem das „Fantastische“ sehen können. Oder wie William Blake sagen würde „To see a world in a grain of sand…“

    Aber ich musste auch sehr lachen bei dem Artikel, weil ich das nur zu gut kenne, also das im letzten Moment noch schnell was aus den Fingern saugen müssen. Das liegt aber auch häufig an meiner Faulheit. Ich schiebe immer gerne Dinge auf die lange Bank… ;)

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