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Was ist dran an dem Aberglauben?

Faß meine Würfel nicht an!

Das hat jeder so oder so ähnlich ganz bestimmt schon einmal gehört. Generell gilt es als unhöflich, ungefragt die Hände nach den Würfeln anderer Spieler auszustrecken, doch einige Spieler reagieren geradezu panisch, wenn es darum geht, daß andere Leute ihre Würfel anfassen könnten.

Doch was ist dran an der Legende von den Glückswürfeln? Sind diese wirklich mit dem Träger verbunden? Mit seinem Karma geladen? Oder anderweitig „besser“ als normale Würfel?

Der Versuch

Um dies herauszufinden hat Henning auf der Spielemesse unsere Glücksfee Annika zum Stand eines renomierten Würfelherstellers entführt. Annika hat angeblich ein Händchen für die Auswahl guter Würfel, außerdem brauche ich einen Vorwand, um weibliche Hauptdarstellerinnen mit in die Präsentation des  Experimentes einzubinden. Das habe ich mir, genau wie den Titel, von einem bekannten Fernsehsender abgeguckt, und was im Fernsehen kommt, muß ja richtig sein, oder?

Annika hat also ihre Gabe als Glücksfee in einer langwierigen Prozedur unter Beweis stellen müssen. Das Ergebnis ist ein handverlesener Satz Würfel, der für die meisten Rollenspielrunden ausreichend sein sollte. Lediglich bei W6-Lastigen Systemen wie Shadowrun könnte es da etwas eng werden.

 Die Testwuerfel

Der Würfelsatz besteht aus 5 W4, 4 W6, 2 W8, 13 W10, 2 W12, einem W20 und einem W10/100. Die hohe Anzahl von W10 hängt damit zusammen, daß einerseits Annika gerüchteweise auf W10 spezialisiert ist, und ich andererseits gerade Scion spiele, was viele W10 benötigt. (Zu Scion erscheint bald eine Rezension auf Teilzeithelden.de.). Der zweite W12 hat eine andere Farbe als der restliche Satz, da man für das Mystika-System zwei verschiedenfarbige Würfel benötigt.

Die Fragestellung(en)

Ich werde im Selbstversuch ein Jahr lang, bis zur nächsten Spielemesse, ausschließlich das von Annika ausgewählte Würfelset verwenden, wenn ich selbst Spieler bin. (Als Spielleiter braucht man zum einen eh mehr Würfel, und vor allem geht es hier um Spieleraberglauben. Ich würde niemals die „guten Spielerwürfel“ zum Spielleiten „verheizen“.)

Dabei werde ich jedes einzelne Würfelergebnis akribisch aufschreiben, um es danach auswerten zu können.

Generell gibt es drei Thesen, wie dieses Experiment ausgehen wird:

  1. Ich behaupte, daß diese Würfel jetzt an mich „gebunden“ sind. Zusätzlich hat Annika ihnen auch etwas von ihrem Karma mit auf den Weg gegeben. Deshalb würfeln diese Würfel deutlich besser als andere. Das schließt auch ein, daß die Würfel auch wissen, wie sie für unterschiedliche Systeme würfeln müssen … hoch für D20, niedrig für DSA oder „dazwischen“ für Mystika.
  2. Annika widerspricht hier und führt an, daß sie die Würfel ausgewählt hat, um hoch zu würfeln Deshalb prophezeit sie sie ein überdurchschnittliches Ergebnis für hohe Würfe und ein unterdurchschnittliches Ergebnis für niedrige Würfe.
  3. Jeder, der etwas von Mathematik versteht und Aberglauben eh nie geteilt hat, wird schon seit 10 Minuten darauf herumpochen, daß die Ergebnisse der Würfel gleichmäßig verteilt sind und sich um den Erwartungswert einpendeln werden.

Ahem … Er–was?

Was erwarten wir eigentlich?

Um das Experiment objektiv auswerten zu können, muß man sich ein wenig mit Mathematik, genauer: mit Stochastik beschäftigen. Ich gebe hier nur einen kurzen Exkurs, der bewusst sehr einfach gehalten ist. Die Mathe-Freaks unter den Lesern mögen mir die Ungenauigkeiten verzeihen.

Wenn wir ein Ereignis wie einen Würfelwurf betrachten, gibt es immer einen Erwartungswert. Der Erwartungswert ist, einfach ausgedrückt, der Durchschnitt einer sehr großen Stichprobenmenge. Wenn man den Würfel also oft genug würfelt, sollte sich, rein statistisch gesehen, der Durchschnitt immer weiter dem Erwartungswert annähern.

Der Erwartungswert eines Würfels lässt sich ganz einfach berechnen: Man addiert alle seine möglichen Ergebnisse und teilt das Ergebnis durch die Anzahl der Möglichkeiten. Das ergibt bei den Standard-Rollenspielwürfeln folgende Erwartungswerte:

W4 (1+2+3+4) / 4 2,5 
W6 (1+2+3+4+5+6) / 6 3,5
W8 (1+2+…+7+8) / 8 4,5
W10 (1+2+…+9+10) / 10 5,5 
W12 (1+2+…+11+12) / 12 6,5
W20  (1+2+…+19+20) / 20 10,5

Abgesehen davon, daß sich da ein Muster abzeichnet, wissen wir also recht genau, was wir als Durchschnittswert bei allen Würfen erwarten. Dazu ein kleines Vorexperiment abseits des normalen Versuchs:

Ich habe mal meinen Satz an Shadowrun-Verleihwürfeln zur Hand genommen, um eine große Stichprobe von sechsseitigen Würfeln zu bekommen. Insgesamt sind das 2×12 normale Würfel und 18 Würfel mit einem „LOL“ statt der 1.

 

Diese Würfel schmeiße ich einfach mal wahllos in den Würfelteller

und sortiere mir die Ergebnisse mal an die Ränder (dadurch ist es egal, wenn man einen Würfel aus Versehen nach dem Zählen verdreht, sein Wert hängt davon ab, an welchem Rand er liegt.)

 

Das Ergebnis lautet: 7×1, 8×2, 9×3, 6×4, 5×5 und 7×6. Insgesamt beteiligt waren 42 Würfel.

        ( 7×1 + 8×2 + 9×3 + 6×4 + 5×5 + 7×6 ) / 42

=      (7 + 16 + 27 + 24 + 25 + 42) / 42

=      141 / 42

=      3,357142857142857

Damit liegen wir schon ziemlich nah am Erwartungswert. Und um das mit dem Aberglauben nochmal auf den Tisch zu kriegen: Das sind die Verleihwürfel für Spieler, wenn ich selbst leite … natürlich würfeln die nicht besser als meine eigenen. Außerdem habe ich sie nur in die Schale geworfen, ich habe sie nicht mit Elan gewürfelt. Insofern ist das Ergebnis durchaus vertretbar ;-)

Was heißt das jetzt für die Auswertung des Experimentes? Wenn nun der tatsächliche Durchnittswert in der einjährigen Stichprobe deutlich über dem Erwartungswert liegt (also „signifikant abweicht“), dann würfeln diese Würfel umgangssprachlich „besser als normal“.

Drei Experimente in einem

Ich werde mir während des Experimentes neben den Würfelergebnissen auch das verwendete System mit aufschreiben und bei der Auswertung drei Erwartungswerte bilden:

  1. Einen für Systeme, in denen hoch gewürfelt werden muß. Gute Würfel würden hier einen Durchschnitt von deutlich über 4 erzielen.
  2. Einen für Systeme, bei denen niedrig gewürfelt werden muß. Gute Würfel würden hier einen Durchschnitt von deutlich weniger als 3 erzielen.
  3. Einen für Systeme, bei denen zwischen zwei Werte gewürfelt werden muß. Die Auswertung ist hier etwas komplizierter, aber da weder hoch noch tief per se „gut“ ist, müssen diese Würfelergebnisse aus den anderen beiden Stichprobenmengen herausgehalten werden.

Monatliche Updates

Ich werde im Laufe des Experimentes monatliche Zusammenfassungen schreiben, in denen ich die aktuell gesammelten Werte zusammenfasse und darauf basierende Prognosen veröffentliche. Dadurch kann jeder selbst nachrechnen, ob das große Teilzeithelden-Würfelexperiment erfolgreich wird oder nicht.

Und um wieder mit dem bekannten Fernsehsender zu schließen, mit dem ich auch begonnen habe: „Bleiben Sie dran, es bleibt spannend!“

Artikelbild: © cdca beckoetter – Fotolia.com

27 Kommentare

  1. hm… Vorsicht beim Testen. Da gibt es den Fehler erster Art und den Fehler zweiter Art und das gefürchtete Signifikanzniveau.
    Es wäre geschickter zu testen, ob ein Würfel einfach nur „gut“ oder „schlecht“ ist. Da von höher als vier oder niedriger von drei zu sprechen ist zu speziell. Du möchtest ja eigentlich einen Wert höher/niedriger dem Erwartungswert erzielen, welcher mit einer zu Grunde liegenden Gleichverteilung nur noch schwer erklärbar ist. Sprich: Unglaublich unwahrscheinlich ist (Signifikanzniveau).

    Zum Topic ;) : Niemals die guten Spielerwürfel als Spielleiter „verheizen“.

    Ich hab mir extra ein richtig fies aussehendes tiefrotes Set Spielleiterwürfel zugelegt, diese benutzte ich nur zum Leiten. Und es gilt: Diese Würfel sehen nicht nur richtig fies aus, sie sind es auch. Sobald die Charaktere in eine unangenehme Situation kommen, schlagen diese eiskalt zu. Meine Spieler erzittern regelrecht, wenn ich die bösen roten Spielleiterwürfel herauskrame. Muahahaha…

    Insgesamt würfeln sie wohl ziemlich gleichverteilt, aber sie wissen, wann es drauf ankommt! Ich schlage vor auch dies in einem Experiment zu prüfen: Gib jeder Probe ein „Rating“ von 1 (unglaublich unwichtig) bis – sagen wir mal – 5 (überlebenswichtig) und trage das Würfelergebnis entsprechend oft in die Liste ein. Dadurch kannst du überprüfen, ob deine Würfel wissen, wann sie rocken sollen und wann sie es gemächlich angehen können und ein paar schlechte Ergebnisse „wegwürfeln“ dürfen. Denn der Zwang der Gleichverteilung lastet auf jedem Würfel, die Frage ist: Wie gut kann er damit umgehen?

  2. Dazu ist mir folgender Artikel eingefallen als du von „mit Elan“ würfeln sprachst:

    Fand ich recht interessant. Wer kennt nicht diesen Moment wo der Würfel die Hand verlässt und man weiss was für ein Ergebnis erscheinen wird.

  3. Ich würde evtl die Standartabweichung/Varianz betrachten. Für Gruppe 3 will man nahe dem Erwartungswert sein und eine sehr kleine Abweichung haben.

  4. Super Experiment! Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse. Den Vorschlag von „spielleiten“ die Wichtigkeit der Proben mit zu berücksichtigen finde ich klasse. „Gefühlt“ sollte man das nicht unterschlagen.

    Spannend wäre auch noch ein Experiment mit Personen die „immer“ gut oder „immer“ schlecht würfeln. Aber das dürfte schwieriger durchzuführen sein…

  5. Über die Wichtigkeit der Proben zu gehen habe ich auch schon überlegt, aber aus zwei Gründen verworfen:

    Ad Unum bringt das jede menge subjektives Empfinden in einen Test, den ich eigentlich „objektiv“ halten wollte.

    Ad Secundum hemmt das enorm den Spielfluß, weil ich mir halt jedesmal aufschreiben muß, was genau da gewürfelt wurde, und welche Mindestwürfe etc. zu erreichen waren. Die Ergebnisse eben schnell aufzuschreiben bremst schon genug aus.

    Und zu „Extremen Ausreißern in der Würfelwahrscheinlichkeit“ habe ich eine Anekdote für die Neulich-Rubrik, die die Tage auch irgendwann online gehen wird.

  6. Die Studie auf die alle Rollos schon lange gewartet haben! Endlich wird das Geheimnis gelüftet! *Bild-modus aus* Ich bin gespannt was dabei raus kommt. Eine lustige Idee ist es auf jeden Fall.

  7. Was meinst du wer in meiner runde bereits 3 Tote auf dem Konto hat ? Eins der Mädels natürlich weil maximal Erfolge Würfeln macht ja Spaß :-)

  8. Nein, das nicht, war ein Bankraub mit Geiselnahme und ihr erster offizieller Einsatz. Nur haben sie ihre Kräfte noch nicht ganz im griff :-)

  9. „Das große Teilzeithelden-Würfelexperiment 2012“ steht also auch schon fest: Nächstes Jahr wird es um die Fragestellung gehen, ob man mit unvollständigem Chromosomensatz extremer würfelt ;-)

  10. Andreas: Ums mit Spiderman zu sagen – „Mit großer Macht kommt grosse Verantwortung“. Aber ich weiß wohl auch aus eigener Erfahrung als Spielleiter, dass es anfangs gerade bei Aberrant schwer ist, die immense Macht bewusst zu nutzen. Eine Hausregel wie zB „Ich kann freiwillig weniger Erfolge wirksam machen“ kann da helfen #Roger

  11. Wer an meine Würfel geht, kriegt auf die Finger *g*. Würfel gehören zum Spieler wie seine Charaktere, die lässt man ja auch niemanden – mal eben so – Probespielen.

    Natürlich ist es Aberglaube und Zufall, wenn es ein fairer Würfel ist, aber jeder hat so seine Lieblinge. Zum Beispiel habe ich einen Minisatz W6er, mit denen ich den Schaden würfel, aber Meisterproben werden mit dem großen (silbernen) Metallwürfel erledigt. Alleine das Geräusch beim Würfeln schüchtert die Spieler ein, wenn ihr Leben an dem Würfelergebnis liegt.

  12. Also, da muss ich entschieden protestieren: es ist weder Aberglaube noch Zufall, ich habe meine Würfel gehegt und gepflegt und nur deswegen würfeln sie so gut…:) Najaaaa, vielleicht ist es ein bisschen Zufall, aber wirklich nur ein ganz kleines bisschen.

  13. Sehr coole Idee!

    Als Zusatzlektüre empfehle ich ein paar Papers des PEAR-Labs: http://www.princeton.edu/~pear/

    Vor allem ihre Experimente zu Human-Machine Anomalies finde ich extrem spannend: http://www.princeton.edu/~pear/experiments.html

    Wenn ich eine langfristige Finanzierungsperspektive kriegen würde, um diese Forschungen fortzuführen, würde ich sofort zuschlagen (die notwendigen Grundlagen habe ich mir durch mein Physikstudium erarbeitet).

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