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Auf der SPIEL 2011 in Essen hatte ich das Vergnügen mit den Leuten von Prometheus Games ins Gespräch zu kommen und ein Exemplar des Grundregelwerks zum Rollenspiel „Ratten!“ zur Rezension zu erhalten. Da ich vorher noch nichts von diesem System gehört hatte wollte ich mir das natürlich nicht entgehen lassen. Ratten sind ja jetzt erstmal nicht unbedingt die niedlichsten Tiere (meiner Meinung nach) und dann gleich ein ganzes Rollenspiel mit Ratten?! Ich war also gespannt, was ich da wohl lesen würde

Die Spielwelt

Ratten! spielt in der heutigen Zeit (oder zumindest in einer Zeit, in der schon Kaufhäuser gebaut wurden, eine genaue Jahresangabe existiert nicht), Schauplatz des Rollenspiels ist ein mehrgeschossiges Kaufhaus, das von den Menschen (den Erbauern) jedoch verlassen zurückgelassen wurde, lediglich die Waren (Lebensmittel, Elektrogeräte etc.) des Kaufhauses sind zurückgeblieben. Nachdem die Menschen also weg waren, haben sich die Ratten in dem Kaufhaus (der Rattenburg) breit gemacht. Auf jedem der 7 Stockwerke findet man unterschiedliche Warenabteilungen, gleichzeitig stehen die Stockwerke für die Reviere der verschiedenen Ratten-Rotten. Überall im Kaufhaus gibt es Erbauer-Artefakte (die Waren, die von den Menschen zurückgelassen wurden), die für die Ratten gefährlich sein können und deren Sinn sich den meisten Ratten verschließt. Schön ist die Umschreibung der Gegenstände, die immer aus der Sicht der Ratte erfolgt: so wird ein Feuerzeug zu einer Feuerzunge, eine Taschenlampe zur tragbaren Lichtsäule.

Neben den Gefahren, die von den Artefakten ausgehen gibt es natürlich auch noch lebendige Feinde wie „Schleicher“, „Stinker“ oder „Schwarzflügel“ (Katzen, Hunde, Krähen), die den Ratten das Leben schwermachen.

Was ich vermisst habe ist eine Beschreibung der Welt ausserhalb der Rattenburg. Mir ist klar, dass Ratten! bewusst einfach gehalten ist, damit man einen schnellen Einstieg in das System findet und dass so ein Kaufhaus für eine Ratte riesig erscheinen muss (man hat also genug Stoff für Abenteuer in der Rattenburg), ein bisschen mehr Spielwelt hätte ich mir allerdings schon gewünscht. Ich weiss nicht, ob das vielleicht im Kompendium steht, da ich nur das Grundregelwerk gelesen habe.

Die Regeln

Jede Ratte hat 4 Eigenschaften (stark, schnell, clever, sozial), die man mit den Attributen aus diversen anderen Systemen vergleichen kann, mit max. 3 Punkten, eine abgeleitete Eigenschaft ist zäh, die die Lebenspunkte der Ratte symbolisieren. Weiterhin gibt es Talente (Skills/Fähigkeiten) und Tricks (ähnlich zu Vorteilen), wobei Talente nur max. 2 Stufen (+1 oder +2) haben können und den Bonus darstellen, den die Ratte auf bestimmte Proben dazuerhält.

Gewürfelt wird mit W6 gegen eine Schwierigkeit, die der Spielleiter definiert mit einer (oder mehreren) Eigenschaften, die dem Spielleiter passend erscheinen. Ein Beispiel: eine Ratte möchte eine Falle entschärfen, dafür würfelt sie mit den Eigenschaften schnell und clever. In beiden Eigenschaften hat sie 2 Punkte, sie darf also 4 Würfel zum Würfeln nehmen. Die beiden höchsten Würfel werden addiert, hinzu kommen Boni, die sie durch Talente erhält (in diesem Fall Fallenkunde). Der Unterschied zwischen Schwierigkeit und Würfelprobe zeigt, wie gut oder schlecht eine Ratte die Probe besteht.

Glücksgriff und Patzer stehen für aussergewöhnlich guten Erfolg (bei 2 6ern) oder phänomenal miesen Erfolg (die Hälfte der Würfel zeigt 1er). Die Konsequenzen aus Erfolg und Patzer sind wohl jedem bekannt :)

Das Steigern der Talente / Attribute erfolgt über sog. „Namen“. Jeder Rotte ist eine bestimmte Kategorie (Fang, Auge oder Herz) zugeordnet, die wiederspiegelt, für welche Art von Taten eine Ratte sog. „Lieder“ erhält. Hat eine Ratte innerhalb einer Kategorie 10 Lieder oder mehr erhalten, bekommt sie einen neuen Namen (den man sich dann auch richtig ausdenken muss) und darf steigern (sie kann sich ein neues Talent aussuchen, ein Talent auf Stufe 2 steigern, einen Trick aussuchen oder ein Attribut um einen Punkt erhöhen). Die Kategorien sind bei den Rotten unterschiedlich hoch angesehen, eine kämpferische Rotte zum Beispiel schätzt Fang höher als Auge. Die Namen sind gleichzusetzen mit dem sozialen Ansehen einer Ratte innerhalb ihrer Rotte – je mehr Namen, desto bekannter und geschätzter ist eine Ratte (das System ist vergleichbar mit dem System aus „Werwolf“, wo das Ansehen auch über sog. „Ränge“ dargestellt wird). Man kann auch Schmachnamen erhalten, wenn man sich besonders schändlich oder dumm verhalten hat.

Charaktererschaffung

Die Charaktererschaffung geht denkbar schnell und einfach. Als erstes sucht man sich eine Rotte aus, aus der die Ratte stammen soll. Auf die 4 Eigenschaften werden insgesamt 8 Punkte verteilt und die Zähigkeit (die Lebenspunkte) wird ermittelt. Zu Anfang darf man sich 3 Talente aussuchen, die die Ratte jeweils auf Stufe 1 beherrscht und einen Trick kann man auch noch wählen. Wenn man damit fertig ist haucht man der Ratte noch ein bisschen Persönlichkeit ein (dafür existiert auf dem Bogen ein Feld „Ich“). Dort können Vorlieben, Abneigungen, das Aussehen und andere Dinge, die einem so einfallen notiert werden. Fertig!

Spielbarkeit aus Spielleitersicht

Wenn man sich als Spielleiter nicht großartig mit komplizierten Regeln oder einem monströs ausgearbeiteten Hintergrund auseinandersetzen möchte, ist Ratten! eine gute Wahl. Ich selber habe das gesamte Buch innerhalb von zwei Abenden gelesen und fand die Regeln erfrischend einfach und traue mir auch zu, sie potenziellen Spielern zu erklären. Die Spielwelt in der Rattenburg bietet mir als Spielleiter genug Stoff, um ein schnelles Abenteuer aus dem Hut zu zaubern.

Spielbarkeit aus Spielersicht

Auch als Spieler sehe ich die Einfachheit des Systems als Vorteil an. Der Charakter ist schnell gemacht, das Würfelsystem schnell verinerlicht. Ich könnte mir allerdings vorstellen das die Spielwelt auf Dauer langweilig werden könnte, da die Rattenburg nunmal doch recht beschränkt ist und man eine Beschreibung der Aussenwelt vergeblich sucht. Hier wäre es am Spielleiter sich etwas auszudenken, wenn der Wunsch nach mehr Freiheit vorhanden ist.

Preis-Leistungsverhältnis

Da gibt es nicht viel zu sagen ausser: Top! Für 11 Euro erhält man ein gesamtes System, mit dem man sofort losspielen kann. Es sind keine zusätzlichen Regelwerke oder Quellenbücher nötig. Der Umfang des Regelwerks ist jetzt zwar nicht enorm und beschränkt sich auf das Nötigste, aber mehr braucht man ja auch nicht.

Bonus

Auch wenn dieser Teil nicht in die Wertung einfließt möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass man sich auf der Seite von Prometheus Games das Grundregelwerk kostenfrei runterladen kann, ebenso wie den Charaktererbogen (ausführlicher und in Farbe oder druckerfreundlich) oder Einlagen für den Spielleiterschirm. Zum Download kommt ihr hier. So kann man vorher mal testen, ob einem das System liegt oder nicht.

Hier ein paar Bilder des Grundregelwerks

Eine Testrunde zu Ratten! werden wir auch noch abhalten, den Spielbericht werden wir euch dann natürlich hier zum Lesen bereitstellen.

Erscheinungsbild / Strukturierung

Ratten_CoverDas Regelwerk ist erstaunlich schlank, grade einmal 70 Seiten umfasst das Büchlein im A5 Format – ganz ungewohnt, wo ich bei dem Wort „Regelwerk“ doch sonst immer an die dicken Schinken denken muss.

Der Softcover-Einband ist matt gehalten, die Frontseite ist schlicht, lediglich das Logo und eine Illustration zieren den Deckel. Das Papier ist matt (großer Vorteil beim Lesen, wie ich finde) und macht einen soliden Eindruck zwischen den Fingern.

Die Illustrationen wirken passend zur Thematik recht „roh“: sie wirken wie mit schnellem Strich gezogen und bedienen sich gedeckter Farben. Die dargestellten Bilder sind manchmal recht makaber (Ratten, die tot in einer Falle liegen, Laborratten, denen ein Auge fehlt und die zahlreiche Tumore am ganzen Körper haben). Alle Seiten sind in einem schmuddeligen Look gehalten (leicht gelblich mit zahlreichen Flecken), was ich sehr stimmig finde.

Das Regelwerk ist unterteilt in Charaktererschaffung, Erläuterung der Rotten (Charakterklassen, wenn man so will), Beschreibung der Spielwelt und Hintergrundwissen. Netter Bonus: im Grundregelwerk ist auch ein fertiges Abenteuer – für mich sehr praktisch, da ich quasi noch nie geleitet habe und mit Ratten! meine Premiere als Spielleiter haben werde.

Neben dem Grundregelwerk gibt es noch ein Kompendium mit Zusatzwissen (Ratten! Das Kompendium) und einen Abenteuerband (Ratten! Bissige Zeiten).

Hier die Daten für das Grundregelwerk:

  • Gebundene Ausgabe: 70 Seiten, Softcover
  • Format: A5
  • Verlag: Prometheus Games
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-13: 978-3-941-077-01-0
  • Preis: 11 Euro
  • Bezugsquellen: Amazon

 

Fazit

Ratten! glänzt in meinen Augen klar durch seine Einfachheit. Es ist als schnelles Einstiegssystem konzipiert, das sich gar nicht großartig mit komplizierten Regeln und Tabellen schmückt. Man kann das Buch einstecken und auch einfach mal spontan eine Runde starten, ohne vorher seitenweise Regeln zu wälzen (aus dem Grund wird Ratten! ja auch unter „Pocket RPG“ auf der Seite von Prometheus Games geführt). Deswegen kann man Ratten! auch nicht mit anderen Systemen vergleichen, die ungleich umfangreicher sind (zum Beispiel Savage Worlds), denn das wäre ja wie der Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen. In seiner Sparte ist Ratten! deswegen durchaus gelungen, ein Kritikpunkt für mich ist die recht minimalistische Ausarbeitung der Spielwelt, ein paar mehr Details hätte ich mir doch gewünscht.

 

Artikelbilder: © Prometheus Games

8 Kommentare

  1. Ich denke ja auch, dass es eher ein System für kurzweilige One-shot Abende ist – für lange Kampagnen gibts mir einfach zu wenig ausgearbeiteten Hintergrund, der mir Ideenstoff liefert. Oder man denkt sich alles selber aus, was für einen Anfänger-Spielleiter glaub ich nicht so einfach ist.

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