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Hier habe ich also die zweite SPIEL 2011 Rezension des Midnight Syndicate. Diesmal ist es „Gates of Delirium“, eine CD eigens gedacht und komponiert, um Rollenspielrunden zu untermalen. Das Setting ist, wie sich anhand des Titels vermuten lässt, eine Irrenanstalt. Und mit Sicherheit gibt es die eine, oder andere spannende Story über eine solche zu erzählen, sei es nun als Haupt- oder Nebenschauplatz einer Geschichte. Filme wie „Einer flog übers Kuckucksnest“, „Shutter Island“ und nicht zuletzt „Sucker Punch“ haben bewiesen, dass dies auf vielfältige Weise möglich ist. Ebenso vielfältig wie die Themen einer solchen Runde, sollte auch die musikalische Untermalung derer sein. Sie sollte Abwechslung bieten und vor allem Spannung aufbauen und auch halten.

In meinen Augen scheitert „Gates of Delirium“ aber in diesem Vorhaben beinahe auf ganzer Linie. Was gut und atmosphärisch beginnt, verkocht schnell zu einem Einheitsbrei von sich wiederholenden Melodien und uninspirierten Versatzstücken. Wirklich schade, war ich doch von Midnight Syndicate weitaus besseres gewöhnt. (siehe Carnival Arcane Rezension)

Erscheinungsbild

Das Cover der CD kommt schön gestaltet daher. Ein nackter Schädel, umwuchert von Efeu im Vordergrund vor einem eingefallenen, schmiedeeisernen Tor, das die nebelumwölkten Anlagen einer alten, gothischen Anstalt begrenzt. Ein einsames Licht scheint aus dem höchsten Fenster und wirkt bedrohlich und einladend zugleich.

Emotionale Wirkung

gates of delirium cover

Es mag an meinem persönlichen Geschmack liegen, aber leider sprechen mich viele der enthaltenen Stücke absolut nicht an. Dröhnende Orgelklänge und leider oft unecht klingende PC-Chöre, sind mir ein Gräuel. Bei mir kommt da keinerlei Spannung auf, geschweige denn angenehmes Gruseln, wie ich es von einem solchen Setting erwarte. Die Stücke erinnern mich allzu oft und zu sehr an etwas aus den Anfangsjahren der Filmgeschichte. Damals, als man noch meinte, eine Orgel müsse in jedem Gruselgemäuer zur Grundausstattung gehören. Für mein Empfinden ist dies ganz einfach nicht mehr zeitgemäß. Selbst in einer Runde die, sagen wir, in den 1920 Jahren spielt, Cthulhu Hintergrund von mir aus, sind wiederum die eingemischten synthetischen Klänge fehl am Platz . Eine sich ständig wiederholende Melodie ergibt für mich ganz einfach keine Gänsehaut. Das haben einige wenige Meister wie Jerry Goldsmith und Mike Oldfield in „Halloween“, dem „Omen“ und dem „Exorzisten“ geschafft, aber danach nie wieder.

Leider wirken die meisten der Stücke auf mich allzu künstlich und wenig inspirierend, aber wer es mag, der kann es gern damit versuchen.

Tracklist

 Track 1, Arrival,  ist spannend und atmosphärisch. Sehr gut gemacht, die eingespielten Geräusche vermitteln wahrhaftig das Gefühl eine Irrenanstalt des 19. Jahrhunderts zu betreten.

Track 2, „Welcome“ ist grandios gelungen und auch hier wieder vermitteln die eingespielten wahnsinnigen Lacher und Schreie ein sehr unangenehmes Gefühl der Nähe zum Schauplatz. Die Orgel presst dem Ganzen hier noch einen Schuss Bedrückung auf und einen Spritzer Autorität.

In Track 3, „Havergast Asylum“, beginnt für mich jedoch langsam der Abstieg in die Mittelklasse für dieses Werk. Er erinnert mit seinem schleppenden, wuchtigen Bass und den sich wiederholenden Synthesizer Klängen sehr an John Carpenters „The Prince of Darkness“.

Das setzt sich leider in Track 4, „Halls of Insurrection“ fort. Stampfender, dumpfer Bass, vor sich hin dudelnde Synthesizer und eine sich ständig wiederholende Grundmelodie. Ich habe die Vermutung, dass hier versucht wurde, eine Art von „Schwindelgefühl“ zu vermitteln. Ab und an wird das Gedudel atonal und gegen den Takt unterbrochen, was zwar eine gewisse Auflockerung bringt, aber das Stück nicht besser macht. Wenn ich „Insurrection“, also „Aufstand“ lese, dann erwarte ich etwas bedrohliches, wildes und keine schräge Zirkusmusik, mit schlagenden Becken und rollenden Trommeln.

Track 5, „Cage of Solitude“ bricht ebenfalls auf unangenehme Weise mit den Erwartungen. Was eine gute Idee sein kann, wurde hier aber leider zu lieblos und harmlos umgesetzt. In „Einzelhaft“ erwartet man, düstere, traurige Klänge. Was durch die simulierte Frauenstimme wohl auch versucht wurde, nur leider ist diese zu deutlich als unecht zu erkennen. (Wenn sie echt sein sollte, tut mir die Vocalistin leid.) Und der relativ schnelle Klaviertakt tut sein übriges, das dieses Stück eher zu „suspense“ passen würde, als zu Isolation und Einsamkeit.

Track 6, „Residents Past“, setzt die unglückliche Reihe leider fort. Ich weiß nicht, was sich die Macher dabei gedacht haben, aber für mich beschreibt dieses Stück weder die „Vergangenheit der Patienten“, noch „Vergangene Patienten“. Es ist weder unheimlich, noch gruselig, oder auch nur ansatzweise spannend. Ein PC-Stimmen-Loop und ein Klavier-Loop, untermalt mit Streichern… immer und immer wieder… dann eine kurze Auflockerung durch ein Klaviersolo … dann der Loop in einer Oktave tiefer… dann wieder der Loop vom Anfang… bis zum Ende des Stückes. Nein, das ist keine schöne Musik um eine Spielsession zu untermalen.

Track 7, „Adelaide“ – Es klingt, als ob eine Frau mit einem Knebel im Mund ,versucht zu singen. Okay, das mag als verstörend beabsichtigt sein und die Idee ist einmal mehr gut, nur ist die Umsetzung denkbar schlecht. Das amelodische Gesumme klingt einfach nur albern… Und dann beginnt wieder das bekannte Loop-Spielchen. Wobei es sich dieses Mal sich in eine Art langsame Marschmusik verwandelt. Welchen Sinn das haben soll, entzieht sich mir vollkommen.

Track 8, „Gates of Delirium“ Der Namensgeber des Albums. Die Orgel dröhnt mit den Bässen um die Wette, der Synthesizer dudelt zunächst einstimmig, dann mehrstimmig herum und ab und zu setzen Bass-Trommeln, Chöre und Becken einen Akzent. Die Melodie kann sich scheinbar nicht auf ein Thema einigen. Das kann durchaus Wahnsinn ausdrücken, aber hier auch wieder an der langweiligen Umsetzung scheitert. Es gemahnt wage an eine Szene mit einem verrückten Professor an der Orgel, aber dazu ist es wiederum zu inkonsistent.

Track 9, „Non Compos Mentis“ – „Nicht bei klarem Verstand“. Ein Lichtschimmer im Einheitsbrei dieses Albums. Oder besser eine Rosine. Ein kurzes, knackiges, unheimliches Klaviersolo voller Atmosphäre und Gänsehaut Feeling. Leider nur 56 Sekunden lang. So gruselig und unterschwellig böse, hätte ich mir das gesamte Album gewünscht!

Track 10, „Procession of the Damned“ – Ein Spinett gesellt sich zu den Versatzstücken der „klassischen Gruselmusik“ hinzu. Ein Glockenspiel klimpert ein wenig gegen die Loops an mit einem eigenen kleinen Loop. Der Bass schafft es, schwere, träge Schritte zu vermitteln aber mehr ist an diesem Stück nicht dran.

Track 11, „Infestation“ – Tief dröhnt der Bass, gezupfte Streicher vermitteln das Bild krabbelnder Beine, immer mehr und mehr dringen auf Dich ein, immer näher und näher kommen sie… Dann Stille…  Wieder ein kurzer Schimmer echten Horrors in all dem durchschnittlichen Gegrusel. Eine Minute, die sich das Album zum Vorbild nehmen sollte!

Track 12, „Room 47“ – Besser als der durchschnittliche Track, hier läuft das Album zur Hochform auf. Das Klavier ist minimalistisch und wirksam eingesetzt, untermalt mit unheimlichen Klängen und Stimmen, Streichern zum Konterpunkt und einer sehr schönen Atmosphäre. Fein gemacht! Aber.. Ach, zu kurz, zu kurz.

In Track 13, „Dark Discovery“, gibt es nichts neues zu entdecken. Leider! Wir kehren zurück zum Einheitsgedudel. Wobei jedoch diesmal die Mischung etwas gelungener und konsistenter daher kommt. Wenn der Track auch keine sonderlich „dunkle“, oder „gruselige“ Stimmung bei mir aufkommen ließ, so war er zumindest einer der besser hörbaren. Tempiwechesel und gut abgemischte Chöre machen ihn weitaus angenehmer als viele andere Stücke der Scheibe.

Track 14, „Morbid Fascination“ – Ist wieder so eine kleine Hommage an die 80/90er Jahre Stücke von John Carpenter und natürlich seinen „Halloween“ Score. Ein treibender Bass, unterlegt mit einem netten Klavier-Riff. Nicht schlecht. Durch den Einsatz der „Stimmen“ gelingt es tatsächlich eine gewisse gespannte Grundstimmung hervor zu kitzeln. Das hereinbrechende Gewitter und der Regen im Hintergrund tun ihr übriges. Warum nicht so bei allen Tracks, liebe Leute?

Track 15, „Dead of Night“ – Grandios! Tiefes Klavier, stimmen, mal leise mal laut, flüstern, weinen, Schritte, eine Tür wird geöffnet, jemand beginnt zu flehen und das dumpfe klatschen eines Stocks auf Fleisch ist zu hören! Brutal und böse! SO muss ein Soundtrack zu einer Irrenanstallt sein!

Track 16, „Alternativ Therapy“ – Kommt nun die Kavallerie geritten? So klingt es zunächst, was etwas verwirrt…  Das Geräusch von Stahl auf Stahl, wohl ein Messer das geschärft wird, schneidet durch die treibenden Rhythmen von Streichern die den Takt vorgeben, ab und an gesellen sich Trommeln und Stimmen hinzu, aber wirkliche Spannung will nicht aufkommen. Leider. Der Track ist irgendwie zu heroisch, um ins Setting zu passen und zu seinem Titel.

Track 17, „Crimson Door“. – Was geht hinter dieser Tür vor? Stöhnen und Ächzen, wimmern und verzerrtes Lachen, Klagen und Schreie. Dumpfer, treibender Bass… Wieder so ein kleiner Schatz inmitten des Durchschnitts. Und wieder viel zu kurz!

Track 18, „Unrest in the Eastwing“ – Zu diesem Track stelle ich mir folgendes Gespräch zwischen Pflegern vor: „Es gibt Ärger im Ostflügel.“ „Unruhe im Ostflügel, Aha? – Also, der Musik nach zu urteilen, ist es nicht so schlimm. Geh mal hin und schau nach, was da los ist.“ Wieder kommt nicht so recht die Stimmung auf, die das Stück vermitteln soll laut seinem Namen. Ja, es wummert vor sich hin und das Glockenspiel klingt auch schön seltsam neben der Orgel und den Stimmen, aber es bringt ganz einfach kein Gefühl der Bedrohung rüber, eher als ob eine Folge der „Munsters“ im TV läuft.

Track 19, „Ebony Shroud“ – Wieder dieses lahm tröpfelnde Klavier, und wieder dieser unsägliche Synthie-Sound darüber gelegt. Weder Totenklage, noch bedrohliches „Leichenkammer“ Feeling kommt auf, es tröpfelt so vor sich hin, es dudelt im Hintergrund, wie im Fahrstuhl zur Psychotherapie. Zugegeben, eine etwas schräge Therapie, aber bei weitem keine Musik für ein Irrenhaus-Setting.

Track 20, „Sleep tight“. Es stürmt vor dem Fenster, die Äste der Bäume malen seltsame Bilder an die Wände… Stimmen aus den Nebenzimmern stören die Nachtruhe. Sie brabbeln und stammeln, sie fluchen und wimmern, sie summen und lachen. Der Aufruhr wird immer größer, an Schlaf ist nicht zu denken! Dann dröhnt nur noch ein tiefer Bass, jemand weint, eine Stimme flüstert unverständliches… Gänsehaut pur! Warum heißt dieses Stück nicht „Unrest in the Eastwing“?

Track 21, „Unlisted“ – Wieder ist alles voller wilder Stimmen, die brabbeln und kreischen. Gitter rollen und schlagen zu, jemand referiert über den Gesundheitszustand eines Patienten und listet Methoden auf ihn zu „behandeln“. Grandiose Atmosphäre. SO muss das sein. Doch leider ist es das letzte Stück und wieder ist es viel zu kurz.

Preis/Leistung

Vom Preis/Leistungs Verhältnis bin ich leider enttäuscht. Es wird nur halbsoviel geboten, wie angepriesen wird. Manch einer mag diesen Stil ja mögen, aber für den wahren Liebhaber des Horror-, Grusel-Genres ist das einfach nichts. Mit mehr Mühe hätte daraus sicherlich eine sehr schöne, stimmungsvolle, gruselig/böse Hintergrundmelodie werden können. Mich hat sie leider nicht überzeugen können.

Fazit

Also, so begeistert ich von „Carnival Arcane“ war, so enttäuscht bin ich von dieser Scheibe. Was für ein Machwerk ist das? 

Es setzt sich zusammen aus unzeitgemäßen Versatzstücken klassischer Horror-/Grusel Soundtracks und bemüht sich verzweifelt, ihre Stimmung auch nur ansatzweise zu kopieren, versagt dabei aber auf ganzer Linie. In ihrem Bemühen eine Hommage an die alten Meister wie eben John Carpenter und Jerry Goldsmith zu schaffen, haben sich die Macher hier leider echt versagt.

Wer diese Art von Musik mag, der soll sie gern nutzen, aber ich denke in einer Runde, die sich um ein krankes, kaputtes System innerhalb einer Irrenanstalt dreht, wirkt sie eher unfreiwillig komisch. Die Orgel und die offensichtlich computergenerierten Stimmen machen eher Stimmung kaputt, als dass sie sie erschaffen, zu künstlich und aufgesetzt kommen sie daher. Und die meisten Stücke wirken leider eher wie lieblos zusammengefügte Loops, als eigens komponierte, auf Stimmung bedachte Musik um Atmosphäre zu erzeugen. Bela Lugosi hätte sicher seine Freude an dieser Musik gehabt, wenn er mantelschwingend und lispelnd einem schönen Hals nach hetzt, aber für eine gute Rollenspielrunde ist das nichts.

Mir will nicht in den Kopf, weshalb die kurzen, knackigen Stücke, die so wunderbar mit den Geräuschen arbeiten, nicht als Vorbild für das gesamte Album herhalten konnten? Beinahe will es mir scheinen, als ob da 2 Komponisten gearbeitet hätten. Einer mit Liebe zum Thema und zum Detail und einer mit wenig Motivation und kaum Zeit um sich etwas gutes, innovatives auszudenken. Geschweige denn, sich in das Thema hinein zu fühlen.  Es tut mir leid, aber dieses Album kann ich nicht guten Gewissens empfehlen. 

Daumen2maennlich

Artikelbilder: © Midinight Circus

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