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Für die meisten von euch ist die Erstellung eines neuen Charakters sicherlich Routine. Da werden Werte ausgerechnet und verteilt, Kringel ausgemalt, Vor- und Nachteile vergeben und vieles mehr. Ganz am Anfang steht meist das Konzept. Was will ich überhaupt spielen? Was für eine Persönlichkeit hat mein Charakter, was ist seine Motiviation? Kommt er gut mit anderen klar oder macht er gerne auf „einsamer Wolf“? Hier hat jeder seine eigene Reihenfolge und Vorgehensweise, aber früher oder später ist es dann soweit: man hat seinem Charakter Leben eingehaucht.

Vorweg möchte ich sagen, dass ich es schwierig finde, wenn man sich einen Einzelgänger erstellt, der eine Phobie gegen Gruppen hat. Rollenspiel ist ein Gruppenspiel (es sei denn, man ist der einzige Spieler in einer Runde) und da kann es frustrierend sein, wenn es immer einen gibt, der allein loszieht. Ganz zu schweigen von dem Aufwand für die SL, die sich immer um zwei Gruppen kümmern muss. Ich finde es also schon wichtig, dass man ein wenig darauf achtet, dass der Charakter in einer Gruppe klar kommt. Es gibt auch Rollenspiele, die ein Einzelgänger-Dasein fördern (zum Beispiel Vampire -The Masquerade), aber in der Regel ist doch eher Teamwork gefragt.

Neben dem eigentlichen Spiel des Charakters gibt es aber meiner Meinung nach schon ein paar Punkte vorher, die man beachten kann (wenn man will). Das sind weder feste Regeln noch Vorschriften, ich möchte euch lediglich zeigen, welche Vorüberlegungen ich treffe.

Charaktererstellung

Wenn man weiß, welches Konzept die Spielleitung für die neue Runde hat, kann man schon am Anfang ein Charakter-Konzept wählen, welches gut zu den bekannten Umständen passt.

Ein Beispiel: unsere Trinity-Runde besteht aus Psionikern, die für einen Konzern arbeiten und die Frachtrouten dieses Konzerns von Piraten säubert, die auf die Ladung der Konzern-Raumschiffe scharf sind. Das bedeutet, die Charaktere sind viel im Raumschiff unterwegs oder befinden sich an Bord von Raumstationen. Jeder von uns hat also zugesehen, dass der eigene Charakter an Bord eines Raumschiffs eine Aufgabe erfüllen kann (Schiff steuern, Geschütze bedienen, Kommunikation etc.), damit er auch was zu tun hat und sich nicht langweilt (aus Langeweile kann ja schließlich auch Störung entstehen…). Sich einen Pazifisten mit Raumkrankheit und krankhaftem Zwang zur Rebellion gegenüber Autoritäten zu erstellen, wäre also keine so gute Idee gewesen. Da wir aber alle von vornherein wussten, in welchem Umfeld wir uns bewegen werden, haben wir zumindest einen Teil unsere Fähigkeiten und Hintergründe danach ausgerichtet.

Es gibt auch Symbiosen unter den Spielercharakteren, die mitunter sehr vorteilhaft für die Gruppe sind. Nehmen wir mal eine „klassische“ Kombination aus kämpferisch begabtem Charakter und einem Heiler/Mediziner – der eine kämpft, der andere flickt den Kämpfer bei Bedarf wieder zusammen. Solche Symbiosen gibt es sicherlich auch in anderer Art und Weise in anderen Systemen, aber ihr wisst hoffentlich, was ich meine.

Wenn man gerne mit solchen Symbiosen arbeitet, dann sollte man sich vorher mit seinen Mitspielern absprechen, damit keine zu großen Überschneidungen oder Dopplungen auftreten. Schließlich möchte man mit seinem Charakter ja auch gerne eine Funktion in der Gruppe erfüllen, da kann es schon demotivieren, wenn es mehrere Kämpfer in der Gruppe gibt, die sich ständig „die Butter vom Brot klauen“.

Auch während der Wahl der Vor- und Nachteile (in den Systemen, in denen so etwas vorgesehen ist), sollte man gut überlegen. Vor- und Nachteile sind sicherlich schön, um dem eigenen Charakter noch ein paar Ecken und Kanten hinzuzufügen. Sich ein Konzept zu erarbeiten, nur um es am Ende mit einem Nachteil wieder auszuhebeln (zum Beispiel den besagten Piloten mit Raumkrankheit) halte ich allerdings für wenig zielführend und es trägt auch nicht unbedingt dazu bei, dass man selber und die Gruppe mehr Spaß am Spiel hat („Scheisse, unser Pilot hat auf die Steuerungskonsole gekotzt und die Elektronik ist ausgefallen…“). Klar, man kann das machen, aber dann würde ich dem Konzept des Charakters ein zweites Standbein spendieren.

Wenn man also möchte kann man schon im Vorfeld viel an der Gruppentauglichkeit des eigenen Charakters schrauben. Es sollte aber auch klar sein, dass man sich damit unter Umständen selbst beschneidet, was die Wahl des Charakters angeht – zum Beispiel wenn man eigentlich einen Kämpfer spielen wollte dann aber zu Gunsten der Gruppe einen Heiler macht, weil es noch keinen gibt und ein Mitspieler schon einen Kämpfer erstellt hat. Das kann man machen, muss man aber nicht. Schließlich muss einem der eigene Charakter hinterher auch noch zusagen, sonst hat man selber keinen Spaß am Spiel.

Während des Spiels

Hat die Gruppe nun zusammengefunden, verbringen die Charaktere auch meist viel Zeit miteinander. Im Rollenspiel verhält es sich meist wie im wahren Leben: jeder Charakter ist anders und dass es ab und an auch mal zu Reibereien kommt, ist normal in meinen Augen und kann auch durchaus interessant sein. Wenn man gerne die Individualität seines Charakters betonen möchte, dann gibt es dazu sicherlich Situationen, die ungünstiger sind als andere. Hier sollte man seinem Charakter auch einfach ein bisschen gesunden Menschenverstand spendieren.

Womit wir auch bei der nächsten Frage wären: muss man auch mal zum Wohl der Gruppe ein Auge zudrücken und nicht immer auf sein eigenes Charakterkonzept bestehen? Ich sage ja. Wie oben schon geschrieben: Rollenspiel ist ein Gruppenspiel. Das ist ein Umstand, der von vornherein jedem klar ist und den jeder im Hinterkopf habe sollte, wenn er mit Rollenspiel anfängt. Wenn mein Charakter sich verhält wie ein Arschloch, seine Kameraden im Stich lässt, weil er grade seine eigenen Ziele verfolgt und auch den Rest der Zeit eine Solonummer abzieht muss ich mich nicht wundern, wenn der Rest der Gruppe meinen Charakter blockt (im Spiel) oder keinen Bock mehr auf mich als Spieler hat. Unter solchen Aktionen leidet einfach der Spielspaß, und das ist es doch, worauf es ankommt.

Ich will nicht sagen, dass der eigene Spielercharakter zur geistlosen Drohne ohne Ziele, ohne Persönlichkeit oder eigene Motivation werden soll, die alles nur zum Wohl der Gruppe tut. Es kommt einfach auf die richtige Balance zwischen Gruppe und eigenem Charakter an. Ich denke auch, dass sich gruppentaugliches Spielen und charakterbetontes Spielen nicht ausschließen müssen. Man sollte nur bedenken, dass es Zeitpunkte gibt, in denen die eine Spielweise destruktiver ist als die andere.

Wie immer gilt natürlich auch hier: sprecht mit euren Mitspielern und eurer SL. Es kann ja gut sein, dass die Mitspieler nichts einzuwenden haben gegen eine Spielweise, die unter Umständen nicht immer gruppenkompatibel ist, oder dass sich Gruppenkonflikte großer Beliebtheit erfreuen. Erlaubt ist, was (allen!) Spaß macht.

Die Frage nach der Gruppentauglichkeit eines Charakters würde ich also in etwa so beantworten: der Charakter sollte die Gruppe ergänzen, bereichern und sie interessant machen, er sollte ihr aber nicht im Weg stehen. Ach ja…. Spaß sollte einem der eigenen Charakter natürlich auch machen :)


Dieser Artikel entstand im Rahmen des Karnevals der Rollenspielblogs „Charaktere, Figuren und Charakterentwicklung (April 2012)“, der von Bjørn Jagnow organsiert wird.

 

 

 

Artikelbild: © Daniel Etzold – Fotolia.com

15 Kommentare

  1. Ich hatte einmal eine große Diskussion, als ich bei einer neuen Runde einsteigen wollte. Ich bin es eigentlich gewohnt, dass jeder Spieler das spielt, was er will und der Spielleiter dann die Kampagne entsprechend anpasst. Wenn zum Beipiel kein Spieler einen Kämpfer spielt, dann kommt es eben zu weniger kämpfen usw.

    In dieser neuen Runde wurde dann aber ein Vortreffen orgenisiert wo grob über die Charakter Verteilung gesprochen wurde, also wer welche Rolle in der Runde besetzen Soll (Heiler, Magier, Kämpfer, …) ähnlich wie bei Onlinerollenspielen. Jeder hatte dann zwei Charaktere fertig gemacht und beim zweiten Vortreffen mitgebracht. Ich hatte zwei unterschiedliche Konzepte, die aber beide nicht sonderlich geminmaxt waren, ihre Rolle also nicht gut genug ausfüllen konnten. Also hatte ich während des zweiten Vortreffens einen dritten Charakter erstellt und eigentlich alles mit der Gruppe abgesprochen. Dennoch wurde auch das Charakterkonzept abgelehnt, da einem Spieler die Nachtiele nicht passten, die ich gewählt hatte, um diesem annähernden Archetypen wenigstens ein bisschen Hintergrund und einige Ecken und Kanten zu geben. Ich habe mir dann keinen weiteren Charakter gemacht, sondern lieber eine andere Gruppe gesucht.

    Alle meine Charaktere haben am Anfang irgendwelche Ecken und Kanten, die vieleicht auch zunächst kaum Gruppentauglich sind, weil ich es mag, die daraus entstehenden Konflikte auszuspielen. Bisher hat das den Mitspielern und Spielleitern auch viel Spaß gemacht. Ich hatte zum Beispiel mal einen Charakter bei Warhammer spielen wollen, der einmal vom Chaos versucht wurde und für kurze Zeit einem Chaosgot gedient hat. Der Spielleiter hat daraus dann eine aktive Anhängerschaft eines Chaosgottes gemacht. Gespielt habe ich dann den Konflikt zwischen derTreue zu seiner Gruppe und den Einflüssen des Chaosgottes. Wobei natürlich klar war, dass sich auf Dauer die „Gute“ Seite durchsetzen würde.

    Solche Charaktere machen mir Spaß, Charaktere, die mit drei Worten beschrieben sind spiele ich nicht. Ich schreibe in der Regel auch Hintergrundgeschichten, die schon einmal 10 und mehr Seiten haben.

  2. @Mathias: ok, was Du mit der Vorauswahl der Charaktere da beschreibst hatte ich so auch noch nie. Ich glaube, da wäre ich auch gegangen – weder wäre ich mit der Gruppe noch sie mit mir glücklich geworden.

    Ich finde es auch interessant, wenn der eigene Charakter durchaus Ecken hat, an denen sich andere stoßen können – ebenso wichtig ist mir aber auch der Spielspaß der Gruppe insgesamt. Wenn man also vor lauter Gruppenkonflikt nicht mehr vorwärts kommt, ist das am Ziel vorbei in meinen Augen. Hier muss sollte man halt schauen, worauf die anderen Bock haben.

  3. @Annika: Gute Idee, eine Gruppe direkt als Team zu entwickeln ! In meiner neuen DSA Runde ist es manchmal schwierig, so ein gemeinsames Gruppengefühl zu erleben, eben weil es eine zusammengewürfelte Gruppe ist. Da bin ich auch als neue Spielerin dazugekommen und erfülle eine Aufgabe, die noch nicht abgedeckt war.
    Wenn jemand in eine bereits existierende Runde dazukommt ist es auch blöd, zu begreifen, was bisher gelaufen ist usw. ohne ständig nachzufragen und die anderen im Spiel zu stören, wie könnte man dies handhaben ?

  4. @Queen Jane: das Problem mit dem neu in die Runde kommen kenne ich. Praktisch ist es da, wenn die Runde ein Art „Rundentagebuch“ führt. Bei uns ist es zum Beispiel so, dass wir jemanden haben, der sich die Ereignisse notiert (aus Sicht des Charakters) und später dann in unsere „Rundenwiki“ einpflegt.

    Das ist ganz praktisch, weil sich so jeder vor dem nächsten Treffen nochmal durchlesen kann, was beim letzten mal passiert ist – gleiches gilt dann für die Neulinge, die die Erlebnisse der Runde vorher lesen können. Zugegeben, das ist mit ein bisschen Aufwand verbunden und ich kann verstehen, wenn da keiner Bock drauf hat.

    Ansonsten fällt mir aber auch nichts ein, um den Fragen während des Spiels vorzubeugen. Aber mal ehrlich: schlimm find ich es nicht. Wenn man neu dazukommt kann man nunmal nicht alles wissen (ist ja wie im realen Leben) und erfährt so nach und nach, was die Runde schon erlebt hat. Das ist ja auch ganz witzig und irgendwann kennt man seine Truppe auch gut genug und die Fragen werden seltener.

    Verbinde Deine Unwissenheit als Spieler doch einfach mit Deiner Unwissenheit als Charakter (wenn es nicht um Regelfragen geht :) ) und spiel die Fragen im Spiel aus, dann ergibt sich da gleich interessanter Gesprächsstoff draus.

  5. Das werde ich heute abend mal probieren. Wenn ich die Fragen spielerisch schön umsetzen kann, wird das hoffentlich auch etwas unterhaltsam für die anderen Spieler !

  6. @Stefan: 10 Seiten ist etwas viel, das ist wahr. Im Vampire Live war das allerdings kein Sonderfall. Wenn ich einen Hintergrund kriege im Tischrollenspiel, ist der meist 1-2 Seiten lang, den lese ich auf jeden Fall. 10 würde ich aber auch lesen ;)

  7. @Annika: Letzten Donnerstag habe ich also in einer ruhigeren Minute einen Mitspieler gefragt, wohin wir reisen wollen und warum.
    Er erklärte mir daraufhin, er wolle nach Hause ins Horasreich und der Rest der Gruppe käme halt mit und jetzt würden wir erstmal Ferien auf einem Schiff machen.
    Also so ganz verstanden hab ich das nicht…

  8. Hm, ja, so ganz nachvollziehen kann ich das auch nicht. Hört sich für mich jetzt irgendwie nach Kreuzfahrt an :) Aber irgendwas müsst ihr doch im Horasreich zu tun haben? Sonst würdet ihr ja kaum dorthin schippern.

  9. […] “Hallo, ich bin der Neue!” – Charaktere und ihre Gruppentauglichkeit […]

  10. Guter Artikel. Kann ich in allen Punkten voll unterstützen. Wir haben auch immer wieder Probleme gehabt mit Spielern die einfach nicht verstehen das, mit wenigen ausnahme Spielen, eigentlich Teamwork angesagt ist. Unsere Gruppe tendiert auch eher zu einem freundlichen Miteinander. Daher passt es bei uns einfach nicht sich derb daneben, einzelgängerisch und gruppenuntauglich zu verhalten. Daher erkläre ich allen neuen Spielern immer in Ruhe das sie sich auch ein wenig Gedanken machen sollten wie ihr Charakter in die Gruppe passt, wo seine Motivation liegt und was er von der Gruppe erwartet. Damit man einfach einen guten Ansatzpunkt hat. Auch das mit der Synergie innerhalb der Gruppe finde ich sehr wichtig. Wir hatten schon oft Situationen wo sich Spieler Aufgabengebiete geteilt haben, weil sie sich nicht genug abgesprochen haben. Und das führt immer zu Frust bei einer Person. Und es schränkt die Gruppe ein in ihrer Effektivität. Dafür muss ich sagen das bei uns definitiv eine starke Konfliktscheu besteht. Wir spielen gerade Vampire die Maskerade V20. Und da wird gerade deutlich das innerhalb der Gruppe die Intrigen ausbleiben und alle eher „brav“ sind. Was ja nicht soo passt. Aber mal schauen, vielleicht ändert sich das noch mit der Zeit ^^

    Auf jedenfall, super Artikel.

  11. @Anthony: danke für das Lob. Ich denke auch dass es ganz wichtig ist im Vorfeld zu klären, was man denn nun genau erwartet und wie man sich die Runde vorgestellt hat. Das ist denke ich etwas, was man aber erst mit der Zeit lernt (also sich im Vorfeld mitzuteilen), zumindest kann ich mich nicht daran erinnern, dass es in meiner Anfangszeit im RP solche Gespräche im Vorfeld gab. Wenn man dann erstmal ein paar mal „auf die Nase gefallen ist“, ist man etwas schlauer :)

    • Jau genau so ist es. Am Anfang der Rollenspielerkarriere sind ja alle, genau wie bei allen anderen Hobbys, noch so auf dem Dampfer – Zettel raus, los geht’s. Da wird nicht lange gefackelt und einfach ohne Planung und Überlegung gespielt. Da kommt dann einfach mal Unfug bei rum *g*

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