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Rollenspiel war anfangs eher etwas für Mathe- und Physikstudenten, der Anteil der Frauen in der Rollenspielszene schwankte zwischen gering bis nichtexistent. Dies änderte sich beinahe schlagartig, als Vampire auf den Markt kam. Dies sind meine Beobachtungen, wie ein Spiel eine ganze Szene verändern kann.

Wuppcon, irgendwann Mitte der Neunziger.

Ein ruhiger Samstag in Wuppertal. Wir betreten den Gemeindesaal. Die WuppCon der GfR hatte schon immer einen sehr hohen Tabletop-Anteil, und deshalb fühlten wir uns mit unseren CarWars-Runden da ganz wohl. Schon der erste Blick zeigte, dass heute etwas anders war als sonst. Gestandene BattleTecher, die eigentlich schon alles gesehen hatten, setzten ihre Miniaturenkoffer ab und schauten mit offenem Mund über „ihre“ Spieltische. Spieler, die gerade hereinkamen, waren verunsichert, ob sie auf der richtigen Veranstaltung waren.

Was war geschehen? Nun, es war gegen 10 Uhr Morgens, und alle Tische waren bereits besetzt. An den Tischen saßen nicht nur die üblichen Verdächtigen, sondern jede Menge schwarz gekleidetes Volk – und vor allem, jede Menge Spielerinnen.

Was war geschehen?

„Ein Film, ein Mythos, ein Spiel“

Vampire war geschehen. Genauer: „Interview mit einem Vampir“ war geschehen, kurz danach die Anne Rice-Welle, und dann das genau zur richtigen Zeit auf dieser Welle mitschwimmende Rollenspiel Vampire – The Masquerade. Und dieses Spiel sprach nicht nur Rollenspieler an. Um genau zu sein: Es sprach anfangs sehr wenige Rollenspieler an. Für Rollenspieler waren Vampire in der Regel böse Wesen, die es zu bekämpfen galt. Es waren nicht die missverstandenen Kreaturen der Nacht in ihrer endlosen Suche nach der verlorenen Menschlichkeit. (Und selbst wenn, dann wurden sie trotzdem entfernt, um die EP zu bekommen …)

Doch Vampire war anders. Dieses Spiel sprach Fans von Anne Rice an, Fans von Filmen wie Near Dark und Interview mit einem Vampir und was da nicht noch alles nachkam. Damit war eine neue Zielgruppe erschlossen.

„Das Twilight der 90er“

Die World of Darkness war ein idealer Hintergrund für einen neuen Schlag von Spielern, die sich nicht mit heroischen Heldentaten, sondern mit der persönlichen Entwicklung eines Charakters auseinandersetzen wollten. Hier zählten nicht Muskeln und Schwerter, hier zählten auf einmal der Umgang miteinander und mit den Menschen, die Regeln der Gesellschaft und die Eigenheiten der unterschiedlichen Clans.

Böse ausgedrückt: Hier konnten sich Spieler, die sich von ihrer Welt nicht verstanden fühlten, Charaktere spielen, die sich in ihrer Umwelt zurechtfinden mussten. Und damit sprach dieses Spiel – abgesehen von seinem düsteren Horror-Hintergrund – auch auf einer zweiten Schiene die Subkultur der Gothics im Allgemeinen an. Und das im großen Stil.

„Freundeskreise“

Der entscheidende Coup war, die Schwarzträger-Fraktion anzusprechen. Dadurch, dass die Rollenspielrunden nicht mehr nur aus (Physik/Mathe-)Studenten und anderen Nerds bestanden, sondern auch „normale“ Leute mitspielten, sank auch die Hemmschwelle für Frauen, sich diesen Kreisen anzuschließen – und jetzt, wo’s auch noch um Vampire ging  und das ganze in einer „Welt wie der unseren“, ohne großes Umdenken, stattfand, war der Damm endgültig gebrochen.

„Die Entwicklung der Serienlandschaft vorweggenommen“

Wenn man sich die Entwicklung der Fernsehserien ansieht, stellt man fest, dass in den 80ern action-dominierte Serien hauptsächlich von Männern für Männer produziert wurden. Dann haben die Produzenten irgendwann festgestellt, dass ihre Haupt-Zielgruppe nicht Männer, sondern Frauen sind. Und dass diese meist nicht auf Superhelden stehen, sondern auf Schicksale. Daraufhin wandelten sich die Serieninhalte, bis hin zum heutigen Programm mit Serien rund um Schicksale einzelner Charaktere. Serien wie das A-Team oder Airwolf würden heutzutage nicht mehr in dieser Form produziert. Dallas und Denver haben früh den Weg aufgezeigt, der Erfolg bringt.

„Vampire ist der Ego-Shooter unter den Rollenspielen.“

Der Effekt von Vampire ist vergleichbar mit dem Effekt, den Ego-Shooter nach ihrem Erscheinen auf die Computerspielszene hatten: Jeder spielte sie, jeder namhafte Hersteller brachte eigene Ego-Shooter auf den Markt, und andere Genres, wie beispielsweise Adventures, drohten beinahe auszusterben.

Nach einem initialen Hype ging man dazu über, das Spielprinzip zu erweitern und mit bekannten Strukturen zu mischen. Ego-Rollenspiele, Ego-Strategiespiele und ähnliches wurden geboren.

Die gleiche Entwicklung brachten die Storyteller-Spiele in herkömmliche Rollenspiele: Der Story-Anteil wurde immer wichtiger. Die Regelbücher bestanden auf einmal nicht mehr nur aus Regeln, sondern sie enthielten mehr und mehr Hintergrundmaterial. Das ganze ging bis hin zu Systemen, die sich durch einen genialen Hintergrund, aber lausige Regeln auszeichneten (denn die Regeln waren ja nicht so wichtig).

Was bleibt

Der Höhenflug von Vampire ist längst beendet, die World of Darkness hält sich hartnäckig – und ihr Vermächtnis lebt weiter. Spielerinnen auf Conventions sind inzwischen ein alltägliches Bild geworden, und gerade bei Systemen wie DSA sind inzwischen, zumindest auf Conventions, die männlichen Spieler augenscheinlich in der Unterzahl.

Artikelbild: © darkbird | fotolia.de / adobe.stock

21 Kommentare

  1. „und gerade bei Systemen wie DSA sind inzwischen, zumindest auf Conventions, die männlichen Spieler augenscheinlich in der Unterzahl.“

    Hmm, dem widerspricht aber eindeutig die neueste DSA Umfrage von Ulisses, nach der 85% der Spieler männlich sind.

  2. Das sind meine Beobachtungen auf CONS, nicht meine Beobachtungen zur Spielerzahl generell. Das ist ein himmelweiter Unterschied!

  3. „Rol­len­spiel war anfangs eher etwas für Mathe– und Phy­sik­stu­den­ten, der Anteil der Frauen in der Rol­len­spiel­szene schwankte zwi­schen gering bis nicht­exis­tent.“

    Sind beides Fehleindrücke. Die erste große Welle hier in D war mit D&D Red und DSA-1 1984/1985 und das war viel eher ein Schul- als ein Uni-Phänomen und so mainstreamig, daß sogar die Medien berichteten. Und schon damals ist mir keine Gruppe erinnerlich, in der keine Frauen saßen.

    Du beschreibst hier amerikanische Verhältnisse von 1979/80. Vampires Verdienst war es, daß neben anderen Frauen auch ein Haufen Goth-Chicks dazu stießen. Mehr nicht.

  4. @TheShadow: Auf welchen Cons warst Du in den 80ern? Oder in welchen Rollenspielvereinen? Oder generell — in welchen Rollenspielgruppen? Würde mich echt mal interessieren.

  5. @Shadow: Ich kann Deine Äusserungen nicht bestätigen. Als ich mit DSA anfing kannte ich so gut wie keine Mädels, die Rollenspiel gespielt haben. Das blieb auch ne Weile so. Als wir dann mit Vampire anfingen wollten plötzlich noch zwei Mädchen mitspielen (die waren keine Goths) und mit Erstaunen bemerkte ich, dass auf einmal einige Mädchen in meinem Umfeld (Schule, Sportverein…) ebenfalls mit Rollenspiel anfingen (hauptsächlich Vampire, es war aber auch anderes dabei).

    Die Begeisterung hielt bei vielen zwar nicht lange an, aber insofern kann ich Hennings Beobachtung durchaus stüzten. Aber ich hatte auch nur einen begrenzten Beobachtungsraum, kann sein dass es zwei Städte weiter links ganz anders lief. Frauen gab es natürlich schon immer im Rollenspiel, aber eben nicht so zahlreich.

  6. @Artikel: kann ich so unterschreiben, ähnliche Beobachtungen habe ich auch gemacht damals. Anne Rice und „Interview mit einem Vampir“ haben eine richtige Vampir-Schwemme ausgelöst (nicht nur bei den armen gequälten Seelen der Gothics :) ). Ich werd nie vergessen wie ich irgendwann mal im Hörsaal saß und sich genau vor mir zwei Mädels ganz leise übers Vampire unterhielten – als ich sie dann fragte, welchen Clans sie denn angehören, haben sie mich mit Augen so groß wie Ufos angeguckt. Göttlich :)

  7. Roger, Roger. Das war übrigens selbstironisch. Ich mag WoD, wenn auch eher die neue. Ich leite(te, pausiert leider wegen des Studiums) sogar WtF. :D

  8. Gerade im Vampire Bereich ist es sicherlich richtig, dass gerade die sich in den letzten 20 Jahren verstärkende, und im Alter auch immer weiter sinkende, Gothic „Szene“ (ob das noch eine Szene oder eine Modeerscheinung ist würde den Rahmen sprengen) den „düsteren“ Settings, gerade im „WoD-Hype“, eine Schwemme von weiblichen Mitspielern bescherte, die gerade von ausgewählten Settings angezogen wurde und nicht vom Rollenspiel insgesamt.

    Somit kann ich den Tenor des Artikels durchaus unterschreiben, auch wenn ich schwanke, ob der letzte Absatz objektiv so unterschrieben werden kann. Der Höhenflug ist, gerade in Deutschland, sicher vorbei. Dafür gibt es diverse Gründe. Einer ist, dass es das „neue“ Vampire gar nicht erst weiter in deutscher Sprache gibt. Die alte World of Darkness hält sich, meiner Ansicht nach, auch vor allem bei den alten Spielern, die sie bis heute glorifizierend hoch halten und die neuen Entwicklungen, auch vom „alten“ Verleger in Übersee hartnäckig ablehnen. Teilweise gar ohne sie gelesen zu haben.

    Gerade die neuen Systeme würde die heutige Zielgruppe des Vampire Hypes, um Vampire Diaries und Twilight sicher bedingt ansprechen und könnte wieder davon profitieren. Die Frage ist nur, ob die Freunde des klassischen Vampirgenres das so begrüssen würden, wenn Edward als Toreador von der Lancea Sancta glitzernd durch New Orleans wandelt. Gruseliges Bild.

  9. Also ich habe ja auch mal ein paar Runden als Blutsauger verbracht, gemäß meiner Gruppe aber wahrscheinlich mit mehr Actionelementen als die klassischen Vampire-Charakter-Intrigen-Runden. Tatsächlich hatten wir aber auch für gewisse Zeit 1 Spielerin, in meiner nun 10 Jährigen Rollenspielgeschichte ein Novum in den eigenen Berlinerrunden. Ich mag die Blutsauger im klassischen Hintergrund eigentlich, doch die zunehmende „Vermenschlichung“ bishin zu den jüngsten Auswüchsen mit Twilight und Vampire Diaries, nein das ist nicht meine Welt, nichts als verklärte Frauenromantik (meine Freundin findet es übrigens spitze). Da schicke ich meine Fantasyspieler in der düsteren Warhammerwelt lieber auf die Jagd nach dem nächtlichen Raubtier oder dem blutsaugenden Aristokraten der Finsternis.

  10. Meiner Meinung nac haben Computerspiele zugängliche Serien, Herr der Ringe und MMo’s mehr dazu beigetragen als Vampire.

  11. Ich stimme dem Artikel voll zu, wobei es vorher schon eine kleine Frauenwelle (nicht Schwemme) kam, als PP&P auf den Markt kam.

    Aber in einem Punkt wiederspreche ich doch: Bestehende Rollenspieler waren eben doch sehr an Vampire interessiert, alerdings lag da die Faszination eher darin ein Überwesen in einer Welt von Normalos zu spielen, was Vampire ja letztendlich nicht ist, da Sterbliche ja nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen.

    Ein interessantes Phänomen von damals war auch, dass Nerds plötzlich richtig gut bei Frauen ankamen, wenn sie in der Lage waren eine Rollenspielrunde zu leiten, was sicherlich für die Verbretung von Vampire in der Rollenspielszene sehr hilfreich war.

    Meine Frau und ich haben uns aber neulich gefragt, warum wir heute nicht mehrVampire spielen und das auch nicht wollen und warum wir die neuen Filme auch nicht spannend finden. Die Antwort war dann einfach: Wir sind keine 16 mehr, Vampire haben auf Teenager eine deutlich größere Phaszination als auf ältere Menschen.

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