Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

Mit „Strange, Dead Love“ hat White Wolf Ende 2011 ein Quellenbuch zur Umsetzung von „Paranormal Romance“ für „Vampire: The Requiem“ herausgebracht. Eigentlich längst überfällig, denn nicht nur, dass Vampire ohnehin zumeist stark mit Anziehungskraft und Erotik verbunden werden, spätestens seit der Begeisterung für Geschichten wie aus „Twilight“ fragt man sich, warum derlei noch nicht veröffentlicht wurde. Zwar erwähnten bereits etliche Bücher der „Vampire: Die Maskerade“-Reihe romantische Beziehungen und sexuelle Gelüste, doch zugleich galten diese Themen tendenziell als verpönt, denn: Vampire haben keine Gefühle. So simpel die Erklärung, die noch nie so recht mit diversen Geschichten, die in den früheren Quellenbüchern der Maskerade-Reihe zu lesen waren, zusammen passte.

Erscheinungsbild

Erhältlich ist „Strange, Dead Love“ als PDF-Version bei DriveThruRPG. Dort kann man beim Einkauf wählen zwischen der PDF-Publikation allein, einer Softcover-Druckvariante oder einer Kombination aus beidem.

Das Erscheinungsbild des 63 Seiten umfassenden Buches ist das für WoD-Publikationen übliche. Auffallend ist, dass die angebotenen neun Aufhänger von im Schnitt zwei bis drei Seiten Umfang für mögliche Plots direkt aufeinander folgen, also ein neuer Aufhänger nicht auf einer neuen Seite beginnt – beziehungsweise ist das bei den insgesamt neun Aufhängern mal der Fall und mal wiederum nicht.

Die Illustrationen stammen allesamt aus einer Feder, nämlich aus der von Ken Meyer Jr. Sie sind durchweg vollfarbig und über die Qualität lässt sich natürlich streiten. Ich selbst habe von dem Zeichner im Verlauf der Jahre so einige Bilder gesehen, die mir richtig gut gefallen haben, doch dazu zählt in „Strange, Dead Love“ leider kein einziges. Sie wirken sehr grob und ziemlich lieblos. Die für mich beste Zeichnung des Buches ist das Coverbild, das allerdings als einziges von Christopher Shy gezeichnet wurde.

Die har­ten Fakten:

  • For­mat: pdf oder Print on Demand
  • Ver­lag: White Wolf 
  • Erschei­nungs­jahr: 2011
  • Spra­che: Eng­lisch
  • ISBN-10: nicht existent
  • ISBN-13: nicht existent
  • Bezugs­quelle: Dri­ve­ThruRPG 
  • Preis: 9,99$ (PDF), 16.99$ (PoD), 19,99$ (PDF + PoD)

Inhalt

Strange Dead Love Cover

Als ich mit dem Lesen des Buches begonnen habe, war ich zunächst hellauf begeistert. Ich hatte bereits vorweg ein großes Interesse an diesem Buch, weil ich tatsächlich Charaktere in einer Beziehung spiele, was so einige Probleme aufwirft in Bezug auf das Spiel. Mich hat also brennend interessiert, inwiefern der Quellenband auf solcherlei eingehen würde. Außerdem zeigte sich sehr schnell, dass der Text einen anders als die Zeichnungen sofort in den Bann schlägt. Kurze und knappe Sätze, die viel Spannung und eine gewisse Intensität aufbauen, leiten die meisten Absätze ein. Die sich durch das gesamte Buch ziehende Fortsetzungsgeschichte in mehreren Teilen weiß zu unterhalten, ebenso die jedem der neun bereits erwähnten Plotaufhänger vorangestellte kurze Einleitungsgeschichte.

Los geht es mit allgemeinen Informationen zum Thema, sprich: mit den Möglichkeiten, die „Paranormal Romance“ in einer Runde bieten kann. Welchen Unterschied macht es eigentlich, ob man mit jemandem auf Basis echter Gefühle zusammen ist oder ob man derlei mittels Blutsband oder unter Einsatz von Disziplinen erwirkt? Was bedeutet es für einen Vampir überhaupt, Sex zu haben, und wie genau kann man den mit der orgiastischen Erfahrung des Kusses vergleichen? Auf diese Fragen und ein paar mehr geht das erste Kapitel des Buches ein, ebenso beschreibt es mögliche vorherrschende Stimmungen und Themen, die sehr viel variationsreicher ausfallen, als man zunächst meinen könnte. Soll es eher um Erlösung und Opferbereitschaft gehen, eher um bedingungslose Liebe über alle Zweifel und Grenzen hinweg, die große Liebe an sich oder vielleicht doch eher um Tragik, verfluchte Liebe oder gar Rache? Das sind nur einige Beispiele, die genannt werden, und auch auf mögliche Kombinationen von Charakteren wird eingegangen: Vampire und Vampire, Vampire und Menschen, Ghule, im späteren Verlauf sogar die Kombination aus Vampiren und Werwölfen – und ob es dabei um eine Obsession, um ein Paar, eine Dreiecksbeziehung oder sonst noch was geht, streut weitere Variationsmöglichkeiten ein.

Noch im selben Kapitel beginnt die Begeisterung dann jedoch leider nach und nach zu schwinden, wenn es daran geht, konkreter zu werden. Man könnte einfach einen generell entspannten Umgang mit der Maskerade vorschlagen, heißt es da, oder vielleicht eine Alternative zu Blut ins Spiel bringen und sehen, ob die Beziehung dann noch dieselbe Anziehungskraft besitzt. Vielleicht setzt man auch verfluchte Erbstücke ein, um Dialoge zwischen Vampiren und Menschen zu schaffen und somit Optionen zur Paarfindung möglicherweise, eventuell befragt ein eifersüchtiger Vampir ein Orakel zur Beziehung und erfährt dabei Dinge, die er in der Form nicht erwartete oder wissen wollte. Auch wenn die einzelnen Beispiele mit Liebe zum Detail herausgearbeitet wurden, erscheinen sie doch sehr beliebig und wenig kreativ.

Dass es noch abstruser geht, zeigen dann die nachfolgenden neun Plotaufhänger für eine Geschichte im „Paranormal Romance“-Genre. Die Aufteilung der einzelnen Vorschläge ist dabei noch das Beste: Eine kleine Geschichte gibt einen Einblick ins Thema, danach folgen die Beschreibung der Idee, die vorherrschende Stimmung sowie die Erfordernisse, die das Thema an die teilnehmenden Spielercharaktere stellt, Hinweise zu möglichen Formen von Verbündeten und Gegnern sowie jeweils drei Beispielgeschichten, die man in dieser Umgebung spielen könnte. Zusätzlich enthält jeder dieser thematischen Aufhänger auch noch Tipps für spielmechanische Anpassungen für den jeweiligen Plot. Soweit, so gut.

Vorgeschlagen werden dann Sachen wie der Kampf um das Kind eines in Starre befindlichen alten Vampirs, um die eigene Macht in der Stadt zu erhöhen oder auch eine Geschichte in einer Umgebung, in der ein Prinz Romantik und Sex für illegal erklärt hat, das Spielen in einem alten Anwesen, um das sich so einige Geschichten ranken, etwas rund um Vampiren unterstellte Werwölfe sowie die Option, ein geheimnisvolles Ritual ins Spiel zu bringen, durch das wahre Liebe es erreichen kann, dass der Vampir wieder zu einem Sterblichen wird. Für den einen oder anderen mögen diese und andere Ideen interessant sein, ich selbst finde sie eher uninspiriert bis hin zu … sagen wir mal abwegig.

Doch was soll’s, denn das spannendste Kapitel des Buches steht ja noch aus: Storytelling! Also wie macht man das nun mit diesen Beziehungssachen, gerade innerhalb des Gruppenspiels, wie vermeidet man Langeweile der nicht Beteiligten, ohne dennoch den Beziehungsteil gänzlich außen vor zu lassen, welche besonderen Möglichkeiten gibt es sonst noch so? Tja, das weiß ich leider immer noch nicht. Das Kapitel beginnt erst mal weitschweifig mit Allgemeinplätzen wie dem gemeinsamen Abstimmen (Gruppenvertrag), der Berücksichtigung emotionaler Themen und Beziehungen im Rahmen der Charaktererschaffung sowie unterschiedlichen Zeitrahmen für unterschiedliche Geschichten. Es folgen Ideen wie „Erfahrungspunktevergabe für Genretreue“ und  die  Auflistung unterschiedlicher Settings zur Umsetzung von „Paranormal Romance“ (falls jemand noch nicht wusste, dass man das nicht nur in der Moderne, sondern auch in der Wildnis oder in viktorianischer Zeit spielen kann).

Erst danach geht es doch noch ans Eingemachte, so glaubt man zumindest, bis dann erhellende Tipps kommen wie, Beziehungsinhalte am besten vornehmlich in 1:1-Sessions auszuspielen – natürlich nicht ohne den Hinweis, doch bitte Inplay und Outplay zu trennen und bei Bedarf ein „Safe Word“ auszumachen, sollte es einem der beiden Beteiligten zu weit gehen. Ungefähr an dem Punkt habe ich mich ein bisschen gefühlt wie im falschen Film, Verzeihung: im falschen Buch. Da hilft dann auch nicht mehr, ein Template für „Heroic Mortals“ als besser geeignetere Partner als normale Menschen einzuführen, zumal es im Kern nicht mehr enthält als ein Pünktchen mehr hier und ein Pünktchen mehr dort auf dem Charakterbogen.

Die im Buch hier und da eingestreuten spielmechanischen Hinweise fand ich fast durchweg überflüssig bis sinnlos. Eine Tugend durch den Namen der wahren Liebe zu ersetzen und Bonuswürfel zu vergeben, wenn man die ehemalige Tugend zu Gunsten der wahren Liebe einsetzt, war da meiner Meinung nach noch die beste Idee. Der Einsatz von Skatkarten, um im favorisierten 1:1-Spiel damit festzulegen, welche Intensität Liebe (Herz), Ressourcen (Karo), Gefahr (Pik) und Kampf (Kreuz) bekommen sollen, ist aus meiner Sicht genauso überflüssig wie der Tipp, sich mit der Spielrunde zusammen Filme anzugucken oder sich Bücher auszuleihen, damit auch alle dieselbe Vision der „Paranormal Romance“-Runde teilen können. Auch letzteres ist keine Idee von mir, sondern eine, die sich ebenfalls im Quellenbuch findet.

Preis-/Leistungsverhältnis

Ich hatte von diesem Buch deutlich mehr erwartet als eine Vielzahl an Anregungen, die eher einem nicht sonderlich reflektierten Brainstorming zu entstammen scheinen, von daher ist dieser Quellenband mit sehr vielen Allgemeinplätzen und Einleitungsgeschichten auf insgesamt 63 Seiten schlicht zu teuer. Wer sich hingegen auch für Kleinigkeiten begeistern kann oder sich noch nie sonderlich mit den vorbeschriebenen Inhalten beschäftigt hat, für den lohnt die Anschaffung durchaus.

Bonus/Downloadcontent

Eine Leseprobe kann hier betrachtet werden: Klick

Fazit

Das Buch eignet sich vor allem für Leute, die gern romantische und/oder leidenschaftliche Themen in ihrer Gruppe einführen wollen, aber bislang so wirklich gar keine Idee haben, wie sich sowas anstellen ließe. In einem solchen Fall ist die Lektüre durchaus empfehlenswert und der Erzähler wird zu solchen Zwecken auch ordentlich genug an die Hand genommen und mit Inspirationen versorgt. Wer darüber hinaus hofft, weitergehende und speziellere Hinweise sowie rund ausgearbeitete spielmechanische Unterstützung zu bekommen, wird wohl eher enttäuscht sein.

Hinzuweisen wäre noch darauf, dass der Fokus des Buches eindeutig bei Beziehungen zwischen Vampiren und Menschen/Ghulen liegt. Die Beziehung zwischen zwei Vampiren wird deutlich knapper gehalten, alles andere an Crossover-Optionen fällt abgesehen von dem Plotaufhänger mit armen unterdrückten Werwölfen beinahe gänzlich unter den Tisch.

Daumen3weiblich

 

Artikelbild: © Onyx Path Publishing

8 Kommentare

  1. Kann mich dem Fazit nur anschliessen.

    Ich hatte mir die PDF aus ähnlichen Gründen wie Tanja kurz nach Erscheinen auf DTRPG gekauft und war enttäuscht, daß die Beziehung zwischen Vampiren quasi nur in ein paar Nebensätzen abgehandelt wurde (von den möglichen Ansichten der Bünde mal ganz zu schweigen).

  2. Ich ahbe mich mit Freunden zusammen selber mit dem Thema beschäftigt. nach einem Twilight-Kino-Abend saßen wir bei einigen Caipis in einem Club und ließen Gedanken kreisen, zum einen amüsierten wir uns über die Klischees in Twilight und zum anderen dachten wir nach über, was wäre wenn…

    Herausgekommen ist ein Roman über einen schwulen Vampir mit Migrationshintergrund, der mit seiner Schwester nach Bonn zum Studium kommt und allerlei erlebt von Romanze, Zivilisationscrash bis Krimi. Erscheint im Herbst 2012 und mir hat das Schreiben Spaß gemacht. Über den Link gibt es die eine oder andere Leseprobe und Charakterporträts.

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