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Der erste Artikel dieses Zweiteilers stellte den modernen Menschen, wie wir ihn jeden Tag auf der Arbeit sehen, dem „Instinktwesen“ gegenüber, welches auch noch in Zeiten von iPads und Überwachungskameras von Glücksengeln spricht, um unsichtbaren Beistand bittet und am Morgen den Nachbarn auffordert Gott zu grüßen. Zusätzlich wurde die Frage nach der Angst vor dem Unbekannten, welche heute eine immer größer werdende Faszination erfährt, aufgeworfen. Moderne Schrecken, wie das als Weltuntergang interpretierte Ende des Mayakalenders im Jahr 2012, UFOs und Außerirdische, wurden den alten Mythoswesen wie Engeln und Dämonen fragend gegenübergestellt um mit der Frage zu enden, warum der heutige Mensch noch immer von Dingen fasziniert ist? Dinge die fantastisches, wie schreckliches, für ihn bedeuten mögen und die sich seinem Einfluss entziehen – Worin liegt der Kern dieser Faszination, die so im Widerspruch zur Aufklärung zu stehen scheint?

Alle diese Themen haben etwas gemein, was auch die religiösen Auffassungsgaben gemein haben. Sie behandeln Dinge, die sich der menschlichen Kontrolle entziehen und die für uns nicht immer klar und sofort sichtbar sind. Diese Faszination für das „nicht greifbare, Unbekannte, Unerwartete“ ist es, das uns auch in Fiktion immer wieder an die Grenzen unseres erfassbaren Verstandes drängt. Es ist die Tatsache und die gelebte Erkenntnis, dass nicht alles immer erklärbar zu sein hat, selbst wenn man es immer wieder vorgelebt bekommt. Die unausgesprochene Skepsis vor dem wissenschaftlichen Negieren aller Dinge, die wir nicht erklären können. Denn was bleibt einem nicht-Physiker übrig als den Worten des Physikers zu vertrauen. Ihm zu „glauben“. Wir glauben daran, dass es nichts jenseits unseres Seins gibt. Wir glauben daran, dass wir im Universum allein sind. Und wir glauben daran, dass wir das Universum im Groben erklären können.

Der Bereich der Skepsis hat sich umgekehrt. Wo der Ketzer, der nicht an „Gottes Himmelreich“ glaubte, ausgegrenzt wurde, so wird es nun der UFO-Gläubige. Die Sichtweise auf die Dinge, die wir glauben, hat sich umgekehrt. Und auch wenn sich dieser Artikel gar nicht mit einer Wertung von Religion befassen möchte, ist diese Tatsache elementar wichtig um den Stellenwert fantastischer Literatur erfassen zu können. Denn was uns früher wahrhaftig erschien, finden wir heute in Filmen und Büchern, in Video-, sowie in Brettspielen. In Rollenspielen und Comics: Welten jenseits unserer Welt. Eine Befriedigung unseres Dranges sich, wenn auch nur temporär, dem Gedanken hinzugeben, dass dort „mehr“ ist. Dass dort jemand aus dem dunklen Garten in unser Schlafzimmer schaut. Dass dort etwas unter dem Bett, oder im Kleiderschrank, lauert. Dass irgendeine unsichtbare Kraft dafür verantwortlich war, dass wir genau dann einen Wasserrohrbruch erleben, wenn wir, mit dem Schlüssel schon in der Tür stehend und unter Zeitnot, zu einem Vorstellungsgespräch fahren wollen. Und das jemand seine „schützende Hand“ über uns gehalten hat, als wir einen Autounfall hatten.

Heute sind es eben nicht mehr die herabsteigenden Engel auf Feuerrädern. Heute sind es die „Daenikschen“ Prä-Astronauten aus dem All. Es ist kein mitfühlender Gott, der in einer harten Zeit und bei einem beschwerlichen Leben Linderung verspricht, es ist ein bösartiger, fremdartiger Gott, der in eine kontrollierte, vermögende Zivilisation aus stygischen Tiefen hervorbricht, um diese zu Fall zu bringen. Wo uns das Jenseits, das Jenseitige und der Gros des Fantastischen half unser müßiges Leben zu erleichtern, und selbst wenn es nur in unserem Kopf stattfand, ist das Leben nun nicht mehr aussichtslos, müßig und ohne Hoffnung. Entsprechend sind unsere Fantasien keine Aufheiterung durch Kontrast mehr, sondern ein Nervenkitzel. Diese Furcht vor dem Unbekannten und Unkontrollierten reizt in einer berechenbaren Welt.

Welchen praktischen Nutzen können wir nun als Schreiberlinge, oder Spielleiter, daraus ziehen? Gerade wenn wir uns, geistig, in andere Welten begeben, bleibt die Frage nach dem Glauben und dem Umgang mit ihm, im Hinblick auf das oben beschriebene, oft unbeantwortet oder, inhaltlich, grob unangetastet. Man neigt dazu, Dinge zu erläutern die ganz offenkundig anders sind als in der unsrigen Welt, doch bezieht sich dies oftmals auf die „sichtbaren“ Unterschiede. Sicherlich ist es auch noch einmal doppelt so herausfordernd nicht nur eine andere Welt, sondern auch gewisse psychologische Teilaspekte in dieser zu beschreiben. Großer Respekt gebührt alleine jenen Autoren, die es schaffen uns eine unbekannte Welt in einer Art und Weise darzustellen, die es uns erlaubt uns in sie hineinzuversetzen. Und doch überschattet die bildliche Vorstellung einer anderen Realität oftmals deren „gefühlte Wirklichkeit“.

Hand aufs Herz, wenn wir uns den Herren der Ringe durchlesen, dann verlieren wir uns meist in der Beschreibung der Landschaft, der Völker, dem Leiden der kriegsgebeutelten Länder. Wir stellen uns vor, wie es wäre auf Minas Tirith zu stehen und gen Osten zu blicken. Doch was denken die Menschen dort? Führt der Blick gen Osten zu Schrecken, weil sie ihre Vernichtung fürchten? Was denken sie, wenn sie an Orcs, Uruk-Hai oder gar Sauron, den Abscheulichen, denken? Was bedeuten ihnen die Anuir? Was denken sie von alten Schrecken vergangener Zeitalter, oder berühren diese Gedanken sie gar nicht mehr?

Wie steht es um den Glauben im Star Trek Universum? Welche Vorstellung vom Leben nach dem Tode bewegt einen Fähnrich, wenn er in seiner Kabine in die ewige Dunkelheit des Universums blickt? Fragt er sich manchmal, ob dort noch mehr ist, oder hat ihn die Wissenschaft seiner Zeit, trotz allem, was der Crew der ISS Enterprise, nebst ihrer Schwesternschiffe, sah und erlebte, völlig vereinnahmt? Gibt es dort noch diese irrationale Angst vor dem Unbekannten?

Im Science-Fiction Bereich gibt es durchaus Beispiele für Geschichten, die sich in alle anderen Kulissen übertragen lassen. Nehmen wir die Reaper des Mass Effect Universums: Eine unbekannte Bedrohung, welche die Völker der Galaxis zu vernichten droht und unüberwindbar erscheint. Oder die Collectors aus Markus Heitz Collector Roman  , welcher im Justifiers  Universum spielt. Außerirdische unbekannter Herkunft mit, ebenfalls, unüberwindbarer Stärke ausgestattet, undurchsichtig in ihrem Handeln und, augenscheinlich, unantastbar. Nicht zu vergessen bleibt das Alien Universum von Regisseur Ridley Scott und die dortige Atmosphäre.

Drei Beispiele für Science-Fiction Szenarien, welche mit menschlichen Urängsten erfolgreich spielen: Wesen, für den Menschen unerklärlich, denen er hilflos ausgesetzt ist. Geschichten die den Geist der Zuschauer, der Leser oder der Spieler, nicht nur in eine andere Welt rücken, sondern ihre wahre Tiefe dadurch entfalten, dass sie emotional berühren.

Der Rollenspielleiter, gerade der langjährige, erfahrene, mag eine ähnliche Erfahrung gemacht haben. Es ist, um ein Beispiel zu nennen, einerlei das Pantheon der Götter in der Dungeons and Dragons Kampagnenwelt Eberron zu erwähnen, aber eine völlig andere Sache den Spielern zu vermitteln, was es wirklich bedeutet Angst vor den Dunklen Sechs, den bösen Göttern, zu haben und diese Angst in der Umwelt atmosphärisch an die Spieler weiter zu tragen.

Was denkt der Mensch wenn er, im Arcane Codex Universum beheimatet, nachts in eine dunkle Gasse tritt? Was jagt ihm eben jene Schauer über den Rücken, die nicht von einer unmittelbaren Gefahr herrühren, sondern deren Ursprung sich in den Schatten des eigenen Geistes findet?

Es ist eben jene Herausforderung, die das Paradestück eines Autors, eines Spielleiters, eines Zeichners und eines Regisseurs ausmacht, wenn es um Ambiente, und vorrangig um den Horror, geht: Dinge nicht nur zu zeigen, sondern fühlbar werden zu lassen. Die Brücke zu schlagen zwischen den Urängsten in uns und jenen in einer fantastischen Welt. So sind es doch gerade jene Szenerien die uns am längsten im Gedächtnis bleiben, welche uns emotional am ehesten fesseln. Diese Fesseln sind jene Fesseln, die wir, wenn wir uns auf das geistige Abenteuer eines Buches, einer Rollenspielrunde oder eines Filmes einlassen, selbst mitbringen. Denn nur was „uns“ bewegt, kann auch die Figuren einer fantastischen Welt in einer Form bewegen, die wieder auf uns zurückschlägt und uns sagen lässt „da habe ich eine Gänsehaut bekommen“.

Sollten wir also unserer Sabbattruppe in der nächsten Vampire – The Masquerade  Tischrunde auf einen Alten treffen lassen, so lasst es unsere Spieler nicht wie ein alltäglicher Konflikt zwischen Blutsaugern erscheinen. Lasst sie zittern. Lasst sie, am Besten bereits davor zittern. Und lasst die Begegnung einschneidend sein. Lasst die Charaktere danach Angst verspüren, wenn sie nochmals alleine durch die Kanalisation laufen. Lasst es jene stygischen Schrecken aus unbekannten Dimensionen sein, wie sie H.P. Lovecraft so treffend beschreibt. So wie auch die Spieler der Charaktere selbst aufblicken mögen und sich darauf einlassen, dass ihre spielerischen Avatare kein Charakterblatt vor sich haben und, trotz ihres Könnens und ihrer Übermenschlichkeit, Furcht vor Dingen haben, die selbst die Mächtigsten unter ihnen zum Zittern bringen. Denkt an jene Momente an denen ihr selbst, als kleines Kind oder gar noch heute, Angst hattet eine dunkle Gasse zu betreten und lieber den längeren Weg genommen hättet.

Es ist der Transport dieser Instinkte, von uns als Zuschauer, Spieler, Leser, in die Welt, in die wir uns begeben, die diese erst wirklich „erlebbar“, „spürbar“ macht. Instinkte, um die sich erst einmal bewusst gemacht werden muss, rein persönlich, ehe sie vor einem Publikum genutzt werden kann um jenes zu berühren und mitzureißen. Ein Autor, der selbst keine Angst vor Geistern, Goblins, Feen, Gespenstern und wie sie alle heißen, verspürt, nachvollziehen oder sich eingestehen kann, wird keine guten Horrorszenarien kreieren können.

Artikelbild: © Gustave Dore (gemeinfrei)

2 Kommentare

  1. Es hängt da sehr viel von den schauspielerischen Fähigkeiten des Spielleiters ab wenn Horror packend während einer Spielerunde vermittelt werden soll.
    Wie beim Theaterspielen geht es darum, „Kontakt“ zu den Spielern herzustellen, eine Beziehung, in der sie gewillt sind, dem Spielleiter mental zu folgen, egal wohin.
    Unser Spielleiter macht das richtig gut und es ist lustig zu sehen, wie auch der wildeste Thorwaler seeehr still wird wenn der Spielleiter es will : )
    Horror entsteht m.E. nicht so sehr durch eine Auseinandersetzung mit der Hintergrundwelt der Charaktere sondern durch die Anregung der „primal fear“. In meiner Jugend fand ich da „Es“ von Stephen King sehr bereichernd, denn Erwachsene und Kinder haben grundsätzlich diesselben Ängste und die springen auch ganz schnell wieder aus dem Schatten, egal wie alt wir sind.

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