Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

Ich habe in den vergangenen Jahren eher wenig phantastische Literatur gelesen. Vor ein paar Wochen aber überkam mich spontan der Appetit, ich hielt Ausschau nach Science-Fiction oder Fantasy und fand eine Mischung aus beidem: Steampunk. Ja genau, diese etwas krude Mischung aus dem Stil zwischen 1840 bis 1900 und moderner bis futuristischer Technologie. Im Kino liefen bereits einige Filme, die sich des Steampunk  bedienen, siehe z. B. Sky Captain and the world of tomorrow, oder Der goldene Kompass.

Erscheinungsbild

Das Buch kam bereits 2009 über das Label „Tor“ auf den amerikanischen Markt und wurde von Heyne im März 2012 „brand-neu“ als klassisches Paperback in Deutschland herausgebracht. Mit knapp über 500 Seiten handelt es sich um ein griffiges Buch, das sich in ein paar Stunden lesen lässt.
 
Das Cover ziert ein Frauengesicht mit einer etwas absonderlichen, goldfarbenen Fliegerbrille. Wer sich mit Steampunk befasst hat, wird solchen Gegenständen bereits begegnet sein: Zahnradbetriebenen Schmuckspinnen, E-Gitarren mit Dampfdruck, Laptops, die in einer Nussbaumverkleidung stecken und mit einer Schreibmaschinentastatur ausgestattet sind, natürlich alles mit viel glänzendem Messing, dicken Schrauben und Kupferrohren verziert.
 
Cherie Priest ist kein Neuling mehr. Sie veröffentlicht bereits seit 2005 Bücher, deren Geschichten zumeist in den USA angesiedelt sind und ins Genre der Fantasy gehören. Mit dem „Clockwork Century“ schuf sie 2009 eine alternative Zeitlinie, in der das 19. Jahrhundert eine deutlich andere Richtung nimmt und damit den Hintergrund für ihre, von Steampunk inspirierten, Bücher bildet.
 
Die Autorin wurde 1975 in Tampa, Florida geboren. Sie ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann in Seattle. Neben ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin arbeitet sie für die Subterranean Press und nimmt regelmäßig an verschiedenen Genre-Conventions teil, wie dem DragonCon, Genguicon oder Steamcon.

Die harten Fakten:

  • Taschenbuch: 512 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (12. Februar 2012)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453528662
  • ISBN-13: 978-3453528666
  • Bezugsquelle: Amazon

Story

Boneshaker Cherie Priest Cover

Priest wirft uns nicht unvorbereitet in ihr Szenario. Ihr Buch beginnt mit „Kapitel 7“ eines ganz anderen Buches, welches von einem Historiker geschrieben wurde und beschreibt, an welchem Ort die nächsten paar hundert Seiten spielen werden und wie es zu den besonderen Umständen kam, die das Leben der Menschen dort massiv beeinflussen.
 
Als ich Boneshaker in einer Buchhandlung zum ersten Mal in die Hände bekam, habe ich mir die Zeit genommen und genau diese acht Seiten Präludium gelesen. Hier wird deutlich, dass die Autorin viel Spaß und ein scharfes Auge bei der Recherche von Hintergrundinformationen hat, nicht zuletzt bieten ihr bereits die Touristenführer in Seattle Aufträge an, weil sie sich so gut auskennt. Das Gemisch aus Gerüchten, bedeutsam klingenden Namen und vielen Andeutungen lässt dem Leser fast nichts anderes übrig, als weiterzublättern – man möchte einfach wissen, was es mit all dem auf sich hat.
 
Dem Autoren der Einführung, einem Historiker, begegnen wir gleich auf den nächsten Seiten. Er verfolgt die Protagonistin des Buches, Briar, auf der Suche nach weiteren Informationen. Wir als Leser stellen schnell fest, dass die verhärmte Frau, die in ärmlichen Verhältnissen in Seattle lebt, eine dunkle Vergangenheit hat. Ihr Schicksal ist mit drei Männern verknüpft: Ihrem Ehemann „Leviticus Blue“, dessen Experimente vor ein paar Jahren die halbe Stadt in Schutt und Asche gelegt haben und der seitdem verschwunden ist; ihrem Vater, der während der Tragödie viele Menschenleben rettete, dabei starb und von den Überlebenden wie ein Heiliger verehrt wird – und ihrem Sohn, Zeke, der im Schatten der Ereignisse aufwächst und verstehen will, was für ein Mann sein Vater war, für dessen Taten er und seine Mutter seit Jahren büßen müssen.
 
Auf dieser Suche verschwindet Zeke und seine Mutter hat nun allen Grund, sich Sorgen zu machen, denn der Junge begibt sich in allergrößte Gefahr. Als das alte Seattle durch den Boneshaker, eine Erfindung von Zeke’s Vater, zerstört wurde, brach auch eine schreckliche Seuche aus, welche die Überlebenden zwang, den Stadtkern mit einer gewaltigen Mauer einzuschließen. Es ist absehbar, dass jeder, der sich dort hineinwagt, mit seinem Leben spielt.
 
Wir folgen Briar, die mit dem Mut einer Mutter die gefährliche Reise wagt, um ihrem Sohn das Leben zu retten und erfahren dabei Stück für Stück mehr über die tragischen Ereignisse der Vergangenheit und über die skurrilen Randerscheinungen in einer Stadt, die ihr Herz einmauern musste, um zu überleben.
 
Für eine Weile springen wir zwischen den Perspektiven von Zeke, der sich tapfer vorankämpft, und Briar hin und her. Beide kommen im alten, verseuchten Seattle an, sehen sich alptraumhaften Gefahren gegenüber und treffen doch Menschen, die all den Bedrohungen ein karges, aber zähes Leben abtrotzen. Über all dem schwebt der Geist von Leviticus Blue – ist der wahnsinnige Wissenschaftler tot, wie Briar steif und fest behauptet, oder hat er die Katastrophe, die er mit dem Boneshaker auslöste, überlebt und spielt nun ein diabolisches Spiel mit den Überlebenden?
 
Briar möchte eigentlich so schnell wie möglich die eingemauerte Stadt verlassen, aber die Gerüchte um ihren Ehemann und der Wunsch ihres Sohnes, das alte Haus ihrer Familie zu besuchen, halten sie zurück. Sie schließt Allianzen und stößt in das Reich eines Mannes vor, der scheinbar den Intellekt und die Erfindungsgabe eines Leviticus Blue hat und damit das lebensfeindliche Seattle beherrscht.

Schreibstil

Das Buch ist in der personalen Erzählsituation geschrieben. Die Autorin folgt hauptsächlich Briar, der Protagonistin. Ein paar Kapitel erzählen aber auch von Zeke’s Erlebnissen. Die englische Originalfassung kenne ich nicht, allerdings unterstelle ich der Autorin eine sehr gute Fähigkeit, ihre Geschichte zu beschreiben. Der Übersetzer, Frank Böhmert, hat eine ebenfalls gute Arbeit abgeliefert, sprachlich finde ich das Buch gelungen.

Preis-/Leistungsverhältnis

Für ein Paperback sind 8,99 Euro ein durchschnittlicher Preis. Amazon bietet die Kindle-Version für 7,88 Euro an. Anhand des Unterhaltungswerts des Buches halte ich den Preis für in Ordnung.

Bonus/Downloadcontent

 

Fazit

„Boneshaker“ lässt mich etwas zwiespältig zurück, daher gebe ich nur eine bedingte Kaufempfehlung.
 
Einerseits begeistert mich die opulente Ausstattung der Story, kaum etwas wirkt oberflächlich, alles hat seine Geschichte. Andererseits lassen diese umfänglichen Beschreibungen wenig Platz für die eigentlichen Geschehnisse. Am Ende stellt der Leser fest, dass er Briar lediglich für eine äußerst kurze Zeit in den Hexenkessel des alten Seattle gefolgt ist. Vieles wird dabei angeschnitten, nur wenig erfährt eine Auflösung. Gegen Ende des Buches gewinnt man außerdem den Eindruck, dass die Autorin Gas geben musste – entsprechend wirkt das Finale, im Gegensatz zu der Vorgeschichte, etwas unspektakulär.
 
Eine weitere Auffälligkeit: Von allen Charakteren des Buches erscheint ausgerechnet die Protagonistin, und in gewissem Maße auch ihr Sohn, als nicht authentisch. Ihr Hintergrund mag wasserdicht sein, ihr Handeln nachvollziehbar – aber ihre Gedankenwelt und Dialoge hinterließen bei mir einen aufgesetzten Eindruck.

Daumen4Maennlich

Artikelbild: © Heyne Verlag

3 Kommentare

  1. Sehr informative Rezi! Eine Freundin von mir hat das Buch auch gelesen und war ähnlich zwiegespalten. Ich hab schon ein bisschen mit dem Buch geliebäugelt und ich denke, ich werds trotzdem mal lesen.

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