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Bei Liverollenspiel-Veranstaltungen gibt es viele Wege, intime an Informationen zu kommen: Dorfbewohner fragen, Bibliotheken studieren, den Schankwirt bestechen, eine Wache unter den Tisch trinken, selbst der eine oder andere Informationshändler soll schon gesichtet worden sein. Eine mögliche Informationsquelle wird leider noch viel zu selten genutzt: Den Barden zuhören.

Was ist eigentlich ein Barde?

Gleich zu Anfang muss ich diese wichtige Kleinigkeit klären. Für die meisten LARPer sind Barden mehr oder weniger einfach nur die Musiker, die abends in der Taverne aufspielen, um die fröhliche Runde mit etwas Musik zu untermalen. Das Zauberwort ist hier leider „untermalen“, denn in den seltensten Fällen hört man den Barden wirklich zu. Und wenn doch, dann hat man sich vorher ein bestimmtes Lied gewünscht, welches der Barde dann rezitieren darf.

Die traditionelle Aufgabe eines Barden ist eigentlich eine andere. Ein Barde weiß meist viel über die Geschichte eines Landstriches, und er kennt viele Balladen über die Taten großer Helden oder die Bedeutung besonderer Plätze. Von seinen Reisen bringt er oft auch Kunde aus Orten in der Nachbarschaft oder gar weiterer Entfernung. Er ist quasi auch der Vorläufer der Regenbogenpresse.

Lieder aus dem LARP

Im Zuge dieser Tätigkeit haben die meisten Barden im Laufe der Zeit ein interessantes Repertoire an eigenen Liedern geschrieben, mit denen sie die durchaus bewegte LARP-Geschichte mal lustig, mal traurig, für die Nachwelt festhalten. Einschlägige LARP-Lieder-Archive wie beispielsweise das von Lowfyr beherbergen meist nur einen Bruchteil dieser Schätze.

Leider sieht die Realität so aus, dass die meisten Barden in den Tavernen die ewig gleichen (Trink-)Lieder wiederholen müssen, wollen sie Anerkennung erlangen. So schlummern Intime-Geschichte und Intime-Wissen meist vergessen in ihren Hinterköpfen, während sie für die trinkende Masse zum dritten mal an diesem Abend „Wein, Weib und Gesang“ anstimmen. Mit etwas Glück kriegen sie damit wenigstens Kupfer in den Hut oder ein Bier ausgegeben.

Vertane Chance zum Charakterspiel?

Wenn Ihr Eure Barden mal richtig glücklich machen wollt, dann spielt sie doch einfach mal an. Fragt bei dem einen oder anderen Lied mal nach, was der Text an der Stelle, die Ihr nicht verstanden habt, passiert ist – oder fragt mal, ob die Barden gar eigenes Liedgut haben. Gebt Ihnen mal das Gefühl, dass Ihre Lieder für Euren Charakter wichtig sind ;-)

Und manchmal werdet Ihr feststellen, dass Ihr damit gar nicht so unrecht haben könntet – wenn Ihr dadurch auf Plot-Lieder stoßt.

Was sind Plot-Lieder?

Da es hier keine festgelegten Fachworte gibt, muss ich mir erst mal etwas definieren: Ich meine mit einem Plot-Lied ein Lied, welches speziell für einen bestimmten Plot geschrieben wurde. Wichtig dabei ist das „für“ als Abgrenzung zum „über“. Lieder über Plot-Geschehnisse nenne ich im Folgenden LARP-Lieder.

Spontane IT-Lieder

Es gibt zwei Arten von Plot-Liedern. Die häufigere Darreichungsform sind die spontan InTime entstehenden Lieder. Dies kann alles Mögliche sein, was während des Cons spontan gebraucht wird, vom Geburtstagsständchen für einen Charakter, über spezielle Ritualgesänge, in denen bestimmte Elemente vorhanden sein müssen, bis hin zu ausgefalleneren Sachen wie beispielsweise Minneliedern, die sich der tapfere Ritter unter der Hand von fremder Feder schreiben lässt, weil Barden das nun mal besser können als die meisten Ritter ;-)

Diese Lieder sind einer der Gründe, warum wir mit unsere Bardentruppe Cathain darauf achten, auf allen Cons, die wir besuchen, auch außerhalb der üblichen Tavernen- und/oder Auftrittszeiten für Spieler anspielbar zu sein. Wir lassen uns beispielsweise selten komplett als NSC rekrutieren, damit immer jemand im Dorf zurückbleibt für Anfragen.

Geplante Plot-Lieder

Die Plot-Lieder, um die es hier eigentlich gehen soll, sind jedoch die geplanten und von der Spielleitung gesteuerten Lieder, die gezielt eingesetzt werden, um Informationen und/oder Plot-Hooks unter den Spielern zu verbreiten.

Die beiden prominentesten Beispiele aus unserem Liedgut sind sicherlich „Der Drachenhort“ und „Steinkreisspuk“, die lustiger weise beide für ein und dasselbe Con geschrieben wurden. Diese beiden Lieder sind damals so gut angekommen, dass wir sie auch heute noch im Repertoire haben, Jahre nach dem eigentlichen Con.

Auf dem „Tage Des Feuers“ sollte auf eine alte Zergenmine in der Gegend aufmerksam gemacht werden, die nach dem Kampf mit einem Drachen eingestürzt und nicht wieder aufgebaut worden war. „Der Drachenhort“ erzählt als „zünftiger Tavernenkracher“ die Geschichte dieses Kampfes. Bei der Aufführung haben wir das Ganze noch als „Ein Lied aus der Region“ deklariert und auf Nachfrage bestätigt, dass die Höhle natürlich „hier irgendwo“ sein müsste. Damit hat dieses Lied vor Ort als Plot-Hook Interesse an dem von der SL aufgebauten Dungeon geweckt.

Das zweite Lied war eine Ballade, die auf einer alten Legende basierend die Geschichte eines Bauers erzählt, der in einem seltsamen Steinkreis übernachtet. Diese Ballade wurde anfangs überhaupt nicht weiter beachtet, bis die ersten Spieler einen Steinkreis im Wald fanden, an dem seltsame Dinge passierten – und sich daran erinnerten, dass die Barden doch auch irgendwas von einem Steinkreis wussten. In diesem Fall haben wir also nicht den Aufhänger, sondern tiefere Informationen zu einem Plot geliefert und das Bespielen des Steinkreises interessant/möglich gemacht.

(Möglich gemacht allerdings erst später: Auf diesem Con wurde spontan noch ein drittes Lied („Das Steinkreisritual“) geschrieben, weil die Spieler es partout nicht geschafft haben, den Ritualtext zu finden, und der Text deshalb irgendwie anders unters Volk gebracht werden musste.)

Grenzfälle

Manchmal, aber eher selten, kommt es vor, dass Lieder aus Versehen zu Plot-Liedern werden, auch wenn das gar nicht so gedacht war. Beispielsweise haben wir uns auf dem Traumwelten I einen Spaß daraus gemacht, ein Lied über einen versteckten Zugang zum Feenreich in der Taverne zu singen, nachdem die Anwesenden gerade erst in einem anstrengenden Kampf ein solches Portal verschlossen hatten, da die dort lebenden Feen etwas bösartigerer Natur waren.

Auch wenn dieses Lied („Kiste“) angeblich aus einer weit entfernten Taverne in Thorwal stammte, sprangen sofort einige Recken auf und fingen an zu diskutieren, und nach einigen Stunden kam eine Delegation zu uns und fragte, ob wir weitere Informationen dazu hätten. Hier haben wir einen Sub-Plot und damit Rollenspiel ausgelöst, obwohl das eigentlich gar nicht der Plan war – und ein weiteres Mal gesehen, dass diese Methode hervorragend funktioniert.

Wie bringt man die Spieler zum Zuhören?

Das Hauptproblem mit Plot-Liedern ist, dass die Spieler sie hören müssen, sonst funktionieren sie nicht. Es reicht nicht, einfach nur eine Ballade über die alte Geschichte zu machen, man muss das Ergebnis als Barde auch entsprechend ansprechend präsentieren.

Das wichtigste ist, dafür – zumindest kurzzeitig – die Aufmerksamkeit an sich zu reißen, quasi von Hintergrund-Musik auf „alle mal zuhören“ umzuschalten. Dies gelingt sehr gut, wenn man zu einem oder zwei Liedern eine entsprechende Show veranstaltet, Tavernengäste mit einbindet, jemand zu den Liedern tanzt oder irgendetwas anderes passiert, was die Aufmerksamkeit kurzzeitig vom Würfelspiel auf die Barden lenkt.

Nachdem man beispielsweise zwei wahllos herausgegriffene Tavernengäste „gezwungen“ hat, ein Lied lang zu tanzen, kann man in das danach entstehende Aufmerksamkeitsloch schön ankündigen, jetzt ein Lied aus der Region zu spielen. Der Bezug auf die aktuelle Umgebung reicht, um Neugierde zu wecken, zumal alle alternativen Beschäftigungen wie Würfelspiel etc. vielleicht eh gerade unterbrochen sind, weil man dem Tanz zugeschaut hat.

Wenn das Lied einen klaren Bezug zum aktuellen Plot hat, braucht man es noch nicht einmal groß ankündigen, da reicht es aus, es direkt im Anschluss zu spielen. Das hat beim Steinkreisspuk beispielsweise funktioniert, weil der Steinkreis recht früh im Text erwähnt wurde und dieses Reizwort die Aufmerksamkeit gebunden hat.

Barden-Tipp am Rande:

Wenn alles nichts hilft, holt Euch (un)freiwillige Schauspieler aus dem Publikum und lasst sie die Inhalte der Erzählung improvisiert darstellen. Holt Euch beispielsweise für eine tragische Liebesgeschichte aus der Region den „Strahlenden Helden“, die „holde Maid“ und den „Dreckigen Lump“ aus dem Publikum, sagt Ihnen NICHT, was passieren wird, sondern nur, dass sie jetzt genau das darstellen sollen, was Ihr singt – und dann singt Euer Lied. Schadenfreude funktioniert nicht nur bei Casting-Shows, deshalb wird das Publikum sich die Darbietung ansehen – und dadurch unterschwellig auch den Text hören.

Rezeption bei den Spielern

Wann immer wir Plot-Lieder eingesetzt haben, wurden diese von den Spielern durchweg positiv aufgenommen. Zumindest habe ich bislang keine negative Kritik darüber gelesen oder gehört. (Wenn es welche gibt: Ich freue mich auf Eure Kommentare!)

Auf den entsprechenden Cons selbst, am Abreisetag, haben mir einzelne Spieler im Gespräch gesagt, dass sie die ungewohnte Art, Informationen zum Plot aus Bardenmund zu erhalten, angenehm bis interessant fanden.

In den Forenkritiken zu den Cons, die wir natürlich auch verfolgt haben, wurde das weniger geschrieben, aber es wurde auch nicht darüber gemeckert. Daraus schließe ich jetzt mal, dass die Art der Informationsverbreitung mindestens so gut funktioniert wie die anderen etablierten Methoden, sonst wären wohl einige „Wie hätte man das den lösen sollen?!?“-Kommentare aufgetaucht.

Was mir als Bardenspieler und damit quasi als Ambientecharakter sehr schön gefallen hat, war die hohe Interaktion mit den Spielern. Nachfragen zu den Texten, Fragen, ob man noch mehr Geschichten aus der Region kennt etc. sind keine Seltenheit, hier bietet sich ein hohes Potential, welches „herkömmliche“ Informationsquellen wie Bibliotheken, Schriftrollen, Inschriften etc. nicht bieten können. Der Vorteil von Ambientecharakteren und Semi-NSC im allgemeinen ist, dass deren Informationen nicht OffTime von einer SL erfragt werden müssen („Weiß mein Charakter zufällig, ob …“), sondern IT von einer anwesenden Person erfragt werden kann. („Wisst Ihr zufällig, ob …“)

Ein Wort zum Schluss

Dieser Artikel stellt meine persönlichen Erfahrungen dar, die ich mit der Fantasy-Folk-Gruppe Cathain in den letzten zehn Jahren machen durfte. Deshalb habe ich auch keine Orgas oder Spielleitungen zu dem Thema befragt, und den Artikel auch nicht objektiv geschrieben wie sonst. Vielleicht werde ich das Thema in einem Folgeartikel aber noch einmal von der Orgaseite beleuchten (lassen).

Wenn Ihr zu einer LARP-Orga gehört und das Konzept der Plot-Lieder einmal ausprobieren möchtet, könnt Ihr gerne Cathain auf Euer Con einladen. Wenn Ihr uns dann auch noch rechtzeitig alles mitteilt, was Ihr an Eure Spieler weitergegeben haben möchtet, kümmern wir uns um den ganzen Rest.

Wendet Euch dafür einfach an Henning, oder direkt Cathain (Cathain – Verzaubernder Fantasy-Folk aus fernen Welten).


Dieser Artikel entstand im Rahmen des Karnevals der Rollenspielblogs „Flöten, Sänger, Synthesizer [Mai 2012]“, der von Roachware organisiert wird.

Artikelbild: depositphotos | © donogl

2 Kommentare

  1. […] Einsatz von Barden durch die Orga/SL zum Streuen von […]

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