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In der heutigen Zeit geht es ja manchmal ganz schön hektisch zu: wir sind immer und überall erreichbar, sei es per Smartphone, Internet oder E-Mail. Ich selber kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte mal einen Brief per Hand geschrieben habe, aber wenn ich schätzen müsste würde ich sagen, ist es mindestens 11 Jahre her.

Es gibt jedoch ein Spiel, das ausschließlich über das Schreiben von Briefen funktioniert. Dieses Spiel heißt Kalevala und ist ein Briefspiel, das seinen Anfang 1973 nahm. Aufmerksam geworden bin ich auf das Spiel durch Stefan, der selber ein leidenschaftlicher Spieler ist und dem ich einfach mal ein paar Fragen gestellt habe.

Interview

Annika: Hey Stefan, danke dass Du Dir die Zeit nimmst, mir ein paar Fragen zu beantworten. Bitte erläutere kurz in ein paar Sätzen, worum es in Kalevala geht.

Stefan: Kalevala ist ein auf Armageddon basierendes Briefspiel, das älteste seiner Art, welches seit 1973 gespielt wird. Jeder Spieler übernimmt die Rolle eines Herrschers über ein Volk von Menschen, Elben, Zwergen und vielem mehr in dieser Welt. Mit einer Vielzahl an Kriegern, Tieren und Geräten versucht er sein Reich durch gute und manchmal auch weniger gute Zeiten zu führen. Ob Krieg, Handel, Diplomatie, Forschung, viele Wege stehen einem zur Verfügung, selbst die mächtigen Götter können ihren Völkern beistehen. Magie, Artefakte, Intrigen, Spionage und die Unterwelt bieten immer noch viele Überraschungen.

Annika: Wer sind die Organisatoren hinter Kalevala?

Stefan: Kalevala ist handausgewertet und wird von einem Spielleiter geführt.

Annika: Welche Rolle nimmst Du ein?

Stefan: Ich bin ein Spieler Kalevalas, der fasziniert ist von der Welt, jede Menge Spaß am Spiel hat und deshalb immer nach Möglichkeiten sucht, Kalevala bekannter zu machen.

Annika: Wie kann ich mir die Welt von Kalevala vorstellen? Es ist die Rede von mehreren Sphären und auch das Brettspiel Armageddon wird erwähnt. Ist die Welt mit etwas heute Existentem vergleichbar oder ist es doch etwas ganz eigenes?

Stefan: Kalevala basiert auf klassischer High-Fantasy. Magie, Drachen, Götter, … die Welt ist keine Kugel, sondern eher ein Rechteck und ist am Rand durch den sogenannten Ebenenrand begrenzt. Dabei besteht die komplette Welt aus verschiedenen Ebenen. Die Hauptebene „Eldrien“ ist die eigentliche Ebene mit den verschiedenen Ländern. Hier werden Kriege geführt, Handel getrieben und Reiche aufgebaut. Dazu kommt noch Stygien, eine parallele Ebene, auf der Expeditionen durchgeführt und Wissen und Artefakte geborgen werden können. Es gibt die Unterwelt, eine Art Höhlensystem,die über auf ganz Eldrien verteilte Eingänge betreten werden kann. Dazu kommen weitere Sphären wie Chaos oder das Acheron, die Welt der Götter.

Annika: Kalevala ist ja ein sehr taktisches Spiel, wo es um Truppenbewegung, Eroberung und dergleichen geht. Wie behält man denn als Spieler den Überblick über die eigene Bewegung und die des Gegenspielers?

Stefan: Eine Runde auf Kalevala ist in verschiedene Phasen unterteilt. In der ersten Phase fertigt der Spieler ein Protokoll an, auf dem er sein Reich einzeichnet, seine Truppenbewegungen und Aushebungen markiert, etc. Parallel dazu gibt es eine Liste, die der mathematischen Anschauung dient – also wie viel kosten die Truppen, wie viel Steuern nimmt der Spieler ein, etc. Ebenso werden in der ersten Runde Erkundungen durchgeführt. Dazu kann ein Spieler entscheiden, von welcher Provinz seines Reiches er in welche fremde Provinz erkunden will.

In Phase Zwei wertet der Spielleiter den Zug dann aus. Sprich er überprüft, ob Protokoll und Liste stimmen und alles regelkonform ist und teilt dem Spieler dann auch mit, ob die Erkundungen erfolgreich waren und was in der fremden Provinz entdeckt wurde.

Annika: Wie wird denn festgelegt, was der Spieler entdeckt hat? Gibt es eine Art Zufallstabelle oder ähnliches?

Stefan: Der Spielleiter hat die ganze Welt im Überblick. D.h. er weiß ganz genau, was sich in der jeweiligen Provinz befindet und teilt dies dem Spieler mit. So erfährt der jeweilige Spieler zu welchem Reich die Provinz gehört, welche Truppen darin stationiert sind (ausser diese sind getarnt) und wie die Beschaffenheit (Wälder, Flüsse, Städte, etc.) der Provinz aussieht.

In Phase 3 ist dann wieder der Spieler an der Reihe. In erster Linie kann er in dieser Phase bestimmen, wie er auf die Erkundungsergebnisse reagiert. Unbesetzte Provinzen können einfach dem eigenen Reich eingegliedert werden, besetzte Provinzen müssen durch Waffengewalt erobert werden.

In Phase 4 wird dann wiederum vom SL ausgewertet, was die Aktionen aus Phase 3 gebracht haben. Haben Kämpfe stattgefunden, würfelt der Spielleiter auf Basis der Armageddon-Regeln die Schlachten aus und erstellt ein Kampfprotokoll, aus dem der Spieler dann ablesen kann, wie die Kämpfe verlaufen sind. In dieser Phase sieht der Spieler dann z.B. auch ob er angegriffen wurde, etc.

Annika: Wieviele Spieler und Spielleiter gibt es ?

Stefan: Es gibt einen Spielleiter. Die Anzahl der Spieler kennt nur der SL. In den Hochzeiten Kalevalas waren mehr als 60 Spieler auf der Welt angesiedelt. Mittlerweile dürfte es ca. noch die Hälfte sein.

Annika: Welche Aufgaben hat ein Spielleiter?

Stefan: Der SL verwaltet die komplette Welt und behält den Überblick über alle Aktionen der Spieler. Ebenso stimmt er sich natürlich auch mit den einzelnen Spielern ab um neben dem normalen Geplänkel interessante Plots zu erarbeiten um so die Welt für alle Spieler interessanter zu gestalten.

Annika: Kann jeder Spielleiter werden?

Stefan: Nein. Es gibt nur einen und diesen mittlerweile über 20 Jahre.

Annika: Welche Kosten sind mit der Teilnahme an diesem Spiel verbunden?

Stefan: Der Einstieg in das Spiel kostet derzeit 13,- €. Dieser Preis beinhaltet das Regelheft, die Reichsunterlagen und zur Auswahl einen Geschichtsboten oder den letzten RAG-Boten. Eine Großrunde kostet zurzeit 9,- € (+ 1,45 € Rückporto in der 3. Spielphase). Diese 9,- € beinhalten dann auch einen RAG-Boten, der in der vierten Phase jeder Großrunde an den Spieler verschickt wird. Eine Großrunde dauert ca. 2 Monate.

Annika: Eine Großrunde ist ja in 4 Phasen unterteilt, während deren man als Spieler Briefe an einen anderen Herrscher bzw. an den Spielleiter schreibt, um mitzuteilen, was man als nächstes tut. Wieviele Briefe werden im Schnitt während einer Großrunde geschrieben?

Stefan: Auch das ist eine Zahl, die nur der SL beantworten kann. Auf den einzelnen Spieler bezogen hängt das vom persönlichen Engagement ab. Wer viele Briefe schreibt, erhält auch viele Briefe von anderen Herrschern. Bei mir z.B. können das durchaus auch mal 10 oder mehr pro Großrunde sein.

Annika: Das Spiel wurde 1973 ins Leben gerufen, eine Zeit, in der man die Kommunikation via Mail noch nicht kannte. Heute wäre es doch kein Problem, dem Spielleiter seine Züge per Mail mitzuteilen. Das würde doch viel schneller gehen. Was macht also den Reiz aus, dass sämtliche Spielzüge heute immer noch per Brief versendet werden?

Stefan: Die wahrscheinlich grundlegendste Frage, wenn es um ein Briefspiel geht.
Kalevala ist, wie schon beschrieben, eine High-Fantasy-Welt. Vom Entwicklungsstatus also in etwa mit unserem Mittelalter zu vergleichen. Damals wurde nur über Briefe oder persönliche Boten kommuniziert. Die einzelnen Herrscher haben zum Teil wochenlang nichts voneinander gehört und man konnte nicht mal eben schnell zum Telefon greifen, wenn man eine Frage hatte.

Doch nicht nur die Annäherung der Kommunikation im Spiel an die damalige Kommunikation lässt sich als Grund nennen. Vielmehr ist es die Authentizität der Kommunikation via Brief.

Ich erhalte keine E-Mail, die ich mir am Bildschirm durchlese, nein ich bekomme einen Brief. Dieser Brief stammt von einem fremden Herrscher, von dem ich nur den Namen kenne. Ich kenne die Person, die dahinter steckt, nicht. Ich weiß nur das, was ich bisher über diesen Herrscher erfahren habe. Sei es über seine Taten oder über das, was er mir selbst oder andere mitgeteilt hat.

Der Brief ist im mittelalterlichen Stil geschrieben, also kein „Alter“ oder „was geht?“. Hier wird man noch mit „Eure Majestät“ oder anderen Titeln angesprochen. Und wenn ich dann noch einen dieser Briefe in den Händen halte und das Papier eben kein normales weißes Druckerpapier ist, sondern sich anfühlt und auch so aussieht wie echtes Pergament, dann ist der Flair und die Authentizität genau der Reiz, der Kalevala zu dem macht was es ist.

Ich spiele jetzt auch schon eine ganze Weile Kalevala und ich freue mich noch heute und bin total gespannt, wenn ich wieder einen Briefumschlag mit der Absenderadresse des SLs in den Händen halte.

Annika: Es gibt ja mehrere Chroniken, die teilweise mehrere Jahre umfassen. Was genau ist eine Chronik und was kennzeichnet ihren Anfang und ihr Ende?

Stefan: Die Chroniken Kalevalas sind die Zeitabschnitte der unterschiedlichen Spielleiter. Ende 1973 hat Hedragor Kalevala ins Leben gerufen. Er wurde dann 1982 von Vathor abgelöst, dieser wiederum von Amudra, usw… bis zum heutigen Spielleiter Al Khofra, der Kalevala nun schon seit 1991 leitet.

Diese Zeitabschnitte haben keine feste Länge. Irgendwann wird es auch Al Khofra nicht mehr möglich sein das Spiel weiter zu leiten (möge das Ende nie kommen) und dann wird ein neuer Spielleiter die Welt übernehmen.

Annika: Was ist der RAG-Bote? Was kann man darin lesen?

Stefan: Den RAG Boten könnte man als Spielerzeitschrift bezeichnen. Oder auch als News-Magazin. ; ) Jeder Spieler hat das Recht Artikel für den Boten zu schreiben. Das können frei erfundene Geschichten sein, Berichte über tatsächlich auf Kalevala stattgefundene Schlachten, Gedichte, aber auch öffentliche Mitteilungen an andere Herrscher oder alle Herrscher, Kriegserklärungen, Verträge, Bekanntmachungen, Gerüchte, Zeichnungen und alles andere was vom Stil her passt.

Wenn die Artikel nicht von einem Herrscher unterzeichnet sind, weiß man natürlich nicht, wer der Verfasser ist und ob alles der Wahrheit entspricht, aber nur über den RAG-Boten kann man sich informieren, was am anderen Ende der Welt passiert. Das Taktikspiel auf Kalevala ist die eine Seite, die erzählerische die andere. Und genau diese wird vor allem durch die Briefe zwischen den Herrschern und den RAG-Boten vorangetrieben.

 Annika: Vielen Dank Stefan für die informativen Antworten.


Wer jetzt selber neugierig geworden ist und gerne selber einmal ein Herrscher in Kalevala wäre, der kann sich auf der Seite https://kalevalabriefspiel.blogger.de/ weiter informieren – oder ihr sagt kurz Bescheid, dann kann ich auch einen Kontakt zu Stefan herstellen (falls er nicht schon selber mitliest).

Logo: © Kalevala 

9 Kommentare

  1. Immer wieder erstaunlich, wieviele Ableger das gute, alte Armageddon mittlerweile hervorgebracht oder inspiriert hat. Ich habe Ende der 80er auf einem Welt-der-Waben-Segment gespielt, hernach mit großem Spaß in selbstgebastelten Briefspielwelten (z.B. „Anbesi“, eine Kölner Runde – großer Spaß: klassisches Briefspiel mit persönlicher Interaktion in Diplomacy-Manier).

    Dabei sollte man nicht unterschlagen, daß der wichtigste Ableger von Armageddon, das „Ewige Spiel“ (eine kontinuierliche Weiterentwicklung von Armageddon), ununterbrochen seit 1968 läuft! Dieses Jahr wieder an drei Tagen im August auf vier Spielwelten. Seit ein paar Jahren gibt es sogar eine Webseite: http://ews.follow.de

    Wem das zu trocken ist: Tabletop-Liebhaber und Bastelwütige werden an Matthias Bogenschneiders Arma-Blog ihre Freude haben: http://www.arma-blog.de/

    • Leider, Leider gibt es all diese Welten nicht mehr und momentan scheint Kalevala die einzige noch funktionierende Welt zu sein.
      … sie ist die älteste und es gab sie schon vor der Welt der Waben! Kalevala wird ununterbrochen seit 1973 gespielt und basiert direkt auf Armageddon. Franz Scjrößf erwerckte sie mit zum Leben.

      aber auch hier schleicht sich der Verfall der Magie solcher Welten ein; waren es in der Glanzzeit knapp über 60 Herrscher sind es heute gerade noch ca ein Drittel, die diesem schönen und aufregenden Hobby eines Briefspiels fröhnen und den modernen schnellelebigen Internetspielen trotzen.

      Es ist das ewige Spiel und es soll es bleiben! darum findet den Mut und versucht auch als Herrscher eines Reiches in einer fantastischen Welt

      Al Khofra (Spielleiter)

  2. Find ich ja klasse :) Ich hab von Kalevala zwar noch nichts gehört, aber ich musste mich daran erinnern, wie meine Freundin und ich uns in Kindertagen (lang lang ists her…hust) auch Briefe geschrieben haben in denen wir auch oftmals andere Rollen eingenommen haben – mal Prinzessin, mal Meerjungfrau (wir hatten grade Arielle geguckt…) etc. Ist ja irgendwie ein bisschen ähnlich. Vielleicht sollte ich auch mal wieder mehr Briefe schreiben, so mit Füller und auf schönem Papier.

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