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Von Eva „Lyshira“ Förster und Simone „Iona“ Bischof

„Pen & Paper-Rollenspiele online über Teamspeak? Nee, ich spiel lieber mit richtigen Menschen“ – so oder so ähnlich waren die Worte von Henning, als er zum ersten Mal von der Drachenzwinge und deren Idee gehört hat.

Nach einem kurzen Stirnrunzeln entlockte mir dieser Satz allerdings nur ein Schmunzeln. Ich spiele auch gerne mit „richtigen Menschen“ – aber am liebsten so oft und regelmäßig wie möglich und ohne, dass Entfernungen eine Rolle spielen.

Die Idee ist sicherlich nicht neu. In Zeiten, wo Voicechat-Programme wie Skype oder Teamspeak in vielen Bereichen genutzt werden liegt es nahe, diese Kommunikationsmittel für sein Hobby zu nutzen. Brief-, Chat- und Forenrollenspiele gibt es schließlich schon sehr lange.

Und wie ist das so?

Viele, mich nicht ausgenommen, sind erstaunt, wenn sie das erste Mal bei einer Spielrunde im Teamspeak zuhören. Schließlich gehören doch das gemütliche Beisammensein, der mit Knabberkram überhäufte Tisch und die mit Kaffeerändern verzierten Charakterblättern zum Pen & Paper genauso wie der meterhohe Stapel an Regelwerk. Andererseits sind es oft genau diese Rituale, die den Spielbeginn h inauszögern oder den Spielfluss immer wieder hemmen.

Außer, dass man sich nicht sieht und weniger durcheinanderreden kann, ist der Ablauf also genau wie bei einer Runde am Tisch!

Es kann gewürfelt werden!Der Spielleiter leitet das Spiel, die Spieler spielen ihre Rollen. Auch die Mechanik kommt aufgrund einiger sehr nützlicher Programme nicht zu kurz. Bilder und Karten können ausgetauscht werden, mit kleinen Charakterbildern können Positionen markiert und besonders wichtig:

Hier benutzen viele Gruppen so genannte Rulesets, die in den jeweiligen Programmen abgestimmt auf das Spielsystem sogar berechnen, ob ein Wurf erfolgreich ist oder nicht und Aufschläge und Abzüge mit einbeziehen. Besonders bei Kämpfen kann dies bei dem einen oder anderen System eine gute Hilfe sein. Auch die Charakterverwaltung kann von diesen Programmen übernommen werden. Werte und Eigenschaften können dort hinterlegt werden und sind während des Spiels für Spieler und Spielleiter stets präsent und einsehbar.

Auch die Stimmung kommt nicht zu kurz, wenn man alleine am heimischen PC sitzt, das Headset auf den Ohren. Die Kartentools und Programme zur musikalischen Untermalung bieten dem Spielleiter zahlreiche Möglichkeiten, den Spielern einen Eindruck von der Umgebung und deren Wirkung auf die Helden zu vermitteln.

Chatfunktionen der Programme bieten darüber hinaus eine weitere Kommunikationsebene. Hier können Charakteraktionen beschrieben oder angekündigt werden, Gespräche können parallel zum gesprochenen Wort im Voicechat ohne zu stören geführt werden und auch „geheime“ Botschaften können ausgetauscht werden. Das belebt und bereichert das Spiel, da Wissensebenen konsequenter getrennt werden können, als es am Tisch oft der Fall ist. Und ganz im Verborgenen können hier dann genau die Gespräche über das letzte Fußballspiel oder die Erlebnisse des Tages geführt werden, die den Ablauf der Runde meist zum Ärger der am Gespräch Unbeteiligten verzögern.

Gestik und Mimik

In diesem Punkt muss man natürlich Abstriche machen. Gestik und Mimik sind nicht direkt übertragbar und müssen mit bei der Beschreibung, was ein Charakter grade tut, mit erwähnt werden.

Doch auch hier kann man Vorteile sehen. Durch die reine verbale Beschreibung ist es leichter, sich die Figur, die der Spieler darstellt, vorzustellen und nicht den Spieler. Besonders beim Spiel nichtmenschlicher Figuren oder Crossgender kann dies wertvoll sein – wenn auch eine tiefe, männliche Stimme die Illusion einer zartgliedrigen Elfin nicht gerade fördert. Hier ist nach wie vor die Phantasie von Spieler und Spielleiter gefragt.

Gerade für schüchterne oder unerfahrene Spieler kann es auch hilfreich sein, dass sie niemand sieht, wenn sie bei ihrer ersten improvisierten Rede oder dem ersten ausgespielten Gefühlsausbruch ihres Charakters rot werden wie eine Tomate. Vielleicht war es gerade dieser Umstand, der sie am Tisch von derartigen Darstellungen immer abgehalten hat. Mit der Gewissheit, dass ja keiner zuschaut, verlieren sie nach und nach ihre Scheu und lernen ganz neue Seiten an sich und ihren Charakteren kennen.

Psssst!

Ablenkungen, wie das Rascheln der Chipstüte, dem Duft der Knoblauchpizza des Mitspielers oder das für den eigenen Geschmack zu schummrige Licht fallen bei dieser Art zu spielen ebenfalls weg. Durch ein wenig Disziplin im Voicechat kann man nach Belieben rascheln, husten, das Telefon einfach mal klingeln lassen, ohne, dass die Mitspieler gestört werden. Teamspeak bietet hier das „Push to Talk“-Prinzip (dies steuert, dass man nur gehört wird, wenn man eine bestimmte, selbstgewählte Taste drückt), aber auch bei anderen Programmen kann das Mikrophon meist rasch ausgeschaltet werden. Jeder Spieler kann sich also die Atmosphäre schaffen, die er gerne haben möchte.

Auch viele Eltern schätzen diese Alternative. Sie können spielen, während die Kleinen im Nebenzimmer ruhig schlafen, müssen keinen Babysitter organisieren oder Angst haben, dass der Lärm der Runde am Tisch den Schlaf stört. Flexibilität ist somit nicht nur für sie ein großes Plus. Wieso nicht den Abend, den man sonst vielleicht vor dem Fernseher verbracht hat, mit ein paar Stunden seines Lieblingshobbies füllen?

Was ist die Drachenzwinge?Und hier kommt das Projekt Drachenzwinge ins Spiel. Spielsystemneutral können hier Spieler und Gruppen gefunden werden, die den präferierten Spielstil betreiben, lange Kampagnen aber auch klassische OneShots können geplant und gespielt werden.

Als Arne Nax, der Gründer des Projekts Drachenzwinge, beruflich ins Ausland zog, suchte er nach einer Möglichkeit, fernab von potentiellen Mitspielern seinem Hobby nachzugehen. Ohne lange Anreisen, wochenlanges Warten und Planen. Da er zu diesem Zeitpunkt Teamspeak schon für diverse Multiplayer-Spiele nutzte, ließen er und einige andere aus seinem Clan es auf einen Versuch ankommen, dort eine Pen & Paper-Runde stattfinden zu lassen.

Und es funktionierte! Rasch wurden weitere Informationen eingeholt und tatsächlich fanden sie sogar schon einige Computerprogramme, die das Spiel über Voicechat unterstützen konnten.  Diese Erkenntnis und die bislang im deutschsprachigen Raum kaum bis gar nicht vorgestellten Möglichkeiten veranlassten ihn dazu, im Jahre 2006 die Drachenzwinge wie sie heute existiert zu gründen.

Hier werden Informationen rund um das Thema gestellt, Erfahrungsberichte ausgetauscht und nicht zuletzt auch ein Forum und ein Teamspeakserver geboten. Und das alles kostenfrei über Spenden finanziert als Hobbyprojekt.

Wie hat das Projekt sich entwickelt?

In den letzten fast schon 6 Jahren ist das Projekt immer weiter gewachsen. Im Forum können angemeldete Gruppen in eigenen Bereichen ihre Termine und Spielrunden koordinieren, Spieler und Gruppen können gesucht werden und in so genannten Spontanrunden können sich oft auch nur für einen Abend Spieler und Spielleiter zusammenfinden.

Mittlerweile sind über 2500 Mitglieder registriert – knapp 800 sind in einer festen, im Forum organisierten Gruppe eingetragen und es ist nicht selten, dass abends über 100 Personen auf dem Teamspeak-Server der Drachenzwinge zugegen sind.

Das „Herz“ der Drachenzwinge

Aus dem früher eher beschaulichen Projekt ist also mittlerweile eine große Gemeinschaft geworden, die einiges an Arbeit hinter den Kulissen erfordert.

Dass dies natürlich nicht von einer Person organisiert werden kann, liegt auf der Hand. In den Jahren hat sich ein Team etabliert, das ehrenamtlich den reibungslosen Ablauf sicherstellt.

Neben den 5 Administratoren, die das Projekt leiten, koordinieren und die Technik betreuen gibt es noch 4 Moderatoren. Diese sind ebenfalls als feste Teammitglieder für die Einhaltung der Regeln und das gute Miteinander verantwortlich. Zu guter Letzt werden jedes Quartal von der ganzen Gemeinschaft 5 Helfer gewählt, die für die Begrüßung neuer Mitglieder zuständig und erste Ansprechpartner in allen Belangen rund um das Projekt sind.

Alle Teammitglieder haben darüber hinaus Moderationsrechte auf dem Drachenzwinge-eigenen Teamspeak-Server.
Dazu gibt es die Ehrengruppe der Drachenritter, in der Mitglieder, die sich in bemerkenswerter Art und Weise für das Projekt verdient gemacht haben, besondere Anerkennung finden.

Den Betreibern der Drachenzwinge ist ein gutes, fast familiäres Miteinander sehr wichtig. Nicht nur deswegen treffen sich regelmäßig viele Mitglieder auf den großen Conventions und Messen. Ein besonderes Highlight ist hier das jedes Jahr im Frühjahr stattfindende Treffen: Die Drachenzwinge-Convention. Seit 4 Jahren findet diese  mit um die 65 Drachenzwinglern zentral in Deutschland auf einem Gutshof statt. Hier kann dann nach Belieben am Tisch gespielt werden, Workshops und Wettbewerbe werden ausgetragen und man kann auch endlich einmal sehen, wer sich hinter der Stimme im Teamspeak verbirgt.

Neugierig geworden?

Besonders in Zeiten, in denen räumliche Veränderungen keine Seltenheit sind und auch die Freizeit ein wertvolles Gut ist, kann es eine sinnvolle und lohnenswerte Alternative sein, mit seinem Hobby auf das Internet auszuweichen. Auf drachenzwinge.de, dem dazugehörenden Forum und Teamspeak-Server findet man Anleitung und Gelegenheit, wie man dies bei Pen & Paper Rollenspielen tun kann.

Und hier trifft man sogar auf richtige Menschen, die dieser Variante mittlerweile sogar den Vorzug geben. Probiert es doch einfach einmal aus!


Die­ser Arti­kel ent­stand im Rah­men des Kar­ne­vals der Rol­len­spiel­blogs „Das Hobby online [Juni 2012]“, der von Clawdeen orga­ni­siert wird. Ihren eröffnenden Beitrag zum Umzug findet man hier: Klick.

Artikelbild: Logos © Ulisses Spiele © Pegasus Spiele
Screenshots: Annika Lewin, Channels der Drachenzwinge, Teamspeak © TeamSpeak Systems, Inc.

9 Kommentare

  1. Das werde ich mir definitiv mal anschauen.
    Ich liebäugle auch schon lange mit einer „Online“ Rollenspielrunde.
    Mal sehen ob das hiermit Wirklichkeit werden kann.

  2. Es ist auch jederzeit möglich, auf dem TS3-Server der Drachenzwinge bei Spielrunden zuzuhören. Habt hier keine Scheu! Das vermittelt einen guten ersten Eindruck und verrät, ob man sich damit anfreunden kann oder nicht.

    Die meisten Runden freuen sich über Zuhörer und abends ist immer etwas auf dem Server los.

  3. Auf der diesjährigen RatCon in Unna wird es auch einen Workshop der Drachenzwinge geben!

    Pen & Paper Rollenspiel über Voicechat – eine Alternative!

    Samstag 11.08.2012
    17:00 – 18:45 Uhr
    Workshopraum B

    Deine Mitspieler ziehen weg oder du findest in deiner Gegend keine geeignete Gruppe für dein Lieblingssystem?
    Vielleicht ist dann das Spielen über Voicechat (Teamspeak, Skype etc.) eine Alternative?
    In diesem Workshop möchten wir euch diese Möglichkeit vorstellen, (technische) Tipps geben und das Projekt „Drachenzwinge“ vorstellen,das KnowHow und Kontakte rund um dieses Thema bietet.

    von und mit igor & Iona

    Über rege Beteiligung würden wir uns sehr freuen!

    Gelbe Zettel werden euch den Weg zum mulitmedialen Workshop weisen, kein Headset notwendig.

  4. Mich hat es auf jeden Fall neugierig gemacht! Wäre auf jeden Fall mal was anderes, jedenfals zu dem was ich sonst zocke.

  5. Wow, echt ein tolles Projekt.
    Wenn man älter wird, wird die Zeit wie von Hunderten gierigen Drachen immer mehr aufgefressen. Hat man früher zweimal in der Woche gespielt, wurde vielleicht einmal im Monat daraus. Ich will das für mich persönlich gerne ändern und bin im Moment dabei, meiner RPG-Gruppe ein Teamspeak-gestütztes Zockerlebnis schmackhaft zu machen.
    Ich werde euer respektables und ehrgeiziges Unternehmen Drachenzwinge also zukünftig im Auge behalten. Vielen Dank für eine so wunderbare und inspirierende Arbeit!!

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