Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

Auf den ersten Blick kommt Machine Man eher wie eine High-Tech-Konzernsatire daher, die nur am Rand Bezüge zu den übrigen hier stattfindenden Themen hat. Schaut man unter die Oberfläche, sieht man, dass Max Barry in seinem aktuellen Roman ein Stück Post-Cyberpunk-Literatur abliefert, das mit den Themen des ursprünglichen Genres spielt, aber die 80er und damit dessen Hochzeit weit hinter sich lässt.

Erscheinungsbild

Die amerikanische Ausgabe kommt recht dezent daher. Je nach Laune finde ich das Äußere manchmal „billig“, aber meist im positiven Sinne unprätentiös. Sehr viel weiß, dazu die fast Jules Verne-artig anmutende Zeichnung eines Mannes mit extrem futuristisch anmutenden Beinprothesen. Auch der Schnitt der 274 Seiten fällt eher preisbewusst aus. Wäre ich nicht über die Rezension der zurzeit bei Heyne erscheinenden deutschen Ausgabe auf das Buch aufmerksam geworden, im Buchladen hätte es sicher keine Chance als Spontankauf-nach-Cover gehabt. Aber ich wollte ja auch kein Deko-Element fürs Bücherregal kaufen, sondern was Lesenswertes.

Die harten Fakten:

  • Taschenbuch: 288 Seiten
  • Verlag: Vintage; Auflage: Original (9. August 2011)
  • Sprache: Englisch
  • ISBN-10: 0307476898
  • ISBN-13: 978-0307476890
  • Preis: 11,90 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon (Klick | engl.) oder Amazon (Klick | deutsch)

Story

Machine_Man_cover

Der Roman beginnt mit dem morgendlichen Aufstehen des Ich-Erzählers, eines echten Soziopathen. Nicht einer, wie ihn Bret Easton Ellis („American Psycho“) ersinnen würde, wohlgemerkt. Vielmehr ist Charles Neumann der Klischee-Ingenieur par excellence und hat eine weit innigere Beziehung zu seinem Smartphone als zu irgendwelchen Arbeitskollegen – ganz zu schweigen von Wesen des anderen Geschlechts. Er will Niemandem was Böses, versteht die vielen feinen ungeschriebenen Gesetze des menschlichen Zusammenlebens aber einfach nicht. Aus dem zivilisatorischen Off entstehen dabei ein paar wunderbar witzige Boshaftigkeiten in den Nebensätzen, die so manches Mal ganz schön hintersinnig sind.

Bei einem Arbeitsunfall verliert Neumann ein Bein und bekommt im Krankenhaus eine Prothese verpasst. Sein Arbeitgeber, der (unter anderem) Rüstungskonzern Better Future sorgt natürlich für ein State-of-the-Art-Modell, das dem Tüftler aber bei weitem nicht ausreicht. Er bastelt daran herum und optimiert es kaputt, bis er auf ein grundsätzliches Problem stößt: passt man ein künstliches Gliedmaß an sein natürliches Gegenstück an, ist entweder das künstliche nicht natürlich genug, um wirklich gut zu sein, oder aber es könnte so viel besser sein, dass das natürliche zum begrenzenden Faktor wird. 

Da unser Ingenieur ein echter Fan von Effizienz ist, bastelt er also wie besessen an der bestmöglichen Beinprothese, die sich nur noch bedingt am angeborenen Vorbild orientiert und diverse Specials bis hin zum WLAN-Anschluss bietet. Um sich nicht „künstlich“ zu limitieren, muss er nun nur noch das andere gesunde Bein loswerden. Gesagt, getan, landet er erst mal auf der Selbstmordstation des Krankenhauses und wird dann der Leiter einer der bestausgestatteten Abteilungen von Better Future. Der Konzern freut sich nämlich über die nur als brillant zu bezeichnenden Umtriebe seines Angestellten, die sich sowohl als Waffentechnologie als auch als Prothesen für Gesunde vermarkten lassen. Wer da draußen träumt nicht davon, schneller, stärker und all so was zu sein? Und jedes Jahr ein Upgrade sorgt auch für zukünftige Absatzmöglichkeiten.

Während der Hauptcharakter immer neue technische Verbesserungen für seinen Körper ersinnt, wird er paradoxerweise immer menschlicher. Okay, vielleicht liegt das auch an der zart aufkeimenden Liebe zu Lola Shanks, ihres Zeichens Prothetikerin des Krankenhauses und mit einem Hang zu zerstörten Charakteren geplagt/gesegnet/wieauchimmer. Dummerweise müsste Neumann für ein Treffen das Werksgelände verlassen, was mit zwei streng geheimen Prototypen unter dem Hintern nicht das Wohlwollen seiner Arbeitgeber findet. So nimmt die Geschichte im Verlauf ein paar unangenehme Wendungen, die sich am Anfang wohl keine der beteiligten Personen und Parteien so gedacht haben dürfte. Ja, okay, ein wenig vorhersehbar ist das Ganze irgendwann schon, aber der Weg ist insgesamt extrem amüsant und nimmt einige unerwartete Abzweigungen.

Erwähnt werden sollte hier noch das letzte Kapitel, das in seiner deprimierenden Konsequenz zeigt, wohin der ganze Wahnsinn mitunter führt. Vielleicht ist es doch ganz okay, nicht unbedingt 20 Meter hoch springen zu können, aber dafür auf eigenen Beinen zu stehen und durch die Welt zu gehen…

Schreibstil

So, wie der Hauptcharakter, vollzieht auch der Schreibstil des Romans eine Wandlung. Was nur schlüssig ist, schließlich ist Charles Neumann der Erzähler. Am Anfang passiert es mehr als einmal, dass man ein lautes Herausprusten unterdrücken muss, weil mal wieder ein Geistesblitz so herrlich böse und treffend ist und gleichzeitig doch von so weit draußen kommt. Mit zunehmender ‚Reifung’ verschiebt sich der Stil dann subtil in Richtung Verzweiflung, bis zum letzten Akt. Der beißende Humor verschwindet dabei zwar nicht völlig, aber tritt etwas in den Hintergrund und trifft anders.

Der Roman liest sich extrem schnell. Ich habe keine Woche gebraucht und konnte das Ding zwischendurch einfach nicht weg legen. Es gibt Action, Rivalität, eine bizarre Liebesgeschichte, ein kaputtes System, davon getriebene Konzernobere und ganz viele schräge Figuren. Letztere sind zwar stark überzeichnet, aber immer irgendwie glaubhaft.

Barrys Englisch finde ich insgesamt gut verständlich. Und wie gesagt, die deutsche Version ist gerade auf dem Weg in den Handel. Humor gehört aber mit zum Schwierigsten, wenn es um Übersetzungen geht, so dass ich fürchte, dass man für die Bequemlichkeit des Lesens in der eigenen Muttersprache an anderer Stelle einen hohen Preis zahlt.

Preis-/Leistungsverhältnis

Vom Preis der amerikanischen Ausgabe war ich etwas überrascht. Einer der Vorzüge von englischsprachiger Literatur ist ja meist der mehr als faire Betrag, der auf dem Buchrücken steht. Ich hab für die verlinkte Taschenbuchausgabe (broschiert, nicht mass-market) 13,95 Euro bezahlt. Das kommt mir etwas hoch vor. Bei Amazon ist das Buch aber für deutlich angemessenere 11,90 Euro zu bekommen. Der Preiswertung liegt der Amazon-Preis zugrunde. Die deutsche Version liegt bei 14,99 Euro.

Bonus/Downloadcontent

Uns ist kein weiterer Bonuscontent bekannt.

Fazit

Was soll ich sagen? Machine Man ist seit Jahren das erste Buch, das ich als Fortführung von Cyberpunk sehen würde, ohne dass es ein Wiederkäuen der alten Klassiker ist. Es enthält die klassischen Themen und spielt mit ihnen. Aber auch abseits davon habe ich mich schlicht großartig unterhalten gefühlt. Dazu zähle ich nicht nur die vielen Lacher und Actionszenen, sondern auch die Momente, in denen ich nachdenklich vom Buch auf- und aus dem Fenster hinaus geblickt habe. Hier stellen sich einmal mehr die Fragen, ob der Mensch nur eine Ansammlung von biochemischen Prozessen ist und ob alles Machbare auch wünschenswert ist. Auf jeder Ebene ansprechender Lesestoff.

Daumen4Maennlich

Artikelbilder: © Vintage 

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