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Rollenspiel – das bedeutet Eintauchen in fremde Welten und andere Charaktere. Das Erleben von Situationen und Emotionen, die nicht real sind. Und doch sind sie meist wesentlich intensiver als eine einfache Erzählung zu hören, ein Buch zu lesen oder einen Film zu gucken. Die Immersion ist einfach eine andere…

Anmerkung: Wann immer ich von “dem Spieler” spreche, meine ich damit genauso “die Spielerin” (und meinetwegen auch “das Spielerum” oder so).

Definition

Immersion – lateinisch für Eintauchen oder Einbetten. In der Art, wie es im Rollenspiel verstanden wird, stammt der Begriff aus der frühen Filmzeit, als durch die Kamera eine direktere Teilhabe am Geschehen möglich wurde, als dies im Theater der Fall war. Wo das Theater nur ein Fenster war, durch das man auf das Geschehen blickte, stets aus dem gleichen Winkel, gelangte man durch die Kamera mitten ins Geschehen hinein.

Der nächste logische Schritt werden virtuelle Realitäten, wie man sie bisher vornehmlich aus der Science-Fiction kennt, sein. Diese ermöglichen auch eine Interaktion mit der erlebten Welt und so eine noch tiefere Immersion bieten.

Rollenspiel ermöglicht es uns, diese virtuellen Welten schon jetzt zu erschaffen und zu erleben – in unseren Köpfen. Und je nach Spielweise kann man dort von unterschiedlichen Immersionsniveaus sprechen:

Am einen Ende der Skala (nicht gemeint ist am unteren Ende, denn das hier soll keine Wertung sein! Ich bin begeisterter Brettspieler!) findet man Tabletopspiele bzw. Rollenspielrunden, die ex­trem kampforientiert sind und meist Systeme verwenden, die einen entsprechenden Fokus aufweisen (zum Beispiel D&D4). Diese ha­ben eine eher geringe Immersion. Es ist mehr ein Brettspiel als ein Rollenspiel (Rollplay vs. Role­play).

Am anderen Ende (nicht gemeint ist am oberen Ende, denn das hier soll keine Wertung sein! Ich bin begeisterter LARPer!) sind dann Liverollenspiele, die meist komplett ohne Zufallselemente aus­kommen, in den letzten Jahren immer stärker regelarme bis regelfreie Systeme verwenden und so maximalen Wert auf den rollenspielerischen Aspekt legen.

Anwendbarkeit auf das Rollenspiel

Die meisten Rollenspielrunden liegen irgendwo zwischen diesen beiden Extremen und finden ihr ei­genes Niveau. Was aber kann passieren, wenn dabei etwas schief geht?

Grundsätzlich sind dabei zwei Fälle zu unterscheiden:

Ein Mitglied der Gruppe weicht stark vom “vereinbarten” Immersionsniveau ab

Das kann in beiden Richtungen passieren: Ein Hack & Slay Spieler spielt in einer dramatischen Call of Cthulhu Runde mit und will immer nur ballern oder eine Drama Queen landet in einem Dungeon Crawl.

Beide Fälle bedeuten einfach nur, dass die Spielstile der Spieler der Gruppe nicht wirklich zusam­menpassen und man vielleicht eine Lösung dafür finden muss. Ob diese dann ist, dass sich der Spielstil (von Person oder Gruppe) ändert oder ob vielleicht eine andere Gruppenzusammensetzung besser wäre, ist dann ebenso nebensächlich wie dieser Fall für den Artikel, denn eigentlich geht es hier um:

Die Immersion eines Spielers erreicht ungesunde / gefährliche Dimensionen

Da das geringste mögliche Niveau an Immersion einfach “keine” ist, ist ein ungesund niedriges Ni­veau nicht möglich. Man mag sich zwar fragen, warum jemand Rollenspiele spielt, der entspre­chend gepolt ist, aber wirklich problematisch ist das nicht.

Entsprechend brauchen wir nur die zu starke Immersion zu betrachten.

Wie schon oben geschrieben gibt es einige Parallelen zwischen Immersion im Medium Film / Com­puterspiel / VR und Immersion im Rollenspiel. Der hier zu betrachtende Fall kommt im Film gerade in den späten 90er Jahren, einer Zeit, in der Technophobie einen großen Boom erlebte, gerne als Thema vor: Von Matrix über 13th Floor bis hin zu eXistenZ gibt es diverse Filme, die davon han­deln, dass die Grenzen zwischen Realität und Simulation verschwimmen, bzw. es Menschen gibt, die gar nicht wissen, dass sie nicht in der Realität leben.

Übertragen aufs Rollenspiel geht es also um Spieler, bei denen die Grenze zwischen Spieler und Charakter verschwimmt.

Die einfachste und zugleich ungefährlichste Form davon ist, wenn jemand eigentlich nur sich selbst spielt, also einfach nie ein echtes Spiel stattfindet, da sich der gewählte Charakter gar nicht so sehr vom Spieler unterscheidet. Dieser Fall ist spielerisch recht einfallslos, stellt aber auch für nieman­den wirklich ein Problem dar.

Leute, die sich selbst spielen, haben im Normalfall einfach nicht ge­nug Phantasie, um ein wirklich hohes Niveau an Immersion zu erreichen.

Roger sagt: Zu bedenken gebe ich hierbei, dass es Spieler gibt, die sich selbst (quasi) spielen und daher alle Missgeschicke, die dem Charakter widerfahren, auch direkt auf sich als Mensch beziehen. Auch das ist gefährlich.

Aber nachdem wir nun all die unproblematischen Fälle ausgeschlossen haben, kommen wir doch zu dem wirklichen Problemfall:

Die Immersion wird bei einem Spieler so stark, dass die Grenze zwischen Charakter und Spieler für ihn nicht mehr klar erkennbar ist, bzw. er vergisst, dass all die Dinge, die man spielt, eigentlich nur dem Charakter passieren, und nicht ihm selbst.

Um ein Beispiel aus meiner Zeit des Vampire Live zu nennen: Es gab mehrere Spieler, die ihre Cha­raktere so intensiv spielten, dass jedem klar war, dass das nicht mehr gesund sein konnte. Wir wuss­ten, sollte den Charakteren etwas zustoßen, würden die entsprechenden Spieler darunter schwer lei­den. Entsprechend haben wir als Spielleitung diese Charaktere mit Samthandschuhen angefasst, um eben diesen Fall nicht eintreten zu lassen. Sicherlich nicht die einzig mögliche Wahl von unserer Seite, aber damals erschien sie uns korrekt. 

Heute würde ich eher die entsprechenden Spieler zu ei­nem Gespräch einladen und ihnen die Problematik schildern.

Aber nicht nur der Tod eines Charakters kann bei zu hoher Immersion für Traumata sorgen: Auch andere schwere Leiden (z.B. Folter, körperlicher oder seelischer Art, falls die Runde so etwas er­laubt) werden schnell zum Problem. Wohl auch aus diesem Grund gibt es auf einigen Endzeit LARPs von vornherein die Wahl, ob man an solchen Szenen wirklich teilhaben will oder nicht, was dann durch ein entsprechendes Bändchen gekennzeichnet wird.

Nur, wer sich das selbst zutraut, sollte in solche Situationen gebracht werden.

Sogar positive Ereignisse können, bei einer zu starken Übertragung auf den Spieler, zu einem Pro­blem werden:

Nehmen wir einmal an, dass sich zwei Charaktere im Spiel verlieben und eine Bezie­hung eingehen. Wenn nicht beiden beteiligten Spielern klar ist, wie viel davon auf Rollenspiel und wie viel auf echter Anziehung beruht, kann das schnell zu Missverständnissen führen. Oder wenn der reale Lebensabschnittsgefährte von einem der Beteiligten ebenfalls am Tisch sitzt und sich nicht sicher sein kann, ob gerade eine Grenze überschritten wurde, hat man ebenfalls ein Problem.

Beispiele gibt es noch unzählige, aber sie haben alle eines gemeinsam: Eine zu starke Immersion führt zu einer (zu starken) emotionalen Übertragung vom Charakter auf den Spieler.

Konsequenzen

Was aber tun, wenn man bemerkt, dass ein Spieler zu sehr ins Spiel eintaucht? Meine Empfehlung ist, dann vielleicht einfach mal eine Zwangspause einzulegen, und wenn es nur 10 Minuten sind. In dieser Zeit dann andere Themen ansprechen, die rein gar nichts mit dem Spiel zu tun haben, damit die Gedanken des Spielers einfach in eine andere Richtung gelenkt werden und so wieder Abstand zum Charakter gewonnen werden kann.

Für den Fall, dass es wiederholt passiert, sollte man auf jeden Fall mit dem Spieler sprechen und nach gemeinsamen Lösungen suchen. Man könnte Maßnahmen, die die Immersion verstärken (Sze­nenmusik, Licht) bewusst zurückfahren, regelmäßige Pausen einlegen, dem Spieler vielleicht einen anderen Charakter empfehlen. Oder, wenn man sich sicher genug ist, dass der Spieler keinen Schaden davonträgt, den Charakterwechsel erzwingen, indem man den problematischen Charakter möglichst episch über die Klinge springen lässt. Manchmal ist ein Stoß ins kalte Wasser genau die richtige Therapie.

Sollte all das nicht helfen, hat der Spieler vermutlich ein tiefer gehendes Problem und sollte viel­leicht professionelle Hilfe suchen.

Wir hören das vielleicht alle nicht gerne, und ein gewisses Maß an Realitätsflucht ist auch gar kein Problem und im Rollenspiel fest eingeplant, aber wenn man droht, seinen Anker in der Realität zu verlieren, ist es Zeit, aufzuhören!


Die­ser Arti­kel ent­stand im Rah­men des Kar­ne­vals der Rol­len­spiel­blogs „Emotionen im Rollenspiel [August 2012]“ “, der von Hróðvitnir (Tagschatten) orga­ni­siert wird. Seinen eröffnenden Beitrag zum Umzug findet man hier: Klick.  

 

Artikelbild: © bizior auf sxc.hu

17 Kommentare

  1. Sehr guter Artikel. Das richtige Maß an Immer­sion ist meiner Meinung nach eines der entscheidenden Merkmale für ein wirklich gutes bzw. wirklich schlechtest Rollenspiel.

  2. Persönlich würde ich sagen, dass meine Immersion vorallem ein der schlimmsten Jugendzeit ein fast ungesundes Maß erreichte. Mittlerweile hab ich das lange hinter mir und nehme sowas deutlich gelassener. Wenn mein Charakter schon untergeht, versuche ich wenigsten den Mitspieler eine gute Show zu bieten. Das hängt auch etwas vom SL ab, stellt aber in der Regel kein Problem dar.

    Wir reden hier nicht von minutenlangen Abschiedsmonologen, sowas kann ich nicht, sondern einfach das Beste draus machen. Im letzten Moment noch ein heroische Tat rausholen vielleicht oder was ähnliches.

  3. Ich stelle häufiger fest, dass sich Denkmuster aus dem Rollenspiel auf die Realität übertragen. Inwiefern das mit dem zuvor ereichten Immersionsgrad zusammenhängt, vermag ich nicht zu sagen (bin ja kein Psychologe), aber muss doch erfreut feststellen, dass durch positive Erlebnisse im Rollenspiel auch der Alltag positiver gesehen werden kann.
    Insbesondere durch relativ Gesellschaftskritische Systeme wird man beim Spielen (und bei Vor- und Nachbereitung) für diverse Themen sensibilisiert, Denkstrukturen angebahnt etc.
    Den Immersionsgrad halte ich dabei für einen wesentlichen Faktor. Nur wenn er sich im „gesunden“ Rahmen bewegt, ist eine reflektierte Übertragung der Erkenntnisse aus dem Rollenspiel in die Realität möglich. Das selbe gilt auch umgekehrt. Nur wenn der Unterschied zzweischen Spiel und Realität noch klar ist, kann ordentlich entschieden werden, welche Aspekte der Realität in das Spiel abgebildet werden sollen — so spielen Vergewaltigungen in meinen Runden eigentlich keine Rolle.

  4. Das mit den Pausen, wenn es mal zu heftig wird, ist eine gute Idee. Das ist der richtige Moment, eine Pizza zu bestellen, also etwas vollkommen normales zu tun das nichts rollenspielerisches an sich hat. In meiner Vampire DA Runde ist es schon zweimal passiert, das unsere Charaktere sich so heftig gestritten und bedroht haben, das sich die Spieler angeschrien haben. Das treibt den Puls hoch und wenn das zu heftig wird, sollte man wirklich pausieren.

  5. Ach, fällt mir gerade noch ein bezüglich emotionaler Verwirrung oder Neuorientierung durch Rollenspiel. Was meint ihr, warum so viele Schauspieler während eines Films zusammen finden. Man sollte also der Sicherheit zuliebe der eigenen Freundin grundsätzlich Rollenspiel verbieten :-)

  6. Interessante Beobachtung, mit der ich konform gehe. Das Verlangen nach Immersion hat auch bei mir abgenommen, und ich bin ganz glücklich damit.

    Zur Brettspieligkeit zu DnD 4 möchte ich noch anmerken, dass imho da weniger das aus Brettspielen bekannte Material dazu führt, sondern, dass es sehr metagamisch ist. Warhammer 3 z.B. nutzt ja noch bewußter Brettspielmaterial, ist aber im persönlichen Erleben wesentlich immersive. Was daran liegt, dass Effekte und anderes auch ingame stimmig – sprich immersiv aufnehmbar – gestaltet sind.

  7. Warhammer 3 habe ich nie gespielt, kann ich also nicht beurteilen. Aber die Argumentation mit D&D4 und Metagaming kann ich komplett nachvollziehen.
    Zumindest in den ersten Büchern (danach habe ich aufgehört, mich dafür zu interessieren) war alles irgendwie darauf ausgelegt, extrem balanced zu sein, was dazu führte, dass es alles irgendwie gleich war… und keinen Flair hatte :(

  8. Zunächst möchte ich kurz etwas zu dem Punkt, welche Systeme Immersion fördern und welche nicht, sagen, dass ich auch bei einem kampflastigen System mit abstrakten Regeln ein gutes Immersionsgefühl erreichen kann. Das Brett hilft mir sogar dabei, ein sehr ähnliches Lagebild wie die anderen Spieler und der SL zu bekommen, so dass es weniger immersive Störungen gibt.

    Zum nächsten Punkt: Den Punkt über Leute, die sich selbst spielen, finde ich nicht sonderlich gelungen. Hier wird meiner Ansicht nach Immersion mit Spielstilen vermischt und verwechselt. Außerdem hat es meiner Meinung nach nichts mit Immersion zu tun, wenn jemand Erlebnisse aus dem Spiel zu nah an sich heranlässt und nach dem Spiel noch lange damit zu kämpfen hat, das ist eher ein Problem der emotionalen Stabilität. Wo Leute, die sich selbst spielen, da weniger oder mehr gefährdet sein sollen, kann ich nicht erkennen.

    Die pauschale Aussage, dass Leute, die sich selber spielen, nicht genug Fantasie für immersives Spiel haben, finde ich deplatziert. Jeder hat im Rollenspiel das Recht, auf seine Art und Weise glücklich zu werden, und wenn jemand sich gerne selber spielt, dann hat das nun mal gar nichts mit seiner Fähigkeit zur Immersion zu tun.

    Gleich im nächsten Absatz diese rhetorische Frage, warum Leute mit niedriger Immersion eigentlich überhaupt Rollenspiele spielen… Weil es ihnen Spaß macht? Vielleicht ziehen einige Leute Befriedigung aus anderen Aspekten des Spiels, dem Lösen von Rätseln, dem geselligen Miteinander, dem Beobachten von gruppendynamischen Prozessen…? Niedrige Immersion heißt doch nicht automatisch schlechtes Spiel.

    Jetzt zu dem Thema zu tiefer Immersion. Da bringst du ja eine ganze Menge persönlicher Beispiele. Sie basieren allerdings alle auf der Annahme, dass es für die Leute dramatische Konsequenzen hätte, wenn ihrem Charakter etwas zustößt… Habt ihr das mal ausprobiert, oder wie kommst du zu der Aussage?

    Ich habe in meiner langjährigen Spielerkarriere schon einige Situationen erlebt, wo den Spielern die Spielsituationen schon sehr nahe gegangen sind, da wurde schon mal geheult und auch rumgeschrieen. Aber: Niemand hat sich umgebracht, keine Beziehungen oder Ehen sind deswegen gescheitert, meistens war nach 15 Minuten alles wieder im Lot. Und eigentlich spielt man doch gerade für diese Momente, in denen einem die Erfahrungen des eigenen Charakters wirklich zu Herzen gehen.

    Im zweiten Absatz von „Konsequenzen“ empfiehlst du, ein Problem des Spielers als Person innerhalb des Spiels anzugehen (den Charakter über die Klinge gehen lassen)!? Das ist meiner Ansicht nach wirklich das schlechteste Werkzeug überhaupt! Spielerprobleme werden auf der Spielerebene angegangen, nicht in der Spielebene.

    Der Artikel steckt voll von Pauschalisierungen, nicht sonderlich fundiert wirkenden Annahmen und Bahuptungen und schließlich noch einigen Tipps, von denen ich die meisten recht fragwürdig finde.

    Wenn jemand droht, seinen „Anker in der Realität“ zu verlieren, dann muss das nicht mit der Immersion im Rollenspiel zu tun haben, sondern kann auch einfach an der dafür aufgewendeten Zeit, bzw. der Vernachlässigung von anderen Lebensbereichen liegen, und damit sind wir schon sehr nahe beim Suchtbegriff und das ist a) ein anderes, und b) ein sehr heikles Thema.

    Zuletzt noch eine Frage an alle: Wer hat schon mal so einen Fall erlebt, wo es jemanden im realen Leben auf Grund von Erfahrungen im Rollenspiel richtig dreckig gegangen ist?

  9. Auf die Anmerkungen wird sicher Holger reagieren, auf die Frage kann ich mit etlichen Beispielen aus dem Vampire Live dienen. Angefangen von Spielerinnen, die ich mehrfach weinend am Telefon hatte, weil ich ihren Charakter aus dem Spiel entfernen wollte bis hin zu etablierten SLs, die äusserst fragwürdig und eigenmächtig die Regeln nicht nur komisch interpretiert, sondern auch massiv gebrochen haben. Nur, um ihren eigenen Charakter zu retten.

  10. Hallo PortaStellaris,

    Danke für deine recht ausführliche Meldung zu meinem Artikel.
    Damit es übersichtlich bleibt, gehe ich einfach mal auf die Absätze in der Reihenfolge ein, in der du Sie geschrieben hast:

    Zur Immersion bei abstrakten Systemen: Der Fehler liegt hier darin, dass ich deutlicher hätte klarstellen sollen, dass es in dem Artikel um emotionale Immersion geht. Und eine solche können abstrakte Systeme, eben auf Grund ihrerer Abstraktheit, kaum erzeugen.

    Leute die sich selbst spielen haben meiner Erfahrung nach weniger Phantasie und Vorstellungsvermögen als Leute, die etwas spielen, was nicht sie selbst sind. Daher ist es auch unwahrscheinlicher, dass jemand, der nur sich selbst spielt, so tief in seiner Phantasie versinkt, dass das zu einer Gefahr werden kann. Es kann sein, dass ich mich da irre, aber meine bisherigen Erfahrungen in etwa 20 Jahren Rollenspiel an Tisch und Live haben zu genau dieser Einschätzung geführt.

    Niedrige Immersion bedeutet nicht schlechtes Spiel, das ist korrekt. KEINE Immersion bedeutet aber durchaus, das Rollenspiel, so wie ich es verstehe, nicht möglich ist.
    Die Frage, warum jemand dann dennoch Rollenspiele spielt ist vielleicht etwas zu provokant, das gebe ich zu. Aber es ist ein Ausdruck meiner Meinung, dass die entsprechenden Personen vielleicht eher Cluedo (Rätsel), Descent (taktische Kämpfe) oder andere Brettspiele (Geselligkeit und Gruppendynamik) spielen sollten.

    Nein, wir haben nie ausprobiert, was tatsächlich passieren würde, wenn in einem der Beispiele der Figur etwas zugestoßen wäre. Wir waren mit mehreren Leuten eindeutig der Ansicht, dass das Risiko an der Stelle einfach zu hoch war, das zu probieren. Wie wir darauf gekommen sind? Menschkenntnis nehmen ich mal an. Keiner von uns war oder ist ausgebildeter Psychologe oder ähnliches, wenn du darauf hinaus willst.

    Ich habe in meiner Rollenspielzeit mehrere Beziehungen am Rollenspiel scheitern sehen. Mindestens eine davon auch dadurch, dass der Partner die Dinge, die im Spiel passiert sind, auf seine Partnerin projeziert hat und damit nicht klar gekommen ist.

    Den Charakter über die Klinge springen zu lassen ist ein hartes Werkzeug, das gebe ich zu. Ich schlage auch genug andere Lösungen vor, die auf Spielerebene stattfinden, wenn man mit dieser einen eben nicht einverstanden ist.

    Der Artikel beruht auf meinen persönlichen Erfahrungen im Rollenspiel. Das sind 20 Jahre, davon etwa 5 als Spielleiter im Vampire Live, insgesamt 8 Jahre Fantasy-LARP und unzählige verschiedene Runden und Systeme am Tisch. Dennoch habe ich keinen professionellen Hintergrund, der irgend etwas mit Psychologie zu tun hat, daher mag jeder für sich selbst entscheiden, wie fundiert meine Aussagen sind.

    Sucht und Immersion sind zwei Themen, die eng bei einander liegen. Eine zu tiefe Immersion erhöht die Chance auf eine Sucht massiv. Und wenn es nur um die Sucht an sich ginge, dann wäre dem entsprechenden Spieler der Charakter total egal, denn er könnte ja einfach mit einem anderen weitermachen. Durch eine zu starke Bindung an den Charakter, Projektion der Spielsituationen auf sich selbst, mit anderen Worten zu tiefe Immersion, entstehen die oben beschriebenen Probleme, nicht durch die reine Sucht nach dem Spiel!

    Wie bereits oben erwähnt kenne ich mehrere Partnerschaften, die durch das Rollenspiel beendet wurden. Ich gehe einfach mal davon aus, das es den Beteiligten danach entsprechend dreckig ging…

  11. Danke zunächst für die ausführliche Stellungnahme.

    Ich bin trotzdem der Ansicht, dass man nicht einfach alle Auswirkungen auf das reale Leben auf Immersion im Rollenspiel zurückführen darf. Zunächst mal sind für mich Immersion und Charakter / Spielertrennung zwei unterschiedliche Dinge, das hätte ich in meinem ersten Post deutlich schreiben sollen. Ein dritter Aspekt wäre noch Weltflucht, der oft mit Sucht gleichgesetzt oder verwechselt wird, aber auch für sich als Merkmal betrachtet werden sollte. Sicherlich wirken bei bestimmten Spielern oder bestimmten Situationen mehrere oder alle Aspekte zusammen, aber ob sie wirklich ausschlaggebend sind, ist ein ganz anderes Thema. Wenn zum Beispiel eine Beziehung wegen irgendwelches Geschehnisse im Rollenspiel auseinandergeht, dann glaube ich nicht, dass diese Beziehung ohne dieses Geschehnis von langer Dauer gewesen wäre. Vielleicht war das Spielgeschehen ja auch nur der letzte Tropfen, der das ohnehin volle Fass zum Überlaufen gebracht hat?

    Und wenn ein Livespieler am Telefon rumheult, dass der Charakter gestorben ist, liegt das dann wirklich primär an der Immersion? Da spielt doch bestimmt auch Enttäuschung, das Gefühl als Spieler ungerecht behandelt zu werden oder Frust eine wichtige Rolle.

    Um es endlich auf den Punkt zu bringen: Mir ist der Begriff Immersion, so wie du ihn verwendet, viel zu weit gefasst.

    Meine Kommentare beruhen auf 20 Jahren Rollenspielerfahrung als Spielleiter und Spieler. Ich habe mich schon während meiner Facharbeit mit dem Thema Immersion im Rollenspiel und daraus resultierende Suizide beschäftigt. Wir haben nach dem Amoklauf von Erfurt eine Podiumsdiskussion mit einem Sozialpädagogen aus der Jugendpflege und einer Schulpsychologin zum Thema Gewalt im Rollenspiel und Auswirkungen auf Jugendliche und Schüler abgehalten. Als Nachfolgeveranstaltung haben wir unter Leitung eines Sozialpädagogen einen Workshop zum Them Umgang mit schwierigen Spielsituationen / Spielern gemacht (also wie man mit einigen Situationen umgeht, die du oben geschildert hast).

    So, und noch eine letzte Anmerkung: In deinem vorletzten Absatz setzt du Sucht und Immersion eng nebeneinander und behauptest, dass eine zu tiefe Immersion die Chance auf eine Sucht massiv erhöht. Da bin ich völlig anderer Meinung.

  12. Hätte da mal ne ganz umgekehrte Frage:
    Wie gehe ich als Spieler damit um, wenn ich einer SL deutlich vorab mitgeteilt habe, welches Thema bei mir ein No-Go ist (was ich als direkt auf meinen Char angewendet überhaupt nicht haben möchte und ansonsten mit mehr Distanz trotzdem nicht als ständige Rundumbeschallung) — und das aber scheinbar dann dazu führt, dass es für die SL zu nem rosa Elefanten zu werden scheint? [*]

    Das ist mir jetzt schon zweimal bei unterschiedlichen SLs passiert, die ich an sonstiger Beobachtung eigentlich als „gute“ und mind. bei einer auch als hocherfahrene SLs bezeichnet hätte…

    [*]
    (Zumindest eben in dieser einen ersten Sitzung, in der ich direkt vorher deutlich sagte, was auf „mich“, also direkt und persönlich meinem Char zustoßend, bitte NICHT (niemals!) angewendet werden soll. (#) .. Was mich aber als Spieler leider in Konsequenz des ersten Sofort-Auftauchens fürchten lässt, dass es wieder kommt und mich abschreckt überhaupt weiter zu probieren, obwohl mir die Runde ansonsten gefallen hätte. (D.h. ich kann nicht sagen, ob es in weiteren Sitzungen wieder aufgetaucht wäre oder es damit gegessen gewesen wäre.) Will ne SL bei sowas antesten, wie weit da meine Abneigung geht? Ich hab doch schon gesagt, ich will es nicht, punkt. -.-)

    ——————————————————————————————-
    (#) Disclaimer pro forma, nicht dass ich das erwarte (= fühlt euch einfach nicht angesprochen, wenn Ihr daran gar nicht dachtet), aber.. weil schon anderswo passiert:

    Nein, ich rede hier nicht von Chartoden, falls jetzt wieder unqualifizierte Mutmaßungsvorurteile kommen sollten. ;)
    Nicht jeder der ein No-go-Thema hat ist prinzipiell gleich ne Mimose. ;)

    Ich liebe z.B. Actionfilme..
    Mag aber bspw. einfach keine Horrorgeschichten wie Saw, ist mir zu extrem und kein Freizeitspaß mehr.
    Vielleicht denke ich da auch zu beeinflusst von Psycho-Denke, dass sowas Auswirkungen haben muss und ich die dann it-logisch auch nicht ignorieren könnte/wollte (nur dass ich sowas nicht spielen will, ot). Sodass es die Runde für mich erstmal zum bloßen „Charakterspiel extrem“ werden würde, der Char aus meiner Sicht erstmal ne ganze Weile für sonstwas nicht mehr zu gebrauchen wäre oder im Extremfall gar nicht mehr..
    Es gibt halt ein paar spezielle Dinge, die wenn sie nicht actiontechnisch daherkommen als „du kannst damit noch halbwegs umgehen als ein ‚leck mich, sobald ich hier rauskomme, stirbst du‘ und man muss keine riesigen psychologischen Auswirkungen als durchzuspielend fürchten“, im RP nicht haben mag.
    (Ich erwarte vom RP erstmal .. na letztlich im Großen und Ganzen halt Spaß, nichts was extrem ins Negative kippt. Also halt ganz bestimmt nicht was, was mich tagelang im Nachgang immer mal wieder grübeln lässt und am ersten Tag noch drei Stunden nachher nicht schlafen lässt, weil hallo spät und morgen Arbeit.)

    • Hallo Anonymous,

      das ist ein schweres Thema. Normalerweise sollte jeder Spieler das Recht haben, klare No-GOs zu setzen. Immerhin ist Rollenspiel ein gemeinsames Hobby. Tun meine Spieler das bei mir, respektiere ich diese selbstverständlich, schließlich kann ich ja nicht in deren Köpfe gucken und es scheint ja so ernst zu sein, dass dies thematisiert wurde. Aber es gibt eben auch andere Spielleiter oder LARP-Orgas, die Rollenspiel nur als Spiel sehen („Da kann doch nix passieren. Ist ja albern“) oder eben Rollenspiel falschverstanden als Pseudo-Therapiemaßnahme nutzen („Wenn ich Dich mit Deiner Abneigung konfrontiere, wirst Du schon sehen, dass alles nicht so schlimm ist“). Auf solche trifft man immer wieder, das kann man auch schwer verhindern. Es dauert eben eine Weile, bis man die Spielrunde/Orga gefunden hat, mit denen man gerne spielt und ‚auf einer Wellenlänge‘ ist.

      In der konkreten Situation rate ich Dir das offene Gespräch unter vier Augen mit dem Spielleiter zu suchen und ihm deutlich zu erklären, dass Du enttäuscht von ihm bist und das er dein NO-GO respektieren muss. Niemand kann gezwungen werden, sich mit seinen Abneigungen, Phobien oder Traumata auseinanderzusetzen. Sonst musst Du eben die Konsequenz ziehen und den Spielabend/das LARP/die Runde verlassen.

      Hoffe das hilft irgendwie :)

    • Hast Du denn deinen SL darauf angesprochen und gefragt, was das sollte? Ich denke, dass das Gespräch immer das erste Thema ist. Wenn ja und es ihm egal ist – einfach den SL wechseln :)

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