Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

„Kaltgeschminkt“ ist das Debut der schottlandstämmigen Hamburger Autorin Rona Walter, in welchem Sie uns in die skurrile Welt von zu besonderen Aufgaben erwählten Totenbestattern entführt.

Erscheinungsbild

Die uns vorliegende Ausgabe des Romans war die pdf-Version. Daher muss die Bewertung des Erscheinungsbildes auf Eindrücke einer Probeansicht aus einem heimischen Buchladen beruhen.

Bereits der Einband hebt sich schon von vielen anderen Produkten ab, handelt es sich doch um eine englische Broschur mit Klappenumschlag. Auch der genutzte Karton fühlt sich hochwertig an. 

Erwähnenswert ist, dass es sich um Recycling-Druckpapier handelt, aber das ist in Zeiten der Nachhaltigkeit nicht ungewöhnlich. Das Cover wird von einer blauschwarzen Farbkomposition verziert und man muss erst genau hinsehen, um festzustellen, was es zeigt.

Wie zu erwarten deutet das Cover bereits den Inhalt an: Wir sehen einen vermeintlichen Bestatter an einen Grabstein gelehnt, der auf die Finsternis zwischen den Gräbern starrt. Eine passende Eröffnung also für den morbiden Inhalt.

Im Vorwort benutzt der fiktive Erzähler ein Zitat aus der Wikipedia. Das hat mich etwas verwundert, ist doch das Zitieren aus der Wikipedia in wissenschaftlichen Kreisen verpönt. Inwieweit literarische Kreise jedoch davon betroffen sind, kann ich nicht sagen.

Allerdings lässt der genutzte Ton des Erzählers auch auf Spott und Häme schließen und letztendlich handelt es sich hier bereits um einen Teil der Erzählung und kein Vorwort der Autorin selbst.

Die harten Fakten:

  • Broschiert: 288 Seiten
  • Verlag: Luzifer; Auflage: 1., 1. Auflage (5. April 2012)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3943408043
  • ISBN-13: 978-394340
  • Preis: 14,50 EUR (Druck) oder 3,99 EUR (Kindle)
  • Bezugsquelle: Amazon (Klick)

Story

Kaltgeschminkt_Cover

Worum es geht, deute ich im ersten Satz dieses Artikels an – um einen fürchterlich misanthropischen Bestatter, der emotionsloser nicht sein könnte. Auf den zweiten Blick merkt man, dass er kein Misanthrop ist, er hat nur nie gelernt, Emotionen in seinem ewigen Martyrium des Lebens zu zeigen. Er wurde bereits sein gesamtes Leben vom Pech verfolgt und selbst dann, als er sich das Leben nehmen will – zugegeben, auf sehr schmerzhafte und auch ein wenig feige Weise, beginnt die Geschichte erst.

Denn ohne, dass es Harris McLiod weiß, diente sein herrischer Ausbilder weit höheren Daseinsformen, den Göttern des Totenreiches. Ich nenne sie der Einfachheit halber so, denn ich möchte nichts vorweg nehmen. Diese bemessen, wer in welches Reich des Jenseits wechseln darf. Dabei spielen die manchmal auch sehr ruchlosen Taten zu Lebzeiten eine Rolle. Leider aber sind die Götter nur allzu menschlich und spielen um die Seelen ihrer „Opfer“ in einem infernalen Zeitvertreib.

Was das alles mit dem Bestatter von oben zu tun hat? Er tritt die Nachfolge seines Lehrmeisters an. Genau genommen will er sie nicht antreten, wird dann aber in einen Strudel von Ereignissen hineingezogen, dem er sich nicht mehr entziehen kann.

Auf dieser Reise trifft er den vorherigen Lehrling seines Ausbilders, der schon länger auf diesem unheiligen Pfad wandelt, aber sein eigenes Spiel mit den Herren des Totenreiches treibt und dafür früher oder später bezahlen werden muss.

Und als ob das nicht genug wäre, tritt noch die Gothic-Schönheit Rachelle auf den Plan, die das höllische Duo beider Bestatter ergänzt und auf eine abweichende Spur bringt – und zudem ihr ganz eigenes magisches Geheimnis hat. Nein, sie ist kein Vampir und Sexszenen gibt es nur zwei kurze, diese haben jedoch wenig mit dem so charmant mit FFÜ betitelten Genre zu tun. Erfrischend wenig!

Der Roman nimmt an Fahrt auf, als Harris McLiod, der Totengräber und Präparator, mit Hilfe der attraktiven Rachelle aus dem Pakt mit den Totengöttern zu entkommen versucht. Mehr wird an dieser Stelle nicht über die Handlung verraten.

Die Geschichte beginnt mit einer kleinen Rückblende, entwickelt sich dann aber linear und ohne große unerwartete Wendungen, baut aber logisch und schlüssig auf die morbide und skurrile Gedankenwelt auf, die von der Autorin ersonnen wurde.

Besonders gefällt mir der parabelhafte Aufbau des Romans, der unweigerlich dahin führt, wo alles begonnen hat. Nicht gefallen hat mir ein Einschub, dessen Titel auf weitere Informationen zu der Rolle von Rachelle hoffen lässt, aber dann doch weitaus weniger offenbart.

Ich möchte der Autorin hier zu allererst unterstellen, dass ihre Absicht beim Schreiben des Romans war, den Leser auf eine morbide und zugleich unterhaltsame Reise mitzunehmen. Für mich jedoch klingt die Aussage durch, dass alles Sterben vor dem unausweichlichen Ende sinnlos ist und daher das Leben in allen Zügen genossen werden soll. „Nimm mit, was Du kriegst, bevor Du vor die Ewigen trittst“

Der Roman spielt in sowohl Schottland, als auch in Hamburg an realen Orten, die die Autorin selbst kennt und besucht hat. Dieses merkt man an vielen Stellen, sei es bei Beschreibungen der Orte an sich oder auch der transportierten Atmosphäre.

Mir hat die skurrile Geschichte durchaus gut gefallen, auch wenn sie kleinere erzählerische Schwächen aufwies, die aber im Gesamtbild nicht schwer wiegen. Gemessen an dem Umfang von knapp unter 300 Seiten habe ich lediglich sieben Stunden gebraucht, um das Buch ganz zu lesen. Das spricht an sich für einen gelungenen Spannungsaufbau und dem Hunger des Lesers, mehr zu erfahren und zu lesen, wie die Geschichte ausgeht.

Schreibstil

So reizvoll und gut inszeniert die Geschichte ist, so sehr stolpert man hier und da über den Schreibstil. Durchweg aus der Ich-Perspektive erzählt, gelingt es Rona Walter die innere Gefühlswelt des nach Außen so gleichgültig wirkenden An(Pro)tagonisten gut dazustellen. Unwillkürlich wird man in seinen Hass auf die Welt hineingezogen. Man mag ihn sogar spätestens ab der Romanhälfte. Genauso gut gelingt es, wenn bedeutende Orte und Personen das erste Mal beschrieben werden – wort- und bildgewaltig fräsen sich wunderschöne Beschreibungen in das innere Kopfkino.

Dann aber, und im krassen Wandel zu den genannten Bereichen, werden die Sätze plötzlich sehr kurz, wirken fast abgehackt und prasseln als Staccato auf den Leser ein. Gleiches gilt bei einigen Dialogen – lediglich von Kommata oder Gedankenstrichen getrennt, laufen Unterhaltungen zwischen mehreren Anwesenden nur durch Anführungsstriche eingerahmt.

Im späteren Verlauf kommt es zu einem Gespräch zwischen Harris und den Hütern der Totenreiche, hier musste ich teils Absätze drei Mal lesen, um zu verstehen, wer mit wem spricht. Ähnlich ist es bei Dialogen zwischen Harris und James, dem ehemaligen Lehrling etwa zur Mitte des Buches. Hier gelingt die Zuordnung nur über den jeweils genutzten Wortschatz.

Keinesfalls will ich hier von einem schlechten Schreibstil schreiben, ich denke aber, dass dort noch Luft nach oben ist, um den Leser ein kongruentes Vergnügen zu bereiten.

Sprachlich muss ich auch das Lektorat bemängeln. Auch wenn viele der noch aus dem Ursprungsskript stammenden Fehler ausgemerzt wurden, finden sich nach wie vor kleine Stolpersteine wie fehlende Kommata oder Tippfehler im Buch. Keiner davon besonders eklatant, aber doch den Lesefluss hemmend.

Preis-/Leistungsverhältnis

Mit 14,50 EUR ist der Preis hoch. Der Inhalt hat mich aber durchaus amüsiert und Kurzweil verschafft. Lediglich die angemerkten Fehler des Lektorates können in den Leistungsaspekt hineingezogen werden und wären Grund für einen leicht niedrigeren Preis. Mit etwas unter 300 Seiten bewegen wir uns aber knapp im fairen Bereich und man darf auch nicht vergessen, dass der Luzifer Verlag noch recht klein ist und erst seine Margen einspielen muss.

Besonders freut mich im digitalen Zeitalter, dass eine Kindle-Version erhältlich ist.

Bonus/Downloadcontent

Es gibt keinen weiteren Content, jedoch einige Videos, die sich der interessierte Leser ansehen kann:

Rona Walter liest

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Kaltgeschminkt – Rona Walter [Roman-Teaser]

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Fazit

„Kaltgeschminkt“ ist eine turbulente Reise in die Abgründe der menschlichen Selbstsucht, des Strebens nach Macht und dem Preis, den wir alle irgendwann für all unser Streben zahlen. Die drei Hauptcharaktere sind glaubhaft dargestellt und es macht Spaß, ihnen allen bei ihrem Absturz in den Abgrund zu folgen.

Der echte Horror kommt in der zweiten Hälfte des Buches nicht zu kurz.

Mehr als angenehm enthebt sich diese Reminiszenz des viktorianischen Horrors von der sonst so beliebten Romantasy.

Spannungsbogen und bildlicher Aufbau stimmen, auch der von manchen Rezensenten bemängelte Gothic-Touch kommt in meinen Augen nicht zu stark heraus. Ich spüre in Rona Walter durchaus Talent, sie wird aber noch wachsen müssen, um zu den wichtigen deutschen Autoren der düsteren Phantastik-Literatur gehören zu können.

Mir hat das Buch gut gefallen und ich freue mich zu lesen, was noch aus ihrer Feder kommen wird in den folgenden Jahren.

Daumen4Maennlich

Artikelbilder: © Luzifer Verlag

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