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Der letzte Artikel dieser Serie hat die beiden ,Zugänge‘ zur theoretischen Untersuchung von Rollenspiel voneinander unterschieden und ihre jeweiligen Schwerpunkte und Interessen dargestellt. In diesem dritten Teil der Artikelreihe über das Rollenspiel als theoretischen Gegenstand soll es nun zum Abschluss noch um die unterschiedlichen Blickwinkel gehen, unter denen einzelne akademische Disziplinen das Rollenspiel betrachten.

Das phantastische Rollenspiel im Spiegel der akademischen Disziplinen

Das akademische Interesse hat das phantastische Rollenspiel für sich entdeckt. Inwieweit ist nun seine Erforschung ,ein gewaltiges Vorhaben‘1?

Zunächst einmal könnte man die Notwendigkeit sehen, das phantastische Rollenspiel einem Fachgebiet zuzuordnen – dies gestaltet sich aber problematisch. Denn bei der Erforschung des phantastischen Rollenspiels können „Sprachwissenschaften (Linguistik, Semiotik), Sozialwissenschaften (Kultur-, Medien-, Kommunikationswissenschaft, Soziologie), Psychologie sowie in bestimmtem Maße die Strukturwissenschaften (Mathematik, Informatik) alle gute Argumente vorbringen, warum dessen Erforschung jeweils in ihren Zuständigkeitsbereich fällt.“2 Hinzu kommen die Literaturwissenschaft, Kunstwissenschaft, Pädagogik, Philosophie…kurz und gut: Das phantastische Rollenspiel ist ein komplexer Gegenstand, der unter dem einen oder andren Aspekt für jede Disziplin interessant sein kann. Florian Berger führt hier einige Möglichkeiten etwas genauer aus. Als möglichen Fragestellungen nennt er die

  • Beschreibung von Rollenspiel als sprachliche Kommunikation
  • Beschreibung ablaufender semiotischer Prozesse
  • Beschreibung der kulturellen Voraussetzungen und der kulturellen Einbettung
  • Beschreibung der soziologischen Aspekte von Spielern und Spielgruppen (u.a. Mikrosoziologie, Rituale, …)
  • Psychologische Analyse von Rollenspielen (die Verwandtschaft zum Psychodrama ist unübersehbar)
  • Beschreibung der durch Mathematik und Informatik fassbaren Teilbereiche (klassische Spieltheorie, Optimierungsprobleme)
  • Einordnung in eine kulturhistorische Betrachtung menschlichen Spiels3

Welche konkreten Frage könnte eine akademische Disziplin also an das phantastische Rollenspiel stellen? Da ich mich ja schon länger mit dem Thema befasse, habe ich einige Ansätze kennengelernt.

Die Pädagogik und die Didaktik haben das sog. ,edukative Rollenspiel‘ entdeckt. Edukatives Rollenspiel bereitet Lerninhalte auf, indem es ein Spiel entwickelt, dessen Handlung auf dem aufbaut, was gelernt werden soll. Die ØsterskovEfterskole4 in Dänemark z.B. wendet diese Lehrmethode an – und entwickelt so z.B. ein Rollenspiel zum Thema ,Dreißigjähriger Krieg‘, in welchem die Schüler vielleicht die Rolle eines Fußsoldaten oder einer Marketenderin einnehmen.

Die Politikwissenschaften und die politische Bildung kennen das Alternate Reality Game – die Spielinhalte sind unserer realen Lebenswelt entnommen und thematisieren oft gesellschaftliche Problemstellungen wie Rechts-Extremismus o.ä. Intitutute mit einem entsprechenden Bildungsauftrag bieten solche Spiele immer wieder einmal an, so z.B. die Landeszentrale für politische Bildung NRW: http://www.politische-bildung.nrw.de/veranstaltungen/index.html oder der basa e.V. in Zusammenarbeit mit den ,Waldrittern‘: http://www.waldritter.de/index.php?view=details&id=173%3Aarg-gegen-rechts&option=com_eventlist&Itemid=61.

Die Kunstwissenschaft, Kunsterziehung und die Ästhetik sehen im phantastischen Rollenspiel eine Ausdrucksform, die als eine kunstverwandte Betätigung verstanden werden kann. Entsprechend befasst sie sich mit der Frage, welche Merkmale von Kunst das Rollenspiel aufweisen kann, welche kreativen Möglichkeiten es enthält etc. Daniel Mackay hat hier mit seiner Arbeit The Fantasy Role-Playing Game: A New Performing Art ein breites Fundament gelegt.

Die Psychologie kann das phantastische Rollenspiel zum Teil sogar als therapeutischen Ansatz nutzen – ähnlich der Gestaltungs- bzw. Kunsttherapie geht es hier darum, dem Patienten durch eigene kreative Betätigung neue Ausdrucksmöglichkeiten zu eröffnen. Der Therapeut wiederum kann aus diesen ,Produkten‘ Rückschlüsse auf die psychische Verfassung seiner Klienten ziehen. Interessant ist hier z.B. der Artikel von Omar Diniz: RPG as Auxiliary in Psychotherapy. In: CAR-PG a Newsletter, May1994.

Jede Disziplin hat also ihre eigenen Zugänge und Herangehensweisen an den Gegenstand. Nichtsdestoweniger ist die ,Landkarte‘ der Forschungslandschaft noch überwiegend weiß – was zum einen daran liegt, dass das phantastische Rollenspiel nach akademischer Zeitrechnung relativ jung ist. Und, dass es ein ,lebendiger‘ Gegenstand ist, der nicht in dem Sinne abgeschlossen ist wie ein Stück Literatur, eine neue medizinische Behandlungsmethode oder ein neu entdecktes Sternensystem. Das phantastische Rollenspiel entwickelt sich auch als Medium weiter, bringt neue Formen, Typen und Ideen hervor, erweitert seine Möglichkeiten. Die Forschung wird also wohl noch lange Zeit kaum Hoffnung haben, mit ihrer Arbeit ,fertig‘ zu werden! Einige ,handfeste‘ Ergebnisse liegen natürlich inzwischen vor – deshalb kann die obige Ausführung auch ein wenig als ,Status Quo der Rollenspielforschung‘ gelesen werden.

Ausblick: Ein Status Quo der Rollenspielforschung

Trotz der z.T. beachtlichen Leistungen, welche die akademischen Disziplinen in Bezug auf das Rollenspiel bereits hervorgebracht haben, kann von einer systematischen ,Rollenspielwissenschaft‘ noch lange nicht die Rede sein – und vielleicht wird es das auch nie. Denn der Begriff ,Rollenspielwissenschaft‘ legt nahe, dass so etwas wie ein einheitlicher methodischer Zugang oder zumindest eine Verständigung über die anzuwendenden Untersuchungsinstrumente existiert, und das ist (noch) nicht der Fall. Vielleicht kann man also, was über die ,Rollenspieltheorie‘ gesagt wird, auch für die interdisziplinäre akademische Rollenspielforschung in Anspruch nehmen: „Die verschiedenen Ansätze und Modelle unterscheiden sich häufig grundlegend in ihrer Zielsetzung und haben lediglich gemein, dass sie über Rollenspiel reden [bzw. Rollenspiel erforschen, Erg. LF]. Vergleiche der Ansätze untereinander, ohne dabei die unterschiedlichen Zielsetzungen im Auge zu behalten, sind daher oft zwecklos.“5

Bei Bedenken der vielfachen Möglichkeiten, welche die einzelnen akademischen Felder mitbringen, wäre eine Vereinheitlichung der Methodik vielleicht auch gar nicht wünschenswert. Denn das müsste ja bedeuten, einige Ansätze zugunsten eines Konsenses auszuschließen. Damit würden einige spezielle Fragen, die vielleicht sehr interessant sind, nie an den Gegenstand gestellt – und das wäre womöglich schade. Schließlich ist es ja gerade seine Vielseitigkeit, die das phantastische Rollenspiel zu so einem faszinierenden Hobby – und Forschungsgegenstand! – macht.

Über die Autorin

LauraFloeterLaura Flöter hat an der Universität Duisburg-Essen Kunstpädagogik, Deutsch und Philosophie auf Lehramt studiert. Seit 2010 arbeitet sie am Institut für Kunst und Kunstwissenschaft an ihrer Dissertation über die Ästhetik des phantastischen Rollenspiels – seit 2011 ist sie auch Mitglied der „Gesellschaft für Fantastikforschung“. Neben ihrer akademischen Tätigkeit ist sie als Autorin (DER ENGELSEHER, NIRGENDLAND) und freischaffende Künstlerin tätig. Seit sie sich vor mehr als zehn Jahren mit „RPG“ infiziert hat, ist Rollenspiel nicht nur ihr Hobby, sondern ihre Philosophie. Mehr über Laura findet man auf ihrer Website: http://laurafloeter.de/

 

 

 


4vgl. http://osterskov.dk/?page_id=213 und diverse Videos auf YouTube

5vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Rollenspieltheorie, Abschnitt „Rollenspieltheorie“ [25.06.12, 15:01h]

 

 

9 Kommentare

  1. Hej Jan!

    Was Florian Berger über die Interessen der einzelnen Diszplinen und die ‚Rollenspieltheorie‘, soweit ich sie jetzt besprochen habe, geschrieben hat, ist eben einfach von ihm. Was ich verwendet habe, ist soweit gutes Material – und ich habe es woanders leider noch nicht in der Form gefunden ;) Deshalb habe ich mir die Arbeit gespart, es nochmal neu zusammenzuschreiben und ihn einfach hie und da zitiert – alles andre wäre einfach unfein. So einfach ist das :)

  2. Wer sich aus wis­sen­schaft­li­cher Per­spek­tive mit dem phan­tas­ti­schen Rol­len­spiel befas­sen möchte, begeg­net frü­her oder spä­ter Aus­sa­gen wie die­sen – und eigen­ar­ti­ger­weise stam­men sie genauso aus der Szene selbst wie von Leu­ten, die über Rol­len­spiele nur das wis­sen, was in die Kate­go­rie ‚Kli­schee‘ fal­len dürfte. Die Quint­es­senz meint unge­fähr: ‚Rol­len­spiel ist kein Gegen­stand für echte wis­sen­schaft­li­che For­schung. Also kann Rol­len­spiel­wis­sen­schaft auch keine ‚echte‘ Wis­sen­schaft sein!‘ Was ist ‚dran‘ an die­ser Argumentation?

  3. Ich wollte auch nicht verlangen, dass Du ihn „guttembergst“ ;) Ich fand sein Material halt nicht so gut, aber wenn es sonst dazu nichts gibt und du es gut findest, dann erklärt es das.

  4. Sehr schöner Artikel und vor allem der Ausblick deckt sich mit meinen Beobachtungen in mehr als 17 Jahren Rollenspiel. Auch wenn das Rollenspiel Grundlage für sehr viele Magister-, Diplom-, Bachelor- und Masterarbeiten war und sicherlich auch in der Zukunft sein wird, ist und bleibt es ein phantastisches Hobby, eine Passion und Leidenschaft.

    In den letzten Jahren ist leider ein Trend aufgekommen, den ich gerne die „theoretisierung des Rollenspiels“ bezeichne. Diesen kann man in fast jeder Online-Community und auch in den Vereinen und Stammtischen erkennen und miterleben. Dieser Trend geht mit dem steigenden Interesse am Rollenspiel in wissenschaftlichen Arbeiten einher.

    Ich persönlich hoffe, dass dieser Trend in den kommenden Jahren abnimmt.

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