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Die Indie-Spieleschmiede Storyweaver startet mit Hael den Versuch eines Fantasy-Science-Fiction Mixes, welcher in einer verkehrten Welt, in der die Daeorcs und Yaena das Sagen haben und die Menschen in der Wildnis um ihr Überleben kämpfen. Wird die Ankunft fremder Wesen aus dem Weltall die politische Situation von Hael verändern?

Erscheinungsbild

Der erste Eindruck des Buches, das uns als iPad-optimierte PDF vorliegt, ist durchaus gut, ein 10.1 Zoll Tablet bzw. ein Monitor wird allerdings zur Betrachtung empfohlen.

Knappe 160 Seiten stark, präsentiert sich Hael dem Leser als ein durchwachsenes Produkt: Der fortlaufende Text zeigt sich ansprechend und gut lesbar. Das kann man über die Seitenbalken mit zusätzlichen Informationen leider nicht sagen. Als Schriftart wurde hier eine Pseudo-Handschrift gewählt, die leider so gut mit der „zerknittertes Papier“-Optik des Hintergrundes harmoniert, dass stellenweise kein Unterschied festzustellen ist. Das dämpft den Lesespaß leider deutlich, ist man mehr als einmal gezwungen, die einzelnen Worte zu erraten.

Ähnlich verhält es sich mit den Illustrationen: Die Qualität der Abbildungen sind zwar in der Regel gut bis sehr gut, sind aber leider nicht aufeinander abgestimmt und ergeben daher im Gesamten mehr den Eindruck einer Flickschusterei, als ein Werk mit einem gemeinsamen Rahmen.

Apropos Rahmen – auf einer Seite wurde dieser bei einer Abbildung nicht entfernt und liegt fast über der kompletten Seite – leider auch teilweise über dem abgedruckten Text, was die Seite mehr zu einem Ratespiel als zu einer Informationsquelle macht.

Die mediale Umsetzung ist im Ansatz erkennbar: Das Inhaltsverzeichnis und der Index sind mit Links versehen, die einen schnellen Zugriff versprechen. Storyweaver hat sogar auf jeder Seite einen schnellen Wechsel der Kapitel über 5 Piktogramme vorgesehen, was für mich eine echte Innovation war.

Allerdings krankt es hier noch an den Voreinstellungen: Zwar kann ich von jeder Seite des Buches über die Piktogramme auf Charaktererschaffung oder das Bestiarium springen, ein Schnellzugriff für das Inhaltsverzeichnis oder den Index suche ich allerdings vergebens.

Die har­ten Fakten:

  • For­mat: PDF
  • Ver­lag: Storyweaver
  • Autor: Patrick Taylor
  • Erschei­nungs­jahr: 2012
  • Spra­che: eng­lisch
  • Bezugs­quelle DrivethruRPG (Klick)
  • Preis: 15.95 USD

Inhalt

Hael_Cover

Kurz zusammengefasst handelt es sich um eine Fantasywelt, die irgendwie verkehrt herum läuft: Während die Menschen, Halblinge und Kirene (vierarmige, Elfen nicht unähnliche Wesen) durch die Unzuverlässigkeit der Menschen kein vernünftiges Bündnis auf die Beine stellen konnten, haben dies in dieser Welt die Orks und Gnolle übernommen und die restlichen Völker in die Steinzeit zurückgeprügelt.

Ein paar hundert Jahre später stehen wir hier hochentwickelten Orks, sogenannten Daeorcs und den künstlerisch begabten Yaena, den Nachfahren der Gnolle, gegenüber, während die restlichen Völker eher als Unterrassen in der Wildnis ihr Dasein fristen müssen.

Abgesehen von einigen Raubzügen der wilden Rassen geht es aber sehr ruhig zu. Bis zu dem Zeitpunkt, als die Besucher aus dem All kommen. Zunächst landen Die Fremden auf Hael. Es handelt sich hier um die typischen hochgewachsenen, grauhäutig und großäugigen Außerirdischen, die sogleich ein Bündnis mit den Daeorcs schließen und auf einer psionischen Welle mit den Menschen liegen. Kurze Zeit später folgen Ihnen Ihre erbitterten Feinde, die Nuclarine. Diese sind den Fremden an Feuerkraft überlegen, ein Umstand, der den Yaena nicht entgangen ist. Um sich deren Freundschaft zu versichern, versorgen sie die Nuclarine auch sogleich mit tausenden Sklaven, zumeist Angehörige der wilden Rassen.

Alles sieht so aus, als würde das neue Zeitalter einen Krieg zwischen der Domäne der Orks und dem Imperium der Yaena mit sich bringen. Die Geschichte, die hinter dieser Welt steht, ist sehr schön erklärt und deutet auch ein gewisses Potential an, verpasst es jedoch den Leser wirklich zu fesseln. Es bleibt bei einem klassischen Science Fantasy Genremix.

Der Aufbau des Buches folgt dem üblichen Settingbuch: Von der Charaktererschaffung über dem Leben auf Hael zum mit 14 Seiten sehr übersichtlich ausgefallenen Spielleiterbereich, der noch einige Plotideen enthält.

Positiv hebt sich hier unbedingt der Abschnitt über die Geschichte und insbesondere der Kulturen von Hael hervor. Jede Rasse hat ihre Besonderheiten, welche sie von den anderen abgrenzt: Die wilden Menschen, die sich in der lebensfeindlichen Umgebung, in die man sie getrieben hat, psionische Kräfte angeeignet haben. Die Druiden der Kirene, die sich uralter Blutmagie verschrieben haben. Hexende Orks, die ein Bollwerk der Zivilisation darstellen. Künstlerisch bewanderten Yaena, die neben der Hyänenzucht auch die besten Geschichtenerzähler und Kampfsportler hervorbringen. Auch die Musik ist bei den Yaena hoch geschätzt – voraus gesetzt, ein Nicht-Yaena erträgt das stundenlange Gejaule, aus dem diese Darbietungen bestehen. Beim Volk der Halblinge ist den Autoren noch etwas besonders Schönes eingefallen: Durch ihren erbitterten Kampf gegen die Gnolle von Hael, die sie mit ihren Hyänen unerbittlich hetzten, blieb den kleinen Kerlchen nichts anderes übrig, als fortan auf dem Hyänenrücken für den Fortbestand ihrer Rasse zu kämpfen. Heute sind die Halblinge daher ein wildes und begabtes Reitervolk. Und wie es sich für ein Reitervolk gehört, sind diese auch von ihren direkten Yaena-Nachbarn gefürchtet, da es die Halblinge immer wieder auf die von den Yaena so mühevoll trainierten Hyänenrudel abgesehen haben.

Eine Plot-Point-Kampagne sucht man bei Hael vergebens. Das System ist absichtlich als Sandkasten für die Spieler vorgesehen. Aus diesem Grund wird die Welt, deren Rassen und die wichtigsten Persönlichkeiten sehr ausführlich vorgestellt. Der Spielleiterbereich beschränkt sich daher auf einige mögliche Abenteuersituationen, eine grobe Linie, die der bevorstehende Krieg nehmen könnte, vermisst man jedoch schmerzlich. Eine Gruppe, die den heroischen Kick sucht, ist hier dem Wohl, Wehe und vor allem der Kreativität des Spielleiters ausgesetzt.

Ungewöhnlich für Savage Worlds ist die Ausgestaltung der Charaktere durch freie Kulturfertigkeiten, welche dem Spieler helfen sollen, den Charakter noch mehr nach der eigenen Vorstellung zu formen. Ein Relikt aus der Entstehungszeit, in der das Spiel noch für d20 geschrieben wurde.

Der späte Wechsel zu Savage Worlds ist leider auch sonst überall zu spüren. Man hat den Eindruck, als hätte man die bereits für d20 entwickelten Fertigkeiten und Handicaps direkt zu Savage Worlds übernommen, woran das Setting letztendlich auch krankt.

Viele Fertigkeiten, Handicaps oder Kräfte, ja, sogar einzelne Fähigkeiten wirken unpassend und deplatziert und unterstreichen somit den Eindruck eines Flickwerks. Auch die Fertigkeiten wurden deutlich erweitert: Neben Überreden existieren in Hael auch die Fertigkeiten Philosophie und Darbietung. Es bleibt unklar, wieso diese überhaupt gebraucht werden. Ein weiteres Beispiel ist die Kontrolle von Hyänenrudeln: Manchmal benötigt man Sprachkenntnisse in Yaena, manchmal oben genannten Darbietung. Scheinbar ist es auch mit der Regelfestigkeit des Autors nicht zu weit her, zum Beispiel finden die Massenkampfregeln überhaupt keine Anwendung und stattdessen wird ein eigenes System eingesetzt. Dieses ist denkbar simpel: Jedes beschriebene Regiment verfügt über eine Nummer. Tritt also Daens siebte Legion (10) gegen das Rotpfoten Kriegsrudel (15) an, gewinnt das Kriegsrudel. Wieso man sich entschieden hat, diesen Weg zu gehen wird leider mit keinem Wort erwähnt, was die Vermutung nahe legt, dass man keinerlei Kenntnis von den vorhandenen Regeln hatte. Kleines Trostpflaster: Die vorgegebenen numerischen Werte erlauben eine schnelle Integration in die Savage Worlds – Regeln.

Preis-/Leistungsverhältnis

Knapp 16 Dollar sind grundsätzlich für ein eigenes Setting eher am unteren Rand der Preisskala angesetzt, daher ist der Preis im Großen und Ganzen für den Inhalt, den man erhält, in Ordnung.

Fazit

Trotz einer interessanten Grundvorstellung der wilden Menschen und kultivierten Orks schafft es Hael nicht, mich zu überzeugen. Hael punktet mit liebevoll ausgestalteten Rassen, deren Entwicklung nachvollziehbar ist. Auch die Einführung freier Hintergrund-Vorteile erlaubt es dem Spieler, den eigenen Charakter in einem stärkeren Maße zu personalisieren, als dies generell bei Savage Worlds der Fall ist.

Auf der Kehrseite sorgt diese Erweiterungswut auch dafür, dass das System mit Ballast beladen ist, der nicht zum Grundgedanken des Systems, ein schlankes und schnelles Spielerlebnis zu bieten, passen will. Auch die Integration außerirdischer Rassen stört das Gesamtbild einer ungewöhnlichen Fantasywelt mehr, als dass es eine Bereicherung ist.

Trotz interessanter Rassenkonzepte gibt es keine Alleinstellungsmerkmale für Hael. Es fehlt der Funke, der mich an ein System fesselt, der mich überzeugt und der Hael aus den hunderten anderen Fantasywelten herausreißt. Wer nicht auf diesen Funken wartet, für den bietet Hael sicherlich einige schöne Momente. 

Daumen3maennlich

 Artikelbilder: Storyweaver

 

 

4 Kommentare

  1. Hallo Heretic,

    danke für meinen ersten eigenen Leserkommentar ;-)

    Welche Settings ziehst du zum Vergleich heran? Die meisten Settings haben sogar ein schlechteres Preis/Seitenanzahl Verhältnis, was aber nichts über Preis/Leistung aussagt.

  2. Schöne Rezi. Ich bin nach dem Durchlesen zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen, wie Du – es ist ganz nett, aber es hat mich nicht überzeugt.

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