Geschätzte Lesezeit: 11 Minuten

Wenn wir den Begriff „Hausregeln“ hören, so denken die meisten zu allererst an Würfelmodifikationen in bestimmten Rollenspielsystemen. Viele von uns haben diverse Erinnerungen an Tischrollenspielrunden, wo bestimmte Würfelregeln abweichend vom „offiziellen“ Regelwerk gehandhabt wurden. Manche dieser Erinnerungen sind positiv und manche eher negativ.

Manchmal haben diese Anpassungen dafür gesorgt, dass Regeln die uns als „schwammig“ oder gar „unpassend“ erschienen sind, berichtigt wurden. Manchmal haben wir uns aber auch in Tischrunden mit „Hausregeln“ wiedergefunden, die uns „unsinniger“ vorkamen oder gar einen Großteil unseres Rollenspiels umgekrempelt haben.

Ich möchte mich nun gar nicht damit auseinandersetzen, ob Hausregeln Sinn machen oder nicht.

Vielmehr ergibt sich dieser „Sinn“ oder „Unsinn“ aus der Definition des Begriffes „Hausregel“ selbst, was nun auch mein erster Anlaufpunkt sein soll.

Was sind Hausregeln?

Oben beschrieb ich bereits sehr grob den klassischen Fall, den wir als „Hausregel“ bezeichnen.

Diverse Rollenspielregelwerkte enthalten Regelungen, die uns als Rollenspieler im Gesamtkontext entweder zu schwammig und zu wenig klar umrissen erscheinen, die wir als völlig fehlkonstruiert betrachten oder die wir bewusst abändern, weil die neue, unsere, Form besser unserer Art des Rollenspiels entspricht. Mitnichten findet das Thema „Hausregel“ jedoch bei solchen Modifikationen sein Ende.

Individuelle Abänderungen von Würfelwurf-Reglementierungen machen nicht da halt, wo wir die Schwierigkeit für einen Wurf abändern oder die Ergebnisse anders behandeln. Diese Änderungen können ebenfalls die Zusammensetzung eines gesamten Wurfes beinhalten und so, zum Beispiel, komplett andere Attribute bedienen, da uns, als Rollenspielgruppe, diese veränderte Form eines Wurfes besser zusagt.

Hier bewegen wir uns immer noch auf der „Würfel“-Definition des Begriffes „Hausregeln“, haben aber einen großen Schritt in eine andere Richtung gemacht: Der Charaktererstellung.

Allein durch unsere möglichen Modifikationen des „Würfel-Regelwerks“ mag sich schon der Charaktererstellungsprozess verändern. Ist im Vorfeld klar, dass bestimmte elementare Würfe für primäre Fähigkeiten eines Schurken, um ein Beispiel zu nennen, nicht mehr auf einen Geschicklichkeitswert abgelegt werden, sondern auf einen Stärkewert, so ändert sich auch die Art der Charaktererschaffung, die der Spieler hinter dem Schurken-Charakter durchführen wird.

Weitergehend wird sich dadurch, wenn hieraus Schlüsse für alle Schurken in einer Spielwelt gezogen werden müssten, die Darstellung der gesamten Klasse verändern. Wie sehen Schurken aus, die statt eines hohen Wertes in einem Geschicklichkeitsattribut nun einen hohen Wert in ihrem jeweiligen Stärkewert besitzen? Wie schlägt sich dies auf die Äußerlichkeiten eines Schurken wieder? Plötzlich haben wir durch eine kleine Änderung in einer Würfelregelung Teile der Spielwelt, bezogen auf die Darstellung, verändert.

Dieses Gedankenspiel lässt sich sogar noch weiter treiben. Sind plötzlich gar Orks, in einem Fantasy-Setting, die besseren Schurken wenn diese dort von Natur aus „stärker“ sind? Was macht das aus der Darstellung des gesamten Volkes dieser Orks in diesem System? Und was aus jenen, die eigentlich nach offiziellem Grundregelwerk die prädestinierten Schurken sein sollten?

Man sieht nun, dass der Begriff „Hausregeln“, also das Abweichen von offiziellen Regelwerken im Konsens einer Rollenspielgruppe, nicht nur auf Würfelmodifikationen zutrifft, sondern auch auf viele andere Elemente eines Systems, vor allem auch auf atmosphärische Darstellungen einer Spielwelt. Im Gegensatz zum obigen Beispiel einer Verkettung von Reaktionen, die mit einer Hausregeln einher gehen, lassen sich diese Punkte wo Hausregeln greifen können selbstverständlich auch einzeln betrachten, was ich nachfolgend auch tun möchte.

Die klassische Würfelmodifikation

Diese wurde oben schon angesprochen und betrifft eine abweichende Behandlung von reglementierten Würfelsystematiken. Manche Regeln kommen uns, ehrlich gesagt, einfach recht bescheuert vor. Ein brachiales Beispiel hierfür aus der „World of Darkness (WoD)“ ist das der Reichweite, die in Schusswaffenauseinandersetzungen bei weitem nicht so behandelt wird, wie sie es werden müsste. Viele sind bereits in die Situation gekommen, dass sie aus wenigen Metern auf ein Ziel geschossen haben, welches nicht einmal der schlechteste Fußballspieler mit einem Medizinball verfehlen würde, und plötzlich schaut uns der Spielleiter an und sagt „Würfel mal, ob du triffst. Standard gegen Schwierigkeit 4“. „Hat man dann noch Pech, dann wird selbst ein beinahe aufgesetzter Schuss zu einer Ente, die ihres gleichen sucht. Es entsteht eine Situation von solcher Abstrusität, dass sie schon fast wieder lustig ist und auch noch Jahre später für Lacher sorgt. Der große Nachteil ist jedoch, dass die Atmosphäre in der Situation, die „Stimmigkeit“, einfach hinüber ist.

Die Auswege aus dieser Situation sind klar. Entweder man lässt bestimmte Würfe einfach weg, da man sich ohnehin in einem „Erzählspiel“ und nicht in einem „Würfelspiel“ befindet, wozu ich später jedoch noch kommen möchte, oder man passt die Regeln an. Man senkt die Schwierigkeit eines Wurfes, gibt dem Spieler mehr Würfel, als er normalerweise hätte, subtrahiert die Chance auf eine Reaktion des Gegenübers. Die Möglichkeiten sind mannigfaltig, erfordern allerdings, dass man sich als Spielleiter und als Spielgruppe insgesamt darüber vorher Gedanken macht.

Ebenso verhält es sich im Umgang mit Situationen die vom „offiziellen Regelwerk“ gar nicht beschrieben werden. Finden wir eine solche Situation und müssen regeltechnisch damit umgehen, so bewegt sich der Spielleiter im Bereich einer „Hausregel“.

Nicht wenige Spieler lehnen indes Hausregeln, die vom „hart gedruckten“ Regelwerk abweichen, völlig ab. Daher ist eine Absprache in der Spielgruppe immer klar geboten. Darüber hinaus sei gesagt, dass sich in sehr vielen Rollenspielregelwerken ein Satz findet, welcher so oder so ähnlich lautet:
„Die Regeln sind Vorschläge, um den Spielfluss zu gewährleisten.“ Der Spielfluss und der Wunsch, die Spielwelt möglichst konsequent darstellen zu können, sollten ohnehin das oberste Gebot in einer Rollenspielrunde sein. Gibt es Würfelreglementierungen, die diesen Spielfluss ganz offensichtlich behindern, so ist jede Hausregel, die diesen Umstand aufhebt, ganz klar ein Segen.

Wofür würfeln wir überhaupt?

Manchmal stellt sich diese Frage. Oben nannte ich das Beispiel eines Schusses aus kurzer Entfernung in der „WoD“. Auch ich habe mich schon oft gefragt: Muss ich da jetzt wirklich würfeln? Muss der Spielleiter das wirklich würfeln lassen? Muss ich meine Spieler das jetzt wirklich würfeln lassen?

Würfelwürfe sind in den meisten Systemen als „Entscheider“ in Situationen gedacht, wo die Handlung eines Charakters verschiedene Ergebnisse bringen kann. Oftmals sind diese Handlungen kritischer Natur oder behandeln die Wahrnehmung eines Charakters. Schafft ein Charakter einen kritischen Sprung von einem Hausdach zum nächsten? Schafft es ein Charakter, sich in ein Servernetzwerk einzuhacken? Bemerkt ein Charakter, dass sich in einer U-Bahn-Station jemand von hinten anschleicht? Hierbei lässt ein Spielleiter für gewöhnlich würfeln.

Es gibt jedoch auch Konstellationen, bei denen diese Würfe den oben beschriebenen Spielfluss nur stören und zum Selbstzweck verkommen, im schlimmsten Falle sogar die Atmosphäre ankratzen und Charaktere unpassend „dumm dastehen“ lassen. Muss ein Charakter, der seit seinem sechsten Lebensjahr Leichtathlet ist, würfeln, ob er über eine zwei Meter breite Schlucht springen kann? Muss ein Charakter, der Hacking gar zum Beruf hat und beim „Chaos Computer Club“ seit 15 Jahren Mitglied ist, darauf würfeln, ob er sich auf die Festplatte eines normalen „Windows XP“ Rechners schalten kann? Muss der Straßen-Samurai mit Geräuschverstärkern als Sinnes-Augmentierung darauf würfeln, ob er den Troll-Schläger-NSC hört, der sich in der sonst menschenleeren U-Bahn-Station „anschleicht“?

Es gibt schlicht Würfe, die man nicht machen muss und als Spielleiter auch nicht anfordern sollte. Ist dies eine „Hausregel“? Ja, das ist sie, denn Spieler, ebenso wie Spielleiter, könnten darauf pochen, dass bestimmte Würfe gemacht werden da sie vom Grundregelwerk so vorgesehen sind. Auch wenn wir uns alle darin einig sind, dass solche „Würfelarien“ wenig Spielfluss, und damit auch meist wenig Spaß mit sich bringen, so wäre diese Einstellung dennoch völlig legitim. In unserer Rollenspielrunde entscheiden wir uns selbst dafür, bei bestimmten Szenen auf das auswürfeln zu verzichten, wo andere Rollenspielgruppen, im Sinne ihres Spielspaßes, durchaus würfeln würden. Es wird zu unserer „Hausregel“, dies so zu handhaben.

Anpassungen der Spielwelt

Bei diesem Punkt verlassen wir komplett die Bühne der „harten Regeln“ und bewegen uns in der dargestellten Spielwelt. Dies ist vermutlich das kontroverseste Thema bezüglich selbst generierter Regeln, auch wenn man hier den Begriff „Hausregeln“ nicht sofort assoziiert.

Die Darstellung einer Spielwelt variiert von Mensch zu Mensch. Das liegt schon alleine daran, dass die Interpretation von Mensch zu Mensch variiert. Wir gehen mit unseren Erfahrungen und Vorstellungen an die „Entdeckung“ einer Spielwelt. So lesen wir die Beschreibungen der Spielwelt in den Regelwerken wie auch die mögliche Sekundärliteratur, in Form von Comics und Büchern, jeweils mit leicht anderen Augen.

Interpretationen ergeben sich zwangsweise und verstärkt in jenen Fantasiewelten, wo das Hintergrundmaterial „dünner“ gesät ist. Aber selbst bei jenen Spielwelten, die vor Hintergrundmaterial nur so strotzen, ergeben sich immer wieder verschiedene Auffassungen von „richtig“ und „falsch“, geschweige denn von der Frage, was einem persönlich gefällt oder was man lieber anders dargestellt hätte.

Auch wenn neue Versionen von Rollenspielsystemen erscheinen, die den Kanon der Spielwelt weiter erzählen, gibt es immer Teilbereiche, die Spielern gefallen, welche sie dann bereitwillig aufnehmen, und Spieler ,die diese neuen Geschichtsentwicklungen in ihrer Spielwelt ablehnen.

Durch diese „Entscheidungen nach eigenem Gusto“ ergeben sich eine Vielzahl von Parallelwelten, welche alle eine, augenscheinlich dieselbe, Spielwelt zum Thema haben. Verstärkt wird diese Differenz noch durch einfache Unwissenheit über Details im Hintergrund. Nicht jeder Spieler, und auch nicht jeder Spielleiter, ist zwingend im Besitz sämtlicher Bücher, sämtlicher Quellenbände oder sämtlicher Comics die zu einer bespielten Fantasiewelt gehören.,

Gerade hier, wo es nicht mehr nur um das Verständnis und die Auslegung von Regeln, sondern um den elementaren Kern des Erzählspiels geht, muss sich die Rollenspielgruppe absolut einig darin sein, wie sie damit umgeht, wo sie ihren Konsens findet, und diesen beibehalten.

Was also tun mit Hausregeln?

Alle beschriebenen Fälle bedingen das, was im letzten Satz geschrieben wurde: Einen Konsens. Stets ist es an einer individuellen Gruppe von Spielern nebst Spielleiter für sich einen Konsens zu finden, wie sie mit Regeln im Detail und der Spielwelt als Ganzes umgehen möchte. Möchten sie viel würfeln? Möchten sie gar Miniaturen für die Kampfdarstellung heranziehen? Wie ist das Gefühl in der Spielwelt? Diese Fragen gilt es gemeinsam zu klären damit der Spielfluss beibehalten wird.

Was sind nun also Hausregeln? Hausregeln sind ein Sammelsurium all jener individuellen Anpassungen und Verständnisweisen, dem Umgang mit dem Rollenspiel selbst, welches eine Rollenspielgruppe ausmacht. Ich würde so weit gehen zu behaupten, dass es keine Rollenspielgruppe ohne Hausregeln gibt, da jede Gruppe mit bestimmten Inhalten ihres Rollenspielinhaltes auf bestimmte Weise umgeht.

Die Hausregeln machen das „Gefühl“ aus, welches wir in einer Gruppe, und nur in dieser, haben. Jede andere Gruppe wird sich anders anfühlen. Dieser Umstand ist alles andere als schlecht, bedeutet aber auch, dass wir in anderen Gruppen nicht mit Zwang jene Regeln umsetzen werden können, die wir aus unserer „Stammgruppe“ gewohnt sind.

Dieser Punkt der Abgrenzung, des aufeinander Einstellens, ist im Live-Rollenspiel eine große Herausforderungen. Dort wird die Gruppe meistens weitaus größer. Es finden sich viele Spieler aus verschiedenen, gewohnten, Tischrollenspielgruppen die alle ihre Vorstellung gelebten Rollenspiels, die Vorstellung der Regeln und die Vorstellung von der Spielwelt, mitbringen. Letztendlich ist aber auch das Live-Rollenspiel nur eine große Gruppe, die wiederum ihren eigenen Konsens finden muss. Gerade hier lohnt eine spätere Betrachtung der allgemeinen Regelkonzeptionierung im Live-Rollenspiel.

Letztendlich sind Hausregeln weder per se „gut“ noch „schlecht“. Sie sind stets das, was diejenigen die sie kreieren und anwenden, daraus machen.

Persönliche Erfahrungen

Meine persönlichen Erfahrungen in dem Feld der „Hausregeln“ sind ebenso unterschiedlich wie es meine bisherigen Rollenspielgruppen es waren. Als Spielleiter neige ich dazu so wenig wie möglich Würfeln zu lassen, wie ich es als Spieler selbst auch sehr angenehm finde wenn ein Spielleiter den „Fluss“ nicht durch unnötige Würfe unterbricht. Ich mag die direkte Auseinandersetzung mit der Spielwelt, tauche gerne ein und diskutiere meine Meinungen, zum Verständnis der Spielwelt, gerne aus um mögliche Unklarheiten in der Spielumgebung zu vermeiden.

Wenn es um Würfelregeln geht, so halte ich es mir als Spielleiter individuell offen Regeln anzupassen, wenn die beschriebenen „unsinnig“ erscheinen oder es schlicht gar keine gibt. Ebenso sehr schätze ich es, wenn ich als Spieler selbst Flexibilität im Umgang mit dem Regelwerk durch meinen Spielleiter erfahre. Natürlich setzt dies voraus, dass der jeweilige Spielleiter die Konsequenzen seiner Anpassungen absehen kann. Den schlimmsten Fehler den man begehen kann sind Anpassungen die gemacht werden „weil man es nicht besser weiß“.

Völlig unabhängig davon ob es nun um Würfelregeln oder die Interpretation der Spielwelt selbst geht habe ich eine Sache als elementar wichtig erfahren: Jede Handhabung, ob man nun das Regelwerk stets wörtlich auslegt oder flexibel handhabt, macht nur dann Sinn und funktioniert wenn die Spielart in der Gruppe homogen ist. Oder einfach gesagt: Ohne Konsens in der Gruppe gibt es immer Chaos. Es werden immer verschiedene Präferenzen aufeinanderprallen. Es wird immer der Moment kommen wo jemand aufspringt und etwas anders gehandhabt wissen möchte. „Vorabsprachen“ ist hier das Zauberwort. Jeder von uns sucht sich seine Gruppen selbst aus. Das ist richtig und wichtig. Wirklich Spaß haben wir stets nur in einer Spielumgebung, mit Mitspielern, die zu unserer Vorstellung von Rollenspiel passen.

Artikelbild: svilen001 auf sxc.hu

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein