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Deadlands war das erste, wichtigste Produkt von Pinnacle Entertainment und der geistige Großvater von Savage Worlds. Nach der Entwicklung von Savage Worlds als Universalsystem wurde Deadlands dann im Jahre 2005 unter dem Namen Deadlands: Reloaded als Savage Setting neu herausgebracht und auch das zeitlich in der Zukunft liegende Hell on Earth Reloaded hat im letzten Jahr die Wandlung zum Savage Setting vollzogen. Doch was verbirgt sich hinter diesem Begriff?

Grundlegend ähnelt die Geschichte von Deadlands unserer eigenen. Allerdings geschah im Jahre 1860, während der Schlacht um Gettysburg eine große Katastrophe. Seit dieser Zeit schienen die Schatten etwas länger, der Schrecken etwas größer und die Welt etwas gefährlicher zu werden. Doch abgesehen von diesen subtilen Veränderungen geschah auch allerhand Konkretes: Durch den plötzlichen Fund von Geisterstein, einem bisher unbekannten Supertreibstoffes, gelang es den Südstaaten nicht nur den Amerikanischen Bürgerkrieg zu verlängern, sondern ihren nördlichen Nachbarn sogar ein Unentschieden abzutrotzen. Mehrere größere und kleinere Staatenbünde nutzten die Gelegenheit und spalteten sich ebenso von den Vereinten Staaten von Amerika ab. Aus einer einstmals großen Nationen wurden die Vereinten Staaten von Amerika, die Konföderierten Staaten von Amerika, die Republik Deseret (ehemals Utah), das Commonwealth von Kalifornien, die Sioux Nationen, sowie die Coyote Konföderation. Aber auch auf der übernatürlichen Schiene ist einiges geschehen: Die Geisterwelt ist in hellem Aufruhr und einige Auserwählte stellen plötzlich fest, dass sie über übersinnliche Kräfte verfügen. Dies manifestiert sich auf unterschiedlichste Weise. Schamanen, Gesegnete, Huckster, mysteriöse Kartenzauberer, oder verrückte Wissenschaftler sind plötzlich alle wissentlich oder unwissentlich in Kontakt mit der örtlichen Geisterwelt und können die unglaublichsten Dinge vollbringen. Gerüchten zufolge wandeln auch die Toten wieder auf Erden, gemeinsam mit einem Haufen anderer, dem eigenen Leben höchst abträglicher, Kreaturen.

Auf diesen zerrissenen Kontinent, vorzugsweise in dessen Westen verschlägt es die Helden in Deadlands: Reloaded in einen brutalen Horror-Steampunk-Spaghetti-Western. Was sich wie ein plumper Genremix anhört verbindet sich tatsächlich zu einem stimmig zusammenspielenden Ganzen, dem Deadlands: Noir in direktem zeitlichen Verlauf folgt.

Mit Deadlands: Noir handelt es sich somit um das Dritte zum Deadlands-Universum gehörende Savage Worlds-Setting. Es ist das erste Deadlands-Setting, dass sich als Bühne nicht den gesamten amerikanischen Westen herausgesucht hat. Stattdessen sollen die Charaktere ihre Abenteuer in den regennassen Straßen und Gassen von New Orleans und dessen Umland bestreiten. Weitere Städte, wie z.B. die City of Lost Angels oder Chicago sind aber bereits für den Erweiterungsband angekündigt.

Einer der gravierendsten Unterschiede ist die Tatsache dass die Grundstimmung des freien und gesetzlosen Westens gegen die klaustrophobische Atmosphäre einer zutiefst korrupten Großstadt getauscht wurde. Genug der Vorrede, steigen wir nun direkt in das Buch ein:

Erscheinungsbild

Das Erscheinungsbild des nur 145 Seiten starken Bandes präsentiert sich durchweg gut. Dem Setting getreu ist die Farbgestaltung in einem hellen Grau gehalten, dass durch den sparsamen Einsatz kräftiger Farbtöne akzentuiert wird. Es unterstreicht damit die triste Atmosphäre des Settings, ohne dabei langweilig zu wirken. Die Schriftart und der Kontrast zum Hintergrund sind ordentlich gewählt, und der Inhalt ist sehr gut lesbar. Nur in den Seitenleisten leidet die Lesbarkeit aufgrund der Darstellung als Filmstreifen manchmal ein wenig, wirklich unlesbar wird dadurch aber nichts. Das Artwork wurde übrigens von Cheyenne Wright erstellt, der Deadlands Fans sicherlich ein Begriff ist. Die Illustrationen fügen sich angenehm in das allgemeine Thema ein und vermitteln dem Betrachter eine düstere, feindselige Welt, in der Hoffnungslosigkeit die vorherrschende Emotion ist. Insgesamt ist das Erscheinungsbild unheimlich gut gelungen. Es gab keine offensichtlichen Tippfehler oder grafischen Entgleisungen. Die verwendeten Grafiken wirken durchgängig sehr stimmig, passen gut zueinander und harmonieren mit dem Gesamtlayout. Es macht richtig Spaß, sich mit einem so schönen Settingband zu beschäftigen.

Die harten Fakten:

  • Format: PDF
  • Verlag: Pinnacle Entertainment Group
  • Autor: John Goff
  • Erscheinungsjahr: 2012
  • Sprache: englisch
  • Preis: 19.99 USD
  • Bezugsquelle DriveThruRPG (Klick)

Inhalt

DLN_Cover

Der Band ist, wie bei vielen Savage Worlds-Settings üblich, in einen Bereich für Spieler und einen für den Spielleiter gegliedert. Der Spielerteil beginnt mit einer kurz gehaltenen Übersicht der Ereignisse, die in Deadlands von der uns bekannten Geschichte abweichen. Danach folgt die Charaktererschaffung, welche den grundsätzlichen Charaktererschaffungsregeln von Savage Worlds entspricht. Als Settingregel erhalten alle Charaktere den Nachteil Arm, was die Grundstimmung des Settings sehr schön unterstreicht, weil den Charakteren buchstäblich das Geld durch die Finger rinnt. Neu im Spiel ist die Fähigkeit Vorführen (engl. Perform), welche ähnlich wie Glücksspiel als abstrakte Einkommensquelle in Form von Auftritten in den zahlreichen Bars und Nachtclubs funktioniert. Zusätzlich wurden einige sinnvolle Vor- bzw. Nachteile ins Spiel integriert, die sich insbesondere dem Noir-Aspekt des Spiels widmen. Beispielsweise ist das Spielen eines korrupten Ermittlers oder eines allzu vertrauensseligen Zeitgenossen nun auch durch Nachteile abgedeckt und diese können zum Erspielen von Bennies verwendet werden. Die zur Verfügung stehenden neuen Vorteile sind mittlerweile Standarderweiterungen, lediglich die berufsbezogenen Vorteile setzen interessante Akzente. Zusätzlich dazu haben auch einige Deadlands-typische Vor- bzw. Nachteile den Weg ins Regelwerk gefunden. Ein kleiner Abschnitt über die Verwendung der mystischen Hintergründe aus Deadlands Reloaded erweitert das Kapitel sinnvoll und klärt mögliche offene Fragen. Die Ausrüstungsliste wartet mit keinen großartigen Überraschungen auf, die wichtigsten Gegenstände sind in der Tabelle dokumentiert, die verrückten Apparate der Patentwissenschaftler unterstreichen den Steampunk-Anteil von Deadlands. Die Charaktererschaffung schließt mit einer graphisch schön gestalteten Karte von New Orleans, deren Beschriftung allerdings sehr klein geraten ist. Kein Wunder, die Karte ist schließlich auch als Poster geplant.

Der nächste Abschnitt beschäftigt sich mit New Orleans im Jahre 1935. In mageren sechs Seiten werden die grundlegenden Informationen wie Verwaltung, Recht und Gesetz und die einzelnen Stadtviertel kurzweilig vorgestellt. An einigen Stellen wünscht man sich aber mehr Informationen. Beispielsweise ist der Abschnitt über das Stadtzentrum eine halbe Seite stark, behandelt darin aber auch die einzelnen Bezirke, so dass für das zentrale Gewerbegebiet leider nur ein kurzer Abschnitt übrig geblieben ist. Da die Totenbestattung in New Orleans deutlich von der Norm abweicht (aufgrund des sumpfigen Bodens werden die Toten dort überirdisch in Mausoleen bestattet), wird hier in einem kleinen Abschnitt nochmal explizit darauf Bezug genommen. Insgesamt vermittelt das Kapitel einen soliden Ersteindruck von New Orleans und enthält die wichtigsten Informationen, um die Stadtgebiete schon mal grob einschätzen zu können, enttäuscht aber durch mangelnden Tiefgang.

NewOrleans

Das kommende Kapitel erweitert die Grundregeln von Savage Worlds um passende Settingregeln. Neben bereits im Grundregelwerk von Savage Worlds vorgestellten Optionalregeln, finden sich in diesem Bereich auch Regeln zu Beinarbeit und Recherche. Es handelt sich hierbei um abstrakte Regeln für Situationen, die nicht unbedingt ausgespielt werden müssen und mit einem Würfelwurf abgehandelt werden können. Interessant dabei ist auch, dass die Regeln den Ermittlern keine Informationen vorenthalten. Es mag den Ermittler ein wenig Geld kosten, oder er könnte auf der Suche nach Informationen aufgemischt werden, aber den Zugang zur Information erhält er dennoch. Auch die Regeln für Soziale Konflikte wurden für Deadlands Noir auf die spezifischen Bedürfnisse angepasst und so existieren spezielle Regeln für Befragungen und schlagfertige Auseinandersetzungen. Darüber hinaus werden Regeln zur Beschattung von Verdächtigen vorgestellt. Informationen zu dem Stand der Kriminaltechnik runden diesen Bereich ab.

Im Kapitel Magie werden die vier mystisch begabten „Klassen“ des Settings vorgestellt und mit Zaubersprüchen oder verrückten Maschinen versorgt. Auch in diesem Punkt beweist John Goff ein Händchen für stimmige mystische Hintergründe: Da gibt es die allseits bekannten Verdammten, lebende Tote, die einen täglichen Kampf gegen ihren wortwörtlichen inneren Dämon, pardon, Manitou führen. Neben den verrückten Wissenschaftlern, die seit dem unheimlichen Westen den Schritt zu Patentwissenschaftlern vollzogen haben, betreten nun auch Voodoo-Priester und Grifter die übernatürliche Bühne. Während die Voodoo-Priester bereits in Deadlands Reloaded eine kleine Rolle gespielt haben und jetzt eine Aufwertung zum vollwertigen mystischen Hintergrund erhalten haben ist der Grifter eine neue Rolle, die es exklusiv in Deadlands Noir gibt. Im Kern handelt es sich bei den Griftern um eine Mischung aus den aus dem unheimlichen Westen bekannten Huckstern und indianischen Schamanen. Das bedeutet, der Grifter muss regelmäßig seinem Laster frönen, wenn er seine Kräfte nicht empfindlich schwächen will. Eine clevere Idee, den naturverbundenen Schamanen in das Großstadtgewirr von New Orleans zu verpflanzen. Die Regeln hierzu sind allerdings ein wenig dünn; entscheidet sich der Grifter, seinem Laster nicht mehr nachzugehen verliert er seine Kräfte nicht vollständig, sondern regeneriert sie nur langsamer, was aber in der Praxis keinen großen Unterschied machen dürfte. In Summe sind die mystischen Hintergründe aber sehr stimmungsvoll und passen gut zum Setting. Die Regeln sind klar formuliert und verändern die zugrunde liegenden Savage Worlds Regeln kaum.

Wissen ist Macht

Der Spielleiterbereich beginnt mit einer Weltbeschreibung für den Spielleiter einem groben Überblick was die Welt im Moment bewegt und vermittelt einen groben Überblick über die Geschehnisse von Deadlands: Reloaded.

Ein großartiges Kapitel ist der Game Master’s Guide to New Orleans, ein 15 Seiten umfassendes Kompendium mit Hintergrundinformationen über Organisationen, Personen und Stadtviertel. Dieser Guide ist sehr ausführlich gehalten und – Kickstarter sei Dank – mit zahlreichen Bildern ausgestattet. Als Kickstarter-Backer hatte man die Möglichkeit, sein Konterfei als Spielleitercharakter in das Regelwerk zu bringen. Eine Idee, die zahlreiche Backer wahrgenommen haben und die nun das New Orleans von Deadlands Noir bevölkern. Ein „Highlight“ für deutsche Spieler dürfte wohl „Dr. Kettensäge“ sein, der, wie mir John Goff versichert hat, auch die Vorgabe eines Backers war. Die Weltbeschreibung ist in bester Savage Worlds Manier gehalten: Der Guide hat dieselbe Reihenfolge wie die Beschreibungen im Spielerteil des Buches und kleine Symbole weisen auf mögliche Savage Tales hin, die sich in diesem Bereich der Stadt abspielen können. Die Stadtbeschreibung ist sehr umfassend, lässt aber bei den in New Orleans operierenden Organisationen und Unternehmen leider Lücken, mit denen der Spielleiter alleine gelassen wird.

Ein echtes Juwel dieses Buches ist aber der „Mysteriengenerator“, der sich an den Guide anschließt und die Deadlands Noir-Variante des Abenteuergenerators ist. Er soll dem Spielleiter bei der Entwicklung spannender Fälle helfen und erfüllt seine Aufgabe als Inspirationsquelle tatsächlich sehr gut. Er verfügt über Tabellen für den Aufhänger, das Ereignis, den Täter, das Motiv, mögliche Beweise und optional noch den Schauplatz des Verbrechens sowie Schwierigkeiten, die die Ermittler behindern oder den Fall komplett auf den Kopf stellen können. Nach wenigen Würfelwürfen hat man auf alle wichtigen Fragen eines Falles eine Antwort, was genug sein sollte, daraus einen spannenden Fall zu konstruieren. Außerdem enthält dieses Kapitel weitere Hinweise, wie man mit Mystery-Abenteuer umgeht, welche Arten von Beweisen es gibt, oder wie Spuren im Spiel vermittelt werden sollen. Leider beschränkt sich das Kapitel auf die Erstellung von einzelnen Fällen. Das Design einer größeren Verschwörung, die sich über mehrere Fälle zieht, wird leider nicht behandelt. Eure Teilzeithelden waren aber auf der Suche und haben diesen Forenbeitrag (auf englisch) aufgestöbert, der sich mit diesem Thema umfassend beschäftigt.

Beinahe 40 Seiten sind daraufhin der Plot-Point Kampagne Red Harvest und einem starken Dutzend Savage Tales gewidmet. Die Plot Point Kampagne macht einen sehr ordentlichen Eindruck. Sie hat keinen Weltrettungsplot, sorgt aber dafür, dass die Ermittler in New Orleans herumkommen, einige Kontakte gewinnen oder verlieren können und lässt sich wunderbar mit weiteren Fällen strecken. Die Story ist gut gemacht, ist aber deutlich eher Deadlands als Noir. Das bedeutet, dass den Spielern wenige wirkliche moralische Dilemmas entgegen gesetzt werden. Die Ermittler nehmen eher eine heroische Rolle ein. Die restlichen Savage Tales bieten eine Auswahl typischer Detektivfälle. Von Mord über Diebstahl zu Kidnapping ist so ziemlich alles in unterschiedlichen Ausprägungen mit dabei. Selbstverständlich ist auch der Horror-Aspekt von Deadlands mit in die Geschichten geflossen und in mehr als einer Geschichte sehen sich die Ermittler übernatürlicher Opposition gegenüber.

Der Anhang des Buches besteht aus ungefähr 20 Seiten Charakterwerten, Bodenplänen, dem ansprechend illustrierten Charakterbogen und einem sehr brauchbaren Index.

Multimedial ist das Buch auf der Höhe der Zeit; es verfügt über ein elektronisches Inhaltsverzeichnis, ein voll verlinktes grafisches Inhaltsverzeichnis sowie einen verlinkten Index. Es ist in Layern aufgebaut, so dass der Benutzer Inhaltselemente wie Grafiken oder den Hintergrund für den Ausdruck ausblenden kann. Leider existieren keine Links im Text. Insbesondere die Verlinkung der Spielleiterbeschreibung eines Ortes mit der dazugehörigen Savage Tale hätte sich hier angeboten.

Fazit

Deadlands Noir ist ein gut durchdachtes, spannendes Setting mit Potential. Der Einstieg als Kickstarterkampagne war sehr gut gewählt, die Qualität und vor allem die Popularität des Buches hat davon eindeutig profitiert. Kleine Schnitzer, wie unpassende Spielleitercharakter-Namen sind leider die Kröte, die man bei einem solchen Vorgehen schlucken muss. Deadlands Noir gelingt es, das bedrückende Großstadtfeeling eines Noir-Romans mit der Welt von Deadlands zu verbinden. An einigen Stellen bleibt das Buch aber leider hinter den Erwartungen zurück. Insbesondere die Vor- und Nachteile enttäuschen. Vieles ist aus Deadlands: Reloaded kopiert worden. Auch an anderen Stellen wurden die Informationen aus Deadlands: Reloaded übernommen, ohne das neue Aspekte hinzugefügt wurden. Hier wurde leider eine Chance verpasst, den Mehrwert des Buches zu steigern. Die Regeländerungen sind sinnvoll, verleiten aber auch dazu, große Teile eines investigativen Abenteuers auf einen Würfelwurf zu reduzieren. Aus diesem und weiteren Gründen kann das Setting nur erfahrenen Spielleitern uneingeschränkt empfohlen werden.

Daumen4Maennlich

Alle Bildrechte liegen bei Pinnacle Entertainment Group

 

 

 

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