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Im September 2012 flattert uns ein Buch ins Haus, welches zuerst schien, als ob es sich in die Vielzahl der Horrorgeschichten moderner Art einreihen würde. Wir waren selbst von der Qualität der Geschichtsführung von Kaltgeschminkt überrascht, haben aber die wirklich schlechte Arbeit des Lektorates fast zerrissen. Seitdem sind einige Monate vergangen und die schottlandstämmige Autorin Miss Rona Walter arbeitet an weiteren Projekten. Wir haben die Schriftstellerin auf unsere virtuelle Couch geladen und hatten einen kleinen Plausch bei digitalem Rotwein und Roquefort 2.0

Roger: Hallo Rona, schön, dass wir mal wieder zusammen finden. Nicht jeder unserer Leser wird Dich kennen, also erzähl vielleicht ein wenig zuerst von Dir. Wer bist Du, woher kommst Du und was machst Du? 

Rona: Guten Abend, Roger. Danke für die Einladung zuerst einmal. Ich habe keine besonders lange Geschichte. Ich bin gebürtige Schottin aus Isle of Skye und gelernte Buchhändlerin. Ein paar der Jahre nach meiner Ausbildung habe ich in Prag, Österreich und Luxemburg verbracht, bis ich Hamburg entdeckte und mich zu den anderen Briten dort gesellte. Vor einiger Zeit habe ich meinen miserabel bezahlten Buchhändlerjob gekündigt und begonnen, Drehbücher für Imagefilme, Buchclips, Musikvideos und sogar Spielfilm-Dokumentationen zu schreiben. Zuvor hatte ich einen Vergleich der guten alten Schauergeschichte gegenüber dem modernen Horrorroman für das Börsenblatt verfasst und auch mit dem Schreiben von einigen Geschichten begonnen. Keine davon wurde wirklich verlegt, es war ja anfangs nur ein Hobby. Und da ich derzeit in den letzten Zügen meines Studiums 19th Century Gothic Novel & Romanticism liege, schreibe ich auch in diesem Stil meine Kurzgeschichten und Bücher.

Roger: Du bist ganz schön herumgekommen, muss ich gestehen. Aber man sagt, dass weite Reisen den Geist für Neues öffnen. War das auch bei Dir so? Welche deiner Stationen hat Dich für dein heutiges Schreiben am meisten beeinflusst und wieso?

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Kaltgeschminkt

Rona: Das stimmt auf jeden Fall, denn in den verschiedenen Ländern habe ich viel gelernt, auch über die Menschen dort. Obwohl man auch noch mehr reisen kann – ich kenne einige Damen, die jedes Halbjahr in einem anderen Land Work&Travel machen, was ich ja ebenfalls mal überlegt hatte. 
Nun, beeinflusst haben mich definitiv die Mentalitäten überall, wie man über dieselben Dinge doch so unterschiedlich denken und auch darauf reagieren kann. Die Entspanntheit und Ausgewogenheit sowie die Sichtweise auf soziale Themen waren doch sehr verschieden jedes Mal. Mich beeinflusst ohnehin alles sehr schnell und ich nehme alles auf, was um mich herum passiert, zumindest sofern ich es ohne Brille sehen kann. 
Eine Lebenssituation war besonders einschneidend, auch wenn sie im im Nachhinein banal klingt, doch damals war es für mich als 21-Jährige sehr heikel. Meine damals beste Freundin und ich mieteten eine Wohnung in Österreich und aufgrund von beruflichen Problemen wollte sie weg von dort. Ich versuchte, das mit ihr zu klären – und dachte, ich hätte Erfolg: Wir schworen uns, wir würden das durchstehen. Doch am nächsten Tag, als ich von der Arbeit kam war sie weg und alles mit ihr. Alles, außer ihrem Abfall. Ich habe viel daraus gelernt, vor allem, dass man solche und solche Freunde hat. Und dass man doch am besten meist allein zurecht kommt. Das klingt verbitterter als es tatsächlich ist – ich bin schlicht erwachsener geworden.

Roger: Solche Momente prägen das Leben und schaffen einen guten Bogen zu deinem Roman Kaltgeschminkt. Auch in Kaltgeschminkt haben wir einen vom Leben gebeutelten Protagonisten. Der gotische Touch, ohne allerdings NeoPop-Gothic zu werden, ist deutlich spürbar und durchdringt die morbide Parabel. Das hat uns inhaltlich gut gefallen. Würdest Du KGS neu schreiben heute, was würdest Du anders machen?

Rona: Zumindest würde ich mehr auf im Tippfluss verschwundene Buchstaben und Kommafehler achten. Leider arbeitet mein Hirn oft schneller als meine Hände tippen können.

Nun, ich werde noch immer überall als Gothic-Autorin betitelt, und obwohl ich die „Szene“ seit 1999 kenne, bin ich heute mehr Partygänger und Klamotten-und Musikliebhaber als aktives „Mitglied“, wenn es so was überhaupt je gegeben hat. Den optischen Touch kann ich bestätigen, ich bin ein Typ für das Melancholische und zum Teil sogar Menschenscheue – genau wie Harris. Heutzutage ist allerdings beinahe alles schwarz Gerüschte schon Goth und der eigentliche ästhetische Sinn geht verloren.

Würde ich KGS neu schreiben, würde ich lediglich einige Kleinigkeiten verbessern, denn ich finde es schon sehr gelungen und noch mehr zu Thanatopraxie beispielsweise würde nur verwirren und aufhalten. Ich würde weder länger noch ausgeprägter noch erklärender schreiben, auch wenn mir das alles schon einmal geraten wurde. Denn das ist mein Stil und Mr. Byron hat auch niemals alles hundertmal erwähnt, geschweige denn erklärt.

Roger: Du scheinst meine Gedanken zu lesen. Bitte vervollständige diesen Satz: „Lord George Gordon Byron ist für mich…..“

Rona: „….ein Pionier und Genie, ein Wahnsinniger und Teufel und der Dandy aller Dandys. Wäre ich ein Mann, würde ich mich zumindest kleiden wie er.“

Roger: Touche! Viktorianischer Horror lebt von einer Vielzahl von stilistischen Elementen und ist im Bereich der Phantastik schon eine sehr besondere Richtung. Weswegen hast Du sie als deinen Favoriten, wie auch zu deinem Vorbild erwählt?

Rona: Weil ich mich in diese Stilrichtung am besten einfühlen kann, ich habe sie in meinem Kopf und verehre ihre Intensität, ihre Rohheit und ihre Fragilität in Sachen Seele und Geist. Und Geist hat diese Epoche mehr als genug. Alles ist edler und zugleich gefährlicher in dieser „Welt“. Natürlich gibt es heute keinen Stil, der schwieriger an die Leser zu bringen ist, als dieser. Aber ich wollte es wenigstens versucht haben und einigen scheint er ja auch zu gefallen. Wobei es sicherlich nicht zum Mainstream gehören wird – und das ist auch gut.

Roger: Du forderst damit auf jeden Fall deutlich mehr Aufmerksamkeit beim Lesen als es die übliche FFÜ– … Verzeihung … Romantasy-Autorin macht. Sprechen wir über deine aktuellen Projekte. Das Stichwort „Gläsern“ brennt hierbei in meinem Geist. Was verbirgt sich dahinter?

Rona-Walter-Gläsern-Buchcover
Gläsern

Rona: Ja, aufmerksam muss man sein, das setzt der Stil voraus. Und damit versuche ich zu vermeiden, dass man in all dem Hyperkonsum heutzutage alles einfach nur überliest anstatt es wirklich zu lesen. Nicht als Erziehungsmaßnahme, das ist mir herzlich egal. Aber zum Nachdenken möchte ich die Leute bringen. Und wenn es nur für knapp 300 Seiten ist.

„Gläsern“ ist etwas völlig ausgeflipptes. Es ist mein offizieller Erstling, den ich 2005 verfasst habe. Insgesamt habe ich mehr als 2 Jahre daran geschrieben. Dabei handelt es sich erneut um eine leicht modernisierte Gothic Novel wie bei KGS, nur, dass sie nicht im Heute spielt. Sie ist in den 1830ern angesetzt und hat neogothische Elemente, wie oben genannt. Eine äußerst garstige Märchenversion von Barbe Bleu / Blaubart und ein wenig Schneewittchen, jedoch ohne bereits vorgekaute Handlungen, wie wir sie aus unzähligen Büchern und Verfilmungen zur Genüge kennen. Es gibt immerhin eine walisische Version davon und ein wenig keltische Sage darf bei mir ja nie fehlen. Erzählt wird sie vom devoten Valet (Chef der Servants) Frederick Van Sade, der seine ganz eigenen Interpretationen hat von Schein und Sein.

Roger: Das klingt nach einer sehr ungewöhnlichen Geschichte. Deine Beschreibung macht mehr als neugierig. Das Buch ist also älter als KGS und wird dennoch als zweites veröffentlicht. Wieso diese umgekehrte Reihenfolge?

Rona: Es ist zudem eine Art Vorgeschichte zu KGS, schließlich wohnt Harris McLiod ja ebenfalls in Amaranth Manor, dem Schauplatz in Gläsern“.  KGS ist deutlich jünger als „Gläsern“, ganze 4 Jahre.  Ich hatte Glück, dass mein Verleger Steffen Janssen sich zuerst für KGS entschieden hat, da ich knapp vor Markus Heitz´ „Oneiros“ erschien, dem anderen Bestatterroman im letzten Jahr. So konnte man die Leute aus dem Schatten der Großen heraus ein wenig aufmerksam machen. Für diese Chance bin ich sehr dankbar. Und dass ein so genialer Jemand wie Mr. Heitz auf diese Idee kam.

Er, Steffen, kannte zuerst nur KGS und daher war es mir nach Jahren der Ablehnung bei allen Verlagen ohnehin egal, Hauptsache weg mit den Büchern aus der Schublade.

Roger: Ich verstehe. Wann dürfen wir mit der Veröffentlichung rechnen?

Rona: Voraussichtlich im April , wohl eher Ende des Monats. Zuerst war ja Februar angekündigt. Doch nun wird ein Tattookünstler aus Hamburg das Buch im Stile der Tuschezeichnung des 19. Jahrhunderts illustrieren – natürlich mit ein paar verrückten Elementen. Und darauf warten wir beide gern.

Roger: Oh, das klingt sehr charmant und interessant. „Gläsern“ wird sicher bereits im Lektorat sein. Arbeitest Du bereits an Buch Nummer 3? 

Rona: Wir sitzen noch daran, aber es geht gut vorwärts. Ich musste auch erst einiges nacharbeiten und „auffrischen“. Nach sieben Jahren (sehr magisch, übrigens) hat sich ja viel getan bei mir und in meinem Hirn. 

Nun, Buch Nummer 3 ist sozusagen ein Skelett, das ich noch mit hunderten Zetteln Story bestücken muss. Doch in meinem Kopf ist es längst fertig. Daran werde ich mich ab dem Spätsommer setzen. Derzeit übersetze ich ein in englischer Sprache verfasstes Buch ins Deutsche, ebenfalls für LUZIFERverlag und danach wird erst mal ein Drehbuch geschrieben. Einige Short Stories sind ebenfalls in der Mache, die „Wartezeit“ ist also überbrückt. 

Und dann soll KGS ja auch noch nach England, wo man den Bestatter jetzt schon ins morbide Herz geschlossen hat. Ich hoffe, das schaffen wir noch dieses Jahr…

Roger: Dazu drücken wir alle Daumen. Du als Native Speaker wirst natürlich einen guten Zugang zum britischen Markt haben. Sprechen wir doch über deine anderen künstlerischen Betätigungsfelder. Du erwähntest die Filmbranche. Erzähl uns etwas darüber.

Rona: Ich bin ein großer Filmfan und liebe besonders den britischen Film und die 80er Jahre Splatter-Movie, sowie die 90er mit ihren genialen Psychothrillern a´la „The 4th Floor.“ Ich selbst schreibe Buchtrailer, die etwas mehr bieten als nur das Cover und offensichtlichen Text, sowie Imagefilme, vorwiegend für Irish Pubs und bin letztes Jahr irgendwie in die Musicvideo-Schiene gerutscht. Das mache ich allerdings eher sporadisch und aus purer Lust. Mein Steckenpferd ist die Spielfilmdoku. Obwohl mein Mentor mich schimpft, da ich in seinen Augen wohl ein Talent für zynische und besondere Dialoge zu haben scheine. 
Im Moment arbeite ich an meinem ersten Script für die Theaterbühne, da im April diesen Jahres KGS als interaktive Lesung im Hamburger Imperial Krimi Theater gegeben wird. Eine gänzlich neue Erfahrung und irre noch dazu. Es macht Spaß, aber ich bleibe doch lieber beim Film.

Roger: Woher nimmst Du diese ganze kreative Energie? Ich bin baff angesichts deiner Vielseitigkeit.

Rona: Vielseitigkeit? Danke, es ist nur eines, das Schreiben. Ich bin ein sehr visueller Mensch und bediene mit meinen eigenwilligen Ideen einen bestimmten Schlag Menschen, die in der Gothic Szene anzutreffen sind – allerdings seltener als man glauben mag. 
Wirklich viel Energie habe ich allerdings nicht, es schlaucht schon ganz schön, denn immerhin habe ich ja meine eigene schriftstellerische Firma „gloomy media scriptwriting“. Die fordert viel Aufmerksamkeit. Aber die Aussicht, dass ich für mich gesehen den tollsten Job der Welt habe, reicht mir aus, auch ohne Urlaub und Spa. Obwohl ich das doch zu gern mal ausprobieren würde.

Roger: Ein Spa ist wirklich großartig, aber man muss sich die Zeit dazu nehmen. Wir kommen so langsam zu Ende unseres kleinen Werkstattberichts. Gibt es etwas, was wir nicht angesprochen haben und Dir auf den Nägeln brennt, das Du an unsere Leser loswerden willst?

Rona: Hmm, ja. Die Möglichkeiten für Autoren in Deutschland, die oftmals im Sumpf der Bestenlisten übergangen werden. Als ehemalige Buchhändlerin muss ich einfach auch einmal an die Leser dieses Interviews appellieren, sich auch mal in kleineren Verlagen umzusehen, wenn man etwas Individuelles sucht, um sich den kurzen Feierabend zu versüßen. Ich merkte, wie KGS ein wenig abgelehnt wurde, da es in einem „unbekannten“ Verlag erschien, und danach doch gut besprochen und auch anscheinend gern gelesen wurde. 
Ich erfahre wenig Unterstützung aus Hamburg, und hoffe, dass es anderen Autoren anders ergeht und sie sich in ihrer Stadt eine (kleine) Fangemeinde aufbauen können, die sie stützt. Denn das ist wichtig um weiter zu machen, gerade abseits des Mainstreams. Ich lese so viele Short Stories und Romane von jungen Autoren und auch noch weitestgehend unbekannten, und finde es schade, dass die meisten Leser noch nicht einmal von ihnen gehört haben. Ich hoffe die tollen Anthologien werden das ein wenig ändern. Es entgeht einem was, das kann man glauben.

Roger: Da stimme ich vollständig zu. Man muss nicht Heyne, Libri oder ähnlich heißen, um gute Geschichten zu veröffentlichen. KGS hat uns damals gut gefallen, auch wenn das Lektorat Schwächen hatte. Aber wie wir damals geschrieben haben, hat die Geschichte das doppelt wieder herausgerissen. Wir von den Teilzeithelden freuen uns auf jeden Fall auf „Gläsern“ und werden einen kritischen Blick hineinwerfen!

Rona: Danke dafür!

Roger: Wie immer fair und und aufrichtig schonungslos ehrlich. Ich bedanke mich bei einer aufstrebenden Autorin, die einige Dinge erfrischend anders sieht für ihre Zeit. Danke, Rona. Ich hoffe, wir können Dir die Couch etwas warm halten, bis wir uns im Spätsommer wiedersehen werden?!

Rona: Immer sehr gern! Und danke für die virtuellen Blumen und Komplimente.

Roger: Dann wünschen wir noch erfolgreiches Streben und hoffentlich hohe Absatzzahlen.

RonaWalter Clemens Richardson & Mandos Art
Miss Rona Walter

 

 Profilbild: Rona Walter – Clemens Richardson & Mandos Art 
Artikelbild: Richard Ohme  „Wintersoul“

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