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Verrat in Wort und Tat ist der erste eigenständige Szenario-Band, den ich für das neue Paranoia RPG lesen durfte. Entsprechend gespannt war ich, ob ich dem System doch wieder etwas abgewinnen können würde, nachdem ich ja von den neuen Regeln nicht wirklich begeistert war.

Erscheinungsbild


Verrat in Wort und Tat
ist ein schlankes A4-Paperback mit 40 Seiten. Für einen Abenteuerband ein guter Umfang. Ein erstes Durchblättern zeigt ein sauberes Layout mit diversen Seitenkästen, sowie wenige, aber durchaus stimmige Zeichnungen. Der Text ist gut lesbar, die Überschriften springen ins Auge – hier wurde alles richtig gemacht. 

Die harten Fakten:

  • Verlag:  Mantikore-Verlag
  • ISBN: 9783939212140
  • Auflage:  1. Auflage 2012
  • Sprache:  Deutsch
  • Preis: 10,95 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon (Klick)

Inhalt

Der Band enthält drei Abenteuer (oder besser gesagt: Szenarien) für Paranoia. Drei Szenarien? Habe ich nicht gerade geschrieben, dass das Heft einen vernünftigen Umfang für ein Szenario hat?

Nun … die Szenarien sind unterschiedlich gut ausgearbeitet, deshalb werde ich alle drei einzeln bewerten und dann ein Gesamtfazit abgeben.

Ach ja … der obligatorische Hinweis:

Alle nachfolgenden Informationen sind mit der Sicherheitsstufe ultraviolett gekennzeichnet. Ohne ausreichende Sicherheitsfreigabe für Spielleiter weiterzulesen, wäre also Verrat.

Szenario 1: Verrat in Wort und Tat

Paranoia_Verrat_Cover

Das titelgebende Verrat in Wort und Tat ist mit 5 Seiten und 1 Seite Formular das kleinste der drei angebotenen Szenarien.

Der Computer hat statistisch berechnet, wie hoch der Anteil der Verräter in der Bevölkerung des Komplexes ist, und danach eine Handvoll Troubleshooter eingesammelt, von denen statistisch gesehen einer ein Verräter sein muss. Diese Troubleshooter stecken jetzt in einem winzigen Verhörraum, und zwar so lange, bis einer von ihnen eine von drei angebotenen Straftaten gesteht.

Hier könnte das Szenario losgehen – aber leider ist es hier zuende. Die Idee des Kammerspiels wird präsentiert, ein paar mögliche Komplikationen und ein paar Beispieldialoge werden gegeben, und dann sind die vier Seiten auch schon vorbei.

Was genau in welcher Reihenfolge passiert, muss der Spielleiter improvisieren. Er wird nur dazu angehalten, die Charaktere aufeinanderzuhetzen. und möglichst viele Terminierungen zu provozieren – und auch dabei wird er leider ziemlich alleine gelassen.

Aber das ist hier tatsächlich nicht das Hauptproblem.

Wir haben hier ein Problem!

Das größte Manko dieses Szenarios ist: Paranoia funktioniert nur, weil der Computer davon ausgeht, dass der Klon eines Troubleshooters nicht das gleiche verräterische Gedankengut trägt, wie der Troubleshooter selbst. Nur deshalb tauscht er auf Missionen die Klone aus, anstatt gleich den kompletten Bottich zu terminieren.

Dieses Szenario ist aber keine Mission. Es ist eine Art Geständnis-Erpressung für ermittelte Verräter. Wenn dabei einer der Troubleshooter draufgeht, würde er vielleicht durch einen anderen Verdächtigen ersetzt, jedoch niemals durch seinen Klon, der zum Zeitpunkt des zu gestehenden Verbrechens ja noch im Klonbottich saß und sowieso nicht die Verbrecherkartei seines Vorgängers übernimmt.

Sprich: In der vorliegenden Form funktioniert das Szenario an dieser Stelle einfach nicht mit dem Hintergrund von Paranoia!

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Szenario 2: Helden des Alpha-Komplex

Das zweite Szenario Helden des Alpha-Komplex ist mit 11 Seiten (10 Seiten Szenario und 1 Seite Formular) schon etwas umfangreicher.

Ein bekannter TV-Held des Alpha-Komplex ist beim Computer in Ungnade gefallen. Da er ihn nicht einfach verschwinden lassen kann (schließlich ist er ein TV-Held), schickt der Computer die Troubleshooter mit ihm auf diverse Missionen, bei denen die Troubleshooter die Aufgabe haben, den Held möglichst unauffällig auszuschalten. Einer der Spieler bekommt dabei die Aufgabe, den Helden höchstselbst zu spielen.

In perfekter Paranoia-Manier muss man den Helden allerdings nicht nur einmal erledigen, sondern aufgrund stetig nachrückender Klone natürlich gleich mehrfach. Clou am Rande: Der Spieler des Helden weiß nicht, wie viele Klone er hat – er weiß nur, dass er mehr Klone hat als normal.

Die Szenen, in denen das passieren könnte, sind erfreulich gut ausgearbeitet und durchaus spielbar, so dass der Spielleiter einfach Szene für Szene durch das Abenteuer führen kann.

Soweit, so gut. Aber … merkt Ihr was?

Auch hier: das gleiche Problem.

Auch hier haben wir das gleiche Problem wie im ersten Szenario: Der einzige, der sich irgendetwas hat zuschulden kommen lassen, ist der aktuelle Klon unseres tapferen Helden. Sobald der also das erste Mal terminiert ist, ist der Auftrag abgeschlossen. Die folgenden Klone sind ja unschuldig.

Für den Computer wäre das die perfekte Lösung: Er kann seinen Helden wieder ins Programm nehmen, also den Klon, und alle wären glücklich. Genau, was der Computer möchte.

Dazu kommt wieder die Frage von oben: Wenn der Computer seinen Helden wirklich komplett inklusive aller Klone loswerden möchte – warum vernichtet er dann nicht den kompletten Bottich, damit keine Klone mehr nachkommen? 

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Szenario 3: Vermisster kleiner Spähbot

Das dritte Szenario Vermisster kleiner Spähbot ist mit 18 Seiten ( 14 Seiten Szenario und 4 Seiten Handzettel und Karten) die versteckte Perle dieses Szenariobandes.

Das Szenario verschlägt die Troubleshooter in den Sektor „Draußen“, wo sie einen Militärbot wieder einsammeln sollen. Dort warten neben den besonderen Gefahren des Sektors allerdings noch alle möglichen Geheimgesellschaften, die alle ihre eigenen Pläne rund um den Bot haben.

Das Szenario wird als Sandbox angeboten: Die Spieler entscheiden anhand einer Karte, wo sie als nächstes hinwollen. Das Szenario hält für diverse Punkte auf der Karte verschiedene Szenen bereit, die sich allesamt schön und Paranoia-mäßig lesen. Der Granatentest inklusive Testformular und der mögliche Kontakt zu einem Fremdkomplex haben mir besonders gefallen.

Dieses Szenario ist insgesamt vollständiger als die anderen beiden, aber auch hier muss der Spielleiter ein wenig improvisieren, um die vielen leeren Flecken auf der Karte zu füllen – oder zu überspringen.

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Preis-/Leistungsverhältnis

Für das Geld bekommt man ein brauchbares Szenario, sowie zwei, die in der Welt von Paranoia einfach nicht funktionieren. Vermisster kleiner Spähbot ist zwar ein schönes Szenario, aber es rechtfertigt alleine leider nicht den Kaufpreis des Heftes.

Bonus/Downloadcontent

Der Manticore-Verlag bietet alle Teile der Szenarien, die den Spielern ausgehändigt werden können (das heißt: Formulare und Pläne zum Spähbot) kostenlos zum Download an:  Klick

Leider wurde auch hier die Chance vertan, die fehlenden Karten nachzureichen.

Fazit

Die Autoren der ersten beiden der drei Szenarien haben leider das Thema verfehlt und keine Paranoia-tauglichen Abenteuer abgeliefert.

Daumen2maennlich

Artikelbilder: Mantikore Verlag 

 

4 Kommentare

  1. Tja, dem möchte ich ja mal komplett widersprechen :-)

    Wenn die Gedankenwelt des Computers Sinn ergeben würde, wäre es nicht Paranoia, sondern … irgendein beliebiges Sci-Fi-RPG, das eben nicht Paranoia ist. Oder mit anderen Worten: Dem Computer zu unterstellen, er würde einen Fehler machen, wenn er Klone wieder in die Zelle setzt, ist Verrat und wird mit dem Tode bestraft *bzzzzt*

    Ich finde das erste Abenteuer hervorragend. Paranoia pur auf begrenztem Raum.

    Das zweite Scenario: Es geht nicht nur darum, Mel-G-BSN zu beseitigen, sondern seinen Ruf zu demontieren. Die Fans wissen natürlich, dass er einen ganzen Haufen Klone hat (hat er bestimmt in irgendeinem Interview herausposaunt), also ist das zerbomben seiner Klontanks keine Alternative. Ansonsten: Gleiche Argumentation wie oben.

    Beim dritten Abenteuer stimme ich dir zu.

    Ich finde alle drei ganz toll. :-)

  2. Hallo zusammen,

    ich kann mich der Rezension leider nur vollständig anschließen.
    Wenn die Gedankenwelt des Computers macht auf eine verdrehte Art und Weise eben doch Sinn, gerade wenn man als Spielleiter alle Fraktionen und Faktoren die in eine Mission hinein spielen kennt.

    Während beim ersten Szenario der Tod eines Klons auch noch als Option zum Ausstieg angeboten wird, bricht das zweite Szenario mit einem Fakt der Spielwelt.
    Dabei wäre ja eine Lösung so einfach. Dreckige mutierte Kommi Verräter haben den Klontank des Stars sabotiert. Jeder neue Klon wird auch sabotiert und damit bietet jeder neue Klon eine neue Chance die Verräter zu fassen. Da das andere Troubelshooter Team natürlich auch unter den typischen Problemen aller Troubelshooter Teams zu leiden hat braucht man eben mehrere Anläufe. Die Verräter wählten den Star wegen der öffentlichen Wirksamkeit ihrer Aktion. Die Troubelshooter Zentrale beauftragte kein Elite Team da Mel als Star ja genügend Klone hat.
    Wer noch eine Ebene einbauen möchte läst einen Verräter auftauchen der nachdem die Verräter, die den Klontank sabotiert haben, gefasst wurden den Troubelshootern viele Hardcreds, interessante Ausrüstung oder ähnliches bietet wenn sie Mel töten.

    Alle drei Szenarien kranken aber zusätzlich daran das Karten und ausgearbeitete NPCs fehlen. Wobei das dritte Szenario da noch eine rühmliche Ausnahme bildet. Ok auch hier fehlen Karten aber nur bei zwei Orten kann man sie nicht schnell improvisieren.
    Leider tun die Szenarien damit nicht das was fertige Szenarien leisten sollen. Sie nehmen mir keine Arbeit ab. Denn verdrehte Szenarien kann ich mir problemlos auch selbst ausdenken. Aber NPCs erstellen und Karten zeichnen artet für mich teilweise schon in Arbeit aus. Gearde auch wenn man bedenkt das in der neuen Regelfassung die konkreten Werte eines NPCs etwas mehr Bedeutung haben können.

    Auch die gute Tradition spielbereite Charaktere für die Abenteuer zur Verfügung zu stellen hat man leider aufgegeben. Gerade das erste Szenario würde davon sicherlich sehr profitieren.

    Gruß Jochen

  3. Ich schließe mich hier auch eher Jochen an als amel.

    Man kann in Paranoia nicht alles damit entschuldigen, daß der Computer abgedreht ist. Auch, wenn „Troubleshooter“ das hier und da versucht, so darzustellen. Paranoia ist in der neuen Edition zu dem geworden, was schon immer sein Ruf war: durchgeknallt und nur für One-Shots zu verwenden.

    Das alte Paranoia konnte man durchaus auch ernst spielen, denn es war ein satirisches Spiel, und in jeder Satire steckt ein Funken ernst. Das neue hingegen forciert eine „In-Die-Fresse“-Albernheit, die mir so gar nicht zusagt.

    Wenn man diese Albernheit zugrundelegt, dann kann man damit vielleicht auch die ersten beiden Szenarien erklären. Dann müssen sich aber die Troubleshooter auch nicht wundern, wenn sie aus heiterm Himmel ein Klavier erschlägt — auch das wäre dann in der Welt von Paranoia genauso logisch wie der Rest.

    Eine Hintergrundwelt, so abgedreht sie auch sein mag, sollte vor allem eines sein: konsistent. Also: an allen Punkten gleich abgedreht. Und wenn man hier übertreibt, dann wird das ganze ganz schnell unspielbar.

  4. An dieser Stelle, mit 365 Tagen Verspätung, die Antwort: Das musste ich leider auch schon bei der Rezension des Grundregelwerkes feststellen. So sehr ich mich auf die Neuauflage auch gefreut hatte — der neue „Humor“ macht das Spiel leider kaputt. Es gibt halt eine Grenze zwischen guter Comedy und In-Die-Fresse-Klamauk, und Paranoia hat sich leider vom ersteren zum letzteren gewandelt.

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