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Pelgranes Trail of Cthulhu steht für detektivisches Rollenspiel mit Horrorkomponente. Mit Out Of Time wurden jetzt vier umfangreiche Abenteuer in einem Band veröffentlicht. Aber ist viel auch gut?

Erscheinungsbild

Das Produkt ist ähnlich wie alle Produkte von Trail of Cthulhu (im Weiteren: ToC) gehalten – minimalistische Zierleisten, dieselbe Schriftart. Das Basisregelbuch hatte noch goldgelbe Borten und sepiaähnliche Farbtöne, das PDF des Out of Time-Bandes hingegen beschränkt sich auf Graustufen.

Der Minimalismus passt durchaus zur Basisidee, die Illustrationen imitieren den Stil von Schwarzweißfotografien der dreißiger Jahre. Die verwendete Schrift und die Abstände sind nicht optimal, manche Paragraphen wirken zusammengepresst. Die Schrift hinterlässt auch nach dem Vergrößern einen uneinheitlichen Eindruck. Auch durch die Abbildungen wird der umfangreiche Text kaum aufgelockert. Ein paar sehr schön gestaltete Handouts sind vorhanden, aber für deutschsprachige Spielgruppen aufgrund der englischen Sprache nur sehr bedingt geeignet.

Die vorhandene Version ist das Kauf-PDF. Ein Index ist nicht vorhanden, und das aufklappbare Inhaltsverzeichnis ist fehlerhaft – das zweite Abenteuer erschien in umgekehrter Lesereihenfolge, und dazwischen waren bereits Elemente des dritten.

Die harten Fakten:

  • Verlag: 2012
  • Erscheinungsjahr: Pelgrane Press
  • Format: pdf
  • Seitenanzahl: 160
  • Preis: 16,95 USD
  • Bezugsquelle: DriveThruRPG.com (Klick)

Inhalt

Die folgenden Ausführungen enthalten Spoiler

OutOfTime_Cover_neu

Der Abenteuerband enthält vier Abenteuer – Not So Quiet, The Black Drop,The Big Hoodoo und Castle Bravo.

Das erste Abenteuer, Not So Quiet, konnte ich bereits auf der CatCon leiten. Es findet während des Ersten Weltkriegs hinter den britischen Linien der Westfront statt. Ein Todeskult sorgt für eine ungewöhnlich hohe Todesrate in einem Feldhospital. Spielercharaktere sind hier entweder Patienten, die gerade eingeliefert wurden, oder frisch versetzte Einsatzkräfte. Die Letzteren werden durchaus überzeugend mit einer kleinen Actionszene in den Plot hineingespielt.

Das Wirken des Kultes und interne Machtspielchen behindern die Ermittlungen. Auffällig sind hier die liebevoll gestalteten Persönlichkeiten, mit denen es die Spieler zu tun bekommen. Die Interaktion mit Nichtspielercharakteren sollte daher auch einen großen Anteil am Spielgeschehen haben. Die Beweggründe der wichtigsten Kultisten werden hierbei gut herausgearbeitet und haben Auswirkungen auf das traumhaft-surreale Finale.

Leider hat es sich beim Spielen als schwierig herausgestellt, die Charaktere in die Handlung einzubinden. Da die Gruppe mit den vorgegebenen Charakteren außerordentlich heterogen ist, kam auch wenig Kooperation zustande. Zu viele Wege ins Abenteuer, die sich nur sehr bedingt kreuzten. Viele folgten ihrer vorgegebenen Motivation, und da lag der Haken – die Motivation brachte die Gruppe nicht zusammen. Eine mögliche Lösung hierfür wird in einem Kommentar zu Playtest Issues geboten.

Die meiste Zeit wird sicher damit verbracht werden, verschiedene Ansätze zu verfolgen, die den Untrieben dennoch kein Ende bereiten. Am Ende müssen die Charaktere selbst grausam handeln, um den Kult in einer dramatischen Endsequenz aufzuhalten – und ihre eigene Haut zu retten.

Beim Spielen musste ich aber feststellen, dass sich die Logik des Autors den Teilnehmern nicht erschlossen hat. Die Story bietet hier leider nicht viele Alternativen – auf die Lösung kommen, gestoßen werden oder versagen. Beim Vorbereiten der vorgefertigten Charaktere musste ich außerdem feststellen, dass sie nur halbfertig waren.

Im zweiten Abenteuer The Black Drop reist eine Gruppe von Ermittlern zum Kerguelen-Archipel. Was ursprünglich nur wie die Auflösung einer extrem entlegenen, gescheiterten Kolonie erscheint, entwickelt sich schnell zu einem dramatischen Konflikt. Die antarktische Inselgruppe entpuppt sich als Überbleibsel des Kontinents Lemuria. Der finstere Gott aus der Vorzeit, der hier herrschte, muss alle 30 Jahre mit einem blutigen Ritual besänftigt werden. Und nicht jeder will ihn wieder schlafen legen…

Zuerst dominieren soziale Aspekte das Spiel – Interaktion mit Kolonisten, Mitreisenden und einer deutschen Expedition vor Ort. Die Insel muss schließlich unter widrigen Umständen erkundet werden, um sich zum Tempel durchzuschlagen. Hier wird das Ganze zum Wildnisabenteuer, eine Mischung, die vielleicht nicht jedem liegt.

Je nachdem, wie man das Ganze aufzieht, kann man hier auch viel Action bieten. Das ToC-System selbst unterstützt aber spannende oder abwechslungsreiche Kämpfe nur sehr bedingt. Speziell das Vordringen durch die Wildnis fordert den Spielleiter. Hier wirkt das Abenteuer schwach und nicht gut beschrieben.

Die Auflösung der Geschichte selbst erscheint etwas willkürlich. Ich kann mir gut vorstellen, dass Spieler sich der Idee verweigern, sich für ein Ritual zu opfern. Oder eben nicht den Mitgliedern der deutschen Expedition ihr Vertrauen schenken. Die angebotenen Alternativen sind nicht unbedingt überzeugend und nicht für jede Runde geeignet.

The Black Drop unterstützt von allen Modulen selbsterschaffene Charaktere am besten: Anstatt nur vorgefertigte Charaktere mit fertigen Hintergrundgeschichten anzubieten, gibt es beispielhafte Motivationen für typische Charakterkonzepte (Detektiv, Archäologe, usw.).

Geschichte Nummer 3 ist The Big Hoodoo. Sie basiert auf realen Ereignissen um den Science-Fiction-Autor und Scientology-Gründer L. Ron Hubbard, der als Gegenspieler fungiert. Die Spieler tauchen in eine Parallelwelt im Süd-Kalifornien der frühen Fünfziger ein. Im Laufe der Ermittlungen treffen die Spieler auf einen magischen Kult, Raketenwissenschaftler, „Psychohistoriker“ (Sektenmitglieder) und Science-Fiction-Begeisterte.

Schon beim Durchlesen fällt es schwer, die Beziehungen zwischen den einzelnen Figuren des Moduls zu überblicken. Jeder scheint mit jedem ins Bett zu steigen. Die eigentlichen Hinweise auf das zu verhindernde Ritual könnten übersehen werden. Auch die Zusatzregeln zu „Psychohistorik“ (als Skill) und zur Anwendung von „neo-enochischer“ Magie können das Leiten erschweren. Wer seinen Spielern aber gerne einen dicken Brocken hinwirft, ist hier gut bedient. Während das Finale einfach und geradlinig ist, gibt es auf dem Weg dahin sicherlich viele Freiheitsgrade.

Alle vorgefertigten Spielfiguren basieren auf historischen Persönlichkeiten wie den Autoren Philip K. Dick und Robert A. Heinlein. Sie entsprechen leider nicht den ToC-Regeln, sind also nicht nachzubilden mit der üblichen Charaktererschaffung.

Castle Bravo ist das letzte Modul und zugleich der Codename einer Serie von Atombombentests im Pazifik. Ein großer Teil der Handlung spielt sich dann auch auf dem Eskort-Flugzeugträger USS Bairoko ab. Die Spielercharaktere sind in die Hierarchie des Militärs eingebunden.

Ähnlich wie in Lovecrafts The Shadow Out Of Time mischen sich hier Mythos und Science-Fiction. Zeitreisen und -schleifen spielen eine Rolle. Verstrahlung, Mutation und Verwandlung sind nicht nur der Bombe geschuldet. Das alles umgeben von der nuklearen Naivität einer Epoche, die sich manche vielleicht besser vorstellen können als die 1890er, 1920er oder 1930er Jahre.

Das Ganze kulminiert in einem eher chaotischen Finale. In anderen Abenteuern muss man den Mythos suchen. Am Schluss wimmelt es hier hingegen regelrecht vor Kreaturen verschiedenster Art. Trotzdem hat mich von Anfang bis Ende an Castle Bravo das Ungewöhnliche, das Andere gereizt.

Was am Gesamtband auffällt, ist, dass die Regeln sehr unterschiedlich angewendet werden. Damit reiht sich der Band nahtlos in alle anderen ToC-Abenteuer ein, die ich bisher gelesen habe. Die Autoren scheinen sich uneins zu sein, wie man das Spielsystem anwendet. Durch solche Unstimmigkeiten werden Spieler natürlich auf eher Dauer verwirrt, und ein Gewöhnungseffekt und bessere Regelkenntnis ergeben sich so nur sehr bedingt. („Beim letzten Mal haben wir das aber anders gehandhabt…“)

An ein gemeinsames Format für den Spielleiter halten sich die Module jedoch alle. Hinweise, die sich Spieler erarbeiten können, sind klar hervorgehoben und die passenden Ermittlerfähigkeiten vermerkt. Ich greife beim Leiten gerne darauf zurück, einen Ausdruck zu haben, auf dem ich gegebene Hinweise in einer Szene durchstreiche. Wenn die Spieler von Szene zu Szene springen, sind die Hinweise aber nicht immer leicht wiederzufinden.

Bei ToC lässt sich mit relativ wenigen Regeln ein detektivisches Spiel aufziehen. Wo das nicht ausreicht, werden ein paar situationsspezifische Regeln angeboten (z.B. für Ertrinken oder magische Rituale). Der Text begleitet den Keeper (Bezeichnung der SL in ToC) umfassend, d.h. man fühlt sich umfangreich informiert. Durch die Textfülle gibt es sehr viel zu lesen und zu merken. Das macht eine gründliche Vorbereitung für Spielleiter nötig.

Preis-/Leistungsverhältnis

Ursprünglich existierte „Out of Time“ nur als Bundle bei DriveThruRPG, und ich habe über 20 US$ dafür bezahlt. Das gegenwärtige Produkt enthält noch ein paar eingearbeitete Zusatznotizen und kostet nur noch 16,95 US$. (Ich habe trotzdem noch ein freies Upgrade von Pelgrane Press bekommen.) Für vier relativ lange Abenteuer (160 Seiten) ist das ein mehr als fairer Preis. Die Abenteuer lassen sich auch gezielt einzeln erwerben:

  • Trail of Cthulhu: Not So Quiet (Klick)
  • Trail of Cthulhu: The Black Drop (Klick)
  • Trail of Cthulhu: The Big Hoodoo (Klick)
  • Trail of Cthulhu: Castle Bravo (Klick)

Bonus/Downloadcontent

Es scheint auf Pelgranes Homepage keinen spezifischen Downloads zu diesem Abenteuerband zu geben.

Fazit

Ich hatte mir die Sammlung spontan nur wegen Castle Bravo gekauft. Ich war dann von anderen Abenteuern auch angetan. Ich kann mir gut vorstellen, weitere der Module zu leiten. Es ist sicher für verschiedene Geschmäcker etwas dabei.

Daumen3maennlich

Artikelbilder: Pelgrane Press

 

3 Kommentare

  1. Schade, einen ähnlich durchwachsenen Eindruck hat ja auch „Eldritch Tales“ hinterlassen. Was nützen einem die coolen Ideen der Szenarioschreiber, wenn sie einem dann so halbgare Produkte vorsetzen?
    Ich werde in Zukunft die Finger von ToC lassen, sowohl vom Regelwerk als auch von den Szenarios.

  2. Hallo, ghoul.

    Ja, da hast Du sicher Recht. Ich habe aber auch schon sehr stimmige Runden geleitet, wie z.B. „The Rending Box“, das man nur empfehlen kann. Auch „Not So Quiet“ werde ich bestimmt noch einmal auf einer Con oder im Verein leiten – ich würde es anders anlegen, und dann würde es auch gut funktionieren, denke ich.

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