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Ich muss heiraten.

Der Mann mit dem weißen Bart und dem Zauberstab besteht darauf und ich weiß, es wäre dumm, ihm zu widersprechen. Bart, Zauberstab und Rat sind die universellen Zeichen für „magischer Mentor“. Es ist egal, ob sich der Träger Gandalf oder Gorion nennt – oder, wie in diesem Fall, Zalandor. Auf einen magischen Mentor höre ich. Es ist ein Reflex. Also Heirat.

Auch wenn ich eigentlich damit gerechnet hatte, jetzt gerade Armeen in die Schlacht zu führen.

Der leitende Entwickler von Dragon Commander war deutlich: Wir sollten direkt losspielen. Er beschrieb das Spiel als „Mischung aus Supreme Commander, Total War und Action-Shooter“ und obgleich das für mich als Strategiefreund interessant klingt, ist davon nicht viel zu sehen. Stattdessen blickt mich auf dem Bildschirm der magische Heiratsvermittler mit dem Schuhverkäufernamen an und erklärt mir die Details politischer Eheschließungen.

Eine Brautschau in einem Echtzeitstrategiespiel ist ungewöhnlich. Und allein das macht sie schon interessant. 

Dragon Commander - Untote Dame
Im Spiel wirkt sie noch rundlicher – ernsthaft, wie macht sie das?

Als erfahrener Spieler erwarte ich keine großen Überraschungen – doch die Entwickler stellen mir ein weibliches Skelett gegenüber. Das ist neu. Die Dame gehört zum Volk der Untoten (offensichtlich) und tritt in Konkurrenz zu einer schlanken Elfe, einer vollbusigen Zwergin und einer hübsch blaubeschuppten Echse. Ich bewundere die Knochendame dafür, dass ihr Kleid trotz fehlenden Fleisches in sehr weiblichen Formen über ihr, nun ja, Skelett fällt. Das weist auf Erfahrung hin. Ich entscheide mich für sie.

Weißbart Zalandor ist leicht irritiert. Doch er respektiert meine Entscheidung. Ein guter Mentor weiß, wann man den Zögling seine eigenen Fehler machen lassen muss.

Als ich später weitere Previews für das Spiel lese, merke ich: Ich bin nicht der Einzige. Eigentlich mag ich ja Damen mit Fleisch auf den Knochen. Und ich gehe davon aus, dass keiner der Tester nekrophil ist. Also muss es etwas anderes sein. Ich denke, es ist Innovation. Die Dame riecht geradezu danach, trotz fehlender Drüsen. Verlockend, in einer Zeit des Einheitsbreis.

 

 

 Politische Konflikte im Fantasy-Gewand

 Wie dem auch sei, nun scheinen mich die Untoten zu mögen. Einer der Entwickler erzählt mir mehr über sie: Die Knochenfreunde haben eine fundamentalistisch-religiöse Gesellschaft. Im Gegensatz zu den Zwergen, die echte Kapitalisten sind, dazu noch konservativ. Oder den umweltfreundlich angehauchten, kommunistischen Elfen. Oder den Echsen, die sehr auf individuelle Freiheit bedacht sind. Oder den Imps, Freunden der Wissenschaft ohne lästige moralische Bedenken.

Der Fan fantastischer Welten in mir ist entzückt. Vor allem, als die Zwerge im Verhandlungszimmer die Frage aufwerfen, ob die ärmeren Anteile der Bevölkerung Organe spenden dürfen – gegen Bezahlung. Mit der obligatorischen Zigarre im Mund erklärt der Zwergenbotschafter, es ginge ihm dabei natürlich vor allem um verwundete Soldaten. Sein elfischer Kollege ist entsetzt: Er befürchtet einen Missbrauch. Die Echse ist dafür, sofern alles gesetzlich geregelt ist. Der Imp freut sich darauf, Organfarmen eröffnen zu dürfen. Und der Untote bleibt neutral – er hat keine Organe.

Dragon Commander - Anton beim Spielen
Beim Testen von Dragon Commander erwartete ich eigentlich Strategie. Und dann ging es plötzlich um Organspenden!

Solche Entscheidungen sollen dem Spieler im fertigen Produkt immer wieder begegnen. Ein Entwickler erklärt mir, man habe sich dabei an aktuellen politischen Konflikten orientiert. Er wirkt ein wenig nervös: In der nächsten Woche steht eine Präsentation in den USA an. Und einer der Konflikte dreht sich um Abtreibung… Ein mutiger Versuch, auf dessen Ergebnis ich gespannt bin.

Und all das ist offenbar wichtiger Teil des Spiels: Mein Begleit-Entwickler erklärt mir, dass ich bereits taktisch handle. Mit welchem Volk man sich gut stellt, hat Einfluss auf die gesamte Einzelspielerkampagne. Ein Zwergenfreund erhält Wirtschaftsboni, wer hingegen die Imps unterstützt, darf schneller forschen. Auch auf das Missionsdesign soll die Diplomatie eine Auswirkung haben. Tatsächlich scheint es das Ziel von Larian zu sein, die Rollenspielelemente als starken Gegenpol zum eigentlichen Strategiespiel zu setzen.

Strategie bietet viel Gewohntes

Kurz darauf, als es an die eigentliche Strategie geht, merke ich bald, dass dieser Rollenspielteil das Wichtigste am ganzen Spiel sein könnte. Denn was sich mir in der Multiplayerpartie bietet, ist zu großen Teilen Standardkost. Angenehm umgesetzt, aber im Vergleich deutlich weniger innovativ. Und nicht ohne Mängel.

Ich lande zuerst auf einer Übersichtskarte mit Territorien. In typischer Total-War-Manier kann ich dort rundenweise Armeen produzieren und verschieben, Gebäude bauen und Ressourcen erhalten. Zudem kann ich Karten ausspielen, die ich entweder durch Diplomatie oder Gebäude erhalte. Doppelte Produktion? Danke, liebe Zwerge!

Die Karte erinnert an ein Brettspiel, die Einheiten sehen aus wie Spielfiguren. Und sie ähneln sich stark. Habe ich jetzt Infanterie? Oder schwere Einheiten? Auf den ersten Blick kann ich es nicht sagen. Aber der Entwickler neben mir verspricht, dass das bis zum Release anders wird.

Nach einigen Zügen begegnen sich die Truppen auf der Übersichtskarte und wir wechseln in die Schlachtansicht. Doch statt Bergen und Flüssen sehe ich zuerst blau. Meine Kamera hängt in einer meiner Einheiten, in einer ungünstigen Perspektive. Ich erfahre von der komplizierten Kameraführung. Und auch diese soll zum Release besser werden. Nun ja.

Meine Einheiten ziehen los. Ich nehme Stellungen ein, auf denen ich entweder Zugriff auf die Bevölkerung erhalte – den Rohstoff auf der Schlachtkarte, der je nach Terrain variiert. Inseln haben eine kleine Bevölkerung, Ebenen eine große. Der Trick ist, dass die Gesamtbevölkerung nach und nach abnimmt. So ist jeder Spieler gezwungen, sich ein möglichst großes Stück vom Kuchen zu sichern. Allerdings fehlt mir oft noch die Übersicht, eine Minikarte gibt es noch nicht, zum Release…

Und dann erfahre ich von der Drachenform.

Mein Alter Ego – der Düsendrache

Für einen Moment denke ich an den Beginn der Präsentation zurück, bevor es ans Heiraten ging. Da war diese Hintergrundgeschichte mit vielen Klischees. Bastard-Sohn eines grausamen Drachenherrschers, gefunden von Zalandor, dem Mentor, der einem von den bösen Geschwistern erzählt, die man nun besiegen muss…

Jetzt wird diese Geschichte auf einmal höchst relevant. Denn ich, der Dragon Commander habe offensichtlich die Gene meines Vaters geerbt. Ich kann zum Drachen werden. Mit Düsenantrieb! Wer schnallt einem Drachen einen Düsenantrieb auf den Rücken? Mit solchen Fragen schlage ich mich herum, während ich einen gigantischen Feuerball auf die gegnerischen Truppen schleudere. Ein paar Schüsse in bester Third-Person-Shooter-Tradition hinterher und die Panzerkolonne ist hinüber.

Dragon Commander - Drachenform
Der Wechsel zwischen Drachenperspektive und Strategieperspektive verwirrt gelegentlich.

 Dann trifft mich selbst Feuer. Es ist der Gegner, der ebenfalls in die Drachenform gewechselt ist. Der Düsenantrieb wird plötzlich überlebenswichtig, links, rechts, Ausweichmanöver, Schuss, Schuss… und dann ist er verschwunden. Tot.

Vermutlich meinte er Entwickler diese Form, als er Wing Commander erwähnte. Nicht der passendste Vergleich. Aber die Drachenform ist eine clevere Idee. Vielleicht wird sie sich im eigentlichen Spiel schnell abnutzen – das wird erst das fertige Produkt zeigen. Aber sie macht Spaß und bietet Vorteile für einen Spieler, der sie geschickt einzusetzen weiß. Sie ist eine dritte Ebene nach Strategiekarte und Echtzeitspiel. Eine weitere Innovation.

Fazit

Am Ende der Vorführung bedauere ich, nur so wenig vom Spiel gesehen zu haben. Nicht, weil ich denke, dass ich das Spiel des Jahres vor mir hatte. Sondern weil ich hier, in dieser Vorab-Version mit all ihren kleinen Fehlern, den Mut zu Neuem bemerkt habe. Ein Mut, der vielen Spielen fehlt. Fantasy-Völker mit den Standpunkten moderner politischer Parteien? Eine Organspende-Debatte mit Steampunk-Anteil? Eine Shooter-Drachenform in einem klassischen Strategiespiel? Super!

Vor allem aber möchte ich wissen, wie die Romanze mit meiner skelettalen Gattin weitergeht. Denn wenn Larian Studios es schafft, neben solider Strategie auch einen starken Rollenspielteil zu erschaffen, dann könnte Divinity: Dragon Commander ein Erfolg werden.

Denn Spieler mögen Innovation. Und ganz ehrlich – ich wäre auch ohne Weißbart Zalandor bereit gewesen, eine Untote zu heiraten. Wann bekommt man sonst die Chance dazu?

 

 

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