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Im diesem Monat beschäftigen wir uns verstärkt mit dem Thema „Fremde Kulturen“. Und wir alle kennen aus diversen Rollenspielen ebensolche fremde Kulturen, die entstanden sind, weil in ihrer Welt andere Bedingungen herrschten, als in unserer (Magie, andere Völker, etc.).

Aber was passiert, wenn wir unsere eigene, eigentlich gar nicht fremde, Kultur nehmen, und an einer fundamentalen Stelle etwas verändern? Und zwar nicht als Alternate History, sondern wirklich die Welt, wie wir sie bis heute kennen, in der sich plötzlich etwas ereignet, was unser so vertrautes Universum aus den Fugen geraten lässt und dadurch unsere Kultur völlig auf den Kopf stellt. Dieser Artikel soll eine Art Gedankenspiel sein, wie man eine solche Welt gestalten könnte, um auch alte Rollenspielhasen mit etwas Neuem zu überraschen.

Die Veränderung

Eine Änderung, die solche Auswirkungen haben könnte, wäre zum Beispiel der Wegfall jeglicher Technologie über einem gewissen Niveau von einem Moment auf den anderen. Plopp – Licht aus…

Wie weit hier die Technologie zurückgeworfen wird, kann man natürlich variieren und damit auch den Stil der eigenen Runde beeinflussen. Wenn man zum Beispiel Schwarzpulver und Sprengstoffe noch funktionieren lässt, so erhält man ein Setting, das dem wilden Westen nahesteht. Wenn man auch diese wegfallen lässt, befindet man sich schnell im Bereich Renaissance oder sogar Mittelalter.

Die Ursache

Natürlich liegt es nahe, bei so etwas direkt nach einer Ursache zu fragen. Denn das wird auch etwas sein, wonach die Spieler und damit die Charaktere in dieser unschönen neuen Welt suchen werden.

Hier bieten sich je nach Geschmack verschiedene Dinge an, zum Beispiel:

  • Vorbereitung einer Alieninvasion, die zuvor die Verteidigung des Planeten zerstört
  • Gottes Strafe für die Sünden der Menschheit, eine Art digitale Sintflut
  • Ein fehlgeschlagenes Regierungsexperiment, das auf Quantenebene etwas zerstört hat
  • Der Beginn eines neuen Zeitalters, in dem Magie zurückkehrt und dafür Technologie keine Wirkung mehr hat

Und vielleicht ist die Ursache ja auch etwas, was man wieder rückgängig machen kann? War das Experiment der Regierung gar kein voller Misserfolg sondern einfach nur ein Testlauf, der einen größeren Bereich betroffen hat, als er sollte? Oder vielleicht ist ja auch gar nicht die ganze Welt betroffen…

Die Folgen

Direkt nach dem Wandel

Wenn man auch nur ein paar Sekunden darüber nachdenkt, wie unsere moderne Welt funktioniert, wird jedem sofort klar, dass sie das ohne Elektrizität, ohne Computer, vielleicht ohne funktionierende Motoren und Waffen, nicht mehr tun wird.

Ballungszentren in der zivilisierten Welt sind rein technisch gar nicht in der Lage, genug Nahrung für so viele Menschen zu produzieren. Und wenn die Nahrung nicht mehr von anderswo geliefert werden kann, wird es zu unzähligen Opfern kommen, und damit verbunden natürlich auch zu Ausschreitungen und völligem Chaos.

Sobald das Essen überall knapp wird, werden sicherlich auch Leute auf die Idee kommen, den dicken Nachbarsjungen als Nahrungsquelle in Betracht zu ziehen.

Sollten Feuerwaffen noch funktionieren, so ist es denkbar, dass die Ordnungskräfte zumindest ein Stück weit ihre Aufgabe erfüllen können. Wenn diese wegfallen, werden sie nicht genug Leute haben und sehr schnell untergehen oder eine andere Lösung finden müssen.

Geld wird sehr schnell bedeutungslos werden. Zum einen dadurch, dass der Großteil des Geldes heute nur virtuell existiert, zum anderen aber auch dadurch, dass man es nicht essen kann und es auch nicht vor Krankheit und Wetter schützt. Damit wird Geld als die Illusion erkannt, die es auch heute schon ist, an die wir alle aber glauben, weswegen sie aktuell (noch?) funktioniert.

Auf persönlicher Ebene werden durch den Wegfall jeglicher Fernkommunikation Familien und Freundeskreise auseinandergerissen werden, und es werden sich neue Zweckgemeinschaften bilden müssen, die gemeinsam versuchen, zu überleben.

In den ersten Wochen und Monaten wird Altruismus ein wahrer Luxus werden, und die Alten, Kranken und Schwachen werden vielleicht sogar irgendwann von den engsten Freunden und Verwandten dem eigenen Überleben geopfert werden.

Mit anderen Worten: Die Hölle auf Erden!

Am Ende der Übergangsphase wird die Bevölkerung gerade in dicht besiedelten Gebieten massiv dezimiert sein, und alle, die diese Zeit miterlebt haben, werden davon bis ans Ende ihres Lebens gezeichnet sein.

Nach einiger Zeit

Aber irgendwann wird sich der Staub auch wieder legen und es wird eine neue Gesellschaft entstanden sein.

Ohne Kommunikation und schnelle Transportmittel wird eine zentrale Regierung unmöglich. Aber es gab in der Geschichte genug Modelle, die irgendwelche schlauen Köpfe wieder für angebracht halten werden. Stadtstaaten, Feudalsysteme, eine Föderation wie in den frühen USA. In der ersten Generation werden aller Voraussicht nach Menschen an Führungspositionen gelangen, die entweder unverschämtes Glück hatten, vorher schon Macht hatten und diese halten konnten, oder aber Menschen, die sich in der Zeit des Wandels besonders hervorgetan haben – entweder durch wahre Führungsqualität oder vielleicht auch einfach nur durch Skrupellosigkeit.

Ob die Positionen an der Spitze der jeweiligen neuen Regierungsgebilde dann auf demokratische Art und Weise weitergegeben werden, oder ob auch dort zu anderen Systemen (zurück-)gewechselt wird, hängt maßgeblich davon ab, was für Personen die Macht in der ersten Generation erlangen.

Natürlich werden auch die Religionen sich verändern. „Die Strafe Gottes“ ist durchaus eine Erklärung, die vielen Menschen einleuchten wird, und so werden radikalere Gruppierungen in den Kirchen durch den Wandel gestärkt werden.

Gegenden, in denen Landwirtschaft nicht möglich ist, werden zu unbewohnten Zonen geworden sein, in allen anderen Gebieten wird sich die Bevölkerung auf einem Maß einpendeln, das mit den lokalen Ressourcen versorgt werden kann. Und wenn sie dennoch weiter wächst, muss man dann natürlich sein Gebiet ausweiten, was irgendwann zu Grenzkonflikten führen wird.

Tauschhandel wird vermutlich auch wieder abgelöst werden durch ein anderes System, vielleicht Gold, vielleicht etwas völlig Anderes, nun Seltenes, wie CPU Chips oder Plastikpokerchips.

Auf den ersten Blick haben wir also eine Gesellschaft, wie wir sie in der Geschichte schon einmal recht ähnlich hatten. Aber eben nur auf den ersten Blick. Die Aufklärung und all ihre Folgen hat in unserem Denken seit Generationen tiefe Spuren hinterlassen und eine Rückkehr zu einem System, das auf Unwissenheit und Angst beruht, ist nur schwer vorstellbar. Aber selbst wenn es soweit kommt, wird es weit mehr gebildete Gegner eines solchen Systems geben.

Und auch sind die Naturgesetze weit besser erforscht als früher und nicht jede Technologie basiert auf Elektrizität, Hochenergie oder Explosionskräften. Viele Dinge sind auch rein mechanisch möglich und werden so für einige Überraschungen sorgen können. Die Straßen werden nicht unbeschadet bleiben, aber noch für viele Jahre werden Fahrräder, die auf diesen fahren, das schnellste Fortbewegungsmittel sein.

Im Konfliktfall ist eine Luftaufklärung mit Heißluftballons denkbar, gentechnisch verändertes Saatgut kann auch dort gedeihen, wo früher nichts wuchs. Und die menschliche Anatomie ist bekannt genug, um immer noch eine gewisse medizinische Versorgung zu ermöglichen.

Und sicherlich wird, sobald die Situation sich stabilisiert hat, danach geforscht werden, was passiert ist und wie man es vielleicht umkehren kann.

Aber vielleicht hat das ja auch schon einer der neuen skrupellosen Machthaber herausgefunden, sitzt auf dem Schlüssel, und will seine Macht nicht wieder hergeben?

Und vielleicht wurde ja auch festgestellt, dass sich noch mehr verändert hat und plötzlich ganz andere Dinge möglich sind? Magie zum Beispiel.

Und wenn das der Fall ist, wie sehr würde sich dann eine solche Welt nach ein paar hundert Jahren noch von einer Fantasywelt unterscheiden? Würde alles in Vergessenheit geraten und eine Gruppe junger Helden stößt auf mysteriöse Spuren der fernen Vergangenheit?

Inspiration

Ich bin natürlich nicht der erste, der auf eine solche Idee gekommen ist, und viele der Möglichkeiten oben habe ich schon in dem einen oder anderen Werk gefunden und hier dann wiedergegeben.

Maßgebliche Quellen waren dabei die wunderbaren Emberverse Bücher von S.M. Stirling, die es nur auf Englisch gibt. Angefangen bei Dies the Fire, beschäftigen sich die ersten drei Bücher mit den direkten Folgen des Change. Ab Buch 4, The Sunrise Lands wird die Handlung dann eine Generation nach weitergesponnen und die Kinder der Protagonisten der ersten Bücher werden zu den Helden einer neuen Generation, die die alte Welt gar nicht mehr richtig kannte.

Auch Ideen aus der amerikanischen TV Serie Revolution findet ihr oben wieder. Im Gegensatz zum Emberverse, in dem die Ursache für den Wandel wenig bis gar nicht betrachtet wird, steht diese hier im Mittelpunkt des Geschehens. Auch funktionieren Feuerwaffen noch und es geht mehr um Geheimnisse als um gesellschaftliche Grundfragen. Die erste Staffel setzt bereits 15 Jahre nach dem Wandel ein und ist bisher nicht auf Deutsch erhältlich.

Aber nicht nur westliche Autoren haben Ideen in dieser Richtung gehabt, sondern auch im japanischen findet man solcherlei. Ich würde hier gerne eine Serie empfehlen, aber leider wäre das ein gigantischer Spoiler!

Spoiler

Immerhin den Namen will ich euch nennen: Scrapped Princess. Das Setting erscheint als Fantasysetting, aber die Empfehlung in eben diesem Artikel lässt euch schon einen Teil der Auflösung erahnen. Es bleibt aber genug übrig, sich die wirklich gute Serie dennoch anzusehen ;)

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Fazit

Um ein spannendes Setting zu erhalten, muss man nicht unbedingt in die weite Zukunft oder in eine andere Welt blicken. Auch unsere eigene Welt kann man mit einem simplen Kunstgriff zu etwas völlig Neuem machen.

Das oben angerissene Setting eignet sich hervorragend für eine Con-Runde, in der man dann in der heutigen Welt anfängt, die Spieler idealerweise gar nicht wissen, was auf sie zukommt, und sie dann den Wandel selbst erleben und versuchen müssen, damit klar zu kommen. Ob man daraus dann einen reinen Überlebenskampf macht, sie auf die Lösung zur Umkehrung stoßen lässt oder etwas ganz Anderes plant obliegt dann dem Geschmack von SL und Runde.

Für Kampagnen kann es eine spannende Sandbox sein, in der man vielleicht auch mit dem Wandel an sich anfängt, um dann, nachdem die Charaktere mit ihren Taten definiert haben, in welche Richtung sich die Welt entwickelt, ein oder mehr Generationen in die Zukunft springen kann, um zu erleben, welche Folgen die eigenen Taten hatten.

Habt ihr noch Ideen, die ich oben nicht erwähnt habe? Hat jemand Lust, eine solche Runde zu leiten und sucht noch einen Spieler?


Dieser Artikel ist Teil der Thementage Fremde Kulturen. Hier geht es zur Übersicht: Klick

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 Artikelbild: bschwehn auf sxc.hu

9 Kommentare

  1. Ich empfehle gerne, gerade wenn man ein solches Setting spielen will immer gerne die Bücher von Andreas Eschbach, zum Beispiel das hier: http://j.mp/eschbach_ausgebrannt
    Auch Blackout und die Nachfolger sind eine gute Inspirationsquelle. Zusammen mit Savages World kann man hier auch schön (und schnell) ein eigenes Setting erschaffen …

  2. … ich stimme dir bedingt zu. Teilweise hat man den Eindruck das er aufhört weil das Buch nur x Seiten haben sollte …

    Aber bisher habe ich kein Buch von Ihm gelesen was nicht dazu führte das ich unweigerlich eine Plot Idee hatte, selbst bei „Der letzte seiner Art“ ( http://j.mp/Yt6tVz ) ist mir die Idee für ein Setting gekommen.

    Aber die Gnadenlos gute Recherche seiner Bücher und der Hintergründe machen die Bücher immer wieder gut. Gerade Lese ich „Tomorrow Code“ (http://j.mp/10PRiTA ) und auch das bietet sehr viele Ansätze.

  3. Ja, Ausgebrannt geht in die gleiche Richtung, auch wenn es da nicht der Strom ist, der fehlt, und die Ursache eine hier noch völlig unerwähnte ist, nämlich Ressourcenknappheit.
    Ein sehr gutes Buch, auch wenn es, wie so oft bei Eschbach, irgendwie kein besonders starkes Ende hat. Der Mann hat grandiose Ideen für seine Bücher, aber Enden kann er wirklich nicht ;)

  4. Also in Revolution wurde zuletzt bekannt gegeben wieso der Strom ausgefallen ist und vorallem wieso er aus bleibt (Wieso also ein einfacher Fahrrad-Dynamo nicht mehr funktioniert)

    Es ist keiner der im Artikel genannten Gründe,..

  5. Die Aufzählungen unter „Die Folgen direkt nach dem Wandel“ halte ich für arg spekulativ. Es gibt genügend Krisen, bei denen sich die Menschen plötzlich sehr altruistisch verhalten, weil sie nur noch durch Zusammenhalt weiterkommen. Dass Menschen ihren Nachbar verspeisen, weil das Essen knapp wird, kommt wohl nicht regelmäßig vor – dafür gibt es zu viele Hungertote und zu wenig verspeiste Nachbarn in unserer Welt. Ich glaube, da sind wir mit unserer Vorstellungswelt von Anarchie und Chaos stark von der Unterhaltungsindustrie geprägt.

    Was passiert, wenn plötzlich der Strom ausfällt: Alle Kernkraftwerke weltweit machen nach spätestens einer Woche „bumm“. (Wenn nur die Versorgung ausfällt. Wenn die „Elektrizität“ an sich plötzlich nicht mehr funktioniert, dann geht es sehr viel schneller).

  6. Etwas wird bei solchen Szenarien gerne vergessen: 4 von 5 Stickstoffatomen in unserem Koerper kommen aus kuenstlicher Stickstoff-Fixierung. Eine Frau Professor Powell hat hier einmal einen Vortrag gehalten und darin erwaehnt, dass ihrer Information nach 30% (!) der weltweiten Stromproduktion in die Stickstoff-Fixierung geht. Will heissen, ohne Strom (oder aehnliche Energie) koennen nur 1/5 der heutigen Menschheit ernaehrt werden. 4/5 der heutigen Menschheit werden in solch einem Szenarion also schlicht verhungern…

    OK, wohl nicht ganz so viele, denn sicherlich laesst sich der STickstoff effizienter nutzen als wir das bisher tun, aber mindestens die Haelfte wird immer noch sterben. Das wird mal RICHTIG haesslich. Will ich nicht erleben muessen…

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