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Oder: „Im Buch steht, dass man das spielen kann!“

Seit D&D und Pathfinder die Möglichkeit eröffnet haben, bestimmte Wesen aus den Monsterhandbüchern als Spielercharaktere einzusetzen, nimmt die Charakterzusammensetzung innerhalb der Spielgruppen interessante Züge an. Während einige der Wesen noch halbwegs menschlich aussehen, stößt bei anderen selbst das Wort „grotesk“ an die Grenzen seiner Beschreibungsfähigkeit.

Folgende Situation kennt beinahe jeder Rollenspieler: Die Helden sitzen am Tisch in der Taverne, ein möglicher Questgeber betritt den Raum. Er fragt den Wirt „Wo finde ich hier tapfere Recken, die für etwas Gold bereit wären, …“. Der Wirt zeigt auf die Heldengruppe, und das Abenteuer kann beginnen.

Soweit, so gut.

In der gleichen Situation steckte ich als Pathfinder-Spieler schon des öfteren, nur dass ich mir mindestens genauso oft dachte „Der muss den Wirt für bescheuert halten.“

Ich meine … stellt Euch mal vor, Ihr habt eine wichtige Mission zu erfüllen, und der Wirt verweist Euch an … ein abgemagertes Etwas mit blasser Haut, einen lustig umherflatternden Teufel, einen Frosch und einen bläulichen Vogel, die zusammensitzen und sich ein Bier genehmigen. Würdet Ihr allen Ernstes da rüber gehen?

Ich würde wahrscheinlich kurz innehalten, um die aufkeimende Assoziation mit der Sesamstraße zu unterdrücken, und danach die Taverne wieder verlassen, um meine Suche nach einer Heldengruppe fortzusetzen.

Diese Situation ist gar nicht mal so übertrieben, in meiner derzeitigen Pathfinder-Runde läuft tatsächlich ein Froschwesen mit – das Vogelwesen hat leider den ersten Kampagnenband nicht überlebt. Die anderen Teilnehmer der Expedition sind ähnlich exotisch. Ich hatte anfangs noch einen menschlichen Charakter gebaut, und ich erinnere mich noch gut, wie irgendwann die Beschreibungen der Charaktere, mit denen wir auf dem Schiff waren, über die Mailingliste kamen. Irgendwann habe ich dem Spielleiter eine halb ernst gemeinte Mail geschrieben: „Ich will auch etwas buntes!“

Halb ernst, weil es natürlich spaßig formuliert war, aber dennoch einen ernsten Punkt berührt hat: Diese Charaktere sehen nicht nur total witzig aus, sie haben auch alle irgendwelche Spezialfertigkeiten. Dinge, die der Mensch nicht hat. Swim speed und ich meine auch climb speed beim Froschwesen beispielsweise.

Die einen nennen es Neid, ich nenne es Anpassung an die Gruppe – je exotischer die Gruppe ist, desto mehr muss man selbst auftrumpfen, um noch eine Rolle innerhalb der Gruppe zu erfüllen. Wenn der eigene Charakter nur irgendetwas „auch“ kann, wird er leider sehr schnell zur Nebenfigur.

Das ist ein Effekt, den ich eigentlich sehr schade finde. Gut, in dieser speziellen Runde ist es der Stil der Runde, so zu spielen, und da passt man sich dann als Mitspieler auch an – oder spielt halt woanders.

Andererseits gelte ich als sehr restriktiver Spielleiter, weil ich in meinen eigenen Runden (in der Regel) keine Charaktere zulasse, deren Spezies aus einem der Bestiaries stammt.

Das hat schon zu einigem Betteln geführt, aber ich habe da immer ein wenig die Spielwelt und den Spielfluss im Auge: Wenn man einen Großteil der Zeit damit verbringt, die Reaktionen der Bevölkerung auf die selteneren Spezies zu beschreiben, und die sich daraus ergebenden Probleme in der sozialen Interaktion berücksichtigt, dann kommt man, salopp gesagt, einfach nicht vorwärts. Das ist vielleicht ein paar Spielabende lang interessant, aber irgendwann fängt es an, zu stören.

Sobald es anfängt, zu stören, fangen Spielleiter und Spieler an, dieses Charakterspiel mehr und mehr einzuschränken, bis die fremdartige Spezies irgendwann auf ihre spieltechnischen Vorteile reduziert ist.

Schlimmer noch: In der nächsten Charaktererschaffungs-Runde wird davon ausgegangen, dass das eh wieder passieren wird, und die Spezies nur noch nach den Vorteilen gewählt, nicht mehr nach den sozialen Einschränkungen.

Das Problem gibt’s übrigens nicht nur bei Pathfinder – hier fällt’s mir nur am stärksten auf. Wenn man sich beispielsweise bei Shadowrun als Spielleiter mal die Mühe macht, die soziale Interaktion mit einem Troll richtig darzustellen, oder aber auf Probleme beispielsweise beim Einsteigen in ein normales Auto hinweist, wird man ganz schnell gefragt, warum man den Troll-Charakter so gängelt. Der Troll hat enorme Vorteile durch seine Größe, die durch sein geringes Ansehen in der Öffentlichkeit teilweise kompensiert werden. Ohne diese Kompensation ist der Troll einfach nur ein Charakter wie alle anderen, nur mit besseren Werten.

Deshalb ein Appell an Spieler und Spielleiter: Liebe Spieler, überlegt Euch bitte, was es bedeutet, diesen Charakter in der Welt zu spielen, und welche sozialen Nachteile dadurch entstehen können. Wählt die Spezies nicht nur nach den Werten aus, sondern überlegt Euch konkret, wie das Charakterspiel aussehen wird. Und liebe Spielleiter, bitte bietet dieses Charakterspiel.

Ich bin übrigens in besagter Runde zu einem Halbork-Kämpfer gewechselt. Nicht ganz so bunt, genauer gesagt: eher aschgrau, aber ausreichend Nicht-normal, um mir damit einen Platz in der Runde zu behaupten. Ein „stimmiger“ Charakter kann nämlich ganz schön langweilig sein, wenn die ganze Action an einem vorbeizieht, ohne, dass man da was zu beitragen kann. In so einer Runde einen Menschen zu spielen wäre ungefähr so, wie bei Shadowrun einen stummen Pazifisten mit Kampflähmung zu spielen. Aber wie gesagt: Es kommt auf den Stil der Runde an, auch diese Runde macht mir viel Spaß, denn es ist allen klar, wie gespielt wird ;-)


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Artikelbild: johnnyberg auf sxc.hu

 

11 Kommentare

  1. Äh… das Problem, oder besser gesagt die Möglichkeit so etwas zu spielen gab es auch schon bei D&D 3.0

    Ist die Welt von Pathfinder sehr intollerant gestaltet? Oder wie kam es dazu, dass dieses Problem jetzt auftritt?

  2. Die Pathfinder-Welt ist, je nach Landstrich, mehr oder weniger Tolerant gegenüber anderen Wesen. Allerdings wird auch desöfteren darauf hingewiesen, daß die Hauptbevölkerung der zivilisierten Welt immer noch aus den üblichen Fantasy-Kreaturen besteht, nicht aus den Exoten.

    Für eine stimmige Welt sollten die exotischen Wesen exotisch bleiben. Sie sind zwar nicht unbekannt, aber sie sind halt auch nicht ständig präsent, und es wird trotzdem immer noch Bewohner geben, die diesen Typen von Exoten noch nie gesehen haben.

  3. Hmm, das mit Abstand exotischste das ich je gespielt habe war wohl mein Doppelgänger in unserer unglückseeligen 4E D&D Runde.

    Grundsätzlich aus dem Monster Manual. Grundsätzlich wohl durchaus exotisch. Glücklicherweise aber mit der Fähigkeit ausgestattet wie jeder andere Heinz und Kunz in der Stadt (jeder Stadt!) auszusehen.

    Meine Wahl viel auf den Doppelgänger weil ich mir dachte das würde wohl viel Gelegenheit zum Charakterspiel geben. Schon alleine, die anderen Charaktere der Gruppe langsam sein Geheimnis herausfinden zu lassen. Mal das Schurkenversteck zu infiltrieren statt zu stürmen!

    Das dachte ich mir zumindest. Leider musste ich dann feststellen, dass 4E D&D auf „Charakterspiel“ nicht besonders viel Wert legt. Von daher war dieses exotische Experiment für mich ziemlich enttäuschend.

  4. Ich finde es kommt vor allem aufs Setting an, wenn Frösche oder Echsen Viecher reinpassen und man in einer Welt spielt in dem man auch durchaus Bezug zu solchen kreaturen hat, wieso nicht?

    Ich finde es wichtig den Spielern das frei zu halten, wenn es nicht in die Welt passt.. tja dann wird es eben verdammt noch mal richtig schwierig Aufträge zu bekommen, warum sollte man immer als Held angesehen werden? Natürlich wäre es schlau die Mitspieler zu informieren das es wirklich schwer werden kann. Das ist eine reine Kommunikations sache und vor allem der Stil des meistert, wenn derjenige eben so ein Typischen „hey, du Held komm mal mit, bring die da mal um“ spielt dann ist Pathfindersystem wirklich zu einseitig ausgelegt worden. Wozu gibt es Sharn in denen man durchaus auf Miniaturen in der Maschinerie treffen kann?

  5. Was ich meine ist: Earthdawn kommt mir von außen viel bunter vor als Pathfinder (was ich noch nie gespielt habe) aber… ich lasse mich halt gerne eines besseren belehren.
    Mein Kern ist: Ist das wirklich ein Pathfinderspezifisches Problem? Geht es hier nicht vielleicht mehr um Glaubwürdigkeit von Spielsituationen im Allgemeinen?

  6. Ich sehe das ganz anders: Abenteurer werden doch *gerade* angeheuert, weil sie nirgendwo reinpassen – selbst menschliche Abenteurer sind bei D&D im Grunde besser bewaffnete Landstreicher… Spezialisten für Spezialaufträge, aber nicht unbedingt Leute, welche man ständig um sich haben will. Sie sind halt in der Wildnis und dem Dungeon mehr zu Hause, als in der zivilisierten Gesellschaft. Wenn man solche Leute braucht, dann ist das natürlich OK – und dann stört es auch nicht, wenn sie zusätzlich noch etwas schräg aussehen.

    Nebenbei gesagt ist es (auf SR bezogen) ziemlich armselig, die spieltechnischen Vorteile einer Spezies durch Benachteiligung in der Spielwelt ausgleichen zu wollen.

  7. Ist das ein Tippfehler mit Pathfinder und soll DSA heißen? ;) Pathfinder ist High-Fantasy, ein bunte Welt voller Magie und komischer Wesen. Die „Helden“ sind keine Helden, sondern Abenteurer. Nur manche von ihnen sind heldenhaft. Die müssen von der Bevölkerung nicht als „ihresgleichen“ angesehen werden, denn oft machen sie die Dinge, die keiner machen weil oder die zu gefährlich sind. Für Geld. Sie sind oft ziemlich heimatlose Söldner. Überspitzt gesagt Ausgestoßene. Die dürfen ruhig sonderbar sein. Und nicht jeder Bewohner Golarions muss sich daran stören. Ich hatte gestern an meinem Pathfinder Society-Tisch ein Rabenwesen (Tengu, glaube ich, heißen die). Ich bin darauf nicht weiter eingegangen (okay, einmal habe ich damit aufgezogen, dass er im Badehaus doch ein Vogelbad nehmen soll). Jetzt, nachdem ich hier darüber nachdenke, würde ich es nicht ändern. Wir haben in Absalom gespielt. Müsste die oder eine der größten Städte Golarions sein, mit einem großen Hafen. Da wird man so etwas oft genug sehen um sich dabei nicht viel zu denken.

    Also wenn das nicht dein Stil ist, kann ich das verstehen. Aber ich finde es für Pathfinder weder besonders ungewöhnlich, noch unpassend. Man sollte sich halt vorher überlegen, wie man die Welt auslegt. In meiner Heimkampagne D&D4 wurden solche Rassen definitiv arg auffallen, denn die Welt ist eher mundan angelegt.

  8. Sehr schöner Artikel! Und erinnert mich an unsere „Wir wollen mal was Neues probieren“-Humanoiden-Zeit. Der Spielleiter hat damals schnell gemerkt, dass ein Minotaurus nicht ohne Weiteres in jede Taverne reingelassen wird. Ich war da als Satyr schon fast schmerzlich un-unnormal ^^

    Aus Spielleiter-Sicht war das Dämlichste meine reine Dunkelelfengruppe. Um das „Tavernen-Zivilisations“-Problem zu umgehen, hatte ich die Handlung kommplett im Unterreich und Drow Städten spielen lassen. Doch die Gesinnungen haben meinem Abenteuer einen Strich durch die Rechnung gemacht… Ich hätte vielleicht am Anfang nicht so übermäßig betonen sollen, dass jetzt bitte nicht jeder einen eigentlich gut gesinnten Drizzt-Drow spielen soll. Ergebnis: Eine Gruppe chaotisch böser Drow, die sich auf Schritt und Tritt gegenseitig komprommitiert haben. Wir sind spätestens bei der Verteilung von Beute spieltechnisch komplett zum Stehen gekommen, weil niemand fair sein konnte/wollte…. Aber das sprengt jetzt den Rahmen von „fremden (teilweise unspielbaren) Rassen“ und geht eher in die Richtung „Sind rein böse PC-Gruppen meisterbar?“

  9. @Nerd Wiki: Ja sind sie. Man muss nur wissen wie und einen ausreichenden Motivator bieten zusammen zu arbeiten (Bsp. Dunkelelfen – alle stammen aus einer Familie und sind verwandt etc. die Muttermatrone ist natürlich ein NSC und die ersten 10 Stufen mächtig genug um jeden in die Schranken weisen zu können wenn er aus der Reihe tanzt).

    @Thema: Ich verstehe nicht warum bunt = mächtig sein soll. Klar ist ein Aasimar z.B. leicht mächtiger als ein normaler Mensch. Kommt aber auch auf das Konzept des Charakters an. Mit einem Menschen fährt man IMMER gut. Wenn Menschen noch im Dunkeln sehen könnten wären sie sicherlich die am meisten gewählte Rasse. Aber auch so entscheiden sich sehr viele dafür in meinen Runden.

  10. Zusatz: Und wenn die „bunten“ soviel mächtiger sind, dann läuft vermutlich etwas bezüglich der Balance schief!

  11. @Pestbeule: Es gab genügend gute und ausreichende „Moti­va­toren“, aber die Chaos-Nasen haben sich einfach so hart untereinander in die Haare bekommen…da konnte sich auch nicht die Mut­ter­ma­trone dazwischen beamen und alle mit der Schlangenpeitsche züchtigen. Ich denke, die hätte besseres zu tun… ;) An der Stelle lag es vermutlich dann schlicht und ergreifend an den Spielern… und/oder ich hab als Meister nicht eindringlich genug den Willkür-Hammer geschwungen… nur dann beschweren sich hinterher wieder alle, es wäre zu linear und es gäbe zu wenig Freiheiten. Ich finde es zumindest mal nicht „leicht“ ne böse Gruppe zu meistern. Wobei das nun auch über 10 Jahre her ist. Wir sind alle reifer und „besser“ geworden…

    @bunt: Kann ich bestätigen, Menschen sind geil. Bei mir nehmen die meisten Menschen, um mehr Skills und Feats zu bekommen. Es kommt eben darauf an WIE bunt Chars sind. Es gibt da schon welche die arg aus der Rolle fallen und zu mächtig und/oder zu auffällig für die Taverne sind ;) Wobei Pathfinder das ganz gut angeglichen hat. Meine Freundin zockt ne Dunkelelfe und ich war neulich überrascht zu bemerken, dass die nun nicht mehr spell resistence 11 + Stufe, sondern nur noch 7 + Stufe bekommen… sowas machts ehct schon spielbarer.

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