Geschätzte Lesezeit: 9 Minuten

Jedes Spielsystem muss sich auch daran messen lassen, wie schnell Spieler es auf- und annehmen. Barbarians of Lemuria hatte mir bereits beim ersten Durchlesen gleich imponiert. Die Regeln waren einfach und versprachen viel Spaß. Kurzentschlossen habe ich es am frühen Nachmittag für meine erste Spielrunde am Abend des selben Tages auf den Plan gesetzt. Konnte das gutgehen?

Die harten Fakten:

  • Verlag: Beyond Belief Games
  • Autor(en): Simon Washbourne
  • Erscheinungsjahr: 2008
  • Sprache: Englisch
  • Format: PDF
  • Seitenanzahl: 110
  • Preis: 7,50 USD / 19,95€
  • Bezugsquelle: DriveThruRPG (PDF – engl.) | Sphärenmeister (Print – deutsch)

Regeln

Da wir Barbarians of Lemuria (im Weiteren: BoL) noch nicht vorgestellt haben, hier ein kurzer Abriss der Regeln:

Gewürfelt wird mit 2W6 auf die Zielzahl 9. Alle positive Grade (+1 bis +5) eines passenden Attributs, sowie entweder der Grad eines passenden Berufs (occupation) oder einer passenden Kampffähigkeit (combat ability) darf man auf den Wurf addieren. Abzüge gibt es auch – zum Beispiel die Verteidigung (defence) eines Gegners. Zwei Einsen sind der automatische Fehlschlag, zwei Sechsen der automatische Erfolg. Zusatzregeln gibt es für Patzer (calamitous failure) sowie mächtige und legendäre Erfolge (mighty success und legendary success).

Krongar der Barbar versucht eine Wache mit seinem Schwert zu erschlagen. Krongars Spieler würfelt eine 7. Er addiert seine Nahkampffähigkeit (2) und seine Agilität (2) und zieht die Abwehrfähigkeit der Wache (1) ab – sein Ergebnis ist 7 + 2 + 2 – 1 = 10. Er hat getroffen.

Illustration zu Barbarians of Lemuria (c) Björn LensigDie Charaktererschaffung ist schnell und unkompliziert: Man darf vier bis fünf Punkte auf vier Eigenschaften (strength, agility, mind, appeal) verteilen. Weitere vier Punkte auf vier (der vielen) Berufe, die den Werdegang der Figur beschreiben: Ob er mal Söldner oder Sklave war, sein Geld als Dieb verdient hat oder als Bettler erflehen musste, usw. Die Berufe gelten als Anhaltspunkt dafür, was der Charakter an Nichtkampffähigkeiten mitbringt. Und vier Punkte kommen auf die vier Kampffertigkeiten (brawl, melee, ranged, defence). Außer bei Berufen ist einmalig -1 als Wert erlaubt (ein Abzug). Der Wert 0 ist generell erlaubt.

Nur bei der Wahl der Herkunft des Charakters dauert es ein bisschen länger. Hier gibt es Tabellen mit Vor- und Nachteilen (boons, flaws). Einen Vorteil gibt es gratis, einen zweiten kann man durch einen Nachteil erkaufen. Hier gibt es viel zu lesen, also dauert es ein bisschen. Die meisten Vor- und Nachteile werden aber durch 3W6 abgebildet – man darf dann entweder die besten zwei oder muss die schlechtesten zwei Ergebnisse behalten.

Trifft jemand im Kampf, so wird der Schaden ausgewürfelt, der Rüstungsschutz aber auch! Eine Armschiene schützt halt nur manchmal, und nicht jeder Stich ist gleich gut gesetzt. So circa 7 bis 14 Lebenspunkte (lifeblood) kann ein unerfahrener Held an Schaden ertragen bevor er ohnmächtig wird. Sinken die Lebenspunkte unter 0, wird es lebensgefährlich.

Jeder Held kriegt 1 bis 6 Heldenpunkte (hero points) pro Abenteuer zur freien Verfügung. Mit diesen können Würfe erneut durchgeführt oder verbessert werden, oder auch mal Schaden abgeschüttelt. Man kann auch langfristig bessere Startwerte gegen weniger Heldenpunkte tauschen.

Auch schnell abgehandelt ist die Magie, die sich in vier generische Schwierigkeitsgrade (cantrip, first, second, third grade) teilt. Über die Mächtigkeit des gewünschten Effekts wird der Grad und somit die Schwierigkeit einer magischen Handlung bestimmt. Die reicht von einer kleinen magischen Kerzenflamme (cantrip) bis zu katastrophalen Verwüstungen (third grade). Wer günstige Umstände für Zauber höherer Grade schafft (ein Opfer, viel Zeit, eine offensichtliche Geste), kann billiger zaubern und spart sich Zauberpunkte (arcane power).

Priester können Segen verteilen und andere verfluchen. Alchemisten können Tränke (potions) brauen oder mächtige Maschinen (devices) basteln. Die Regeln für Alchemie sind etwas aufwändiger und verschlingen vier Seiten.

Die erste Session

Die netto verfügbare Spielzeit waren drei Stunden und außer mir hatte keiner vorher was von BoL gehört. Charaktere hatte ich selbst vorbereitet und das im Buch enthaltene Abenteuer Die Ebenen des Todes (The Plains of Death) vorbereitet. Mir tat es regelrecht leid, dass ich den Spielern den Spaß nahm, die Charaktere selbst zu generieren. Denn die Erschaffung, speziell die Berufswahl, ist ein echtes Highlight von BoL.

Als Handouts gab es die Charakterbögen, eine Karte von Lemuria, einen Ausdruck der Magieregeln für den Magier, sowie die zwei Seiten zum Thema Heldenpunkte für jeden Spieler.

Die Grundmechaniken des Spiels waren anhand der Charakterbögen schnell erklärt. Für vier Spieler gab es zur Auswahl: einen Jäger aus dem Dschungel, einen Barbaren aus der Eiswüste, einen Magier von der Insel Thule, einen Dieb aus Malakut und einen Gladiator aus Oomis. Durch die Berufe konnte ich jedem eine kurze Vita erzählen, die der Spielfigur Farbe gab. Eine schnelle Einführung in die Spielwelt mit Hilfe der ausgedruckten Karte rundete das Ganze ab.

Bereits durch die einleitenden Szenen konnten die Spieler sich mit den Grundlagen der Proben vertraut machen. Die Spielwelt nahm schnell Gestalt an. Mit einem von mir in das Abenteuer eingeflochtenen Kampf mit einem jungen Drakk (Flugsaurier) brachte ich etwas Leben in die Reise über die Ebene. Die Basiswerte der Bestie waren schnell modifiziert und so konnte es losgehen. Die Abwicklung war flott und unproblematisch.

Natürlich vergisst man bei jeder ersten Anwendung eines Regelwerks irgendetwas. Mir geht es jedenfalls so. So auch diesmal – ich vergaß die Angriffswürfe um den Abwehrwert (defence) zu erschweren. Das fiel mir allerdings wenigstens bis zum Ende des Abenteuers auf. Es fiel mir sehr leicht, anzusagen, welche Modifikatoren auf die Würfe anzuwenden waren. Die Tabelle für Proben-Modifikatoren hätte ich trotzdem wohl besser ausgedruckt, weil sie ja auch die Reichweiten für Fernwaffen beinhaltet. Die Spieler waren sehr gut dabei, ihre eigenen Vorteile bei Zauber- und Kampfproben im Hinterkopf zu behalten. Die Spielabwicklung war flüssig.

Besondere Erwähnung verdient das Magiesystem. Durch den Verzicht auf vorgefertigte Sprüche und Kräfte werden die Magiekundigen sehr stark aufgewertet. Der Fokus geht wieder hin zu der Intention des Spielers und weg vom Wälzen von Zauberlisten und Ähnlichem. Die Liste möglicher Spruchkomponenten (casting requirements) ermöglicht es, spontan jedem Zauber Leben einzuhauchen.

Der Magier entschied, selbst einen großen Drakk zu beschwören, um ihn gegen einen Stamm Blauer Nomaden einzusetzen. Den Schwierigkeitsgrad befand ich als dem zweiten Spruchkreis (second magnitude) angemessen. Als Spruchkomponenten legte er die Seltene Zutat (rare ingredient, vom bereits erlegten Drakk), das Rituelle Opfer (ritual sacrifice, durch den Jäger der Gruppe bei einem schnellen Jagdausflug gefangen) und die Passende Mondphase (lunar, durch einen Heldenpunkt als Fakt im Spiel etabliert) fest. Basiskosten für Sprüche des zweiten Grades sind 10 Punkte Arcane Power. Eine Spruchkomponente ist Minimalvorraussetzung, jede weitere senkt die Kosten um 1. Er bezahlte letztendlich 8 seiner 15 Zauberpunkte und würfelte eine erschwerte Zauberprobe (hard, Erschwernis von -2).

Die Anwendung von Magie kann eine kurze Verhandlung über die Details mit dem Spieler erfordern. Kreativität wird hier klar belohnt. Keiner muss mühsam existierende Zauber hin- und hermodifizieren, bis sich der gewünschte Effekt mit den Regeln abbilden lässt. Das fand ich einfach nur clever und stimmig!

Die im Basisbuch skizzierten Abenteuer sind etwas kurz geraten und müssen vom Spielleiter noch ausgearbeitet werden – wie auch bei mir durch den Drakk-Angriff. Für drei Stunden inklusive kleiner Regelkunde war das Material allerdings hinreichend. Es sind nur drei Abenteuervorschläge enthalten (die anderen: The Gladiator und The Island of Doom). Weitere lassen sich in den beiden bereits erschienenen Magazinausgaben der Dicey Tales (Klick, Klick) finden.

Auch nur unvollständige Inspiration kann die enthaltene Aufstellung der Monster sein. Hier gibt es von vielem etwas, aber keine Variationen des gleichen Themas (zum Beispiel verschiedenartige Flugsaurier). Es ist jedoch nicht schwer, eine Kreatur selbst zu erstellen. Hierzu gibt es auch ein paar Tipps. Die Bestiarien anderer Systeme sind da sicherlich nützlich als Inspiration. Man sollte die vorhandenen Monstren kennen, wenn man etwas schnell aus dem Ärmel zaubern will. Einen Eventgenerator gibt es jedenfalls nicht.

Während des Spiels fiel mir unangenehm auf, dass die Bookmarks des PDFs nicht auf meinem Tablet funktionierten. Auf dem PC hingegen arbeiteten sie einwandfrei. Zwar hat BoL nur 110 Seiten, aber das Gesuche nervte schon.

Die zweite Session

Diese Runde hatte ich spontan im Verein angeboten. Basis war das Abenteuer Ghosts in the Moon-Tower aus Dicey Tales #2 (Klick). Ich hatte fünf Charaktere vorbereitet, sechs Leute nahmen teil. Zwei Leute beschlossen spontan, Barbarenzwillinge zu spielen, und schon waren Maru und Mura mit identischen Werten geboren.

Im Vergleich zum Abenteuer aus dem Basisbuch selbst bot Ghosts mehr an Ausarbeitung, blieb aber auch eine Skizze. Man merkte aber bald, dass was mit den Anreizen im Abenteuer nicht stimmt. Ein mysteriöser Torbogen alleine reichte als Motivation nicht, stattdessen erging sich die Gruppe in allerlei barbarischen Mätzchen. Den Erwartungen des Abenteuerautors schlossen sich die Spieler jedenfalls während der gesamten Handlung nicht an, und ich musste sehr viel improvisieren. Aufgrund der Rumeierei der Protagonisten zog es sich dann auch auf über vier Stunden hin.

„Du bist ein Jäger mit Spezialisierung Gebirge.“ – „Also ein Gebirgsjäger.“ – „Ähm, ja.“ – „Gut, dann will ich eine Lederhose.“ – „Das sind hier nicht die Bavarians of Lemuria!“

Eine Erwähnung verdient die Rolle des Pöbels (rabble) in diesem Abenteuer. Rabble sind NSCs, die mit nur sehr wenigen Lebenspunkten aufwarten können – für gewöhnlich Wachen, Stammesmitglieder und andere anonyme Kandidaten für den Fleischwolf. Würfelt der Spieler mehr Schaden, als eine solche Kreatur aushält, verteilt er sich auf die nächste, usw. Erzielt oder erkauft sich der Spieler einen mächtigen Erfolg, dann hauchen gleich so viele dieser Spielzeitfüller ihr Leben aus, wie Schadenspunkte erwürfelt wurden.

Zwar kann Pöbel durchaus lästig fallen, zumal sie normalen Schaden verursachen. Da sie aber schwache Trefferwahrscheinlichkeiten aufweisen und oft spät in der Initiativereihenfolge auftauchen, waren bereits zwanzig von ihnen tot, bevor die Spieler mit der ersten Runde durch waren. Und ich war froh, dass ich nicht zwanzig Attacken hatte auswürfeln müssen.

Besonders bei dieser zweiten Session war das abschließende gemeinsame Weben von epischen Sagen ein Highlight. Die Spieler überboten sich dabei mit dem Protzen über ihre Taten. In BoL wird nämlich die Anzahl der zu vergebenen Abenteuerpunkte an die Güte der Erzählung am Schluss gebunden. Das benachteiligt weniger wortgewaltige Spieler etwas, ist aber ein Heidenspaß!

Fazit

BoL hat einfach Spaß gemacht. Das Leiten war einfach und recht flüssig. Beide Session waren ja kurzfristig anberaumt und vorbereitet worden. Ich hatte es vor der ersten Session noch nie gespielt. Positives Feedback kam auch gleich von den Spielern. Das Setting selbst würde sicherlich einiges hergeben, auch für eine Kampagne.

Das Spiel selbst kann man mit mehr oder weniger ernst angehen. Von etwas Auflockerung bis zum völligen Klamauk war bei uns jedenfalls alles drin. Während die erste Gruppe das Thema Swords & Sorcery durchaus ernstnahm, war mir die zweite Gruppe beinahe zu barbarisch. Mit BoL lässt sich jedenfalls Conan genauso nachspielen wie Erik der Wikinger. Und wem das noch nicht reicht, für den gibt es Pulp (Klick), Postapokalypse (Klick), Mantel und Degen (Klick) und reine Action im Stile der 70er und 80er (Klick). Ein Westernsetting nach den Pulpregeln ist wohl auch in Vorbereitung.

Artikelbild: Beyond Belief Games

 

 

5 Kommentare

  1. Du hast offenbar nach der – schon etwas älteren – englischen BoL-Regelausgabe gespielt. Warum das denn?

    Bei Ulisses Spiele gibt es doch seit 2010 die DEUTSCHE Ausgabe von Barbarians of Lemuria. (In der deutschen Ausgabe sind neben wichtigen Fehlerbehebungen auch direkt mit dem BoL-Autoren Simon Washbourne abgestimmte Regelklärungen enthalten. Die Legendary Edition wird von ihm gerade überarbeitet, wobei eben auch die Regelklärungen der deutschen Ausgabe den englischsprachigen Rollenspielern zugänglich gemacht werden.)

    Die deutsche BoL-Ausgabe kostet 19,95 Euro, hat 176 Seiten, ist ein Softcover und wirklich üppigst mit sehr stimmungsvollen Illustrationen von Björn Lensing versehen.

    Das deutsche Barbarians of Lemuria ist inzwischen auch als PDF-Ausgabe für 9,95 Euro erhältlich: http://www.ulisses-ebooks.de/product/110895/Barbarians-of-Lemuria-%28PDF%29?filters=44311

    Anlaufstelle für Diskussionen rund um BoL, seine diversen auf dem BoL-Regelsystem aufsetzenden weiteren Produkte ist hier: http://www.aktion-abenteuer.de/b/forum/barbarians-of-lemuria/

    Und an weiteren Projekten, die gerade die Zukunft von BoL im deutschen Sprachraum betreffen, wird gerade intensiv gearbeitet. – Neben jetzt schon verfügbaren Fan-Conversions wie dem exzellenten „Barbarians of Aventuria“, einer Aventurien-Conversion, gibt es jede Menge weiterer konvertierter und auch eigenständiger Settingmaterialien auf Deutsch.

    Seltsam, daß Dir diese intensive Aktivität der deutschen BoL-Fans und die deutsche Ausgabe so völlig entgangen sind.

    • Hallo Zornhau, Oliver ist gerade im Urlaub, er wird sicher nach seiner Rückkehr antworten. Nur, dass Du nicht denkst, deine Stimme wird nicht gehört ;)

  2. Hallo, Zornhau.

    Ich hatte die deutschsprachige Ausgabe oben ja auch verlinkt. Für meinen Privatgebrauch kaufe ich mir aber nie deutsche Übersetzungen, sondern nur Originale. Daher auch die Legendary Edition.

    Ich bin aber sicher, dass andere Deine Links sehr informativ finden werden, daher vielen Dank.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein