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Selten haben wir über ein Spiel so viel vorab berichtet wie über das Science-Fiction Spiel Forsaken Colony. Von uns im März 2012 aufgestöbert, haben wir den Spieleautoren Sascha Boss immer wieder auf dem Werdungsprozess des Spiels begleitet, einige Vorab- und Werkstattberichte publiziert und durften ihn auch auf der RPC 2012 persönlich treffen. Am 15. März 2013 war es dann endlich soweit. Das Spiel wurde in der virtuellen Basisbox zum kostenlosen Download veröffentlicht. Wir waren neugierig und haben sogleich reingeschaut

Disclaimer: Wir waren zwar aktiv am Werdungsprozess beteiligt, nehmen hier aber eine neutrale und kritische Rezensionsposition ein.

Erscheinungsbild

Wie eingangs erwähnt, gibt es zurzeit den Download des üppig ausgestatteten Basis-Pakets. Dieses kann sich sehen lassen. Alleine der Umfang weiß zu begeistern.

In dem ca. 31 MB großen Zip ist enthalten (alles voll layoutet und wirklich hübsch anzusehen):

  • Das Grundregelwerk (52 Seiten)
  • Der Settingband (24 Seiten)
  • Das erste Abenteuer „Countdown auf der Durathror“ (27 Seiten)
  • Zwei Spielhilfen (Charakterbogen und Organisationstableau)
  • Vier mehrseitige pdfs mit Spielkarten zum Selbstausdrucken und Ausschneiden
  • Zwei Spielpläne (Battlemaps)
  • Acht vorgefertigte Charaktere

Ich nannte gerade das Schlüsselwort „hübsch“ – in der Tat sind die Dokumente sehr gut aufbereitet. Nicht nur, was bloße optische Ästhetik betrifft, sondern auch in Bezug auf die generelle Struktur. Auch das Artwork von Nele Diel weiß voll zu überzeugen und passt gut zum Thema des Spiels.

Ich musste kaum hin- und herblättern und fand die Informationen auf Anhieb. Ein Manko, und in diesen Zeiten der digitalen Dokumente ein Muss: die pdf-Dateien sind weder in Layers aufgebaut, noch ist das Inhaltsverzeichnis wie auch das Stichwortregister anklickbar. Hier gibt es Abzüge in der B-Note.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Quest Keeper Games
  • Autor(en): Sascha Boss
  • Erscheinungsjahr: 2013
  • Sprache: Deutsch
  • Format: pdf
  • Seitenanzahl: variabel
  • ISBN: –
  • Preis: kostenlos
  • Bezugsquelle: http://www.forsakencolony.de/

Die Spielwelt

Über die Welt von Forsaken Colony zu schreiben, heißt das Konzept zu erklären. Forsaken Colony sieht sich als Abenteuerspiel, nicht als Rollenspiel. Es schlägt dabei den Bogen von Brettspielen zu Rollenspielen und ist auf Anfänger ausgerichtet.

Forsaken Colony beansprucht desweiteren für sich das Konzept einer TV-Serie. Die Handlung ist in Episoden aufgeteilt und endet oftmals mit dem Kampf gegen einen Zwischengegner oder einem Cliffhanger. Dem weiß das Spiel Rechnung zu tragen durch das Ausliefern bestimmter Abenteuer, hier Episoden genannt. Auf die Episode 1 gehe ich später ein.

Forsaken Colony spielt auf dem Mond Teloora. Hier wurden vor einiger Zeit Kristalle gefunden, deren Energieleitfähigkeit sie zu hervorragenden Energielieferanten macht.  Die Jagd nach diesem Rohstoff brachte allerlei Konzerne und andere wirtschaftlichen Vereinigungen dazu, auf dem Mond Fuß fassen. Wie zu erwarten, kamen auch etliche Glücksritter auf der Suche nach Ruhm und Reichtum.

Dieses sehr klassische Setting wurde durch eine Revolution und einen folgenden Bürgerkrieg ein wenig durch den Autorenmixer gedreht und wird angereichert von dem Fund eines außerirdischen Artefakts in den dortigen Höhlen.

In diesem Setting finden sich die Spieler wieder und werden fortan in Episoden um das Schicksal der Kolonie hadern.

Der Settingband aus dem Downloadpaket gibt einen kurzen und guten Abriss über die Geschehnisse auf der Erde, die zur Entdeckung von Teloora führten. Auch die lokale Geschichte wird zureichend gut erläutert. Wichtige Orte, Konzerne, andere Fraktionen und NSCs werden auch hier so gut beschrieben, dass ich als Spieler und SL zugleich ein gutes Gefühl für die Spielwelt habe.

Schade ist, dass kein NSC der Gruppierung, die die Revolution angestachelt hat, näher beschrieben wird. Das fehlt mir, vermute ich doch das „Rebellen mit Herz“-Konzept hier. Auch fehlen mir zumindest Basis-Aussagen über den Planeten, der vom Mond Teloora umkreist wird.

Sascha Boss hat sich beim Erdenken der Spielwelt von vielen Quellen beeinflussen lassen. Stellenweise erkenne ich Judge Dredd, Avatar, Aliens, Star Craft und auch sehr klassische Science-Fiction Themen bei den Gruppierungen wieder. Das wirkt allerdings nicht schmälernd auf das Leseerlebnis, eher wie eine Hommage.

Die Regeln

Die Regeln sind denkbar einfach. Charaktere bestehen aus Attributen und Fertigkeiten, wie auch einigen abgeleitete Fertigkeiten.

Die neun Attribute Geschicklichkeit, Auffassungsgabe, Charisma, Agilität, Wissen, Intuition, Konstitution, Mechatronik (?) und Willenskraft haben je drei Fertigkeiten zugeordnet. Diese Fertigkeiten können normalerweise bis zum Wert von 5 gehen. Jede Klasse, hier Archetypen genannt, hat bestimmte Fertigkeiten, die sie bis zum Wert von 9 aufgrund ihres speziellen Trainings ausbauen können. Mechatronik als Attribut irritiert mich hier, da es so gar nicht in die Liste passt.

Hat eine Fertigkeit den Wert von 5,7 oder 9 erreicht, werden Zusatzfertigkeiten freigeschaltet. Hier gibt das Regelwerk einige Vorschläge, aber lange nicht genug. Weitere können und sollen laut Aussage des Autoren aus der Community erwachsen.

Es wird unterschieden zwischen den Archetypen Taktiker, Techniker und Wissenschaftler. Jeder Archetyp hat bestimmte Stärken in Form von Boni auf Attribute und speziell trainierte Fertigkeiten. Mit nur drei Archetypen finde ich hier wird zu wenig geliefert. Weitere Archetypen sind dringend nötig, auch wenn sich die drei vorhandenen auf viele möglichen Ausprägungen anpassen lassen.

Um einen Wurf zu schaffen – eine Probe wird hier Herausforderung genannt – muss mit dem W20 kleiner gleich der Summe von Attribut und Fertigkeit plus/minus Modikator gewürfelt werden. Sogenannte Adrenalinpunkte erlauben das Senken der/s Schwierigkeit/Malus um 1 je Punkt. Ein Startcharakter hat fünf Adrenalinpunkte.

Eine gewürfelte 1 ist ein automatischer Erfolg, eine 20 ein Patzer.

Eine Probe kann einmalig pro Episode mit einem Adrenalinstoß automatisch bestanden werden. Dieser verbraucht keine Adrenalinpunkte.

Der Kampf läuft anders ab. Aus den Fertigkeiten und den Attributen werden vier Werte gebildet: Nahkampf-Angriff und Verteidigung, Fernkampfangriff- und Verteidigung. Beide Kämpfer würfeln je einen W10 und addieren den passenden Wert, also Angriff gegen Verteidigung. Hat der Angreifer Verteidigungswert plus Würfelergebnis übertroffen, hatte er Erfolg.

Waffen richten Schaden in Höhe eines festen Wertes an. Sollte es zu einem kritischen Treffer kommen (eine gewürfelte 10), dann gibt es Bonusschaden. Rüstung absorbiert Schadenspunkte.

Ausrüstung wie Waffen etc. gibt es in Form von Karten, die benutzt werden und manchmal danach für den Rest der Episode verbraucht sind. Das gibt dem Spiel einen schönen taktischen Faktor. Hier kommt auch das oben genannte Organisationstableau zum Einsatz. Die Karten können auf dafür vorgesehene Plätze gelegt werden. So behalten Spieler die Übersicht. Einige Karten verbrauchen sich, andere laden sich nach einer gewissen Zeit wieder auf.

Apropos taktisch. Es wird unterschieden zwischen Nah- und Fernkampf. „Nah“, ist alles, was auf einer gerasterten Karte auf einem angrenzenden Feld steht, „Fern“ ist alles, was weiter weg ist.

Vermisst habe ich vergleichende Würfe, die bis dato nicht im System vorkommen.

Weitere Regeln runden das System ab, wie z.B. für Heilung.

Alles in allem merkt man hier, dass noch das letzte Quentchen fehlt im Regelwerk. Der Bruch von W20 zu W10 im Kampf schafft zwar eine klare Trennung für Anfänger, ist aber in meinen Augen nicht nötig. Ein elegantes System mit dem W20 wäre auch gut gewesen. Es fehlen weitere taktische Optionen für erfahrenere Spieler und auch das Initiative-System will mir nicht gefallen.

Hier würfeln Spieler einen W20 und das Ergebnis entscheidet, wer zuerst am Zug ist. Haben zwei Spieler die gleiche Zahl gewürfelt, entscheiden sie unter sich, wer zuerst dran ist. Spieler haben den Vorzug vor NSCs. Dabei vermisse ich eine Abhängigkeit von Attributen.

Ein Massenkampf-System fehlt ebenfalls zu diesem Zeitpunkt. Schön ist, dass auch Psi-Kräfte ihre Existenzberechtigung in diesem System haben. Die Hürde dafür ist jedoch recht hoch angesetzt, so dass sichergestellt ist, dass nicht jeder Charakter einen Psioniker spielt.

Charaktererschaffung

Die Charaktererschaffung verläuft punktebasiert. Jedes Attribut startet auf einer Stufe von 1. Der gewählte Archetyp modifiziert drei Attribute mit einem Bonus von +1. Weitere 5 Punkte können verteilt werden. Kein Attribut darf höher als 3 sein.

Ähnlich verhält es sich bei den Fertigkeiten. Hier werden 40 Punkte verteilt. Die Summe aller Fertigkeiten in einer Gruppe darf nicht höher sein als das Vierfache des zugeordneten Attributs. Keine Fertigkeit darf höher als vier sein.

Danach können die abgeleiteten Werte berechnet werden. Abschließend erhält man 5 Adrenalinpunkte und 1000 Credits. Das Geld kann man für den Kauf von Ausrüstung benutzen.

Hierzu gibt es nicht viel zu sagen. Ich bevorzuge freie Charaktererschaffung und das Spiel zollt dem Tribut.

Interessant ist wiederum die Steigerung von Werten durch Erfahrungspunkte. Die gibt es nämlich nicht! Stattdessen können Attribute nur durch Ausrüstungskits  angehoben werden. Diese sind immer an Rüstungen gekoppelt. Wird die Rüstung abgelegt, entfällt der Bonus.

Fertigkeiten hingegen können mit immer höher werdenden Kosten gesteigert werden. Dazu werden vor oder nach Spielabenden Fertigkeitspunkte vergeben. Die „Macht“ eines Charakters lässt sich an der Summe aller erhaltenen Fertigkeitspunkte ablesen.

Mir missfällt das System, dass Attribute nicht weiter ausgebaut werden können, ich verstehe aber den Anspruch, die Buchhalterei beim Charakterwerdungsprozess sehr niedrig zu halten. Letztendlich geht es um ein Spiel für Anfänger.

Spielbarkeit aus Spielleitersicht

Da die Regeln sehr leichtgängig sind und auch das Regelwerk gut aufgebaut ist, entfällt lange Sucherei. Das wirkt sich positiv auf das Erdenken von Geschichten aus und lässt Freiraum für das gemeinsame Erleben.

An dieser Stelle wird es Zeit, auf die erste Episode „Countdown auf der Durathror“ einzugehen. Als Pilotfolge konzipiert, starten die Spieler auf einem Raumfrachter auf dem Weg nach Teloora. Unbekannte haben die Bordelektronik sabotiert: Roboter, die für die Kolonie bestimmt waren, sind aufs Töten programmiert und zu allem Überdruss ist der Frachter kurz davor, steuerlos in die Atmosphäre einzutauchen.

Wenn auch gradlinig aufgebaut, gibt es immer noch genug Entscheidungsmöglichkeiten, die das Gefühl einer selbstgelenkten Geschichte erzeugen. Zugegeben, die Chancen an Bord eines abstürzenden Frachters etwas anders zu machen, als ihn zu retten oder die Rettungskapseln zu nutzen, sind sehr wenige.

Gefallen hat mir vor allem die Darbietungsform. Karten, Beschreibungen für SC und SL –  Alles da. Auch gut sind die einleitenden Worte, sich nicht akribisch an den Abenteueraufbau zu halten, sondern auch ggf. zu improvisieren und die Story an die Handlungen der SC anzupassen. So werden Neulinge gleich richtig erzogen, nicht auf Schienen durchs Abenteuerland zu fahren.

Ein wenig anders wird es, wenn man die Geschichten selbst erdenkt. Hier muss man auf den Settingband zurückgreifen und seine eigene Inspiration spielen lassen. Leider sind nur zwei Maps im Downloadpaket enthalten, hier wünsche ich mir auch mehr Support.

Serien leben oft, wie oben gesagt, durch Cliffhanger. Dem Spiel fehlt ein Regelmechanismus, um einen Cliffhanger zu erzwingen und dabei die Spieler dennoch zu entlohnen. Sowas ist zeitgemäß und wird sicher nicht nur von mir vermisst.

Spielbarkeit aus Spielersicht

Aus Spielersicht ist alles denkbar einfach. Die Regeln sind schnell gelernt, die Charaktererschaffung einfach und direkt. Und wenn ich gerade mal keine Lust habe, einen Charakter zu bauen, nehme ich einen der vorgefertigten.

Diese sind alle mehr oder minder ausgeglichen und es findet sich fast für jeden Vorzug etwas. Die Welt von Teloora ist spannend und durch die Parallelen zu etablierten Science-Fiction-Welten leicht nachzuvollziehen.

Preis-/Leistungsverhältnis

Hey, es ist kostenlos und hat einen schon jetzt wirklich ansehnlichen Umfang. Runterladen!

Spielbericht

Einen Spielbericht werden wir zu geeigneter Zeit nachreichen.

Bonus/Downloadcontent

Die Basisbox steht zum kostenlosen Download bereit: Klick. Dort finden sich auch weitere Downloads, wie z.B. Spieler- und NSC-Marker oder Card Packs.

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Es lohnt sich, auch unsere weiteren Artikel zu lesen:

Fazit

Forsaken Colony hat unsere Erwartungen erfüllt. Ich bin immer skeptisch, wenn ich sehe, dass etwas groß angekündigt wird und frage mich, ob die Erwartungen erfüllt werden können.

Das Downloadpaket der Basisbox hat mir wirklich gut gefallen. Ich vermisse aber eine Version 2 der Regeln oder optionale Zusatzregeln, die das Spiel auch für erfahrenere Spieler, die mehr machen wollen, zugänglicher machen.

Ich würde mir vor allem wünschen, dass zusätzlich auch mehr Battlemaps erscheinen, denn die zwei mitgelieferten Karten beschränken sich doch auf wenige Einsatzoptionen. Da ich aber sehe, wie aktiv der Autor auf seiner Website ist, bin ich zuversichtlich, dass hier mehr kommen wird.

Alles in allem ist das Spiel ein gelungenes Debut und lässt auf die Zukunft hoffen.

Daumen4Maennlich 

 

 

 

7 Kommentare

  1. „Dis­clai­mer: Wir waren zwar aktiv am Wer­dungs­pro­zess betei­ligt, neh­men hier aber eine neu­trale und kri­ti­sche Rezen­si­ons­po­si­tion ein.“

    Hahahahahahahaha

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