Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

von Sophia B.

Im Indie-Spotlight für Mai steht das ursprünglich finnische Pinguin-Rollenspiel Valley Of Eternity des Finnen Juhanna Petterson aus dem Jahre 2009. Es ist seit 2012 in Englisch von Vagrant Workshop erhältlich.

 Pinguine? Ja, Pinguine! In diesem Spiel geht es um die Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, um Kämpfe gegen Raubmöwen und andere Tiere und um das nackte Überleben in einer harschen Umwelt.

Erscheinungsbild

Das Spiel ist als 92seitiges PDF oder als Printausgabe im Softcover-Format erhältlich. Es ist voll-farbig und mit sehr schönen Illustrationen versehen. Grundlage meiner Rezension ist die PDF-Ausgabe.

Es gibt leider keine digitalen Lesezeichen oder Ebenen, eine Volltextsuche ist aber möglich. Ein Index ist nicht vorhanden.  Die Schrift ist in dunkelblau auf hellblauem Grund gehalten, was aber zumindest in der PDF-Version noch im lesbaren Rahmen liegt. Generell ist das Werk eher künstlerisch als pragmatisch aufgezogen.

 Die harten Fakten:

  • Verlag: Vagrant Workshop
  • Erscheinungsjahr: 2012
  • ISBN: nicht vorhanden
  • Preis: 9.95 USD als PDF oder 19,95 EUR als Printausgabe
  • Sprache: englisch
  • Bezugsquelle: DriveThruRPG (Klick), Sphärenmeisters Spiele (Klick)

Die Spielwelt

Die Spielwelt ist das Sahnehäubchen dieses Rollenspiels. Sie ist in der Antarktis angesiedelt.

Das Leben eines Pinguins ist hart. Die höchste Priorität ist der Nachwuchs. Ein Pinguin-Ei kann kaum eine Sekunde unbeaufsichtigt bleiben und daher hat der normale Pinguin keine Zeit für Heldentaten.

Daher spielt man in Valley Of Eternity Helden oder Anti-Pinguine. Helden sind solche Pinguine, die sich nach ihrer Jugendzeit gegen den Nachwuchs entschieden haben und nun von Gemeinschaft zu Gemeinschaft wandern und diesen helfen. Anti-Pinguine haben den Ruf des Gletschers gehört, haben sich von den Pinguinen losgesagt und sind in das Valley of Eternity gewandert. Diese Wesen haben anstatt eines schwarzen Rückens nun einen weißen Rücken und einen schwarzen Bauch.

Das Spiel ist von Westernfilmen inspiriert. Die Zukunft der Protagonisten ist düster, sie sind Außenseiter der Gesellschaft. Eine innere Kraft treibt sie zu ihren Taten, aber sie sind keine gefeierten Helden wie in traditionellen Fantasy-Rollenspielen, sondern einsame Wanderer.

Sowohl Helden als auch Anti-Pinguine verfügen über Spezialfähigkeiten, die ähnlich Superkräften ausgestaltet sind. Helden haben Philosophische Kräfte, Anti-Pinguine haben Gaben des Gletschers.

Insgesamt hat man die Auswahl aus sechs verschiedenen Pinguinrassen: Emperor Penguin, King Penguin, Headless Baron (Bastarde der Emperor und King Pinguine), Royal Penguin, Adelie Penguin oder Rockhopper Penguin. Jede Rasse verfügt über einen unterschiedlichen Bonus.

Neben den verschiedenen Pinguingemeinden werden im Regelwerk auch die Örtlichkeiten der Anti-Pinguine vorgestellt, z.B. das namensgebende Tal der Ewigkeit (Valley Of Eternity). Insgesamt schafft es der Autor, die Spielwelt stimmig darzustellen.

Die Kälte und Einsamkeit der Antarktis, aber auch die Seltsamkeiten des Gletschers und der Anti-Pinguine geben dem Leser hinreichend Inspiration für eigene Abenteuer. Interessant fand ich auch das Kastensystem in der Pinguingesellschaft: Emperor Penguins stehen ganz oben in der Hackordnung, Rockhopper stehen ganz unten und sehen die Welt daher auch etwas fatalistischer.

Der Autor empfiehlt zum Stimmungsaufbau das Spiel draußen im Kalten zu spielen, sich farblich passend schwarz-weiß anzuziehen, Fischgerichte und Eis zu essen u.ä..

Die Regeln

Das Spiel verwendet zwei Arten von Proben. Zum einen gibt es Attributsproben (mehr zu den Attributen unten). Es wird ein Würfelpoolsystem aus sechsseitigen Würfeln benutzt. Eine 5 und 6 zählen dabei als Erfolg. Zum anderen kommt eine noch einfachere Würfelmechanik zum Tragen: man würfelt einen W6 und addiert dann seine relevanten Boni etc. Dies ist z.B. beim Schadenswurf der Fall.

Der Kampf findet in Runden statt. Initiative wird über einen W6 + Agility Bonus bestimmt.

Für einen Angriff nimmt man seinen AgilityWürfelpool und muss gleich oder mehr Erfolge als die Verteidigung (Defense) des Gegners erzielen. Schaden wird per W6 + Strength-Bonus bestimmt.

Des Weiteren kann der findige Spieler noch diverse Stunts einsetzen oder seine Spezialkräfte einsetzen. Diese funktionieren meist auf Sicht und werden detailliert im Kapitel über Spezialkräfte beschrieben.

Es gibt noch Regeln für Philosophical Attacks (so etwas wie psychische Angriffe), Tod, Heilung, Flucht und Verfolgen, Jagen, Reisen über den Gletscher, Demagogie und Unterwasser.

Insgesamt sind die Regeln zweckdienlich und einfach. Das Spiel lehnt in Richtung regelarme Systeme und ist eher narrativ ausgestaltet. Leider sind einige Regelteile teilweise schwammig formuliert. Insbesondere  bei den Boni ist nicht klar, ob ein +1 einen simplen Bonus oder einen Zusatzwürfel geben soll.

Die Rassenboni und die Superkräfte sind nicht ausbalanciert, einige Optionen sind eindeutig stärker als andere.

Das Regelsystem ist nichts Besonderes, aber es funktioniert. Es ist schnell und einfach zu erlernen.

Charaktererschaffung

Die Charaktererschaffung erfolgt in fünf Schritten.

Zunächst sollte man sich eine Charakteridee suchen und sich dabei überlegen, ob man einen Pinguinhelden oder einen Anti-Pinguin spielen möchte. Man sollte seine Motivation bedenken, insbesondere, wenn man einen Anti-Pinguin spielt.

Danach verteilt man zwölf Punkt auf vier Attribute:

  • Agility: Schnelligkeit, wird auch für Angriffe benutzt
  • Strength: Stärke ist u.a. für Schaden wichtig
  • Philosophy: Philosophie braucht man für die Superkräfte (Philosophical Powers). Anti-Pinguine haben an stattdessen das Attribut The Soul Of The Glacier.
  • Survival: Überleben, braucht man z.B. auch um Fallen zu legen oder jemanden über den Gletscher zu verfolgen

Aus diesen Grundattributen bildet man noch abgeleitete Attribute: Defense (Verteidigung), Willpower (Willenskraft), Warmth (Wärme, gilt hier als Lebenskraft) und Fat (Fett ist so etwas wie Mana für die Superkräfte und man braucht es für Heilung).

Im dritten Schritt wählt man seine Kräfte aus. Insgesamt hat man einen Pool von fünf Punkten zur Verfügung.

Das Buch widmet den Philosophical Powers und Gifts Of The Glacier ein ganzes Kapitel.

Jede Kraft hat bestimmte Kostenpunkte von 1 bis 5, wobei die günstigeren Kräfte tendenziell natürlich schwächer sind.

Die Auswahl kann man grob in drei Kategorien fassen: Gedankenkräfte wie Confusion, Kampfkräfte wie Sharpened Beak und restliche Fähigkeiten, die verschieden Vorteile bieten. Beispielsweise erlaubt es die Fähigkeit One Of Many, dass man aussieht, wie jeder andere und sich so unbemerkt unter die Massen mischen kann. Navigation gibt einem Pinguin einen unfehlbaren Ortssinn.

Jeder Charakter darf sich Equipment aussuchen. Pinguine handhaben Speere, Messer, Schlingen und andere Waffen. Im Laufe des Spiels kann man auch Rüstung erwerben. Eiserne Rüstung wird z.B. aus den Hinterlassenschaften der Menschen hergestellt.

Zum Schluss muss man noch seinen Rassenbonus in den Bogen eintragen. Einige Rassen bekommen Boni auf Attribute, andere dürfen sich neue Fähigkeiten aussuchen etc.

Das Spiel bietet keine Möglichkeiten zum Charakteraufstieg. Das Powerlevel ist daher festgelegt.

Die Charaktererstellung ist einfache und gewohnte Kost für Rollenspieler. Das Aussuchen der Spezialfähigkeiten macht Spaß. Leider sind sowohl Rassenboni als auch Spezialkräfte nicht vernünftig balanciert. Einige Optionen sind viel stärker als andere oder lassen sich sinnvoller einsetzen.

Spielbarkeit aus Spielleitersicht

Der Spielleiter muss sich leider einiges zurechtbiegen. Die Attribute sind nicht klassisch und so fehlte mir bei einem Spieltest insbesondere die Möglichkeit, eine Wahrnehmungsprobe abzulegen. Keines der Attribute passte da so recht. Auf diesen Fall geht das Regelwerk auch nicht ein, ich weiß daher nicht, ob es erklärtes Designziel war, solche Proben nicht im Spiel zu haben, oder ob es vom Autor übersehen wurde.

Man sollte beachten, dass das System sehr tödlich ist und die Gegner daher dementsprechend gestalten. Regeln für Mooks gibt es nicht.

Ansonsten wird dem Spielleiter in dem Kapitel namens Gamemaster’s Guide Hilfestellung gegeben. Die Anregungen sind speziell auf das Regelwerk und das Spielen in der Antarktis zugeschnitten. Sie richten sich an erfahrene Spielleiter. Ich sehe das als positiv, da davon auszugehen ist, dass man schon mal ein Rollenspiel gespielt hat, wenn man dieses Buch in den Händen hält.

Des Weiteren sind in dem Buch zwei Abenteuer enthalten, die die Besonderheit dieses Settings betonen und den Einstieg somit erleichtern.

Spielbarkeit aus Spielersicht

Das Regelsystem legt dem Spieler keine Steine in den Weg. Das System ist einfach und innerhalb einiger Minuten zu verstehen. Es eignet sich daher gut für One Shots.

Die Charaktererstellung bietet dem Spieler genügend Möglichkeiten, seinen Charakter zu individualisieren, der Crunch ist jedoch überschaubar. Im Kampf bieten Spezialtalente und Stunts einige taktische Optionen.

Preis-/Leistungsverhältnis

Für den geforderten Preis bekommt man ein graphisch wunderschönes Werk mit einem außergewöhnlichen Setting. Dass das PDF nicht digital aufbereitet wurde, entspricht allerdings nicht dem derzeitigen Standard in der Branche. Dennoch lohnenswert!

Auch den Preis für die Printausgabe finde ich angemessen, falls keine groben Schnitzer bei der Druck- oder Papierqualität vorliegen.

Fazit

Valley of Eternity ist ein empfehlenswertes Werk aus der Indie-Szene, welches die Spieler in die Welt der Pinguine in die Antarktis entführt. Das Regelsystem ist funktional mit einigen Schwächen, aber die Aufmachung und das stimmige und einzigartige Setting heben das System aus der Masse der Rollenspiele hervor.

Wer etwas Abwechslung vom Fantasy-Einheitsbrei sucht, ist hier gut aufgehoben.

Daumen4weiblich 

Über die Autorin 

mangatarHallo, ich bin Sophia und spiele seit 2007 mehr oder weniger regelmäßig. Ich habe kein festes System, sondern probiere gerne Neues aus. Ich mag am liebsten Indie-Rollenspiele, narrative Systeme und Spiele mit Player Empowerment. Auf meinen Blog konzentriere ich mich hauptsächlich auf  freie, regelarme und/oder narrative Systeme, Rpgs für Kinder und Spielleitertipps.

 

 

 

 

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