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Geht man davon aus, dass der große Boom der Rollenspiele in den 80ern war, so ist diese erste Generation mittlerweile in den gesetzten Jahren angekommen. Bei vielen haben neben Würfel und Miniaturen auch Kind und Kegel Einzug gehalten. Und was begeisterte Fußball-Eltern können, sollten wir doch auch können: Unseren Liebsten die Faszination der Rollenspiele näher bringen.

Dem entgegen steht in aller Regel aber die deutlich gestiegene Komplexität, die sich selbst in „primitiven“ OSR-Dungeoncrawlern niederschlägt.

Unter dem sehr treffenden Namen Hero Kids veröffentlicht Hero Forge Games nun ein Fantasy-Rollenspiel für 4-10jährige Kinder. Wollen wir doch mal schauen, ob die kindlichen Helden halten, was sie versprechen. 

Erscheinungsbild

Direkt nach dem Download entdeckt man gleich vier Dateien. Das Grundregelwerk und das erste Abenteuer, jeweils in der normalen und der druckerfreundlichen Version. Das erfreut grundsätzlich schon mal, erspart man sich doch teuren Pergamenthintergrund. Ansonsten sind aber alle Illustrationen in Schwarz/Weiß gehalten und nur das Coverbild ist koloriert.

Das eigentliche Regelwerk wurde zweispaltig in Querformat erstellt und lässt sich sehr angenehm lesen. Hier sollten selbst Leseanfänger keine Probleme haben. Die 36 Seiten des Hauptwerks sind unterteilt in:

  • 9 Seiten Allgemeines (Was ist Rollenspiel?, Glossar)
  • 1 Seite Setting
  • 6 Seiten Spielmechanik
  • 5 Seiten Spielleiten
  • 1 Seite Charaktererschaffung
  • 2 Seiten Tipps für Spielleiter
  • 6 Seiten Beispielcharaktere und Token
  • 8 Seiten Monster und Token

 

Die Illustration sind alle äußerst professionell und kommen deutlich kindgerecht, comichaft daher ohne lächerlich zu wirken. Auch die enthaltenen Papieraufsteller und Charakterkarten sehen sehr gut aus. Wenn man etwas kritisieren wollen würde, dann dass Aufsteller immer die Vorderseite zeigen und farblos sind. Aber ein Satz Buntstifte auf dem Tisch erledigt bei der Zielgruppe dies sehr schnell.

Das Regelwerk ist auf Englisch, was den Zugang für ein so junges deutsches Publikum wohl schwer macht. Auf der anderen Seite richtet sich der Text auch an einen Erwachsenen, der Kinder führt. Das ist etwas schade, sollte doch das Ziel sein, dass die kleinen Rollenspieler irgendwann ohne Hilfe auskommen. Wenigstens sind die Charakterbögen kostenlos auf Deutsch verfügbar.

Die harten Fakten:

  • Verlag:  Hero Forge Games
  • Autor(en): Justin Halliday
  • Erscheinungsjahr: 2012
  • Sprache: englisch
  • Format:  PDF / Softcover
  • Seitenanzahl:  36 Seiten
  • ISBN: –
  • Preis: 5,99 USD
  • Bezugsquelle: DriveThruRPG.com

 

Die Spielwelt

Ein Blick in die Seitenübersicht zeigt schnell: Ein Setting spielt hier kaum eine Rolle. Der spärliche Hintergrund spielt sich in einem kleinen Dorf ab. Die Erwachsenen sind im Kampf oder auf der Jagd und so müssen die Kinder früh lernen sich gegen den Unbill des Lebens zu wehren. Da alle vorliegenden Abenteuer (Basement Of Rats, Curse of the Shadow Walker und The Lost Village) aber reine Dungeoncrawls sind, spielt die Oberwelt nur eine untergeordnete Rolle.

Die Regeln

Das Regelwerk von Hero Kids ist nach erwachsenen Gesichtspunkten sicherlich simpel, da es aber für sich in Anspruch nimmt schon von Vierjährigen (mit-)gespielt werden zu können, passt es.

Jeder Charakter hat vier Grundwerte (Nahkampf, Fernkampf, Magie und Verteidigung) mit einem Wert zwischen keinem und drei W6. Proben werden generell verglichen, da diese erstmal nur im Kampf stattfinden. Es gewinnt immer derjenige mit dem höchsten Einzelwürfel.

Beispiel: Ein Held mit 1W6 würfelt 5 gegen eine Ratte mit 2W6 (3 und 4). Da der Held den höchsten Wurf hat gewinnt er und richtet einen Treffer an.

Der Schaden ist dabei fix 1 Treffer, auch wenn es Sonderfertigkeiten gibt, die dies verbessern können. Helden haben immer 3 Treffer, Gegner je nach Schwierigkeit zwischen 1 und 4.

Das ist auch schon das gesamte Probensystem, es gibt keinerlei Modifikationen.

Kämpfe finden immer auf den jedem Abenteuer beiliegenden Battlemap-Abschnitten statt. Was nach einem Einstieg ins taktische Denken aussieht, hat leider einige deutliche Schwächen: Da sich jede Figur immer 4 Felder bewegen kann ist es, z.B. nicht möglich einem Gegner auszuweichen, da er immer folgen kann. Initiative wird auch nur einmal am Beginn der Runde ausgewürfelt. Zwar haben Fernkämpfer und Magier die Möglichkeit so immer auf Abstand zu bleiben, kommen aber auf den viel zu kleinen Maps nicht weit weg.

Damit sind Effekte, die durch Nachbarschaft (wenn Mitspieler auf benachbartem Feld, dann…) schon fast das Ende der taktischen Fahnenstange. Etwas Abwechslung kommt durch die Bonusfertigkeit eines jedes Charakters dazu, so können Helden und Monster Heiltränke auffüllen, Gegner einfrieren oder werden stärker, wenn sie verwundet sind.

Kompliziert und daher unschick: Viele Talente greifen, wenn ein Monster in der letzten Runde von einem bestimmten Charakter verwundet wurde, was nicht immer ganz leicht im Auge zu behalten ist.

Weitere Talente kennt die Mechanik nicht, sollte es man zu einer Probe kommen, die nichts mit Kampf zu tun hat, so werden diese über die Kampfwerte abgeleitet (Nahkampf = Stärke, Fernkampf = Geschick, Magie = Intelligenz)

Zwar gibt es Heiltränke, Seile oder Bücher, aber darüber hinaus kommt keine spätere Ausrüstung vor. Zusammen mit der fehlenden Charakterentwicklung (keine Stufen, keine EP) bedeutet das, dass sich ein Heldenkind nie zum ausgewachsenen Helden entwickeln wird. Sicherlich könnte man das leicht improvisieren, aber vorgesehen ist dies nicht.

Alles in allem kann man sagen: Durch die Battlemaps, die eingeschränkten Möglichkeiten und die fehlende Charakterentwicklung muss man Hero Kids den Titel Rollenspiel absprechen! Selbst reine Brettspiele wie die Legenden von Andor oder Heroquest bieten hier eine größere Tiefe. Als klassischer Dungeoncrawler spielt es auch kaum eine Rolle, ob der Spieler sich in einen Charakter eindenken kann oder nicht.

Sieht man aber Hero Kids als kurzweiliges Tabletop für Kinder, so kann man sagen: Passt schon!

Witziges Gimmick am Rande: Der Autor schlägt vor, Lebenspunkte mit Bonbons anzuzeigen: Verwundete Gegnerpunkte werden von den Kids verspeist, getroffene Helden gehen zu Gunsten des Spielleiters. Über den Lerneffekt, dass „Monster schlagen“ Süßigkeiten bedeutet, ließe sich sicherlich herrlich diskutieren…

Charaktererschaffung

Schon allein das Probensystem zeigt, dass Charaktere nicht schwer zu entwickeln sind: Verteile vier Würfel auf vier Werte (Magie und Fernkampf kosten 2 Würfel für den ersten Wert) und nimm dir eine Bonusfähigkeit. Letztere sind nicht vorgegeben, sondern können ausgedacht werden oder von den 10 vorgefertigten Charakteren ausgeborgt werden.

Fertig! Die geringe Varianz macht eigene Charaktere eigentlich obsolet.

Ein colorierter Charakterbogen
Ein colorierter Charakterbogen

Spielbarkeit aus Spielleitersicht

Als Spielleiter kommt man nicht umhin zu bemerken, dass sich das Spiel etwa wie ein Abenteuerbuch der frühen 80er spielt. Entscheidungen sind relativ selten und beschränken sich auf ein „nach links oder nach rechts?“. Hier ist es also besonders wichtig die Kinder atmosphärisch zu leiten. Die vorgefertigten Abenteuer lassen sich aber durch die Bank ohne Vorbereitung spielen, da jeder Abschnitt gut beschrieben ist und es kein langfristigen Effekte gibt, die man im Auge behalten müsste. Hauptteil der Arbeit liegt ganz klar im Basteln, Ausschneiden und ggf. Bemalen der Karten und Figuren.

Spielbarkeit aus Spielersicht

Für Kinder von 6-8 Jahren sind die Regeln in Umfang und Komplexität sicherlich ausreichend. Jüngere Kinder nehmen kaum aktiv an der Handlung teil, während ältere Kinder ganz sicher auch schon mit einfachen „Voll-“Rollenspielen zu Rande kommen würden. Dazu aber mehr im Spielbericht.

Preis-/Leistungsverhältnis

3-5€ für ein Abenteuer erscheint grundsätzlich natürlich nicht viel, verglichen mit einem Vollpreis-Spiel. Was aber erschwerend dazukommen: Die Abenteuer bieten keinen Reiz zum Wiederspielen, auch wenn man mal andere Charaktere ausprobiert, ist der grundsätzliche Verlauf eines Abenteuers immer gleich, wenn die Spielleitung nicht eigenständig eingreift.

Auf der anderen Seite sind alle Abenteuer und auch das Grundregelwerk sehr liebevoll gestaltet und reichlich mit Karten, Aufstellern und Material ausgestattet, welches man gut für eigene Projekte nutzen kann.

Spielbericht

Als Freiwillige traten an einem gemütlichen Samstagnachmittag meine beiden Töchter (12 und 9) und eine Freundin (10) an. Nach kurzer Erklärung worum es geht, freuten sich alle drei darauf, sich mit Kriegerin, Magierin und Schützen ins Abenteuer „Keller voller Ratten“ zu stürzen.

Der Einstieg in das Abenteuer ist relativ schnell abgehandelt, die Drei wurden beim Essen von Ihren Eltern sozusagen in die erste Queste geschickt. Dass Ratten ein Rollenspiel-Running-Gag sind, war ihnen natürlich nicht klar.

Von hier ging es über fünf Einzelkarten streng nach Text bis zur Rettung des vermissten Jungen. Auf jeder Karte wurde ein Kampf gegen die schwächlichen Ratten abgehandelt und dann ging es weiter zum nächsten Abschnitt. Dies ist alles sehr linear: Vom Keller in den Gang rüber zur Kreuzung und dann rechts oder links. Und damit gibt es lediglich eine einzige Entscheidung, die übrigens zum Finalkampf oder in eine Sackgasse führt.

Die Karten sind durchweg sehr eng, so dass es kaum taktische Bewegungen gibt.

Auch wenn ich mir als Spielleiter wirklich Mühe gegeben haben die Situationen dramatisch zu beschreiben, war die große Schlacht am Ende gegen den Rattenkönig nach lediglich zwei Runden vorbei, da die Älteste schon erkannt hatte, dass sie mit ihrer Bonusfähigkeit und etwas Glück pro Runden gleich mehrere Jungratten auslöschen konnte.

Nach Abschluss des Kellerabenteuers – also nach ca. 20-25 Minuten – hätte ich gerne noch zwei weitere Abenteuer gespielt, aber die Kinder hatten bereits die Lust verloren. Nicht allerdings am fantastischen Grundthema und so wurde der Nachmittag mit zwei Runden Legenden von Andor fortgeführt.

Eine Spielszene aus Hero Kids
Eine Spielszene aus Hero Kids

Bonus/Downloadcontent

 

Fazit

Wo haben wir angefangen? Richtig: Ist Hero Kids das langerwartete Rollenspiel für Kinder? Meine Antwort lautet ganz klar: Nein, denn es ist eigentlich gar kein Rollenspiel, sondern „nur“ eine fantastisches Brettspiel. Als solches funktioniert es sicherlich ganz gut, auch wenn hier bekannte Spiele wie HeroQuest schon wesentlich mehr Möglichkeiten, Entwicklung und damit Motivation bieten.

Die angestrebte Altersklasse 4-10 ist sicherlich einfach zu breit gesetzt. Denn während Kleinkindern schlichtweg die Erfahrung fehlt, um die Fantasy-Welt zu begreifen, werden ältere Kindern schlicht unterfordert.

Generell müssen wohl alle rollenspielenden Eltern ihre eigenen Kinder beurteilen können, um zu wissen, wo diese den besten Zugang finden. Meine Spielempfehlungen wären z.B.:

Daumen2maennlich

Artikelbild: Hero Forge Games

 

 

17 Kommentare

  1. Danke für die Vorstellung. Hätte nicht gedacht, dass es solche Spiele schon für Kids in dem Alter gibt. Werde meinen Junior mal einladen ne Runde zu spielen. Gerade auch von Euren Empfehlungen am Ende des Artikels sind klasse Auswahlen dabei. :)

  2. Eiine klasse Geschichte, weil der Großteil unserer Hobbyfreunde mittlerweile selbst Eltern sind… Wird getestet.

  3. Ich habe mir das Spiel nach dem Polyeder Podcast zugelegt, und zugegeben für einen Rollenspieler ist das etwas mau. Meine 2 Kids (4 und 7) fahren aber voll darauf ab und nerven mich jeden 2ten Tag damit wann’s denn endlich weitergeht. Ich hab noch ein paar Euro draufgelegt und mir die anderen Abenteuer im Paket geholt und wenn ich meine Kinder frage war das jeden Euro wert. Sogar meine kleine (4) erfreut sich nicht nur am Würfeln sogar auch an der Unterhaltung mit der Hexe um zu erfahren wie man den Werwolf heilen kann… Evtl. bekommt man vom Kindergartenpersonal ein paar komische Blicke wenn die kleinen ihren Erziehern von ihren Abenteuern erzählen. Aber damit kann jeder Rollenspieler leben.

  4. Es wäre sehr schön wenn es den Schreibern solcher Spiele in den Sinn kommen würde die Sache etwas weniger auf Gewalt auszurichten, sondern sich dem Rollenspiel und der friedlichen Bewältigung von Problemen zu widmen.
    So schwer ist das noch nicht!

    • Hi Mythforger,
      grundsätzlich sollte man Kindern natürlich nicht Gewalt verherrlichen. Das stimmt. Es gibt ja auch durchaus System, wo das töten eines Gegners keinen Vorteil im Sinne von EXP bringt.
      Rollenspiele (also Pen & Paper) für Kinder müssen leider fast immer sehr klischeehaft aufgebaut sein. In der Regel Fantasy!
      Ein Genre fast ohne direkte Gewalt auskommt wäre z.b. Horror, aber ob das nun geeigneter ist, wage ich ja zu bezweifeln.

      Hero Kids ist nun wiederrum ein Spiel, was eben reinen Dungeoncrawl darstellt. Schwierig ohne Kämpfe, aber möglich. Dann muss es halt ums Rätselraten gehen, Indiana Jones ist meiner Meinung nach ein gutes Beispiel, dass Konflikte eben nicht nur gegen Gegner, sondern auf die Umgebung ausgeführt werden können und spannend sind.

      Halt: PvM PvE

  5. Hallo Leute,

    Meine eigentliche Frage: Wie funktioniert der Kampf in diesem System und vor allem wie funktioniert das mit der Verteidigung?

    Also ich plane einen Rollenspieleinstieg für ein paar Kumpels, die von RPGs und Dungeons noch nie etwas gehört haben! Ich habe nun mal rumgehört und jedes noch so simple Rollenspiel ist zu hochschwellig und würde abschreckend wirken!
    Ich möchte also gering anfangen und dann andere Systeme nutzen!

    Meine eigentliche Frage: Wie funktioniert der Kampf in diesem System und vor allem wie funktioniert das mit der Verteidigung?
    Ich bin auf eure Hilfe angewiesen!

    Danke für jede Antwort!!!

  6. Das Kampfsystem ist extrem einfach:
    Der Angreifer würft mit seiner Anzahl Angriffs-Würfel und der Verteidiger verteigt mit seiner Anzahl Schild-Würfel. Welche Art von Angriff (Nah, Fern oder Magie) spiel keine Rolle, ist immer genau gleich.

    Der jenige, der die höchste Zahl gewürfelt hat gewinnt. Im Fall des Angreifers gibt es Schaden,

    Also ein Beispiel:
    Der Angreifer attackiert mit 2 Würfeln: 3 + 6
    Der Verteidiger hat 3 Würfel: 5 + 4 + 5
    Die höchste Zahl ist die 6 und damit gewinnt der Angreifer.

    Es gibt übrigens noch viele andere Einsteigersysteme, die auch Spieler bewältigen können, die noch niemals Rollenspiele gespielt haben. Dafür müssen die nicht primitiv sein. In der Regel würde ich nach dem Interesse / Genre der Spieler entscheiden.

    • Danke sehr @ TIM!

      Ich war irritiert weil ich dachte, dass die Attribute gegeneinander antreten und nicht die jeweilige Angriffsfähigkeit gegen Verteidigung!

      Das ist super!
      Ja das mit dem Genre ist so ne Sache! ich plane ein Abenteuer in Form einer Zeitreise! Beginnend in einer Steinzeithöhle! ^^

      MFG

  7. Für Freunde wesentlich gewaltärmerer und kreativerer RPG – Abenteuer mit Kindern sei Faery’s Tale von Firefly Games ans Herz gelegt. Super Setting, Coopplay dass belohnt wird und kreative Abilities ….

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