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Als Reaktion auf meinen Artikel zu der Tiefe der Immersion, abhängig von der gewählten Erzählperson des Sprechens, entstand eine recht angeregte Diskussion. Hier wurde mir vor Augen geführt, dass es auch eine abstraktere Form des Darstellens der eigenen Rolle gibt, die mir zunächst unbekannt schien.

Unsere Leserin Teylen argumentiert, dass die Tiefe der Immersion bei Ihr viel höher ist, wenn sie die dritte Person nutzt, um die Aktionen ihres Charakters zu schildern. Sie argumentiert, dass die saubere Trennung zwischen ihr als realer Person und dem virtuellen Ich sie dabei unterstützt, die Emotionen und Gedankenprozesse ihrer Rolle besser zu verstehen und somit auch darzustellen. Es helfe auch, Charaktere, die vollkommen anders sind als die dazugehörigen Spieler, besser vom realen Ich zu trennen, da sonst die Gefahr der Verwechslung vorliege. Ihren subjektiven Erfahrungen nach leidet ihre persönliche Immersion, wenn andere Spieler aus der Ich-Perspektive spielen. Als weiterer Faktor der stärkeren Immersion in der dritten Person wurde das Einbeziehen der Umwelt angesprochen.

Ich habe nun folgende zwei Fälle gegenüber gestellt und wollte den Unterschied wissen:

1)      „Meine Augen sind feucht. Vol­ler Trauer bli­cke ich auf mein Opfer, fühle den Schmerz der getöteten Frau in mir auf­stei­gen, als sich ein scha­ler Geschmack der Rest­wut der Bes­tie auf meine Zunge legt“

2)      „Seine Augen sind feucht. Vol­ler Trauer blickt er auf sein Opfer, fühlt den Schmerz der getöteten Frau in sich auf­stei­gen, als sich ein scha­ler Geschmack der Rest­wut der Bes­tie auf seine Zunge legt“

Unser Teammitglied Anton antwortete mir darauf. Er sah hier außer der gewählten Form keinen Unterschied, gab aber zu bedenken, dass die gewählte Form der Darstellung offenbar damit zusammen hängen kann, wie man Rollenspiel gelernt hat und auf welchem Medium es stattfindet.

Interessanterweise, und da kann ich mich selbst im Rückblick auf meine Forenspiel-Zeit nicht ausschließen, findet Forenrollenspiel oft in der Form 2) statt. Ich möchte einzelne Formen des Forenrollenspiels hier einmal mit einem kollektiven Schreiben einer Geschichte vergleichen, lesen sich doch viele Threads im Nachhinein fast wie Kurzgeschichten. Das ist ein subjektiver Eindruck, denn auch wenn ich kurzzeitig Forenrollenspiel betrieben habe, nehme ich schon seit vielen Jahren nicht mehr daran teil und habe daher keinen belastbaren Überblick.

Aufgreifen möchte ich das Einbeziehen der Umwelt und das Unterstützen der Immersion der anderen Spieler.

Vielleicht war die schlichte Nennung der ersten Perspektive nicht genau genug, was ich damit meine. Nehme ich obiges Beispiel 1) beziehe ich mich in meinen Worten auf meine Umwelt und beschreibe auch, was mit meinem Charakter passiert, nicht nur, was er tut. Außer einer sprachlichen Form sehe ich hier keinen Unterschied an der Emotionalität wie auch Tiefe der gelieferten Informationen an die Mitspieler.

Nun ist es schwer, die subjektive Immersion zu messen. Es gibt kein Immersions-O-Meter. Beide Spieler/innen, die die Formulierungen 1) oder 2) nutzen, werden behaupten, tief in der Rolle zu sein und zu erleben.

Darum ging mein auslösender Artikel aber auch nicht. Genau genommen ging er um ein Fallenlassen der Barrieren zwischen Ich und Er. Um ein echtes Erleben, so tief und innig es nur sein kann. Teylen entgegnete hier, dass eine Vermengung zwischen mir und der Rolle gefährlich ist und auch unbedingt auszuschließen. Au contraire, sage ich!

Um mich klar zu posi­tio­nie­ren: Das wich­tigste für mich am Spiel ist das tiefe emo­tio­nale wie psy­chi­sche Erle­ben span­nen­der Geschich­ten, die gemein­sam gespon­nen wer­den. Mir sind Wel­ten und deren Beschrei­bun­gen wich­ti­ger als Regeln. Ich akzep­tiere Regeln, richte mich danach (ggf. Haus­re­geln), aber es ist mir egal, wenn sie „schlecht“ sind. Wenn die Welt cool ist, spiele ich sie dennoch.

Mehr noch, ich lasse die Trennung zwischen mir und der Rolle bereitwillig fallen während der Dauer des Spiels.  Ist das Spiel vorbei, ist die Trennung auch wieder da. Für die Dauer der Rolle erlebe ich auch deren seelischen Abgründe, sie werden zu meinen, denn ich verpflichte mich durch das tiefe Abtauchen zu einem bewussten Er- und Durchleben der Gedanken meiner Rolle.

Mir ist bewusst, dass das ein krasser Ansatz ist, einer von vielen möglichen. Die Rollenspielerbranche teilt sich in eine große Zahl Strömungen auf, die alle nebenher gleichberechtigt sind. Probleme tauchen nur dann auf, wenn sich die Strömungen in Runden vermischen und die Spieler der Runden von den anderen Teilnehmern oder der SL enttäuscht sind.

Was aber heißt das Fallenlassen der Trennung für mich? Es heißt, dass ich, Roger, der Charakter bin für die Dauer des Spieles. Es heißt nicht, der Charakter Roger ist für die Dauer des Spieles. Der Fluss ist also einseitig.

Für mich wäre ein Darstellen der Rolle wie in 2) undenkbar, denn es würde meiner Ansicht nach eine automatische Trennung herbeiführen, die ich so nicht will. Ich schaue nur noch Huckepack von der Schulter meines Charakters herunter, nicht mehr aus seinen Augen. Ich würde mich abgeschnitten fühlen.

In einem muss ich jedoch zustimmen. Wenn Spieler/innen ihre Rolle aus der ersten Perspektive beschreiben, aber die Rolle gänzlich anders aussieht als der Mensch dahinter, muss ich mein Kopfkino extra stark anspornen. Beliebte Beispiele sind der gedrungene und vielleicht stark übergewichtige Spieler, der eine schlanke hochgewachsene bildhübsche Elfe spielt. Es sei ihm zugestanden und sicher wird er sie auch toll darstellen, aber anstrengen muss ich mich dennoch.

Aber…

Und nun komme ich abschließend zu einer Hybridform: Das „Mein Charakter“.

Richten wir das Augenmerk auf das Wörtchen „mein“. Hier wird in meinen Augen nicht nur Besitz angezeigt, sondern auch Zugehörigkeit. Damit haben wir also schon mal ein Teil Nähe. Dennoch ist das nicht das Gleiche wie bei Umschreibungen aus der ersten Person, kommt dem aber nahe. Auffällig ist, dass  oftmals ein fließender Übergang zwischen dieser Formulierung und dem Ich ist.

„Mein Charakter legt die Hand fest um den Griff des Blasters. Ich bemühe mich, meine Nervosität nicht zu zeigen und künstele ein überhebliches Lächeln“.

Nie gehört in über 20 Jahren Rollenspiel habe ich hingegen:

„Mein Charakter legt die Hand fest um den Griff des Blasters. Er bemüht sich, seine Nervosität nicht zu zeigen und künstelt ein überhebliches Lächeln“.

Was machen wir nun daraus? Teilimmersion? Ich habe die erste Variante oft nur an Anfängen eines Abends gehört, schritt die Spielzeit weiter voran, kam nur noch die erste Person zu Tage. Ich mutmaße, das ist eine Form des Starts in tiefere Immersionsgebiete.

Aber – aus den Kommentaren während der Lektoratsarbeit entnahm ich etwas anderes. Lektor Anton empfindet das hier gegebene zweite Beispiel natürlicher. Der Flow scheint also höher zu sein. Ich würde zu jeder Zeit das erste Beispiel wählen. Beide aber sind wir tief in der Rolle. Wo ist der Unterschied?

Kann es wirklich so einfach sein? Ist Immersionsverhalten gar gelernt und stark subjektiv? Oben schrieb ich bereits, dass es kein Immersions-O-Meter gibt. Wie tief ist die eigene Empfindung wirklich und kann sie sich gegenüber anderen Empfindungen messen? Gibt es vielleicht gar keine richtige Stärke und Art der Immersion, sondern es gibt so viele, wie es Spieler gibt und sie alle sind auf die eine oder andere Art intensiv?

Sagt es mir!

Oh, und ihr Brettspieler – ich gehöre zu Euch und liebe Spiele wie  Descent, Ark­ham Hor­ror, Talisman et cetera, aber ich spiele sie anders als Rollenspiele. Also nicht böse sein der kleinen Provokation wegen. ;)

 

 

 

4 Kommentare

  1. Oh wow, ein Artikel in dem mein Name gleich zweimal fällt. Ich fühle mich ein wenig wie eine Netz-Celebrity ^.^;

    Hinsichtlich der Gegenüberstellung kam ich nicht mehr dazu mich zu äußern da ich derzeit mitten in meinem Umzug bin.
    Ein Problem das ich bei der Gegenüberstellung sehe ist das es ausschließlich die Perspektivwörter austauscht. So ist die Unterscheidung tatsächlich nur noch formeller Natur.
    Ich persönlich würde in der dritten Person weniger davon sprechen was der Charakter fühlt sondern was er macht und was sich daraus ablesen läßt. Das heißt es hieße nicht:
    „[Er] fühlt den Schmerz der getöteten Frau in sich aufsteigen, als sich ein schaler Geschmack der Restwut der Bestie auf seine Zunge leg“
    Sondern eher ein:
    „Seine Augen sind feucht. Den Blick hat er auf sein Opfer, gerichtet. Seine Haltung ist bedrückt, so als würde er den Schmerz nachempfinden. Seine Haltung verändert sich, er ballt die Faust als die Wut der Bestie auflodert.“

    Das heißt die dritte Person zu nutzen und dann doch nur das Innenleben zu beschreiben, das die anderen Charaktere weder sehen können noch entsprechend darauf eingehen, wäre meiner Meinung nach widersinnig.

    Das heißt in der Unterscheidung hat man im ersten Fall, als Mitspieler der darauf reagieren will, nur die Information das die Augen des Charakters feucht werden. Man hat zwar mehr Informationen erhalten, aber kann sie nicht verwerten ohne Unterstellungen über den anderen Charakter zu treffen.
    So hat das Umfeld im ersten Beispiel keinen Ansatzpunkt auf die Wut oder die Empathie des Charakters einzugehen. Beschrieben ist nur die Trauer. Zwar kann man es ignorieren, aber das ist doch unsauber. Nun und zumindest mir fehlt im gemeinsamen Vorstellungsraum da die Information wie sich der Char empathisch oder wütend zeigt.

    In Bezug auf Forenrollenspiel halte ich den Vergleich mit der gemeinsamen Geschichte nach wievor für falsch, da es nur die Nachbetrachtung ist. Abgesehen davon ist es, meiner Erfahrung nach, in Text basierten Rollenspielen eher verpönt unsichtbare Handlungen oder Gedanken zu schreiben. Wobei der Stein des Anstoß eher die Gedanken sind. Wenn es dann heißt.:
    //Ich schaute die Kröte von Toreador an schießt es durch meinen Kopf. Ich präsentiere ein perfektes Lächeln „Wie überaus erfreulich Ihre Bekanntschaft zu machen.“, die Worte fallen wie Nektar von meinen Lippen.//

    Ansonsten, ich habe es nicht auf das emotionale, psychische, echte Erleben erwidert, sondern die fehlende Vermengung abseits des Spiels kritisiert. Tief und innig drin kann ich auch so sein ^^ Wozu ich auch entsprechende Welt-Beschreibungen nötig habe, anstelle unkonkrete Aussagen zu den Gedanken und Emotionen.

    Ansonsten sehe ich das Problem bei „Mein Charakter“ nicht? oO;
    Im ersten Beispiel ist es schlicht vom Satzbau her falsch. Heißt man sollte eigentlich nicht vom einem in den nächsten Satz die Person / Perspektive wechseln?
    Nun und das die Perspektive gewechselt wird könnte am Umfeld liegen? Wenn alle in der ersten Person sprechen wäre es arg grottig als einziger gegen zu schießen?

  2. Für mich gesprochen: Ich finde es am besten, wenn sowohl das von Außen sichtbare beschrieben wird, als auch die innere Welt. Das hilft mir in meiner Empfindung des SIS tatsächlich am Besten. Ich erlebe in diesem Moment die Aktionen der anderen ähnlich, als wenn ich in einem Roman über das Denken und Handeln einer Rolle lesen. Ob das „unsauber“ ist, mag dahin gestellt sein – mir hilft es bei meiner Immersion am meisten.

    Zu „Mein Charakter“:
    Man kann’s kaum glauben, da draussen gibt es Leute, die sprechen einfach beim Spielen und achten nicht auf formellen Satzbau. Daher – ob nun falsch oder nicht – ich höre sowas immer wieder am Tisch. Und wieso „gegen zu schiessen“? In meinem Umfeld wird jedem seine Art zu spielen zugestanden, egal ob nun dritte, erste oder wasweißichwelche Person ;) Ein Problem gibt es da also nicht, ich fand es nur interessant.

  3. Ich finde es mitunter einfacherer mich in einen Charakter hineinzufühlen wenn ich die Gefühle nicht explizit benennen muß. Abgesehen davon das die Gefühle, Emotionen und Gedanken idR. nichts sind worauf andere Spieler entsprechend eingehen können.

    Was Romane angeht hängt es vom Autor ab ob überhaupt und wenn ja wie stark die Ich-Perspektive geführt wird. Wobei hinzukommt das wenn ein Roman mit der Ich-Perspektive arbeitet oftmals auch kein Platz mehr für andere Ich-Perspektiven im Zusammenspiel ist.

    Wegen des „Mein Cha­rak­ter“.
    Ich will nicht kritisieren das Leute ab und an grammatikalisch nicht korrekte Sätze bauen. Nur stellst du dort zwei Sätze gegenüber die sich nur dahingehend unterscheiden. Wobei ich es dann merkwürdig finde das du behauptest den formell richtigen Satz noch nicht gehört zu haben. ^^;
    Naja und ich finde schon das man irgendwie bockig oder stur sein muss um als einziger eine andere Perspektiven-Form zu verwenden als der Rest der Gruppe. Ein bisschen wie mit der Blickrichtung im Aufzug. Nun und auch hinsichtlich dessen was dort gesprochen wird gibt es ein eher unsauberes Bild. Das scheppert quasi beim spielen.
    [Weswegen in textbasierten Rollenspielen sich oftmals vorab explizit auf eine Perspektive und bestimmte Formen eingeschworen wird]

  4. „Ich finde es mit­un­ter ein­fa­che­rer mich in einen Cha­rak­ter hin­ein­zu­füh­len wenn ich die Gefühle nicht expli­zit benen­nen muß. Abge­se­hen davon das die Gefühle, Emo­tio­nen und Gedan­ken idR. nichts sind wor­auf andere Spie­ler ent­spre­chend ein­ge­hen können.“

    –> Geht mir ähnlich.
    ABER ein Addendum: in manchen Momenten kann es *für die SL* wichtig sein, das mitzubekommen, weil die manchmal sehr wohl drauf reagieren kann bzw. muss (Bsp. Zauber, die auf X reagieren; NPC sieht/fühlt die Emotion per Aurenlesen.. wir sind in einer Traumwelt, die sich mit dem verändert, was der Char jeweils grad empfindet…) ;)
    Bzw. manchmal ist es auch einfach OT gut zu wissen, wie ein Charakter innerlich auf xy reagiert, um weiter planen zu können, was für Situationen man im Weiteren aufbringen / wie man sie gestalten könnte. Wenn ich mir kein Bild vom Innenleben eines SC machen kann, weil der Spieler mir das nicht mitteilt, hab ich gelegentlich dann schon mal deutliche Probleme vorherzusagen wie SC y wohl auf x reagieren könnte und das ist manchmal schon ganz brauchbar zu wissen, um nicht irgendwo ne Option zu vergessen, was passieren würde wenn der Char z tut, worauf man von sich aus nie gekommen wäre…

    ———————-
    Ich gebe als SC z.B. üblicherweise aus Ich-Sicht bekannt, was ich tue, spreche in direkter Rede etc. – dabei beschreibe ich dann aber eher gesondert für die Mitspieler was sie wahrnehmen können als Außensicht auf den Charakter, weil es für mich komisch wäre in Ich-Sicht zu beschreiben, was *ich* ja schon klar „empfinde“/vor meinem geistigen Auge habe. D.h. da wechselt bei mir dann also die Perspektive zum „mein Char tut“ (man sieht ihm an, dass … > „dabei kannst du/könnt Ihr xy an ihm bemerken“).
    Wenn ich der SL was sage/rüberreiche zum Thema Innensicht weil grad wichtig ist das allerdings wieder Ich-Sicht. Denn da beschreibe ich ja nicht *für wen anders* im Setting, sondern nur was „mich“ bewegt.

    –> Fühle mich da auch vom ersten Teil von Teylens erstem Kommentar oben sehr angesprochen. ;)
    Beim Foren-RP wär ich da eher geteilter Meinung. 1. wegen der Notwendigkeit ggf. der SL was mitzuteilen und Impraktikabilität das per PN zu tun, 2. weil es noch deutlich mehr vom Lesen hat als am Tisch real beisammenzusitzen – mit der die Teilung verursachenden Überlegung 3. allerdings, dass ggf. Mitspieler IT/OT-Trennung verwehrt/erschwert werden könnte, was es manchmal sinnvoll macht, es dann doch seinzulassen, so sehr es einen dazu drängen würde.. besser nen Extra-Thread dafür oder so, als deutlich markiertes ’nur für interessierte Leser/SL/wer damit umgehen kann/mag/will“, kein Charwissen..

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