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Spielertod ist auch Charaktertod – So lautet zumindest eine Drohung, die ich schon mehrfach scherzhaft vernommen habe, wenn jemand zu sehr genervt war. Und vor ein paar Tagen wurde sie mir sehr schmerzlich in Erinnerung gerufen:

Kürzlich ist ein Freund und Weggefährte, mit dem ich seit mehr 15 Jahren unzählige Abenteuer in den verschiedensten Welten erlebt habe, von uns gegangen.

Ich kenne ihn fast nur aus dem Rollenspiel. Aus dem Schock geboren, drängte sich mir die Frage auf, wie die aktuell zwei Spielrunden mit insgesamt fünf aktiven Kampagnen weitergehen sollen.

Zusammen mit der Frage wurde mir bewusst, dass ich nicht einmal ansatzweise eine Antwort auf sie hatte. Also begann ich, zu überlegen, welche Möglichkeiten es gibt.

Dieser Artikel ist sicher zum Teil auch Verarbeitung, ein „von der Seele schreiben“.

 

Ein Spieler verlässt die Runde

Wir alle haben es wahrscheinlich schon einmal erlebt, dass jemand eine Rollenspielrunde verlassen hat. Ob es familiäre, berufliche, räumliche oder ganz andere Gründe waren, die dazu führten, ist dabei erst einmal nicht besonders relevant. Es bleiben immer die gleichen beiden Fragen:

Was tun mit dem Charakter?

Meiner Erfahrung nach ist nur in den wenigen Fällen der Ausstieg in einer Situation möglich, in der der Charakter des Spielers einen ordentlichen Endpunkt erreicht hat –  entweder am Ende eines Kampagnenabschnitts oder gar durch den Tod des Charakters. Also muss man sich überlegen, was mit dem Charakter geschieht. Im Grunde hat man dabei drei Möglichkeiten:

  1. Den Charakter sterben lassen
  2. Einen Weg finden, wie der Charakter in der Welt weiter existiert, aber nicht mehr auf Abenteuer geht
  3. Den Charakter einfach verschwinden lassen

Je nach Spielstil der Runde kann davon die eine oder andere Option besser oder schlechter passen oder unterschiedliche Möglichkeiten bieten. So kann zum Beispiel ein späteres Gastspiel oder gar eine Rückkehr im Fall 2) möglich sein, bei 1) aber eher nicht. 1) hat hingegen den Vorteil, dass kein besonders komplexer Grund gefunden werden muss, warum der Charakter plötzlich sein Leben verändert. Fall 3) ist der einfachste, aber auch, innerhalb der Spielwelt, unlogischste Weg: Im Grunde ignoriert man die Tatsache, dass der Spieler je in der Runde war. Genauso kann man dann später ignorieren, dass er mal eine Zeit lang weg war, falls er wieder in die Runde einsteigt.

Was tun mit dem Spielerplatz?

Aber nicht nur der Charakter des Spielers kann ein Problem darstellen, sondern auch der leere Platz am Spieltisch.Ist die Gruppe zu klein geworden? Fehlt nun eine wichtige Funktion und muss anderweitig übernommen werden? Wie verändert sich die Gruppendynamik?

Wenn kein neuer Spieler hinzukommt, gibt es die wenigsten zu beachtenden Punkte, aber wenn einer hinzukommt, so befindet er sich in der schwierigen Situation, in ein bestehendes soziales Geflecht – sowohl der Charaktere als auch der Spieler – eingebunden werden zu müssen. Und natürlich sind die Nischen/Funktionen, die sich ihm dabei erst einmal bieten, genau die, die soeben frei geworden sind. Was aber genau dazu führen wird, dass er, wenn auch vielleicht nicht bewusst, mit dem weggefallenen Spieler verglichen wird und ein Stück weit dessen Rolle einnehmen wird.

Je ähnlicher er dem vorherigen Spieler ist, desto stärker tritt dies auf. Je stärker er sich jedoch von ihm unterscheidet, desto stärker wird sich auch die Gruppendynamik verändern. Am Spieltisch wie auch in der Spielwelt.

Auch der SL wird hier gefordert, denn, je nach Fortschritt der Kampagne, können die anderen Charaktere „geheimes“ Wissen besitzen, welches sie einem Neuling nicht ohne weiteres vermitteln würden.

Besondere Aspekte im Trauerfall

Durch die stärkere emotionale Belastung und die Endgültigkeit der Situation verändert ein Trauerfall natürlich auch die Auswirkungen der einzelnen Fragestellungen und Optionen:

Was tun mit dem Charakter?

Die grundlegenden Möglichkeiten bleiben dieselben, aber die Folgen ändern sich:

  • Durch die direkte Korrelation der Schicksale von Spieler und Charakter bietet der Charaktertod hier die Möglichkeit, seine eigene Trauer über den Verlust im Rollenspiel zu manifestieren und so vielleicht zu verarbeiten. Sollte der Charakter einen Tod durch Fremdeinwirkung finden, so gibt es zumindest in der fiktiven Welt etwas, woran man sich rächen kann. Oder vielleicht hat sich der Charakter geopfert und sein Tod wird so zum Denkmal und zu etwas Positivem. Beide Optionen können vielleicht helfen, die Schwere der Trauer abzumildern. Auf der anderen Seite würde ein sinnloser Tod durch einen Unfall oder eine Krankheit die Tragik der realen Welt an  diesem Punkt besonders stark transportieren. Auf jeden Fall wäre die Immersion in den Trauerszenen weit höher, als es normal üblich ist. Vielleicht sogar zu hoch?
  • Während sich die erste Option mit dem tatsächlichen Schicksal des Verstorbenen befasst, könnte man in dieser zweiten Option die Möglichkeit sehen, dieses Schicksal zu verneinen und für den Charakter des Verstorbenen ein Paradies zu schaffen, ihn etwas erreichen zu lassen und dann ewig in der Spielwelt im Glück weiterleben zu lassen. Genau das, was ihm im echten Leben nicht vergönnt war. Vielleicht ist es sogar eine Möglichkeit, den Charakter zum NSC zu machen, der sich irgendwo zu Ruhe gesetzt hat, seinen Freunden aber immer noch mit Rat und Tat beiseite stehen kann. So kann zumindest ein Teilaspekt des fehlenden Spielers, wenn auch nur simuliert durch den Spielleiter, weiter am Spiel und Spaß teilhaben. Gerade diese Möglichkeit könnte aber wiederum als pietätslos angesehen werden. Der NSC wäre eben nicht der Charakter, sondern nur ein Imitat, eine fehlerhafte Reproduktion.
  • Diese dritte Option ist und bleibt der einfache Weg. Der billige Weg. Man befasst sich nicht mit dem, was passiert ist, sondern verdrängt es, zumindest in Verbindung mit dem Hobby, das man mit dem Verstorbenen geteilt hat. Eine Verarbeitung des Geschehens wird hierdurch nicht beeinflusst, weder positiv noch negativ. Aber würde dies dem Andenken des Spielers wirklich gerecht? Dass er einfach vergessen wird in dem Hobby, das man mit ihm geteilt hat?
Über die Trauer als Emotion im Rollenspiel: KLICK

Welche Option man auch immer wählt, die Entscheidung sollte auf jeden Fall gemeinsam von der Gruppe getroffen werden, denn nicht jeder trauert auf die gleiche Art und in einer sowieso schon emotional schwierigen Phase sollte man, mehr denn je, um Deeskalation bemüht sein.

Was tun mit dem Spielerplatz?

Hier ändert sich weniger als bei der Charakterfrage. Einzig der neue Spieler wird es noch schwerer haben, als er es sonst hätte, da er im schlimmsten Fall den Verstorbenen gar nicht kannte, die Stimmung am Tisch also gar nicht nachvollziehen kann. Und sollte er dem Verstorbenen vom Wesen her ähneln, so muss er, um sich von ihm zu unterscheiden, mehr „kämpfen/sich bemühen“ als üblich, da der Kampf gegen eine romantisierte Erinnerung immer etwas Schweres ist.

Sollte er sich jedoch zu stark von ihm unterscheiden, wird er vielleicht auf Widerstände stoßen bei dem Versuch, etwas zu verändern. Bewusst oder unbewusst könnten die verbliebenen Spieler an ihren Erinnerungen festhalten wollen, und sich so gegen Veränderungen stemmen könnten.

Vermutlich wäre es also kein guter Zeitpunkt, um in eine solche Runde einzusteigen. Zumindest nicht, bis die Runde Zeit hatte, das Geschehene zu verarbeiten. 


 

Wie ist es bei euch? Hattet ihr schon einmal einen solchen Fall? Wie seid ihr damit umgegangen?

 

 

Artikelbild: pispirico auf sxc.hu

7 Kommentare

  1. Schöner Artikel, wenn auch die implizierte Frage, was man in so einem Falle tun soll, naturgemäß nicht beantwortet wird.

    Ich selber war zum Glück noch nicht in der Lage, einen aktiven Mitspieler zu verlieren, musste jedoch vor einigen Jahren den Tod eines ehemaligen Mitspielers und guten Freundes akzeptieren. Unsere gemeinsamen Spiele waren durch den Aufbau unserer jeweiligen Familien, Jobs und dadurch bedingte Umzüge schon ein paar Jahre her, aber allein durch die Kinder blieben wir in Kontakt. Nach seinem durch Krankheit verursachten Tod blieben uns Spielern der alten Tage, die auch nur noch selten Kontakt hatten, nur noch alte Erinnerungen.
    Mittlerweile bin ich in meinem Spielleiten (und im DSA-Briefspiel) dazu übergegangen, einige seiner legendärsten Charaktere von früher als NSCs in meine Geschichten einzubauen, um seiner als Spieler zu gedenken und ihn nicht zu vergessen. Es hält in mir die Erinnerung an einen guten Freund und tollen Kerl am Spieltisch wach.

    [Aus der Kategorie „Von der Seele geschrieben“]

  2. Schweres Thema, guter Artikel. Mein Beileid. Ich habe vor 10 Jahren mit 21 einen Freund verloren. Es war der Typ dicker, geselliger Quatschmacher. Seither erinnern mich viele andere Menschen, die ich getroffen habe, an ihn. Er fehlt immer noch und ich weiß, wir hätten richtig viel Spaß gehabt, wäre er noch da. Er hat die gesamte Sparte dieses Humors in unserem Freundeskreis belegt :) Wichtig, dass alle miteinander reden und sich austauschen, wie es in so einem Fall weitergehen soll.

  3. Unsere Spielgruppe in Dublin hatte (eher hat) einen sehr grossen Spielerdurchsatz. Da wir das bisher immer wenigstens ein paar Wochen vorher wussten, konnten wir den Charakter entweder einem anderen Spieler uebergeben (haben wir, glaube ich, einmal gemacht) oder den Charakter „aus der Gruppe spielen“. Ich sollte dazu sagen, dass es meines Wissens allen ehemaligen Spielern unserer Gruppe gut geht.

  4. Hallo,

    mein herzliches Beileid zu deinem Verlust.

    In meiner Runde ist vor einigen Jahren auch ein Spieler verstorben. Wir sind aber alle schon ewig befreundet, daher waren wir gleichermaßen tief betroffen und haben gemeinsam getrauert und uns gegenseitig viel Trost gespendet.

    Was das Rollenspiel angeht, haben wir recht unterschiedliche Ansätze verfolgt. Wir haben eine rotierende Spielleitung. Einer der SL hat sich entschieden, den Charakter des Verstorbenen in der Gruppe zu behalten und ihn als NSC zu führen. Allerdings ist der Charakter nur ab und zu mal anwesend, obwohl er mit einem anderen SC verheiratet ist. Der SL hat sich dazu eine schöne Wendung ausgedacht, bei der der Charakter durch göttlichen Einfluss nun einen etwas anderen Weg beschreitet (=eine Prestigeklasse angenommen hat) und jetzt erst einmal in Abgeschiedenheit lebt und lernt, sich in diese Rolle hineinzufinden und die neuen Fähigkeiten zu verwenden.

    Mir als SL ging es dagegen anders: In meiner Runde wollte ich den herrenlosen Charakter nicht als NSC spielen. Zum einen spiele ich ungern die Charaktere anderer Spieler als NSCs und habe immer das Gefühl, dem Original nicht gerecht zu werden. Es gibt aber noch einen Grund, den ich nicht genau beschreiben kann: Zwar finde ich es super, dass wir ab und zu über unseren Freund sprechen und uns an vergangene Erlebnisse mit ihm erinnern, aber bei dem Gedanken, den Charakter dauerhaft in der Gruppe zu haben, habe ich mich einfach unwohl gefühlt. Ich habe nur noch ein Abenteuer geleitet, das sich um diesen Charakter drehte, um einen Abschluss zu schaffen. Und zwar musste der Rest der Gruppe ihn aus der Gefangenschaft einer Magierin befreien, die nach und nach seine Lebenskraft ausgesaugt hat. Ich fand den Gedanken nett, dass wir auf diese Weise im Spiel diese Person retten konnten, im Gegensatz zum echten Leben, wo wir unserem kranken Freund eben nicht helfen konnten.

    Auf jeden Fall stimme ich zu, dass man innerhalb der Gruppe absprechen sollte, wie man im Trauerfall mit dem Charakter umgehen soll, da man auf die Gefühle jedes Gruppenmitglieds Rücksicht nehmen muss. Allerdings kann ich alle nur ermutigen, einen Todesfall nicht einfach zu verdrängen. Mir ging es anfangs auch so, dass ich im Beisein meiner Freunde das Thema am liebsten vermieden hätte und große Angst hatte, die Fassung zu verlieren. Es ergab sich aber, dass andere aus unserem Kreis Runde ein großes Redebedürfnis hatten und wir dadurch doch immer wieder darauf zu sprechen kamen. Im Nachhinein bin ich auch sehr froh darüber, dass wir dann doch immer sehr offen über alles geredet haben, weil mir das auch sehr geholfen hat.

    Grüße
    Daeumling

  5. Wenn ein Spieler stirbt, kann es für mich keine Fortsetzung seiner Spielertätigkeit geben. Der Grund: Tod ist Realität, sein Charakter ist Fiktion. Ich finde die Vorstellung, mit einer Fiktion einen realen Tod aufarbeiten zu wollen, absurd. Wenn die Mitglieder der Runde nach dem Tod des entsprechenden Spielers nicht ohne weiteres zur Tagesordnung übergehen können (was ich relativ wahrscheinlich finde), sollten sie in meinen Augen zu einem Gespräch übergehen, in dem der Tod des Spielers thematisiert und (hoffentlich irgendwann) verarbeitet wird.

    Ich finde es wichtig, zu erkennen, dass Rollenspiel seine Grenzen hat. Die Grenze ist die Realität.

    Tharon.

  6. Ich hatte bei allen Chars die ausgesteigen sind aus meinen Runden ZWEIMAL das Glück dass die Spieler an einem Punkt ausgestiegen sind der nicht mitten in der Wildnis war sondenr in einer Siedlung wo sich der Char gut ausbauen lies und ein neuer problemlos einsteigen konnte. Einer wurde der Dorfschamane und einer wurde der Hauptspäter für ein Militärcamp. Alle anderen Chars habe ich gnadenlos verrecken lassen weil die Ausstiege der Spieler nie gut / sinnvoll / nachvollziehbar waren sondern alle in die Richtung gingen „Bein raus weil Baum“. Da habe ich dann auch keine Lust mir Gedanken um den Char zu machen und den schön einzubauen.

  7. Bei einem echten Trauerfall entsteht ja fast immer eine Pause des Rollenspiels. Nicht, weil Rollenspieler versagt hätten „auf Kaltblütigkeit“ zu würfeln, sondern weil man ja auch in der Realen Gesellschaft Verpflichtungen hat und Beerdigungen stattfinden.

    Manchmal hilft es, jemanden zu nehmen, der nicht unbedingt langfristig zur Gruppe gehören „muss&will“, da eine solche Person, wenn informiert über den „unfreiwilligen Personalwechsel“ eben einfach die Funktion übernimmt und erst gar nicht um die Sympathien der Spieler oder Helden buhlt.

    Mit dem Alter kommt auch da Routine. Das Erste Organversagen bei „harmlosen Alkohol“ und die erste Psychose oder Krebsdiagnose durch „harmloses Kiffen“ war noch nen Schock. Danach bleibt man oft gefasster, oder reagiert eher genervt, weil es ja wissenschaftlich längst nen alter Hut ist.

    Alles Gute!

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