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Achtung: Hier leben Drachen!“ So, oder so ähnlich, lauten Schriftzüge auf alten westlichen Landkarten. Mit dieser Warnung wurden Gebiete versehen, die noch nicht erkundet waren. Die unbekannt waren und die deshalb als „gefährlich“ galten. Warum ausgerechnet der Drache, wo doch diverse Wesenheiten die Fantasie, und vor allem die Ängste, vergangener westlicher Kulturen beflügelten? Und warum ausgerechnet im Westen und nicht im fernen Osten?

Diese Fragen führen zum großen Thema der generellen mythologischen Bedeutung des „Drachen“. Der Frage, welche Bedeutung der Drache im kulturellen Hintergrund so vieler Gesellschaften über so viele Zeitalter innehatte. Eine Bedeutung die bis in die heutige Zeit reicht, wo der Drache nicht nur in der fantastischen Literatur noch immer anzutreffen ist, sondern auch als Markenzeichen von Unternehmen oder gar als Wappentier ganzer Länder genutzt wird.

Obschon der Versuch einer geschichtlich-kulturellen Abhandlung zu diesem Thema den Rahmen eines üblichen Artikels sprengen würde, so möchte ich doch einen groben Überblick über das Thema „Drachen, wo kommen sie her und wo finden wir sie heute in den fantastischen Welten wieder“ geben.

Wie weit die Sagengestalt des Drachen tatsächlich in den jeweiligen Kulturen zurückreicht kann jedoch nur erahnt werden. Lassen sich Bildnisse, und gar schriftliche Aufzeichnungen, die sich mit dem Drachen befassen bis auf bestimmte Epochen menschlicher Zivilisationen zurückdatieren, so bleibt doch offen wann mündliche Überlieferungen ihren jeweiligen Anfang nahmen.

Mythologische Ursprünge – Altorient bis in die Johannes Offenbarung

Wie viele andere Sagengestalten hat der Drache viele Entwicklungsstufen durchgemacht, bis er zu dem wurde, was wir heute als „Drache“ bezeichnen würden. Viele Kulturen und Zeitalter gaben dem Fabelwesen stets neuen Ausdruck, veränderten das Aussehen, das angenommene Verhalten und die Attribute dieser feuerspeienden Riesenschlange.

Allen Darstellungen von Drachen ist gemeint, dass er als Chimäre auftritt. Als Mischwesen verschiedener Tiere.

Kupferne Drachen in Budapest
Kupferne Drachen in Budapest

Die Sumerer kannten zwei verschiedene „Arten“ von Drachen: Den „Schlangendrachen“, der unserer heutigen Darstellung des Drachen relativ nah kommt und den „Löwendrachen“, welcher an eine Chimäre aus Löwen und Vögeln gemahnte. In der altorientalen Vorstellung verkörperten diese Drachen eine eigene Sorte übernatürlicher Kreaturen. Zu dieser Zeit werden Drachen weder als von Natur aus gut noch als böse beschrieben.

Der typische „Drachenkampf“ findet sich in der orientalischen Darstellung zum ersten Mal im dritten Jahrtausend vor Christus. Die Rolle der klassischen Drachentöter wurde hierbei von Göttern übernommen. So tötet im Anzu-Mythos der Kriegs- und Wassergott Ninurta den „Vogeldämon“ Anzu und verteidigt die anderen Götter zusätzlich vor dem Steindämon Asag und dem Unterweltdrachen Kur. Diese Darstellung, der Anzu-Mythos, verbreitet sich durch den Aufstieg des Assyrischen Reichs. Über König Nimrod, den biblischen Urenkel Noachs, findet dieser Mythos auch Einzug in die monotheistisch-weltreligiösen Schriften.

Zusätzlich diente Ninurta als Vorlage für den späteren babylonischen Stadtgott Marduk, der sich ebenfalls Schlangendrachen im Kampf gegen Tiamat stellen musste.

Diese altorientalischen Mythen und Drachenbilder säumen den Weg, den das Mythenwesen „Drache“ auf dem Weg in die Darstellung jener Religionen und Kulturkreise nahm, die sich auf dem Alten Testament aufbauten.

Die typisch romantische Darstellung der geretteten Jungfrau vor dem feuerspeienden Ungetüm, inklusive des klassischen Drachenkampfs in dem der Held einer Geschichte das „Monster“ erschlägt, findet seinen Ursprung in alt-griechischen Erzählungen. So in der Sage um den Helden Perseus, der Andromeda vor dem Wasserdrachen Ketos rettet.

Die Drachen der griechischen Mythologie besitzen bereits den feurigen Odem und neigen dazu, in Höhlen zu hausen. Im Vergleich zur heute typischen Darstellung sind sie jedoch mehrköpfige Meereslebewesen mit Fokus auf den Schlangenaspekt ihrer Erscheinung. Was wir den Griechen in der „Drachensache“ verdanken ist jedoch unzweifelhaft die Namensgebung. Eigentlich als „drácōn“ (der starr Blickende) bezeichnet wanderte das Nomen über das lateinische „draco“ schlussendlich als „trahho“ in das Althochdeutsche, als „dragon“ in die englische und französische Sprache sowie als „drake“ ins Schwedische.

Die Bibel nimmt, wie bereits angedeutet, die altorientale Darstellung des Drachen auf und verfährt mit dem Drachen wie mit vielen anderen Fabelwesen: Sie dämonisiert. Der Drache erfährt gerade in der christlichen Tradition eine überaus negative Färbung. In der Bibel wie im Koran wird der typische Drache dem Bösen gleichgestellt. Der Drachenkampf selbst wird in der Offenbarung des Johannes zum letzten Kampf auf Erden, der Erzengel Michael zum letzten „Drachentöter“. Hier symbolisiert der Drache den Teufel selbst.

Nordische „Heiderei“

Denken wir an nordische Kulturen und Drachen, so denken wir sehr schnell an die „Drachenboote“ der Wikinger. Obschon die Drachenkopfverzierung des Schiffsbugs archäologisch bis heute nicht nachgewiesen werden kann, war die „Dreki“ ein weit verbreiteter Schiffstyp.

Unbestritten ist, dass Drachensymboliken auf Waffen und diversen Einrichtungsgegenständen, sowie auf Runensteinen allgegenwärtig waren.

Im altgermanischen findet der Drache sich in diversen Heldendichtungen und Liedern. So etwa der „Lindwurm“, personifiziert durch Fafnir im Nibelungenlied, die Midgardschlange, die in der Edda zu den drei Weltfeinden gehört und von Thor bekämpft wird oder „Nidhöggr“, ein Schlangendrache, der den Weltenbaum Yggdrasil an der Wurzel bewohnt. Wie der Drache in der Offenbarung des Johannes spielt „Nidhöggr“ eine Rolle in der mythologischen Endzeit, der Ragnarök.

Beowulf kämpft ebenfalls gegen diverse Drachen, die mitunter auch von Schätzen gesäumte Horte bewachen und somit das klassische Bild des Drachen als Schatzhüter untermauern.

Amerikanische Drachenwesen

Mythologische Ursprünge lassen sich im amerikanischen Raum, sei es bei Maya, Azteken oder Indianern, aufgrund fehlender Schriftzeugnisse nicht ermitteln. Dennoch findet sich auch hier das Bild des drachenartigen Chimärenwesens.

Quetzalcoatl, die „leuchtende Schwanzfederschlange“, ein Gott der mesoamerikanischen Kultur, wird als große Klapperschlange dargestellt, die mit Federn des Quetzalvogel bedeckt ist. Der Regengott Tlaloc erscheint als Mischwesen aus Jaguar und Schlange. Xiuhcoatl, die „Feuerschlange“ in der Mythologie der Azteken zeichnet sich für Missernten und Dürre verantwortlich.

Ostasiatisches Kontrastprogramm

In der ostasiatischen Mythologie, gerade im chinesischen Raum, ist der Lóng allgegenwärtig. Im Vergleich zur westlichen Darstellung besitzt der Drache hier durchaus positive Eigenschaften und Motivationen, tritt insgesamt jedoch als ambivalentes Wesen auf.

So ist er in der Geschichte um Pangu eines der vier „Wundertiere“, die ihm bei der Schöpfung der Welt halfen. Im Daoismus wird der Lóng dem aktiven Part, dem Yang, zugeordnet, steht für den Frühling, das Wasser und den Regen und vertritt die Schuppentiere unter den fünf traditionalistischen Arten von Lebewesen.

Die Ambivalenz wurde bereits erwähnt. Ein Beispiel für eine deutlich bösartige Darstellung von asiatischen Drachen ist der „schwarze Drache“, der für Überschwemmungen und Stürme verantwortlich sein soll.

Wurde der altorientalische Drache als eigene Sorte übernatürlicher Wesen beschrieben, fern von Göttern und Dämonen, so wird der Lóng eher mit einer Gottheit gleichgesetzt. Bis heute werden in ländlichen Regionen verschiedene regionale Inkarnationen angebetet.

Wie schon die Menschen im alten Orient zwei Sorten von Drachen kannten, verhält es sich im asiatischen Raum ähnlich. Hier unterscheidet man zwischen Wasserdrachen, Gottheiten der Gewässer, und Feuerdrachen. Beide Arten befinden sich in einer Beziehung zueinander. So ist die Art des einen die Schwäche und ein Auslöser von Furcht für den jeweils anderen. Der Feuerdrache fürchtet das Wasser und wird in einigen Erzählungen gar durch Wasser bezwungen. Dem gegenüber fürchtet der Wasserdrache das Feuer.

Eine Eigenschaft der asiatischen Drachen, die sich auch in der heutigen Fantastik oft wiederfindet, ist die der Gestaltveränderung. So wird dem Drachen auch unterstellt menschliche Gestalt annehmen zu können.

Drachen-Steinmetzarbeiten in London
Drachen-Steinmetzarbeiten in London

Eigenschaften und Eigenheiten

Dem Drachen wird eine Reihe von Eigenheiten angedichtet. Wir alle erinnern uns an die ersten Geschichten die man Kindern erzählt, wenn man ganz stereotyp von Drachen berichtet. Da ist der angebundene Pfahl, wo eine Prinzessin – im Idealfall eine Jungfrau – dem Drachen geopfert wird, damit dieser sich beruhigt und die Dörfer und Felder nicht verbrennt. Gekoppelt wird dies, wie bereits erwähnt, mit dem Drachenkampf. Dem auftauchenden Ritter oder verliebten Jüngling, der mit Schwert oder Schläue den Drachen entweder im direkten Kampf oder durch Tricks besiegt. Diese Drachen hausen zumeist in Höhlen an – oder in – einem beliebigen Gebirge.

Man erzählt, dass Drachen Schätze horten und eifersüchtig hüten. Somit müssen sie entweder stehlen oder Opfergaben in Form von Wertgegenständen erhalten. Meist bleibt offen, was ein Drache mit einem Hort voller Schätze anzufangen weiß.

Den meisten Drachen wird heute unterstellt fliegen und Feuer speien zu können. Klassisch werden diese Fähigkeiten eher zu destruktiven Zwecken eingesetzt, gerade wenn ein Drache als eher animalische Kreatur mit bösartigen Intentionen beschrieben wird.

Diese animalische Natur ist jedoch kein Muss und schon gar nicht instinktgesteuert. So finden sich ebenfalls Beispiele für durchaus intelligente, abschätzende Drachen. Man könnte, betrachtet man die Ursprünge des Drachenmythos, gar annehmen, dass jene instinktgesteuerten Wesen, das „Drachentier“, sich in der kulturellen Geschichte kaum bis gar nicht findet. Hier sind Drachen, wie auch oben zu lesen ist, stets mindestens „höhere“ Wesen wenn nicht gar Gottheiten mit Motivationen, die sich auf dieser Bewusstseinsebene bewegen. Als solche Wesen erheben sie sich über das reine Fliegen und speien von Feuer in magische Sphären.

Insgesamt wird Drachen, unabhängig vom mythologischen Ursprung, eine lange Lebensdauer nachgesagt.

Einige Beispiele aus der Phantastik

Spätestens im Dezember diesen Jahres wird uns ein Drache erneut begegnen: Smaug im Der Hobbit – Smaugs Einöde. Hier behütet der „letzte der großen Drachen“ einen Hort von geraubten Schätzen. Smaug ist intelligent, in der Lage mit den gewöhnlichen Wesen auf Mittelerde, in diesem Falle Bilbo Beutlin, zu reden.

Im Rollenspielbereich fällt gerade Dungeons and Dragons durch die Namensgebung auf, wenn man nach Drachen in der Fantastik Ausschau hält. Die hier dargestellten Drachen sind, wie die Spielwelt selbst, mannigfaltig. Die meisten Arten werden als intelligenter als Menschen beschrieben und sind kulturschaffend.

Auch Das Schwarze Auge kennt Drachen auf vielerlei Arten und Weisen. Teils als tierische Kreaturen, teils als eindeutig kulturschaffende Wesen.

Im Dark-Fantasy-Rollenspielsetting Arcane Codex sind Drachen Teil der Schöpfungsgeschichte der Welt. Ihre Darstellung entspricht sehr denen der klassisch westlichen Drachen. Sie sind hochintelligente Einzelgänger, die magische Begabungen ausbilden können.

Im Rollenspiel Vampire: The Masquerade ist lediglich eine „Drakoform“ enthalten. So sind mächtige und alte Vertreter eines bestimmten Vampirclans in der Lage, die Form eines klassisch westlichen Drachen anzunehmen.

Dass das Thema „Drachen“ nicht nur eines für vergangene Zeitalter und den klassischen Fantasy-Bereich ist zeigt Markus Heitz in „Feuerkriege: Die Mächte des Feuers / Drachenkaiser“. Hier findet sich der Leser in einer alternativen Zeitlinie unserer Welt wieder. Die Handlung spielt in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Drachenjäger sind hier ebenso real wie hochintelligente, intrigante und territoriale Drachen, die um Einfluss und Reichtum kämpfen. Heitz greift hierbei sehr schön auch die mythologischen Unterschiede zwischen westlichen und ostasiatischen Drachen auf.

Drachen lassen sich im Rollenspiel Shadowrun auch in einer magischen, hochtechnisierten Zukunft wiederfinden, wo sie zumeist als hochintelligente, in höchstem Maße magisch begabte Kreaturen auftauchen. Ihr Erscheinen lehnt sich an mythologische Ursprünge verschiedener Kulturen an. Zumeist eher Einzelgänger und einsiedlerisch veranlagt, neigen einige dennoch auch zu sehr direkten Einfluss auf die weltliche Politik.

Tagesaktuell darf auch Das Lied von Eis und Feuer, respektive die TV-Umsetzung Game of Thrones nicht vergessen werden. Ebenfalls am klassisch westlichen Beispiel orientiert sind Drachen hier vermeintlich ausgestorbene Wesen, die vom ehemaligen Königshaus Targaryen einst zur Eroberung des Kontinents Westeros genutzt wurden. Obschon diese Drachen eher dem Tierreich zuzuordnen zu sein scheinen, bilden sie ein Bindeglied zur Magie auf der Welt.

Im Bereich der digitalen Rollenspiele sticht Dragon Age ins Auge. Jüngst wurde der dritte Teil der Serie angekündigt. Hier sind die ältesten Drachen, kreiert nach westlichem Vorbild, alte Götter, die unter die Erde verbannt wurden und, verdorben, zu Erzdämonen werden können.

Abschluss

Ersichtlich wird, gerade mit einem Blick in die Fantastik, dass Drachen sich in allen möglichen Umgebungen wiederfinden lassen. Ihre Art, der mythologische Ursprung, ist jeweils unterschiedlich. Und auch wenn sich der westliche Drache in unseren Sphären durchgesetzt haben mag, finden wir dennoch die Inkarnationen mesoamerikanischer und asiatischer Drachen immer wieder.

Der Mythos „Drache“ ist nicht auf das klassische Fantasy-Setting begrenzt und findet sich heute ebenso in Science-Fiction und Steampunk-Umgebungen wieder. Er ist weit mehr als der Jungfrauen verschlingende Höhlenbewohner, der von einem stattlichen Ritter niedergerungen, oder von einem gläubigen Priester hinweggebetet wird.

Wer die 1920er Jahre mag, sich mit alternativen Zeitlinien anfreunden kann und eine gute Geschichte über Drachen, kontintentübergreifend, lesen möchte dem kann ich nur Markus Heitz‘ oben erwähnte Werke „Die Mächte des Feuers“ und „Drachenkaiser“ ans Herz legen.

Artikelbilder: Fotolia, costi auf sxc.hu 

3 Kommentare

  1. Sehr schöner Artikel!
    Aber etwas Kritik muss immer sein:
    Eine Eigen­schaft der asia­ti­schen Dra­chen, die sich auch in der heu­ti­gen Fan­tas­tik oft wie­der­fin­det, ist die der Gestalt­ver­än­de­rung. So wird dem Dra­chen auch unter­stellt mensch­li­che Gestalt anneh­men zu können.
    In welchem Buch/(Online-)Rollenspiel/Film gibt es Drachen, die zu Menschen werden? Zumindest ist das bei mir nicht das erste was ich mit Drachen verbinde ;)

  2. Gestaltwandelnde Drachen sind üblich in Dungeons & Dragons, der Wasserdrache im Film „Chihiros Reise“ ist die meiste Zeit ein Junge, im Dezember kommt „47 Ronin“ ins Kino mit menschlichen Drachen. Dafür gibt es sicher noch etliche Beispiele mehr.

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