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Ein Knistern in meinem Ohr weckt mich. Müde drehe ich mich auf die Seite, suche den Sprechknopf meines Funkgerätes und melde mich. „Schwarz 1, Black-Betty hört.“ Einen Moment lang ist Stille, und gerade als ich wieder weg dämmern will, höre ich in meinem Ohr die Antwort: eine Schlacht, ich werde gebraucht … Ich greife links neben mich und fühle meine Handschuhe. Ich streife sie über meine Hände … und stocke. Mein Blick klärt sich, meine Augen gewöhnen sich an das Dunkel und mein Kopf beginnt zu arbeiten. Es ist Ruhe um mich herum. Nichts bewegt sich, nichts macht ein Geräusch. Ich bemerke, dass ich gar nicht in meinem Zelt liege, sondern in meinem Bett, in meiner Wohnung. Ohne Funkgerät, Handschuhe, Stiefel … ohne Spieler und ohne Schlachten. Als ich das alles realisiere, sinke ich wieder in einen tiefen, traumreichen Schlaf zurück. Das DF (Drachenfest) ist vorbei, ich bin allein. Frieden umschließt mich.

„I don’t care, i love it“

(Icona Pop ~ “I love it”)

Rotkappenrudel
Rotkappenrudel

Drachenfest bedeutet für mich als Spielleitung Stress. Und dieses Jahr war es gefühlt sogar mehr Stress als die Jahre zuvor. Und dennoch sehne ich jedes Jahr aufs Neue den Moment herbei, an dem ich die Grenze zum Quast überschreite und die Realität eine Woche lang hinter mir lassen kann. Ich arbeite in dieser Woche fast ohne Pause, ich stehe psychisch und physisch unter Druck, ich lote meine persönlichen Grenzen aus und erweitere sie. Alles Dinge, die ich am Strand liegend nicht hätte.

Trotzdem ist es Erholung, auf eine ganz andere, ganz eigene Art und Weise. Meine Welt endet eine Woche lang an der Geländegrenze. Mein Aufgabengebiet ist klar begrenzt und ich weiß jederzeit, wer für was zuständig ist und wie ich ihn oder sie erreichen kann. Ich bewege mich in einem klar begrenzten Rahmen mit Netz und doppeltem Boden. Und genau dieser Rahmen ist es, der mir Sicherheit bietet, Halt und das Abschalten von der Realität. Genau dieser Rahmen bietet mir die Erholung im beziehungsweise gerade durch den Stress.

„Ah, ha, ha, ha, fail again, fail again.”

(zu The Bee-Gees ~ “Stayin’ alive”)

Platzhalter
Die Landsknechte

Doch ist das nicht der einzige Grund für mich, einmal im Jahr auf den Quast zu fahren. Abschalten von der Realität könnte ich wirklich auf vielen anderen, weniger stressigen Wegen. Ich könnte ein Buch lesen, einen Film sehen, Videospiele spielen oder mir an einem Südseestrand die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Vielmehr treffe ich hier allerdings Freunde wieder und sorge – und das ist einer der wichtigsten Aspekte für mich – dafür, dass aus ca. 5000 Leuten, die sich auf diesem Gelände zusammenfinden, etwas Größeres wird. Ich helfe mit, die Drachenlande zu erschaffen und diese Veranstaltung für alle Teilnehmer (auch mich) zu einem unvergesslichen Erlebnis werden zu lassen.

Um dies zu erreichen, muss man aber vor allem die Probleme aus dem Weg schaffen. Und diese gab es dieses Jahr zuhauf. Seien es Hitzschläge bei Spielern, Verzögerungen beim Schminken der NSC, was dazu führte, dass der dazugehörige Plot ad hoc umgeschrieben werden musste, OT-Diebstähle oder einfach nur das profane Ausgeben von Charakterbögen und Klebezettelchen für Tränke. Eines der größten Probleme dieses Jahr waren die Kämpfe. Unglaublich oft habe ich Beschwerden über andere Kämpfer gehört, von Kopfschlägen und ballistischen Schüssen. Ich schiebe das Ganze zumindest zum Großteil auf die sengende Sonne, denn ich konnte auch an mir selbst beobachten, wie mit zunehmender Umgebungstemperatur auch mein Frustlevel automatisch mit anstieg sowie meine Aufmerksamkeitsspanne sank.

Die Frustration ging bei einigen Fraktionen so weit, dass sie OT (Outtime) entschieden, nicht mehr gegen bestimmte andere Fraktionen zu ziehen. Generell war dieses Jahr irgendwie der Wurm drin. Leider kann ich nicht einmal genau sagen, wo das Problem lag. Mein Team war gut, das Wetter zwar heiß, aber meinem Erachten nach einen Ticken angenehmer als im Jahr zuvor und die Spieler bemerkenswert selbstorganisiert. Doch irgendetwas scheint an meinen Kräften gezehrt zu haben. Nicht zuletzt deswegen möchte ich hiermit noch einmal gesondert um Entschuldigung bei meinen Spielern im Allgemeinen und dem Rotlageristen Freitagnacht im grünen Lager im Speziellen bitten. Falls ich nicht immer ein offenes Ohr hatte und ab und an genervt gewirkt habe oder vielleicht sogar über Gebühr schroff wurde, tut es mir wirklich leid.

„Scheiss drauf, DF ist nur einmal im Jahr“

(zu Peter Wackel ~ „Scheiss drauf – Mallorca ist nur einmal im Jahr“)

Drachen überall!
Drachen überall!

Doch all die Mühe wird belohnt. Michael Mittermeier sagte einmal in einem seiner Programme über Eltern: „… aber wenn es dich dann einmal anlächelt, ist alles wieder gut.“ Und ja, so ist es tatsächlich. Wenn man sieht, wie viel Spaß die Spieler haben und wie sich aus diesen Wiesen wirklich eine ganz andere, ferne Welt entfaltet; wie Herzblut Früchte trägt und Erfolge und Niederlagen gefeiert werden; wie Kommandoaktionen mit Feuer in den Augen geplant werden und wie komplexe Rituale durchgeführt werden, um göttliche Wesen zu beeinflussen; wenn man sieht, wie aus über 300 Mann ein Lager wird, das an einem Strang zieht; wie der Quast zu mehr wird als die Summe seiner Teile; wenn man lacht und weint und schon fast unweigerlich mitgerissen wird; wenn man erkennt, was die Leute alles auf sich nehmen für diese eine Woche Urlaub von der Realität, dann kann man gar nicht anders als sich zu freuen.

Dann ist man glücklich, dort zu sein und das erleben zu dürfen.

Fazit

Jetzt, eine Woche später, sitze ich hier und denke zurück. Ich denke an die Strapazen, die ich auf mich nehme. Ich denke an den Stress, den ich habe und ich frage mich:

Warum? Ich muss nach dieser Woche immer mindestens einen Tag zusätzlich frei nehmen, um wieder arbeitsfähig zu werden, ich opfere meinen Urlaub dafür und kriege nicht einmal Geld für meine Arbeitskraft. Also, warum tue ich das alles?

Und dann kommen wieder die Erinnerungen an die ganzen schönen Dinge: an das Endritual, an 350 Stimmen, die „Betty muss tanzen!“ rufen, an den Siegestaumel meiner Schwarzlageristen, als ihnen bewusst wurde, sie hatten gewonnen und die Mühen der letzten 3 Jahre zahlten sich aus. An meine stolzgeschwellte Brust, als ich dem Aufbauteam verkünden durfte, dass wir dieses Jahr das beste Tor des gesamten Drachenfestes hatten, an ihre Jubelschreie.

Und so beantworte ich mir diese Frage ganz einfach so, wie ich sie auch der Orga des Drachenfestes beantwortet habe, als sie mich fragte, wie das Drachenfest für mich war: „Es war sehr anstrengend, aber: Worth it!

Herren verschiedenster Länder
Herren verschiedenster Länder

 

Artikelbilder: Logo – Sandra Wolter, Fotografien: Andreas Megens http://lordorpheus.de/

1 Kommentar

  1. Sehr schöner Artikel, den ich nach eigener SL-Erfahrung auf dem ZdL richtig gut nachempfinden konnte :) und genau diese Begeisterung und das Herzblut machen solche Großcons zu einem richtigen Erlebnis. Bis zum nächsten DF ;)

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