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Anfang Juni veröffentlichte Prometheus Games mit Los Muertos den neuesten Titel ihrer Reihe der Pocket RPGs. Wartete diese Serie schon immer mit ausgefallenen Themen wie Ratten, Jugenddetektiven oder testosteronstrotzenden Barbaren auf, so reist man im jüngsten Band als Skelett durch die aztekische Unterwelt auf der Suche nach der letzten Ebene.

Erscheinungsbild

Wie bei den Pocket RPGs üblich, erhält der Leser ein komplettes Rollenspiel samt Regeln und ausführlichem Hintergrundmaterial. Zudem finden sich auf den 136 Seiten des Bandes noch zahlreiche Abenteuer.

Auch beim Format bleibt Los Muertos bei der für Pocket RPGs etablierten Größe von DIN A5. Der zweispaltig gesetzte Text ist gut und übersichtlich lesbar. Er wird von zahlreichen Illustrationen in dem Comicstil verziert, der auch schon das Titelbild auszeichnet und hervorragend den nicht ganz so ernsten Ton dieses Spiels vermittelt.

Am Ende des Bandes sind zwei Charakterbögen in sepia und druckerfreundlichem Schwarz-Weiß zu finden.

Ein Index fehlt, wegen der übersichtlichen Regeln und den übersichtlich strukturierten Hintergrundbeschreibungen ist das Inhaltsverzeichnis aber ausreichend.

Irritierend in der Weltenbeschreibung und den Abenteuern sind die wiederholten Verweise auf separate Textkästen mit kleinen Hintergrunddetails, die dann aber fehlen. Zwar sind die angesprochenen Informationen letztlich im eigentlichen Fließtext vorhanden, dennoch scheint das Lektorat hier nicht aufgepasst zu haben.

Los Muertos ist – wie bei allen Veröffentlichungen der Reihe Pocket RPG –als Gratis-PDF erhältlich; eine Druckfassung ist derzeit für Oktober 2013 angekündigt.

Das PDF enthält trotz Vollfarbe und marmorierten Hintergrunds keine Ebenen, was einen Ausdruck etwas kostspieliger macht. Lesezeichen fehlen ebenfalls – aber bei einem Gratisprodukt mag man sich darüber kaum beschweren.

LosMuertos_CoverDie harten Fakten:

  • Verlag: Prometheus, Reihe Pocket RPG
  • Autor: André Pönitz
  • Erscheinungsjahr: 2013
  • Sprache: deutsch
  • Format: PDF / Softcover DIN A5 Vollfarbe (angekündigt)
  • Seitenanzahl: 136
  • ISBN: 978-3-944713-00-7
  • Preis: Gratisdownload (PDF), € 14,95 (Softcover, angekündigt)
  • Bezugsquelle: Gratisdownload (KLICK), Amazon (KLICK)

 

Die Spielwelt

In Los Muertos begeben sich die Charaktere auf eine Reise durch die neun Ebenen der aztekischen Unterwelt, die im Erreichen von Mictlan ihren Abschluss findet. Nur vier Jahre haben die Verstorbenen, um dieses Ziel zu erreichen, sonst werden sie endgültig verblassen – und nicht wenige geben ihre Wanderung dabei schon vorher auf oder klammern sich als Pasados an ihre vergangene Existenz.

Nach ihrem Ableben finden sich die Verstorbenen als Skelett in der weiten Grasebene der Pfortenlande wieder; nur die Besitztümer, die sie bei ihrem Tod am Körper trugen, haben sie in das Nachleben mitgenommen. Obwohl es der knochigen Seele eigentlich gut geht, sorgt die Macht der Gewohnheit oft dafür, dass etwa ein Großvater weiterhin seinen Krückstock nutzt.

Verstorbene Kinder, die die Pubertät noch nicht vollendet haben, gelangen als Angelitos mit Flügeln in die Unterwelt; und auch kleinste Knirpse sind ob der Chancengleichheit zumindest mit der Reife eines Jugendlichen ausgestattet.

Ist diese Prämisse schon obskur genug, so lebt das Spiel im Kern von den mannigfaltigen Überraschungen beim Erkunden der grundverschiedenen Ebenen des Totenreichs. Die einzelnen Kapitel über die neun Ebenen enthalten neben einem kompakten Überblick zusätzlich je zwei detaillierte Abenteuer. So kann die gesamte Reise der Verstorbenen als Kampagne gespielt werden kann, auch wenn Los Muertos sich wegen seines seltsamen Themas eher als System für One-Shot-Abenteuer versteht.

Spoiler

Und die einzelnen Ebenen haben es in sich: Über verborgene Portale durchqueren die Seelen grundverschiedene Orte wie das labyrinthische Mazira, die Metropole Aztlan, den gigantischen Lebenden Baum oder die unwirtliche Ewige Einöde. Sehen sich die Verstorbenen in den Abenteuern zuerst mit fast alltäglichen Problemen konfrontiert, so treten mit bald ihre Ängste, Zweifel und Entscheidungen zu Lebzeiten in den Vordergrund.

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So vielschichtig und ausführlich die jeweiligen Ebenen auch sind, so hätte ich mir dennoch eine halbe Seite gewünscht, auf der in Stichworten die Eigenheiten, Lokationen und Bewohner der jeweiligen Ebene genannt sind, um die Phantasie für eigene Abenteuer endgültig zu beflügeln.

Die Regeln

Los Muertos präsentiert sich mit sehr schlanken Regeln, die vor allem Wert auf die Erzählung am Spieltisch legen. Schon der Grundmechanismus ist schlicht: Entsprechend des passenden Attributswerts zieht ein Spieler entsprechend viele Karten von einem Skatkartenstapel und zählt alle roten Karten als Erfolge. Spezialisierungen lassen, wenn angebracht, eine zusätzliche Karte ziehen; zudem erlauben Schicksalspunkte in Höhe des Willensattributs je eine Extrakarte.

Rote Asse zählen dabei doppelt; und ist schließlich ein vom Spielleiter vorgegebener Schwierigkeitsgrad zwischen 1 und 4 erreicht, so gilt die Probe als gelungen. Ein schwarzes Ass allerdings bedeutet einen Patzer  – nur dann, wenn keine andere rote Karte gezogen wurde. Die Auswirkungen hängen vom Ermessen des SL ab.

Wollen hingegen zwei Figuren gegeneinander antreten, so zieht jeder einfach die zur passenden Fähigkeit gehörende Anzahl Karten, und der mit den meisten roten Karten gewinnt den Konflikt.

Als weitere Regel wird noch Schaden sehr vage behandelt. Die passend als Knochenbrüche bezeichneten Verletzungen werden einfach nach gesundem Menschenverstand zugeteilt und geben nach Gusto des Spielleiters Probenabzüge. Genauso schnell heilen Brüche aber auch wieder; nach einer ruhigen Nacht sind alle außer den schwersten Verletzungen wieder in Ordnung.

Charaktererschaffung

Ähnlich einfach wie die Regeln von Los Muertos gestaltet sich auch die Ausarbeitung der eigenen Spielfigur. Als erstes legt man fest, wer der Charakter zu Lebzeiten war und wie er zu Tode gekommen ist: War es ein Sportunfall? Ist er einem Gefecht gefallen? Oder hat eine langwierige Krankheit gesiegt? Zudem bestimmt man die Besitztümer, die man beim Ableben am Körper trug – denn diese folgen der Seele ins Totenreich.

Anschließend wird den sechs Fähigkeiten Körper, Wille, Geistiges, Soziales, Sinne und Kämpfen ein Wert zwischen 1 (schlecht) und 3 (sehr gut) zugewiesen. Zusätzlich kann man frei formulierte Spezialisierungen wie etwa „Tierfreund“, „Stöbern“ oder „Trivialwissen“ festlegen.

Welche Werte und wie viele Spezialisierungen man genau vergeben kann, wird durch die Auswahl einer von zwei Schablonen bestimmt: Die eine ermöglicht bessere Fähigkeiten, die andere erlaubt ein Nachleben als Angelito oder mit der Kraft der Sonne. Verblichene, die einen ehrenhaften Tod gestorben sind, können durch letztere auf übernatürliche Sonderfertigkeiten zugreifen, bei denen man einen von fünf Pfaden wie etwa Heilung oder Beherrschung mit je drei Stufen auswählen kann.

Für erfahrenere Spieler bietet der Anhang alternativ die Möglichkeit, den Charakter durch das Verteilen von 15 Seelenpunkten präzise gemäß den eigenen Vorstellungen aufzubauen.

Auch zur Weiterentwicklung bietet Los Muertos zwei verschiedene Ansätze an: entweder die Steigerung nach Konsens zwischen Spielleiter und Spieler nach Abschluss eines Abenteuers; oder man erhält bei Nutzung der fortgeschrittenen Variante pro Sitzung 1 Seelenpunkt, die für die mehr oder weniger teuren Steigerungen gesammelt und ausgegeben werden können. So kann man eine Fähigkeit etwa auch auf 4 (außergewöhnlich) anheben, neue Spezialisierungen erlernen oder die Kraft der Sonne bis Stufe 3 steigern.

Spielbarkeit aus Spielleitersicht

Los Muertos ist vorbildlich in der Detailfülle, die es dem Spielleiter an die Hand gibt. Neben der groben Übersicht über jede einzelne Ebene, erlauben vor allem die zahlreichen Abenteuer, ohne langwierige Vorbereitung loszuspielen. Zudem erläutert ein kurzer Anhang, wie man eigene Abenteuer angehen sollte.

Die wirklich einfachen Regeln bereitet zwar keine großen Probleme, bleiben bei vielen Punkten – so etwa den Knochenbrüchen – aber auch überraschend vage. So wendet sich das System wohl eher an erfahrene Spielleiter, die mit den wenigen Vorgaben des Regelwerks gut improvisieren können.

Spielbarkeit aus Spielersicht

Dank der sehr schlichten Regeln haben auch die Spieler sehr viel Freiraum. Die offene Festlegung der Spezialisierungen ermöglicht den unkomplizierten Fokus auf genau die Geschehnisse, die man im Spielverlauf erleben möchte. Für schnelles Spiel ist die Charaktererschaffung mittels der beiden Schablonen völlig ausreichend; und lobenswerterweise vergisst Los Muertos dabei auch nicht diejenigen, die die Werte ihrer Figur bis ins letzte Detail selbst bestimmen wollen.

Da ein großer Teil des Spaßes in Los Muertos wie schon erwähnt darin liegt, sich auf die Unwägbarkeiten und Überraschungen der vielseitigen Reise durch die Unterwelt einzulassen, wären noch komplexere Regeln – zumindest aus Spielersicht – wahrscheinlich eh nur im Weg.

Preis-/Leistungsverhältnis

Es bleibt beispielhaft, dass Prometheus Games – wie bei allen Pocket RPGs – ein vollwertiges Gratis-PDF von Los Muertos zum Herunterladen bereithält – ein besseres Preis-/Leistungsverhältnis kann man nicht bieten.

Fazit

Los Muertos besticht mit einem wirklich originellen Setting, das für das kleine Heftformat der Pocket RPGs liebevoll und detailliert ausgearbeitet ist. So sind es eben auch die Überraschungen beim Erkunden der vielseitigen Unterwelt, die den großen Reiz dieses Rollenspiels ausmachen und auch zum Kampagnenspiel verlocken.

Das eigentliche Regelwerk hingegen ist sehr minimalistisch und richtet sich eher an erfahrene Spielleiter, die die Situationen an einem Spielabend sicher umsetzen können. Die Spieler können dank der frei formulierten Spezialisierungen ihre eigenen Akzente setzen und dürfen sich auf so manche Überraschung auf ihrer Reise nach Mictlan freuen.

Daumen4Maennlich

Artikelbilder: Los Muertos, Prometheus Games

 

11 Kommentare

  1. „Ein schwar­zes Ass aller­dings bedeu­tet unab­hän­gig von den ande­ren gezo­ge­nen roten Kar­ten immer einen Pat­zer nach Ermes­sen des Spielleiters“

    Da scheinen wir verschiedene Versionen des Regelwerks zu haben – in meinem steht, dass ein schwarzes Ass nur ein Patzer ist, wenn keine rote Karte gezogen wurde.

  2. Hmmm…. Originell… Ich habe bei dem Cover des Buchs sofort an das Computerspiel Grim Fandango aus dem Hause Lucasarts gedacht. Inhalt – Tote durchreisen die mexikanisch-aztekische Unterwelt. Sie sind als Skelette dargestellt. Die Reise dauert im Spiel übrigens auch vier Jahre… Auch zwei Angelitos mit Flügeln kamen im Spiel vor… Kann natürlich der Recherche geschuldet sein.

    Auf der anderen Seite fällt mir da CONTACT ein. Ich dachte mir gleich – ein Spiel wie X-Com (= UFO – Enemy Unknown). Einen Erweiterungsband aber dann auch „Schrecken aus der Tiefe“ zu nennen fand ich aber schon schräg – immerhin hatte das zweite X-Com-Spiel diesen Namen: X-COM: Terror from the Deep.

    • Genau! Grim Fandango basiert auf derselben mythologischen Vorstellung der aztekischen Unterwelt, deswegen gibt es so einige Ähnlichkeiten. Ich würde aber auch keinen Hehl daraus machen, dass sich das Spiel in der Liste der Inspirationen wiederfindet! ;)

      Zur Rezension, nur um ganz kurz unsere Lektorin zu verteidigen: Die „Infokästen“ sind meine Schuld. Die haben wir aus dem Design geworfen und durch normale Absätze ausgetauscht, weshalb die Verweise jetzt so seltsam wirken. Es handelt sich jeweils um die Absätze, die mit „Einheimische“, „Wegpunkte“ etc. betitelt sind. Nur, damit sich niemand wundert.

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