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Wenn sich Naturwissenschaftler und Programmierer daran machen, ein Rollenspiel zu entwickeln, muss es fast zwangsläufig anders sein. Beim EWS ist dies nicht nur durch die Linux-artige Lizenz (GPL) der Fall, sondern auch im Hinblick auf den Versuch, Würfelwürfe auf ein Minimum zu reduzieren. Gleichzeitig sollen dem Spieler alle Freiheiten in Handlung und Charakterentwicklung gelassen werden – und all dies soll trotzdem schnell zugänglich zu sein.

Ob und wie das dem Rollenspiel unter Software-Lizenz gelingt, wollen wir zeigen. Dazu haben wir uns die aktuelle Version 2.5.3 (ja, hier wird sauber durchversioniert!) angeschaut, auch wenn die Versionen 2.6 und 3.0 schon in den Startlöchern stehen. 

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Erscheinungsbild

Das EWS 2.5.3 kommt als klassisches PDF daher, ist aber dafür gedacht, als DIN A5-Broschüre ausgedruckt zu werden.

Die Einteilung des Textes besteht aus einer 1:2-Aufteilung – also einem Haupttext und jeweils auf der Außenseite Seitenleisten mit Zusatzinformationen. Letztere greifen teilweise dem Haupttext etwas vor, was zu leichter Verwirrung führen kann, ebenso wie einige fehlerhafte Seitenverweise und Dead-Links.

Auch wenn „Gender-Neutral“ mittlerweile in fester Begriff ist und auch schon in vielen Rollenspielen – entgegen der Gender-Realität – umgesetzt wird, setzen die Autoren des EWS auf eine rein weibliche Sichtweise und sprechen ausschließlich von „Spielerin“ und „Spielleiterin“. Dies ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber nicht wirklich kritisch.

Neben der aufwändigen Frontillustration kommen auch im Heft selber etliche Grafiken vor, die Kennern des Battle for Wesnoth bekannt vorkommen werden und die recht gut die Vielseitigkeit des Systems unterstreichen. Auf einige zusätzliche Minigrafiken hätte man aber sicherlich verzichten können.

Insgesamt liest sich das Dokument, sowohl am Rechner als auch ausgedruckt, sehr gut – auch wenn das Auge schnell zwischen Haupt- und Seitentext hin und her gerissen wird.

Auf dem Ebook-Reader bereiten die vielen Nicht-Standardschriften leichte Probleme und machen das Umblättern ein wenig träge. Dies war in früheren Versionen aber deutlich extremer.

Die harten Fakten:

  • Autor(en): Arne Barbenhauserheide
  • Erscheinungsjahr:  kontinuierlich seit 2003
  • Sprache: deutsch
  • Format: PDF
  • Seitenanzahl: 48 Seiten
  • Preis: kostenlos / 3€ gedruckt
  • Bezugsquelle: www.1w6.org

 

Die Spielwelt

Das Ein-Würfel-System (EWS) ist ein generisches System und bietet damit die Möglichkeit, jedes Genre nachzubilden. Konsequenterweise kommen die 48 Seiten Grundregeln auch ohne eigenes Setting aus und geben stattdessen nur Beispiele, welche Fertigkeiten und Eigenschaften in welchem Genre vorstellbar wären.

Auf der Homepage werden zudem mehrere Settings vorgestellt aus den Bereichen Antike, Fantasy, Sci Fi und Steampunk. Diese sind so aufwändig gestaltet, dass sie als eigene Werke durchaus für sich allein stehen könnten.

Den meisten dieser Kampagnen ist aber gemein, dass diese in ständiger Weiterentwicklung sind und damit nicht als fertige Printausgabe zur Verfügung stehen, sondern teilweise nur aus Einzeltexten bestehen.

Die Regeln

Würfel EWSDie Regeln des EWS sind denkbar einfach gehalten. Vergleiche deinen Wert ± W6 mit einer Schwierigkeit. Dabei kommen wir schon gleich zur Besonderheit des Würfels. Genutzt wird zwar ein üblicher W6, die Ergebnisse werden aber bei geraden Zahlen (+2,+4,+6) addiert und bei ungeraden (-1,-3,-5) subtrahiert. Kenner von FUDGE oder FATE erkennen hier sofort eine Abart des Fudge-Würfels (allerdings mit einer linearen Wahrscheinlichkeit). In den ersten Runden ist das etwas ungewöhnlich, da man sich schnell mal durcheinander kommt. Aber ein farblich markierter Würfel kann da aushelfen.

Sowohl Werte als auch Schwierigkeiten haben im EWS Namen. Dies hat den Vorteil, dass man sehr einfach aus der Erzählung heraus einen Wurf improvisieren kann. Eine Cola-Dose auf 50m zu treffen ist eben heikel (18) und das unabhängig davon, wie gut der Charakter ist. Damit hat ein armseliger Schütze (6) keine Chance, ein überragender aber sogar eine 50% Chance. Das macht den Einstieg einfach, da sich jeder seinen Charakter und dessen Möglichkeiten gut vorstellen kann.

Auf diese Weise wird jeder Konflikt mit nur einem Wurf abgehandelt, entweder gegen eine feste Schwierigkeit (Schloss öffnen) oder gegeneinander (Rededuell oder Nahkampf). Gerade letzteres mag ungewöhnlich klingen, aber z.B. in einem Film Noir-Setting spielt es kaum eine Rolle, wie Philip Marlowe nun genau seinen Gegner niederschlägt. Mit einem Wurf ist bestimmt, ob es ihm gelingt und sogar, wie er selber aus dem Kampf herauskommt. Für kampflastigere Settings gibt es aber auch erweiterte Kampfregel mit Trefferpunkten und Kampfrunden.

Leichte Defizite hat das EWS mit „Schwächen“, also Eigenschaften (streng genommen Merkmalen) unter dem Durchschnitt. Diese lassen sich recht einfach umgehen, indem man diese durch zwei starke Werte kompensiert und ignoriert. Ein festes System, wann eine Schwäche ausgelöst wird, gibt es noch nicht, sondern dies hängt nur von den Spielenden ab.

Insgesamt gefällt mir das System ausgesprochen gut, da es sich intuitiv spielt und man schnell ins Spiel kommt, ohne dass man ein Regelwerk wälzen müsste.

Wie man es aus der Ecke der freien Software-Entwicklung auch kennt, ist das EWS übrigens modular, d.h. neben den Grundregelwerk existieren noch viele weitere Erweiterungen, wie z.B. Magie, eine erweitertes Kampfsystem, ein Initiativemodul oder eines für Kritische Erfolge.

Letztere sind teilweise im vorliegenden PDF schon enthalten, andere dagegen nur online verfügbar.

Charaktererschaffung

EWS Charaktererschaffung
EWS Charaktererschaffung

Das EWS verzichtet vollständig auf vorgegebene Werte, sondern beschreibt seine Charaktere nur durch das, was sie von der Masse abhebt – ihre Stärken, Schwächen und besonderen Merkmale.

Jedem Charakter steht dazu eine Anzahl an Punkten (?) zur Verfügung, die im späteren Verlauf auch „vobsy“ genannt werden, da ist das EWS etwas inkonsistent. Für jeweils einen vobsy, kann man sich einen starken Wert kaufen, wie z.B. Geschickt (+), Gebildet (+) oder Abgehärtet (+).

Zusätzlich gibt es neben den Eigenschaften noch erlernte Fähigkeiten, Berufe, Hintergründe und Merkmale. All diese Punkte entstammen keiner festen Liste, sondern werden nur aus der Charakteridee heraus geboren. Da Proben in der Regel aus Kombinationen von Fertigkeiten und Eigenschaften bestehen, ist es sinnvoll, hier gleichmäßig zu verteilen. Zur Verdeutlichung: Ein Held kann seinen Nahkampf auf Geschick und Dreistigkeit basieren lassen, während der andere lieber Stärke und Größe heranzieht.

Vorteil ist, dass auch ohne Regelkenntnis ein Charakter erstellt werden kann, einfach nur aus der Grundidee heraus. Berufe und Hintergründe verdeutlichen dies noch besser, da man hier einfach sagen kann: „Ein Offizier hat folgendes grundlegend mal gelernt“ oder „Zwerge haben eben dieses Kulturwissen.“

Als Beispiel, wie man eine solche Entwicklung machen kann, hier ein Beispiel-Charakter aus dem Science-Fiction-Setting Technophob.

Streng genommen sieht das EWS keine Charaktersteigerung vor, bietet aber schon im Grund-PDF das dazu nötige Modul. So kann man über Striche Eigenschaften (Fähigkeiten, Merkmale, …) steigern, z.B.: von (+) auf (++), wodurch dieser Wert einen höheren direkten Wert bekommt (15 statt 12) oder einen höheren Bonus gibt, wenn man ihn kombiniert.

Spielbarkeit aus Spielleitersicht

Der EWS Charakterbogen
Der EWS Charakterbogen

Einfach mal ein Spiel aus der hohlen Hand schütteln? Selten fand ich dies so einfach wie mit dem EWS. Die Benennung der Schwierigkeiten macht das sehr einfach und ist gut umgesetzt. Ich bin kein expliziter Fan von Erzählspielen, finde aber hier die Mischung gut gelungen, da ich in kniffeligen Situation halt doch wieder zu meinem geliebten Würfel greifen kann, selbst wenn’s nur ein ordinärer W6 ist, den hat man zumindest immer zur Hand.

Abzüge muss man aber geben, wenn es zu einem kampfbetonten Setting kommt. Waffen wird nur sehr wenig Platz eingeräumt wird. Da erfordert es schon etwas Erfahrung, um bestimmen zu können, wie viel Schaden man welcher Waffe oder Rüstung zugesteht.

Was gut funktioniert ist das Springen zwischen der einfachen Konfliktlösung mit einem Wurf und der erweiterten Ausspielen über das enthaltene Modul. Das ist durchaus vergleichbar mit den zusammenfassenden Mook-Regeln bei FATE, um weniger relevante Konflikte noch schneller abzuhandeln.

Spielbarkeit aus Spielersicht

Die absoluten Basisregeln von gerade mal 18 DIN A5-Seiten hat man schnell gelesen. Das muss aber nicht mal zur Gänze sein. Gerade für One-Shots oder Cons eignet sich damit das EWS hervorragend. Das Problem mit dem Ausspielen von Schwächen ist zwar nebensächlich, erfordert aber etwas Disziplin, wenn man halt sagen muss: Ich kombiniere Nahkampf (12) mit Schwachbrüstig (-) und Pazifist (-) zu einem Gesamtwert von 10.

Das Regelwerk legt nahe, dass man Fudge oder GURPS-Quellbände nutzen sollte, um „das Regelwerk schlank zu halten und alle Vorteile zu nutzen“. Beides ist aber nicht nötig, auch wenn es nett ist, dass Konvertierungsregeln beiliegen.

Preis-/Leistungsverhältnis

Das EWS ist bislang nur als kostenloses PDF erschienen, was sich in naher Zukunft sicherlich auch nicht ändern wird. Das liegt schon alleine an der GPL-Lizensierung.

Kurz: Für kostenlos kann man wohl nie was falsch machen.

Bonus/Downloadcontent

Als freies System bietet 1W6.org alle Informationen auf der Homepage an. Teilweise im PDF, größtenteils aber nur zum Lesen am Bildschirm bzw. ausdrucken.

Fazit

Das EWS ist ein rundum gelungenes System, wenn es darum geht, mit einfachen Regeln eine Rollenspielrunde aus dem Boden zu stampfen. Durch die beinhalteten Fokusmodule Kampf und Steigerung sollte man alle Standard-Situationen und auch Kampagnen abhandeln können.

Besonders die Eigenschaft, dass man alle abstrakten Werte benennt, macht den Einstieg wunderbar einfach und intuitiv.

Wer ein vollständiges Setting oder intensiv ausgearbeitete Abenteuer sucht, könnte aber schnell enttäuscht werden. Abgesehen vom Grundregelwerk bietet das EWS ausschließlich (aber tonnenweise) Ideen, Versatzstücke und einzelne (wenn auch teils sehr ausführliche) Themenabschnitte.

Die wenigen Schwächen und Unklarheiten im Bereich des PDFs und einiger Regeln sind bereits für die Version 2.6 als verbessert angekündigt.

Bislang ist das EWS ein Nischensystem par excellence, da es kaum Aufmerksamkeit gezogen hat und so die Community recht gering ist. Und auch wenn es ein freies System ist, so sollte man keine schnelle und breite Entwicklung wie bei einem Dungeonslayers erwarten. Alleine die Entwicklung vom vorliegenden 2.5.3 bis zum angekündigten 2.6 dauerte mehr als zwei Jahre. Das EWS ist schon irgendwie das Linux der Rollenspiellandschaft.

Das EWS wird dir gefallen wenn:

  • es schnell gehen soll.
  • Story über Würfelentscheidung steht.
  • dir Spiele wie FATE oder FUDGE gefallen.
  • du ein Regelwerk für alle Genres verwenden willst.

 

Das EWS ist vermutlich nichts für dich, wenn:

  • du voll ausgearbeitete Settings / Abenteuer brauchst.
  • dir schnelle Weiterentwicklung des Systems wichtig ist.
  • du simulierende RPGs bevorzugst.
  • du auf Character-Build-Optimierung stehst. 

Daumen4Maennlich

Artikelbilder: EWS Regelwerk

 

 

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