Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

Ein Geständnis vorweg: Legend of the Five Rings ist für mich mehr als nur irgendein Rollenspiel. In den letzten acht Jahren habe ich an der Seite von tapferen Samurai und Shugenja dutzende Abenteuer im fantastischen Land Rokugan verbracht. Gemeinsam haben wir den Aufstieg und Fall von Fürsten und Kaisern miterlebt, Intrigen aufgedeckt und am Kaiu-Wall gegen die Horden der Schattenlande gekämpft. Deshalb erwartete ich besonders gespannt (und kritisch) das neueste Rollenspiel-Produkt der Alderac Entertainment Group. Aber was sollte der Titel Imperial Histories 2 bedeuten? Ein ganzes Buch füllten die neuesten Ereignisse rokuganischer Geschichte seit dem ersten Imperial Histories nun wirklich nicht und die Nachwirkungen des Destroyer War wurden bereits im Second City Boxed Set abgehandelt. Die Antwort lautet einfach wie genial: Alternative Settings.

Erscheinungsbild

L5R Imperial Histories II CoverLegend of the Five Rings: Imperial Histories 2 kommt gewohnt im Look der vierten Edition des Rollenspiels daher: Hardcover, dunkelgrauer Einband, dessen Cover eine rokuganische Schriftrolle ziert, die den pseudo-asiatischen Flair des Settings stilsicher einfängt. Denn passenderweise werden in Rokugan geschichtliche Ereignisse auf eben solchen Schriftrollen festgehalten.

Auch im Inneren ist das Buch eine Augenweide, voller Zeichnungen in Farbe. Kaum eine Seite vergeht, ohne dass ein Artwork den Textfluss auflockert. Dazu beginnt jedes der dreizehn Kapitel mit einem ganzseitigen Einleitungsbild – mal mehr, mal weniger passend zum Inhalt. Infokästen bieten weiterführende Informationen und ein solider Index sorgt für die schnelle Orientierung. Dass im Buch teilweise alte Legend of the Five Rings-Bilder ganz oder in Ausschnitten wiederverwendet werden, ist nicht weiter tragisch und fällt nur einem Kenner der Rollenspielserie auf. Äußerlich wird für den stolzen Preis von fast vierzig Euro, wie von Alderac Entertainment gewohnt, ein solides Hardcoverbuch geboten, das sich gut in jedem Sammlerregal macht.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Alderac Entertainment Group
  • Autor(en): Kevin Blake, Marie Brennan, Daniel Briscoe, Shawn Carman, Rovert Denton, Robert Hobart, Kim Hosmer, Maxime Lemaire, Seth Mason, Eric Menge, Ryan Reese, Jason Shafer und Alexandre Simard
  • Erscheinungsjahr: 2013
  • Sprache: Englisch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 310
  • ISBN: 9781594720673
  • Preis: 33,95 EUR bis 38,95 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon (Klick), Sphärenmeisters Spiele (Klick)

 

Inhalt – Historische Rückblenden

Emerald Throne

Legend of the Five Rings ist ein Setting, das sich weiterentwickelt. Beeinflusst vom gleichnamigen Kartenspiel verändern die jährlichen offiziellen Kampagnen gesellschaftliche und teilweise mystische Details der Welt Rokugan. Dabei begann das Rollenspiel mit der ersten Edition nicht im Jahre Null, dem Fall der Kami, sondern etwa tausend Jahre später am Ende der Herrschaft der Hantei-Kaiser. Imperial Histories 2 setzt genau da ein und bietet mehr als ‚nur‘ einen historischen Rückblick für Spielleiter: Es lässt Spieler prägende Epochen aus der Geschichte selbst erleben.

Während das erste Imperial Histories sich aber auf aus anderen Publikationen wohlbekannte Zeitepochen wie etwa die Klankriege oder die Herrschaft der Gozoku beschränkte, beleuchtet Imperial Histories 2 die weniger bekannte Vergangenheit rokuganischer Geschichte. So etwa die zweihundert Jahre währende Herrschaft des zweiten Hantei Kaisers zu einer Zeit, als das Hofleben in starkem Kontrast zu den noch wilden Traditionen der jungen Klans stand. Oder aber die grausame Terrorherrschaft von Hantei XVI, dessen Paranoia tausende unschuldige Rokugani das Leben kostete. Beide Episoden der Geschichte wurden von den Fans nach dem ersten Band stark nachgefragt und nun für Imperial Histories 2 vollständig ausgestaltet.

Der in den einzelnen Kapiteln enthaltene kurze Überblick über die hinführenden historischen Ereignisse ist ausreichend und doch so knapp gehalten, dass Spielrunden genug Freiraum für eigene Kampagnen haben. Das Buch geht besonders auf Unklarheiten der kanonischen Geschichtsschreibung Rokugans und dadurch entstehende Optionen ein, überlässt die letzte Entscheidung über die tatsächliche Wahrheit der Ereignisse jedoch dem Spielleiter. Das mag für Leser, die einen strikten Hintergrund mögen, unbefriedigend sein, gibt andererseits aber die einzigartige Möglichkeit Details an den Verlauf einer Gegenwarts-Kampagne anzupassen. Wie bei jedem Ausflug in die Vergangenheit eines bestehenden Settings stoßen Spielleiter aber schnell auf Probleme, wenn Spieler versuchen die großen kanonischen Ereignisse zu verändern. Hier ist gerade bei mächtigeren Charakteren Fingerspitzengefühl gefragt.

Alternative Rokugans

Die historischen Rückblenden machen aber nur sieben der dreizehn Kapitel von Imperial Histories 2 aus. Der Rest ist eine Sammlung von alternativen „Was wäre wenn“-Szenarien, die in der Vergangenheit (und Zukunft) von Rokugan spielen. Dies wurde bereits im Vorgängerbuch Imperial Histories mit dem Kapitel The Thousand Years of Darkness vorgedacht, ist hier aber deutlich umfangreicher gestaltet. Die einzelnen Szenarien sind genauso detailliert beschrieben, wie die historischen Epochen, samt Hinweisen für Spielleiter und einer Übersicht der zu dieser Zeit aktiven Klans.

Besonders interessant sind diese alternativen Versionen Rokugans deshalb, wenn sie mehr als nur politische oder historische Gegebenheiten, nämlich das Grundgefühl des Rollenspiels selbst verändern. Spielleiter müssen zwar noch etwas Arbeit in die Ausgestaltung einer Kampagne stecken, erhalten aber in jedem Kapitel einen Überblick über Mechaniken, wichtige Charaktere, Antagonisten, Zauber und Kampfschulen für den neuen Hintergrund. Der eigentliche Clou ist jedoch: Viele alternative Settings entstammen nicht der Feder der Alderac Entertainment-Schreiber, sondern Einsendungen von Spielern des Rollenspiels. Qualitativ merkt man aber keinen Unterschied; offenbar hat hier das Designteam selbst mit- und nachgeholfen.

Fantasy Rokugan

Gleich das erste Kapitel, The Togashi Dynastie, ist das durchdachteste alternative Setting und stößt dabei einen der Grundpfeiler von Legend of the Five Rings um: Nicht Kami Hantei, sondern sein Bruder Togashi wird in diesem alternativen Rokugan als Sieger des Turniers der Kami gekürt und der Drachenklan damit zum ersten Kaiserhaus. Das Ergebnis ist ein deutlich fantastischeres Rokugan, in welchem die übernatürlichen Völker wie Kenku, Naga oder Nezumi Seite an Seite mit den Menschen leben. Hantei ist hier Gründer des Eulenklans, der sich um die Belange der „Fremden“ kümmert, während Kaiser Togashi tatsächlich unsterblich die Jahrhunderte überdauert und das Mönchswesen fördert.

Realistisches Rokugan

Den entgegengesetzten Weg geht das Kapitel The Shattered Empire. Hier endet die Hantei-Dynastie mit dem Tod der zweiten Champions des Donners, ohne dass Toturi den Thron ergreift. Folge und Setting sind ein Rokugan im Klankrieg um den Kaisertitel, das Spielern entgegenkommen dürfte, die gerne ein realistischeres Rokugan hätten, das der japanischen Sengoku-Jidai Epoche ähnelt. Der Hintergrund nimmt hier einen deutlich düstereren Ton an und ist gut für Militärkampagnen geeignet.

Steampunk Rokugan

Das Kapitel Iron Rokugan vermischt das asiatische Setting mit westlichen Elementen. Nach dem Angriff der Gaijin übernimmt Rokugan einen Großteil ihrer Technologie. Flintenschlosspistolen und Eisenbahnen ergeben in Verbindung mit Samurai und Kaiserhof einen Hintergrund, der Spielern viel zumutet, aber einfach Spaß macht – vor allem, wenn die Kami sich unzufrieden mit den neuen Wegen des Reiches zeigen und die Bauern die Kastengesellschaft in Frage stellen. Damit erinnert das Setting in mehr als nur einer Hinsicht an die Meiji-Restauration des späten 19. Jahrhunderts.  Ein Überblick über mögliche Feuerwaffen und eine Abhandlung über technologische Auswirkungen auf die Gesellschaft der Samurai werden mitgeliefert.

Rokugan im Weltraum?

Etwas alleine steht das letzte Kapitel und gewagteste alternative Rokugan von Imperial Histories 2 da: The Emerald Stars. Tatsächlich handelt es sich um eine in die ferne Zukunft weitergedachte Weltraumoper mit Siedlungsplaneten der einzelnen Klans und Raumschiffen der Katana-Klasse. Hier hilft auch nicht der Hinweis auf ein „radikales Experiment“, denn so ganz will Zukunfts-L5R nicht funktionieren. Die gegebene Hintergrundgeschichte ist zu knapp, um den Aufbruch in den Weltraum zu erklären und das übertragene Kastensystem samt nachträglich erobertem Heimatplaneten eher unglaubwürdig. Dazu schaffen es Beschreibung und Artwork nicht, ein Gefühl für das befremdliche Setting aufzubauen. Bei den Regeln fehlt mit nur vier modernen Waffen und einer Handvoll neuer Skills zu viel um Rokugan im Weltraum ohne viel Zusatzarbeit spielbar zu machen. Wer die Idee von Katanakämpfen auf den Monden ferner Planeten dennoch interessant findet, hat immerhin einen Ausgangspunkt um das Setting auszugestalten; alle anderen können das Kapitel getrost auslassen.

Fazit

Zugegeben, zu Beginn war ich kritisch, da Imperial Histories 2 noch einen Schritt weiter geht, als der historisch ausgerichtete Vorgängerband. Aber die liebevoll gestalteten, alternativen Settings haben mich überzeugt und als Kenner der rokuganischen Geschichte über manche ironische Anspielung schmunzeln lassen. Für Abenteuer jenseits einer regulären L5R-Kampagne sind alle Settings gut geeignet und lassen Zeitparadoxa beim Spiel in der kanonischen Vergangenheit gar nicht erst aufkommen.

Für Spielleiter wie mich, die das Buch als Ideenfundgrube nutzen, gibt es genug Elemente, die sich auch in laufende Kampagnen einbauen lassen – etwa der eigenwillige Eulenklan oder alternative Charakterpfade. Das Weltraum-Setting des letzten Kapitels muss ja nicht jedem gefallen, aber der Schritt, auch ungewöhnliche Experimente zu wagen, ist immerhin mutig. Dazu finde ich Alderac Entertainments Methode gut, qualitativ hochwertige Einsendungen im Buch zu verwenden – so sieht 2013 Fanservice aus!

Nur für Einsteiger ist das Buch eher nicht geeignet – man braucht schon einiges Wissen zum Status Quo in Legend oft the Five Rings, um damit als Spielleiter arbeiten zu können.

Daumen4Maennlich

Artikelbilder: Alterac Entertainment Group

 

4 Kommentare

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein