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In meinem Umfeld erfreuen sich Spiele aus dem Warhammer 40k-Universum steigender Beliebtheit. Grund genug, sich eines dieser Systeme mal genauer anzusehen, dachte ich mir. Gebraucht hat es gute zwei Monate, bis ich den Berg des Grundregelwerks erklommen hatte – und selbst danach entstand diese Rezension hier nur dank der Hilfe begeisterter Freihändler-Spieler, die mir tatkräftig dabei zur Seite standen.

Erscheinungsbild

Freihändler hat satte 461 Seiten, so dass man auch für die PDF-Version ordentliche 240MB Speicherplatz einplanen muss. Beides hat seine Tücken, sei es nun das Gewicht des Buches mit knapp 1,5kg oder das immer wieder auftretende „Haken“ beim Lesen des PDF je nach Reader.

Bezogen auf die metallisch-technisch dargestellten Seitenränder ist das gesamte Buch vollfarbig. Bei den Illustrationen wechseln farbige Zeichnungen und schwarzweiße ab, wobei der Anteil der Farbzeichnungen insgesamt recht hoch ist. Das ist erfreulich, denn so kommt der Detailreichtum der meisten Zeichnungen mehr zum Tragen und man kann beim Anblick von Siegeln, Spruchbändern, Gürtelschnallen und anderen Gimmicks schon mal einen Moment bei einem einzelnen Bild verweilen.

Das Grundregelwerk ist in insgesamt 15 Kapitel aufgeteilt, von denen wiederum jedes einzelne ein paar wenige bis hin zu einem guten Dutzend Unterkapitel bereit hält, die ebenfalls mit Seitenangabe im Inhaltsverzeichnis angegeben sind. Der abschließende Index hingegen umfasst sechs Seiten mit Stichworten, was bei dem Gesamtumfang des Buches fast schon ein wenig knapp bemessen ist.

Innerhalb des zweispaltigen Formats sind „Zitate“ aus dem Spiel, Informationstexte, Beispiele und Tabellen klar voneinander getrennt und ermöglichen durch den Einsatz unterschiedlicher Überschriftentypen eine gute Orientierung beim Lesen.

Freihaendler CoverDie harten Fakten:

  • Verlag: Feder & Schwert / Heidelberger Spieleverlag
  • Autor(en): Michael Hurley, Ross Watson
  • Erscheinungsjahr: 2010
  • Sprache: deutsch
  • Format: PDF / Print
  • Seitenanzahl: 461
  • ISBN: 78-3-86762-066-6
  • Preis:  33,77 EUR (PDF), 49,95 EUR (Print)
  • Bezugsquelle: DriveThruRPG.com (PDF), Amazon (Print), Sphärenmeisters Spiele (Print)

 

Die Spielwelt

Die Spielwelt, die im Grundregelwerk dargestellt wird, ist eher grober Natur. Im Spiel nimmt einer der Spieler die Rolle des Freihändlers ein, alle anderen sind ihm quasi untertan. In diesen Rollen spielt man üblicherweise Charaktere mit großer Macht und sehr, sehr großem Reichtum.

Im Mittelpunkt steht entsprechend das klassische Entdecken neuer Welten. Vorgegeben ist hier allerdings weniges, was einem einerseits sehr viele Freiheiten gibt, andererseits jedoch auch eine kreative Truppe oder zumindest einen solchen SL erfordert. Ausgearbeitet wurden eigentlich nur einige Ansätze, aus denen man Größeres selbst schaffen kann. Gleiches gilt für verschiedene Fraktionen und deren Interessen.

Ansonsten bietet Freihändler einen ansprechenden Mix aus verschiedenen Dingen, die teils etwas gewöhnungsbedürftig sind: Alles Alte gilt hier als gut, sozusagen als Statussymbol, derweil neue Dinge schlecht sind. Die Leute haben verlernt, wirklich beständige und funktionale Dinge zu erschaffen, so erklärt sich das Ganze. Technik entspricht in diesem System der Magie. Das Übernatürliche wird weitgehend verteufelt, zugleich existiert jedoch ein hohes Maß an Aberglauben in der Welt. Insgesamt also eine durchaus fesselnde Kombination verschiedener Dinge, die jedoch durchaus auch einen gewissen Anspruch an die Spieler stellt.

Die Regeln

Für Spieler sind die Regeln denkbar simpel: Man bestimmt, gegen welchen Wert oder gegen welche Fertigkeit gewürfelt werden soll. Modifikatoren werden damit verrechnet (Modifikatoren werden addiert oder subtrahiert). Dann wirft man 1W100 und schaut, ob das Ergebnis größer oder gleich des modifizierten Wertes liegt. Falls ja, ist dies ein Erfolg, ansonsten ein Misserfolg.

Will man es genauer wissen, legt eine Differenz des Würfelergebnisses von jeweils 10 immer einen Erfolgs- oder Misserfolgsgrad fest, um den man eine Probe besser oder schlechter geschafft hat. Im Kern war es das tatsächlich auch schon.

Charaktererschaffung

Schon erwähnt habe ich das sehr hohe Powerlevel der Charaktere, was natürlich auch und gerade für Startcharaktere so gemeint war.

Ist man mit dem System vertraut oder hat die Hilfe eines entsprechend erfahrenen Spielers, soll man einen Charakter in etwa einer halben Stunde vollständig erstellt haben.

Setzt man sich wie ich quasi als Blindschleiche mit dem System auseinander, verliert man sich allerdings schnell darin. Auf etwas mehr als 30 Seiten erfährt man angeblich alles Wissenswerte zur Charaktererschaffung, doch eigentlich bekommt man hier erst mal das Grundwissen zur Erstellung vermittelt.

Weiter geht es dann mit dem wiederum mehr als 40 Seiten umfassenden Kapitel, das näher auf die Karrierepfade wie Freihändler, Astropath, Navigator, Seneschall und so weiter eingeht. Diese acht Grundklassen brauchen darum so viele Seiten, weil eine jede mit speziellen Tabellen für Steigerungen in unterschiedlichen Rängen aufwartet.

Mit „nur“ etwa 20 Seiten geht es dann zur genaueren Betrachtung der Fertigkeiten, weitere 20 Seiten berichten von Talenten, und erst danach geht es dann mit dem Thema Ausrüstung weiter. Es sind also eigentlich 100 Seiten zum Thema Charaktererschaffung, die einen als unbedarften Leser erst einmal schier erschlagen. Nein, das muss man nicht alles genau lesen oder sich gar einprägen – aber genau das muss man auch erst einmal während der Lektüre erkennen.

Problematisch hierbei ist außerdem, dass gewisse Kenntnisse der Klassen und der Gesamtumgebung im Grunde vorausgesetzt werden. Trotz des Gesamtumfangs zum Thema Charaktererschaffung entdeckt man gewisse Vorzüge und Nachteile von einem bestimmten Pfad, einer bestimmten Heimatwelt, einer bestimmten Klasse und so weiter erst sehr viel später im Buch. Man wählt also jede Menge Dinge aus, es bleibt einem jedoch weitgehend verborgen, wofür diese „gut“ sind und was sich dahinter verbirgt. Klarer wird all das erst ab dem Kapitel „Das Spiel“ – und dieses Kapitel beginnt auf Seite 268. Da muss man erst mal ankommen.

Was wirklich toll ist hingegen, sind die – zum Glück gleich zu Anfang erwähnten – Herkunftspfade. Mit ihrer Hilfe kann man Heimatwelten, Geburtsrechte, Motivation und Karriere festlegen. Man hangelt sich hierbei durch verschiedene Möglichkeiten, bei denen einem im Prinzip alles offen steht, als Hilfestellung für unerfahrene Spieler (wie mich) jedoch einige Dinge nach bestimmten Entscheidungen besonders empfohlen oder versagt werden, um einen abgerundeten Charakter, der keine Lücken, Logikfehler oder ähnliches aufweist, zu erhalten.

Spielbarkeit aus Spielleitersicht

Ich selbst habe dieses System bislang nicht geleitet, weil es mich einfach in seiner Gänze schier erschlagen hat. Stattdessen habe ich das Gespräch mit begeisterten Spielleitern und Spielern gesucht, um diesem und dem folgenden Punkt gerecht werden zu können.

Die höchste Herausforderung besteht wohl darin, überhaupt Aufhänger zu finden, die die Charaktere mehr oder minder begeistern können. Sie haben Geld, sie haben Macht, sie haben ein Raumschiff, einen Freihändlerbrief, haben etliche Untergebene – da lockt einen nicht mehr ganz so viel. Klar, noch mehr Geld kann man immer gebrauchen, aber man muss schon ein bisschen aufpassen, dass man noch andere Aspekte angesprochen bekommt, wenn man eben Spieler beisammen hat, die etwas mehr erwarten, als eine Quelle nach der anderen abzugraben.

Auch die Gefahr ist ein Thema, und als Gegenpol dazu die Langeweile. Warum sollte man sich selbst die Finger schmutzig machen, wenn man Leute dafür bezahlen kann oder einfach ein paar der eigenen Untergebenen für die Drecksarbeit losschicken kann? Die Versuchung, im stillen Kämmerlein zu versauern, ist relativ groß, und so liegt es an SL und Spielern gleichermaßen, ihr zu widerstehen und Alternativen zu bieten. Ein gutes Argument ist zwar, dass die Charaktere selbst viele Aufgaben deutlich besser erfüllen können als ihre Untergebenen, ein gewisser Reiz, die Hände in den Schoß zu legen, mag aber dennoch bestehen.

Eine Runde mit Konsumentenspielern erscheint mir schwierig bis unmöglich, als höchstens für einen One-Shot oder etwas in der Art umsetzbar. Man braucht wirklich zwingend Spieler, die ihre Charaktere so gestalten, dass diese selbst etwas erleben und bewegen wollen.

Viele klassische Abenteuerideen fallen damit von vornherein aus oder funktionieren nur noch in sehr komplexer und/oder abgewandelter Form. Als Beispiel wurde mir im Gespräch ein heutzutage unlösbarer Mordfall genannt. Dieser hält einen Psioniker wohl keine zehn Minuten auf, so dass ein solcher Plot eine Menge „Drumherum“ benötigen würde, um dennoch spielbar zu sein.

Spielbarkeit aus Spielersicht

Schon im Absatz zuvor bin ich auf die Erfordernisse an die Spieler eingegangen, dazu gibt es jedoch noch ein paar Dinge mehr zu ergänzen:

Die Struktur innerhalb der Gruppe ist eine hierarchische. „Es kann nur einen geben“ kann man sagen, denn nur einer kann der Freihändler selbst sein, derweil alle anderen als dessen Untergebene agieren. Das erfordert eine Menge Fingerspitzengefühl und Toleranz von allen Beteiligten.

Sich an die Kernwürfe zu gewöhnen, ist ein leichtes Unterfangen, sich an die Struktur des Systems als solches zu gewöhnen, durchaus komplizierter. Man muss quasi der „Typ“ für dieses Rollenspiel sein, ob nun als Freihändler selbst oder einer der anderen. Für Individualität ist da eher wenig Platz.

Bedenkt man hingegen, dass mit der Kooperation der Spieler und entsprechend ihrer Charaktere ganze Plots, SL und Gruppen im Grunde stehen und fallen, hat man eine zwar fragile, wohl aber vorhandene Wahlmöglichkeit, die Defizite in der Individualisierung ausgleichen können.

Für mich selbst muss ich sagen, dass ich beim Lesen zunächst wirklich gefesselt war. Freihändler hat einen so eigenen Reiz und macht so viele Dinge anders als andere Systeme, dass es einen zu packen vermag. Die Luft von etwas wirklich Epischem mit vielen Möglichkeiten zur Tiefe offenbart sich schon auf den ersten Seiten und ich habe die Beschreibungen allesamt genossen.

Im Buch gibt es beinahe nichts, was es nicht gibt. Die unterschiedlichsten Waffen, selbst die verschiedensten Möglichkeiten, das eigene Raumschiff zu konstruieren, nebenbei noch Dinge, die an jeder Ecke für quasi nichts zu haben sind, all das findet gleichermaßen seinen Platz in diesem Regelwerk.

Die Krux daran ist, dass zumindest ich – ohnehin schon keine Freundin von Tabellen und Co. – mich von den Möglichkeiten völlig erschlagen fühlte. Gleich auf den ersten Seiten etwa stehen die Grundlagen des Würfelns erläutert. Bis ich Seite 269 erreicht hatte, die mich durch die ausführliche Erklärung einer Fertigkeitsprobe daran erinnert hat, wie simpel das Würfeln im Prinzip gehalten ist, hatte ich das längst schon wieder vergessen und stattdessen gefühlte Tausend Modifikatoren und Tabellen im Kopf.

Preis-/Leistungsverhältnis

Mit knapp 50 EUR liegt das Grundregelwerk im gängigen Rahmen. Dass man dafür 461 Seiten voller Spielinformationen erhält, von den Basics bis hin zu Detailinformationen, ist schon bemerkenswert. Klar, an detailliert ausgearbeiteten Welten und ähnlichem fehlt es, doch abseits dessen, dass dies den Rahmen des Umfangs nun wirklich gesprengt hätte, ist dafür ein Startabenteuer enthalten. Außerdem wäre die Ausarbeitung ganzer Welten für dieses Spiel wie bereits ausgeführt ohnehin eher überflüssig.

Fazit

Kennern des Warhammer 40k-Hintergrundes bietet Freihändler vor allem die Möglichkeit, die Welt(en) einmal von ganz oben zu entdecken, mit einem hohen Powerlevel von Beginn an, entsprechenden Reichtümern, einem eigenen Schiff und derlei mehr. Im Regelwerk wird zwar die Möglichkeit erwähnt, Charaktere unterschiedlicher WH40k-Systeme zu mischen, in der Praxis scheint dies jedoch nicht sonderlich praktikabel zu sein.

Neueinsteiger in das WH40k-Rollenspiel oder Warhammer 40k an sich werden es schwer haben. Freunde des systematischen Lesens, die sich besonders anhand von Tabellen orientieren können, finden hier dennoch ein Paradies vor, für alle anderen wird die Lektüre zu einer harten Zerreißprobe. Freihändler ist dann ein wirklich professionelles und stimmungsvoll dargebotenes Rollenspielsystem, durch dessen Grundregelwerk man sich erst einmal durchbeißen muss, bevor man erkennt: Schwer ist es eigentlich gar nicht. Vielleicht ist das ja auch schon der Vorabtest für die Spieler, deren Charaktere sich im Spiel schließlich auch als Figuren präsentieren, die sich zurechtfinden und sich durchbeißen können.

Daumen3weiblich

Artikelbilder: Heidelberger Spieleverlag

 

 

11 Kommentare

  1. Eine gelunge Rezi zu Rogue Trader, obschon es für den Einstieg in die 40k-Welt in der Tat das denkbar ungeignetste System darstellt. „Dark Heresy“ (dt. „Schattenjäger“) oder das neueste Regelwerk, „Only War“ sind durch ihre Perspektive auf den gewöhnlichen imperialen Menschen in der Tat die besseren Anfängersysteme. Wo allerdings die *vielen* Tabellen liegen sollen, erschließt sich mir nicht ganz (- und ich leite Rogue Trader seit fast vier Jahren). Durch seine Basis auf den lächerlich simplen und zugleich gelungenen Regeln auf Warhammer Fantasy Roleplay 2nd Edition ist jedes 40k-Rollenspiel denkbar einfach zu leiten und wie ein Erzählspiel vergleichsweise „rules light“ anzugehen, ich empfand das Spiel immer als eine Art „Vampire the Masquerade“ im Weltall. Statt Ahnen, Ancilla und anderer neugeborener Vampire hat man eben andere Freihändler und Verbündete und Feinde, das Schiff gleitet durch die Koronusweite so, wie ein Vampirklüngel sich durch eine Großstadt bewegt. Mit so einem makro-Ansatz leitet sich Rogue Trader wirklich extrem entspannt und tiefstes Charakterrollenspiel ist möglich. Zumal niemand auf einem Freihändlerschiff, die Spieler und ihre Charaktere inklusive, einen imperiumstreuen Charakter verkörpern muss. Man kann auch als Alien (Ork, Dark Eldar, Kroot) losziehen, oder einen abgefallenen Ketzer oder Renegaten verkörpern – Freihändler machen sich ihre eigenen Gesetze.

  2. Ich habe mir Freihändler gekauft, nachdem ich es auf einer Messe gespielt habe. Derzeit spiele ich eher Schattenjäger, im Prinzip eine Mischung aus Shadowrun und James Bond. Bei Freihändler ist es wichtig, das die Spieler ihre Charakäre mögen und entwickeln wollen. Es setzt mMn (meiner Meinung nach) ein gewissen Erfahrungsschatz im Rollenspielbereich voraus. Ansonsten wer es mag guckt hier (http://www.gw-fanworld.net/showthread.php/176565-Die-Fahrten-der-Audacia). Falls nicht erwünscht einfach mal nach gw-fanworld gucken…

  3. Ja leider nicht nur gute Spieler, auch der Spielleiter muß mehrere Projekte vorbereiten, damit die Spieler sich etwas „geeignetes“ aussuchen können. Leider fehlen hier noch die sogenannten Quellenbücher von Shadowrun… *schnief*

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