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Über Stock und Stein marschieren Abenteurer von den Vergessenen Reichen bis Mittelerde. Dabei lauern hier neben Stolperfallen auch Gefahren und allerhand bedrohliches Gesindel. Doch was ist Wildnis eigentlich und warum übt sie auf Spieler und Spielleiter eine solche Faszination aus?

Wildnis in Das schwarze Auge – ein Schauplatz für Abenteuer

Jedem Spieler von DSA dürfte das Reisen bekannt sein. Zwar ist der Kontinent von den  Kaiserlichen Straßen durchzogen, doch abseits davon schlagen sich Heldengruppen regelmäßig durch die Büsche. Denn meist liegen interessante Ruinen und Höhlen abseits der bewohnen Städte wie Thorwal und Al’Anfa. Ist ja auch logisch, denn gerade vergessene Orte inmitten der Wildnis lassen das so vertraute abenteuerliche Spielgefühl von lauernder Gefahr und Möglichkeiten abseits der gewohnten Umgebung entstehen.

Solche Orte inmitten der Wildnis sind perfekte Kulissen für Kultisten, Verschwörer und uraltes Übel aus Borbarads Zeit. Auch für den Spielleiter ist die Wildnis eine Erleichterung, kann er solche Handlungsorte inmitten des kaum kartographieren Grüns doch einfach erschaffen, ohne mit der sehr detaillierten Hintergrundwelt von Das Schwarze Auge zu kollidieren. Faszination Wildnis ist hier auch immer das Unbekannte in einer weitgehend bekannten Welt.

Heldengruppen betreten die Wildnis und kehren mit Schätzen, Kräutern und wertvollen Erfahrungen wieder in die sicheren Städte zurück. Damit treten sie unbewusst das Erbe des mittelalterlichen höfischen Romans an, in welchem die Protagonisten an abgelegene Orte zogen, um sich zu beweisen. In den fantastischen Geschichten von früher wie von heute hält gerade die Wildnis dazu das Potential bereit. Durch die Heldentaten und die damit verbundenen Geschichten wird dann ein Stück Wildnis immer auch gezähmt und gleichzeitig der Mythos Wildnis bestärkt.

Die Wildnis von Der Eine Ring – Reise, Tradition und Erfahrung

Man könnte mit Fug und Recht behaupten, der Herr der Ringe, das grundlegende Romanwerk der modernen Fantasy, sei eine einzige Reise durch die Wildnis. Die Hobbits reisen durch das Auenland bis nach Bruchtal, die Gefährten reisen bis zum Anduin, Frodo und Sam reisen nach Mordor, um den Ring zu vernichten. Abenteuer geschehen hier nicht nur währenddessen. Diverse Hindernisse in Form von Verirrung in tiefen Minen, verlorenen Spuren, boshaften Bäumen und immer wieder der Strapazen der Reise selbst, wie Hunger und Erschöpfung, sind Teil des Kampfes gegen das Böse.

Das liegt natürlich auch daran, dass die Antagonisten über die Mächte der Natur gebieten und diese als Waffe verwenden (Sauron verdirbt das Land, Saruman gebietet über Vögel und sogar Sturm). Die Umgebung wird damit zum Spiegel des Gefühls der Bedrohung im Inneren (vgl. Romantik), aber auch zum Symbol für die tatsächliche Bedrohung von außen.

Die Helden Frodo und Aragorn überwinden diese Hindernisse und gelangen schlussendlich an ihr Ziel – die Rettung Mittelerdes. Dabei aber werden sie durch das Erlebte verändert. Frodo wird zur neunfingrigen Legende, Aragorn vom ruppigen Waldläufer zum wahren König und zwischen den Gefährten erwächst eine tiefe Freundschaft. Wildnis ist hier nicht nur Schauplatz der Abenteuer, sondern selbst das Abenteuer, an dem die Helden wachsen, um dann verändert in die Zivilisation zurückkehren.

Das Rollenspiel Der Eine Ring trägt diesem Fokus Mittelerdes auf Wildnis und Reisen Rechnung. Schauplatz ist Wilderland im Nordosten Mittelerdes, ein dünn besiedelter Landstrich, in dessen Herzen der Düsterwald liegt, der auf dem Weg zu fast allen Orten von Interesse durchreist werden muss. Damit steht das Rollenspiel ganz in Tradition der Romane und Filme und lässt jenes Gefühl der Einsamkeit der Helden vor der übermächtigen Natur wiederaufleben. Dass der Hexenkönig zu dem Zeitpunkt der Handlung, die vor dem Herrn der Ringe spielt, von der Festung Dol Guldur aus den Wald verdirbt, trägt dazu maßgeblich bei. Der Plot wird damit immer auch zur Expedition in ein gefährliches Neuland – ein Thema, dass seit jeher Abenteuergeschichten diente, von Livingstone bis Humboldt.

Vampire: Requiem – das Unheimliche jenseits der Städte

Während Wildnis in DSA ein Hintergrund für Abenteuer ist, liegt die Wildnis bei Vampire: Requiem außerhalb der erfahrbaren Welt der Charaktere. Vampire sind Kreaturen der Nacht und der Städte. Durch ihren Blutdurst sind sie an die Zivilisation gebunden und die Logistik von regelmäßigen Verstecken vor der tödlichen Sonne macht längere Reisen ohne spezielle Planung und Hilfsmittel fast unmöglich. So wird der Raum zwischen den Städten zur unangreifbaren Wildnis, in die sich der Einfluss der Blutsauger nicht erstreckt. Hier regieren Wechselbälger, Jäger und Werwölfe – potentielle Feinde für die Charaktere, die durch ihre untote Existenz an ein Leben in der Stadt gebunden sind. Dadurch und durch die feudalen Territorial-Strukturen gewinnt die moderne Welt der Dunkelheit archaische Züge und ist Wildnis überhaupt erst realisierbar. Sie ist hier das Fremde und Feindliche, gegen das man sich erwehren muss.

Vampire fürchten das unsichere Land jenseits der Städte. Damit stehen sie in einer Tradition der Wildnis, die in anderen Rollenspielen zu selten anklingt: dem Fürchterlichen. Wer jemals einsam auf einer Landstraße bei Nacht spaziert ist, wird wissen, was damit gemeint ist. Abseits der Großstädte und Neonlichter, allein umgeben von merkwürdigen Tiergeräuschen oder einfach nur Stille, ist diese Beziehung unserer Vorfahren zur unheimlichen und mysteriösen Natur noch erahnbar. Gerade Rollenspiel-Abenteuer in der Wildnis sind eine Möglichkeit, die schaurige Seite der Natur abseits von Überlebensproblemen, Kämpfen und Nahrungssuche zu betonen.

Abenteuer Wildnis

Alle hier vorgestellten Aspekte finden sich natürlich in jedem (guten) Wildnis-Abenteuer in bestimmter Gewichtung wieder. Gerade die Verbindung von Abenteuer, dem Unbekannten, Gefahr und Erlebnis macht für viele Spieler den Reiz an der Wildnis aus. Dabei bildet Wildnis auch einen Erlebnisraum, der diverse Rollenspiele miteinander verbindet. Bäume und Bäche in Faerun sind nicht anders als in Mittelerde oder auf Aventurien, die Beziehung der unterschiedlichen Bewohner zur Wildnis aber ähnlich. Damit wird Wildnis zum Meta-Thema des Hobbys selbst. Selbst im LARP ist Wildnis kaum wegzudenken; dort als Realisierungsort des Hobbys im Wald, da nur dort die sonst störenden Merkmale der Moderne fehlen.

Leider ist die Wildnis im Fantasy-Rollenspiel in manchen Spielrunden in Verruf geraten. Ungezähmte Natur liegt heute jenseits unserer alltäglichen Erfahrungswelten und immer wiederholende Beschreibungen von Lichtungen und Wildpfaden, 1W4 Heilkräutern oder 4W6 Wölfen werden ihr einfach nicht gerecht. Neben Regeln bedarf es vor allem einer guten Beschreibung, um Wildnis im Rollenspiel ansprechend, abwechslungsreich und spannend zu gestalten.

Aber auch die Spieler müssen sich auf eine fremde Situation abseits der Zivilisation einlassen. Nur  wer sich um schwindende Nahrungsressourcen sorgt, temporär die Orientierung verliert und nachts beim Lagerfeuer den fremdartigen Geräuschen der Umgebung lauscht, wird in der bespielten Wildnis Spaß haben. Immervolle Beutel, Stadtportale, Taschendrachen und eine Möglichkeit zur Langstreckenkommunikation zerstören hingegen das Erlebnis. Erst ohne moderne oder magische Hilfsmittel, in Berührung mit der Natur, wird Wildnis ein Erfolg am Spieltisch.

Artikelbild:  The Elder Scrolls Anthology. Bethesda (bearbeitet.)


 

 Logo_RSPKarneval_500pxDie­ser Arti­kel ent­stand im Rah­men des Kar­ne­vals der Rol­len­spiel­blogs und –web­sites „Über Stock und über Stein — Reisen und die Wildnis“, der von uns orga­ni­siert wird. Den eröff­nen­den Bei­trag zum Umzug fin­det man hier. Die Koordination findet aus dem RSP-Blogs-Forum heraus statt.

 

 

5 Kommentare

  1. Schöner Artikel! Es stimmt, die Wildnis im P&P leidet darunter, dass kaum noch jemand die Erfahrung „Wildnis“ macht und Beschreibungen schlimmstenfalls eintönig bleiben. Umso schöner ist es, mal eine gut beschriebene Wildnis zu durchreisen.
    Oder auch im RL raus zu gehen.^^

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