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Seit ihrem Erscheinen 2004 als „Reboot“ der Classic World of Darkness bildeten das World of Darkness Rulebook und Vampire: The Requiem (V:TR) das Fundament für die neue WoD und die darin hausenden Blutsauger. The God-Machine Chronicle (GMC) hat das World of Darkness Rulebook nunmehr mit Regelüberarbeitungen des Storytelling-Basissystems umfassend ergänzt (mehr dazu hier). Blood and Smoke: The Strix Chro­ni­cle (B&S) begann seinen Entwicklungsprozess als vergleichbares Buch, das neben einem speziellen Kampagnenhintergrund für den V:TR-Baukasten entsprechende Regelanpassungen und eine Überarbeitung der vampirischen Kräfte enthalten sollte. Im Laufe der Zeit allerdings ist das Buch konzeptionell über den ursprünglichen Grundriss hinaus gewuchert. Irritierenderweise segelt es noch immer unter der ursprünglichen Flagge und trägt dazu das unscheinbare und irreführende Etikett „a sourcebook“ auf dem Cover – sich stetig wiederholende, verwirrte Nachfragen zur Natur des Buches dürften für die nächsten Jahre garantiert sein.

Aus B&S ist nämlich ein inhaltlich und vom Regelkostüm her vollständiges Grundregelwerk geworden, das sogar eine abgespeckte, GMC-kompatible Fas­sung der WoD-Basis­re­geln ent­häl­t. Requiem-Neulinge müssen sich also keinerlei Sorgen machen – B&S allein enthält alles, was zum Spielen nötig ist. Sicherlich war das eine kluge Entscheidung; Neueinsteiger hätten sich sonst im schlimmsten Falle durch ein konfuses und abschreckendes Konstrukt aus zwei Regelbüchern und zwei Updates kämpfen müssen. Umso rätselhafter bleibt es, warum man es für opportun hielt, den Charakter des Buchs zu verschleiern.

Allerdings lohnt es sich, mit dem Attribut „neue/aktuelle Edition von V:TR“ behutsam zu hantieren. Zur Frage, ob es sich nun um die „definitive zweite Requiem-Edition“ handelt, hält man sich beim Verlag merkwürdig bedeckt; man mag spekulieren, dass dahinter lizenzrechtliche Gründe stehen. Gleichwohl deutet alles darauf hin, dass die grundlegenden Überarbeitungen und der in kräftigeren Farben gemalte Kampagnenhintergrund der Spiellinie den Weg zu den zukünftigen Veröffentlichungen weisen.

Die Spielwelt

Vor einiger Zeit schon habe ich versucht, die Entwicklungslinien der Vampir-Spiele aus dem Hause White Wolf/Onyx Path Publishing in einer Bestandsaufnahme nachzuzeichnen. Hier findet sich weiterhin ein knapper Überblick über die Grundlagen von V:TR.

Wo das 2004er V:TR-Regelbuch und die ersten Erweiterungen einen besonnen-reflektierten, melancholischen Grundton anschlugen, wechselt B&S die Art und Weise der Darstellung; das betrifft nicht nur die sprachliche Ebene, sondern färbt von dort aus ebenso die gesamte Spielwelt. Mit breiten Pinselstrichen in kräftigen Farben malt es ein lebhaftes, pulsierendes Bild der vampirischen Existenz im Requiem-Universum. Die Schilderungen sind drängend, intensiv, mitreißend und mühen sich, mit beeindruckender Bildgewalt plastisch-greifbare Eindrücke vor dem geistigen Auge zu skizzieren.

Im Vergleich zu dieser Unmittelbarkeit wirken die 2004er-Texte wie die Sezierung der vampirischen Existenz mit der drögen, detailverliebten Akribie einer Doktorarbeit über die Geschichte der Raufasertapete. Ihre auf der Masquerade-Erfahrung beruhende Gewissenhaftigkeit bietet zwar ein überaus solides Fundament, erschöpft aber zuweilen nicht nur das Thema, son­dern auch den Leser. An die Stelle elegischer Besinnungsaufsätze tritt nun hektische Betriebsamkeit. B&S möchte uns sogleich am Kragen packen und in eine bewegungsreiche Welt hineinzerren, die dabei härter, brutaler und sexuell aufgeladen geworden ist. Man scheut sich nicht, das potentielle Spielgefühl plakativ mit Fangzahn-Coolness, Romantik und medialen Vampirbildern auszugestalten, die modernen populärkulturellen Referenzen entstammen. Die lebendigen Schilderungen dürften Veteranen Spaß bereiten und Einsteigern ein überaus greifbares Bild davon vermitteln, was es hier zu erleben gibt.

An der Oberfläche scheint es durch diesen Ton zunächst so, als nähere sich Requiem im Stil der Masquerade an. Meines Erachtens ist das aber keineswegs der Fall, sondern, im Gegenteil, Bestandteil des weiteren Emanzipationsprozesses. Rund um das vampirische Dasein präsentiert B&S nämlich zugleich zahlreiche radikale Veränderungen, die zu jenem Zeitpunkt, als V:TR noch dazu gedacht war, V:TM vollständig zu ersetzen, wohl nie in Betracht gekommen wären.

Clans und Bünde

In der Anfangsphase standen die Bünde als Bausteine der Schattengesellschaft lange Zeit im Mittelpunkt der publikatorischen Aufmerksamkeit, während die Clans nur skizzenhaft grundlegende Archetypen ergänzten. B&S stellt sie nunmehr nicht nur weit an den Anfang der Darstellung, sondern verleiht ihnen in ausdrucksvollen Werbetexten lebhaft-immersive Konturen. Auf dem Rücken der Clanbücher vermitteln sie mit vollständig überarbeiteten Clanschwächen ein kraftvolles, thematisch stimmiges Bild. 

Das Abrücken von der analytischen Perspektive zeigt bei der folgenden Vorstellung der Bünde allerdings auch seine Nachteile. Die plakativen Schilderungen geben dem „sowohl – als auch“ wenig Raum. Zwar erhalten besondere Vorteile für Invictus und Carthianer, die bisher nur in den gleichnamigen Büchern zu finden waren, passenderweise Einzug ins Basisbuch (Carthian Law & Invictus Oaths). Der Differenzierungsgrad der ursprünglichen Veröffentlichungen zu den Bünden, die zugleich auch tiefen Einblick in die Funktionsmechanismen der vampirischen Gesellschaft gewähren, muss jedoch der markanten Pauschalierung weichen. So wird man beispielsweise darüber streiten können, ob es dem Thema gerecht wird, Carthianer quasi zu Jakobinern ohne Puls zu machen. Zu hoffen ist, dass mit dem bereits angekündigten Secrets of the Covenants, der auf B&S aufbauenden Erweiterung zu Bünden, die Feinheiten vampirischer Politik mehr Beachtung erfahren.

Die Darlegungsweise setzt sich in der Schilderung der übrigen Facetten des vampirischen Unlebens fort. Ihre Existenz offenbart sich nicht so sehr in abstrakten Allgemeinplätzen, sondern vielmehr in intensiven Bildern auf Augenhöhe der Charaktere. B&S spricht nicht in erster Linie über den Hintergrund, sondern illustriert ihn aus der Innenperspektive.

Freilich hat die Komprimierung der ursprünglichen Basistexte zusammen mit viel neuem Material auf engem Raum auch Opfer gefordert. Belials Brood, die stereotypen, destruktiven Finsterlinge des 2004er Grundregelwerks, sind der Schere zum Opfer gefallen. Allgemeine Regeln zu Blutlinien sind zwar noch enthalten, mehr jedoch nicht. Alles in allem sind das wohlerwogene und zu verschmerzende Kürzungen, die durch das Zusatzmaterial mehr als kompensiert werden.

Die Strix

Die titelgebenden Strix erhalten ein ausführliches eigenes Kapitel, das inhaltlich weit über die bereits in Night Horrors: The wicked Dead veröffentlichte Skizze hinausgeht. Wie sich bereits in der Strix Chronicle Anthology (mehr dazu hier) erwies, sind Vampire keineswegs alleinige Herrscher der Nacht. In der Finsternis lauern Geister aus der Vergangenheit, die ihre Beute unter den Jägern suchen. Körperlose Wesen aus Rauch und Schatten bedrohen die Schattengesellschaft der Vampire und drohen, sie mit gestohlenen Körpern und allgegenwärtiger Paranoia von innen heraus zu zersetzen. Im Grundsatz wird die Spielwelt durch die Strix geheimnisvoller wie auch bedrohlicher. Sie tragen starke, geheimnisumwobene und vielfältig einsetzbare Antagonisten bei, die die Atmosphäre des Geheimnisvoll-Phantastischen stärken, reißen dabei aber keineswegs das gesamte Setting an sich.

In der späteren V:TR-Publikationsphase haben die Clanbücher und Night Horrors-Bände schon einen stärker Story-orientierten Ansatz gewählt. Die latente Sterilität des Baukastens weicht dort durch Betonung des Mysteriösen intensiverer Stimmung. B&S setzt mit den Strix, aber auch vielen anderen Hintergrundelementen, diesen Schwenk in Richtung und Schwerpunkt fort, um tiefer in das Setting einzutauchen, ihm mehr Leben einzuhauchen und es markanter als Story auszugestalten.

Die Regeln

Das 30-seitige Grundregelkapitel leistet meines Erachtens hervorragende Arbeit dabei, die Basisregeln von Ballast zu befreien und auf das unbedingt Notwendige einzudampfen; der Platz hat sogar für das System zu sozialen Auseinandersetzungen ausgereicht. B&S verwendet das World of Darkness Storytelling System unter Einbeziehung der jüngsten grundlegenden Überarbeitungen im World of Darkness Rules Update. So wählen Charaktere nun von Beginn an drei Aspirations, in die Zukunft gerichtete Charakterziele. Darüber und über weitere Mechanismen werden Erfahrungspunktegewinn und die persönliche Geschichte im neuen System eng miteinander verwoben. Das Spielkonzept Conditions formalisiert bestimmte Zustände, in denen sich Charaktere befinden können, mit dessen Auswirkungen und den Bedingungen, unter denen sie enden; sie sind in viele spielwichtige Effekte eingebunden. Die Tendenz hin zu Systemen, die dramatische Situationen und individuelle Charakterausformung abbilden und fördern, wird für den Requiem-Hintergrund entsprechend fortentwickelt. An anderer Stelle habe ich bereits meine Skepsis bezüglich der GMC-Formalisierung und den Spielfluss geäußert, namentlich zum Erfahrungssystem. Im Grundsatz hat sich daran zwar nichts geändert, und auch andernorts mag ihr Wert durchaus fraglich sein. Doch zeigen die Conditions im Zusammenhang mit vampirischen Kräften und Zuständen erheblichen praktischen Nutzen, indem sie Klarheit und Systematik beträchtlich fördern.

Gegenüber der ursprünglichen V:TR-Ausgabe haben sich im Großen wie im Kleinen so viele Stellschrauben verändert, dass eine Gesamtaufzählung den Rahmen dieser Rezension sprengen würde. Die umfassende Bearbeitung und Ergänzung der Merits auf der Grundlage der seither erschienenen Bücher macht nur einen kleinen Teil davon aus.

Besondere Aufmerksamkeit verdienen die (neuen) Mechanismen zu einer der zentralen Charakterressourcen des Spiels: der Willenskraft (Willpower). Sie kann genutzt werden, um das Ergebnis von Würfen zu modifizieren und spielt in vielen wichtigen Momenten eine tragende Rolle. Die früher damit assoziierten Tugenden und Laster (Virtue/Vice) sind in Pension gegangen; an ihre Stelle sind Mask und Dirge getreten (aus Masquerade/Requiem in Danse Macabre hervorgegangen). Mask repräsentiert die Fassade eines Vampirs, also die Rolle, die er gegenüber den Sterblichen einnimmt. Dirge hingegen bedeutet sein verborgenes, wahres Antlitz, sein Selbstgefühl. Durch Stärkung und Verteidigung dieser beiden Seiten seines Unlebens gewinnt ein Charakter Willenskraft.

Die Menschlichkeit (Humanity) bleibt die zentrale Messlatte dafür, wieviel Abstand ein Charakter noch von der Bestie in seinem Inneren wahrt. Ihre Bedeutung hat sich jedoch sacht verschoben. Nicht moralisch-ethische Wertvorstellungen, sondern die Frage, wie stark sich der Vampir von der menschlichen Lebens- und Erfahrungswelt entfernt hat, füllt Menschlichkeit mit Bedeutung. Jene Situationen, die das Risiko der Entfremdung und damit des Menschlichkeitsverlustes mit sich bringen, heißen Breaking Points. Der Abstieg wird nicht mehr von der Gefahr einer Geistesstörung, sondern dem Durchscheinen der Bestie begleitet. Um sich vor speziellen Breaking Points zu schützen, kann der Vampir weitere übernatürliche Schwächen auf sich nehmen. Touchstones hingegen stellen Anker in der sterblichen Welt dar; sie sind mit der Menschlichkeit verbunden und helfen dem Charakter, den Ablösungsprozess aufzuhalten. Diese Mechanismen wirken maßgeblich auf die Rolle des Vampirs in der Spielwelt zurück. Früher schienen die Blutsauger allzu häufig in einem abgeschlossenen Mikrokosmos zu existieren, in dem Sterbliche im besten Fall Kulisse, im schlimmsten Fall bloßes Hintergrundrauschen sind. Nun ist das vampirische Dasein fest in der sterblichen Welt verankert; einer der Anhänge widmet sich dementsprechend speziell den Sterblichen und Ghulen.

Daneben wurden unzählige größere und kleinere Facetten des untoten Zustands verändert. Zumeist geht damit ein Zugewinn im Machtpotential einher. Vampire erhalten (endlich!) geschärfte, auf die Dunkelheit und den Geruch des Blutes abgestimmte Sinne. Sie haben außerdem Zugriff auf verschiedene Aspekte ihrer inneren Bestie und können ihre verführerische oder auch zerstörerische Kraft benutzen. Wie gefährlich Sonnenlicht Vampiren wird, hängt nun von ihrer Menschlichkeit und der Macht des Blutes ab. Junge Vampire können geraume Zeit im Licht verbringen und erhalten so gegenüber den Ahnen einen bedeutsamen Vorteil.

Heraus sticht im Übrigen die umfassende Neubearbeitung der Disziplinen. Neben stimmiger, thematischer Neujustierung an etlichen Stellen sind sie im Allgemeinen deutlich stärker und auch flexibler geworden; sie stellen die Untoten klar über gewöhnliche Menschen. Zudem wurden sie untereinander sorgsam neu ausbalanciert. Dasselbe gilt für die vollständig neu strukturierten Mysteries of the Dragon des Ordo Dracul. Von der beanspruchten Zeit her ist die Blutmagie nun zu tatsächlicher Ritualmagie geworden, deren Effekte der Vorbereitung bedürfen. Mißlich ist insoweit, dass die Riten der Sache nach ans System des vor nicht allzu langer Zeit erschienenen Blood Sorcery (mehr dazu hier) angepasst wurden und die Regelanpassungen in B&S quasi eine Antwort auf dessen spielbrechendes Potential sind. Blood Sorcery erscheint hilfreich, vielleicht gar nötig, um Anpassungen vorzunehmen und die Blutmagie auf eine mit den übrigen überarbeiteten Kräften vergleichbare Ebene zu heben.

Charaktererschaffung

Das storytelling-typische Ausmalen von Punkten auf dem Charakterbogen bleibt eine denkbar einfache Methode, um fix in Attributen und Fertigkeiten die Grundparameter eines Charakters festzulegen. Die Regelupdates gewährleisten aber nicht nur ein erkennbar gestiegenes Machtniveau der Charaktere, sondern auch eine deutlichere Ausformung ihrer Ziele und sozialen Aspekte. Verharrten frühere Inkarnationen des Systems noch in erster Linie bei seiner gegenwärtigen Persönlichkeit, treten nunmehr auch seine potentielle Entwicklung (Aspirations) und seine Einbindung in die Spielwelt in den Vordergrund. Mask, Dirge, Touchstone – das alles dient dazu, nicht primär eine isolierte Person zu erdenken. Der Charakter wird von Beginn an als soziales Wesen erschaffen, das mit der Umwelt verknüpft und somit direkt in die Spielwelt eingebettet ist. Ergänzend stellt das Storytelling-Kapitel dem Spielleiter Anregungen, optionale Systeme und einen Fragenkatalog zur Seite, um darauf aufbauend die Ansätze der Chronik auszuformen.

Spielbarkeit aus Spielleitersicht

Zwar dürfte es die über weite Teile des Buchs konsequent durchgehaltene Innenperspektive frischgebackenen Requiem-Erzählern zunächst etwas schwerer machen, einen Überblick über die zugrundeliegende Funktionsweise der Spielwelt zu gewinnen. Doch ist das aus älteren Storytelling-Regelwerken bekannte Grundbild der vollständig erzählergesteuerten Chronik aber auch aus den Spielleiter-Handreichungen verschwunden. Wo man früher in erster Linie Lippenbekenntnisse zum charakterzentrierten Spiel vorfand, werden die Charaktere in B&S tatsächlich zum Ausgangspunkt der Geschichte. Das Storytelling-Kapitel konzentriert sich darauf, das erzählerisch-dramaturgische Potential von Eigenschaften und Hintergrundfacetten der Figuren optimal zu nutzen. Daneben findet sich eine Werkzeugkiste voller optionaler Systeme, mit denen sich das Spiel weiter individualisieren lässt. Die Basis-Instrumente für den Aufbau einer von den Protagonisten ausgehenden Chronik sowie das Baukastenprinzip, das spätere Requiem-Bücher auszeichnete, haben so bereits Einzug ins Grundregelwerk gehalten.

Darüber hinaus wartet B&S über das gesamte Buch hinweg mit einer hohen Dichte an Plot Hooks und Story-Bausteinen auf, die zum Sprungbrett für zahlreiche Geschichten werden können. Schon die Strix bieten viele Ansätze. Ein ganzes Kapitel widmet sich zudem verschiedenen Domänen rund um die Welt, die als Setting, Beispiel oder zur Inspiration dienen mögen. Sie demonstrieren anschaulich Dynamik und Bandbreite des Hintergrundes. Auch hier möchte B&S seine Welt weniger abstrakt beschreiben, sondern vielmehr möglichst unmittelbar zeigen, wo ihr Story-Potential liegt. An dieser Stelle ist gut zu erkennen, dass man nicht nur den neuen, sondern auch den erfahrenen Spielleiter im Blick hatte. Requiem-Veteranen finden anstelle der ansonsten in neuen Editionen üblichen Wiederholungen/Zusammenfassungen eine überaus lohnenswerte Fülle neuen Materials vor, um Geschichten zu inspirieren oder zu unterfüttern.

Ein Wermutstropfen allerdings ist die eingeschränkte Rückwärtskompatibilität. Da sich sowohl Hintergrund wie Regelmechanik zum Teil stark geändert haben, sind viele der älteren Bücher nicht mehr nahtlos mit B&S verwendbar. Die Regeloptionen aus Danse Macabre sind stark auf die alte Regelversion abgestimmt. Die Disziplinen der in immerhin vier Büchern ausgebreiteten Blutlinien bleiben im Spielwert deutlich hinter den Überarbeitungen zurück. Einiges an älterem Hintergrundmaterial fügt sich nicht mehr ohne weiteres in die Spielwelt ein, wie sie sich in B&S darstellt. Zumindest das Städtebau-Kompendium Damnation City und die Clanbücher dürften weiterhin gut verwendbar sein.

Spielbarkeit aus Spielersicht

B&S gibt sich alle erdenkliche Mühe, Spieler sowohl mit den plastisch-greifbaren Schilderungen als auch den verschiedenen Aspekten der Charaktererschaffung möglichst hürdenfrei in die Tiefe der Requiem-Welt zu lotsen. Die klaren Konturen von Clans und Bünden wie auch Charaktere, die von Anfang an in die Welt integriert sind, leisten maßgebliche Beiträge zur Zugänglichkeit des Settings. Meiner Ansicht nach ist B&S das bisher gegenüber Spielern herzlichste/spielerfreundlichste Regelwerk der Vampire-Spiele.

Preis-/Leistungsverhältnis

Für ein 311 Seiten umfassendes, aufwendig gestaltetes Regelwerk erscheint mir der Preis bereits fair. Berücksichtigt man dabei noch die beeindruckende inhaltliche Dichte des sorgsam entwickelten Materials, finde ich die aufgerufene Summe im Verhältnis zum Spielwert des Inhaltes sogar ausgezeichnet.

Erscheinungsbild

Blood Smoke CoverB&S präsentiert sich auf 311 engbeschriebenen, vollfarbigen Seiten im klassisch-atmosphärischen Layout der bisherigen V:TR-Veröffentlichungen. Die gemäldeartigen Innenillustrationen in dunklen, kräftigen Farben harmonieren mit Thema und Stimmung. Optisch hält das Buch das hohe Niveau der jüngeren PDF-Publikationen aus dem Hause WW/OOP.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Onyx Path Publishing
  • Autor(en): Rose Bailey u. A.
  • Erscheinungsjahr: 2013
  • Sprache: Englisch
  • Format: PDF (demnächst PoD)
  • Seitenanzahl: 311
  • Preis: 19,99 USD
  • Bezugsquelle: DrivethruRPG

 

Bonus/Downloadcontent

 

Fazit

Anstelle der Folge 1138 von Grzimeks Vampirleben trägt B&S eine steife Brise frischen Windes ins Requiem-Universum. V:TR zeigt sich in der Neubearbeitung experimentierfreudig, ideenreich und voller Elan; dichte Atmosphäre und vielgestaltige Geschichten quellen aus dem Buch. B&S berichtet nicht, sondern führt mitreißend und unterhaltsam vor, wo die Faszination dieser Spielwelt liegt. Zwar fällt dem Stil manch feinsinnige Nuancierung zum Opfer. Breite Pinselstriche in kräftigen Farben aber hauchen der vampirischen Existenz Leben ein und holen Dynamik und die Coolness moderner Vorbilder ins Spiel. Rundum modernisierte Regelmechanismen betten die Charaktere in das vibrierende Universum ein und zeigen neue Möglichkeiten auf, ihre Entwicklung, Kräfte, Schwächen und persönliche Dramatik angemessen ins Regelsystem zu integrieren.

Den Balanceakt, den sehr unterschiedlichen Bedürfnissen von Einsteigern wie Veteranen gleichermaßen gerecht zu werden, meistert B&S dabei mit erstaunlicher Souveränität. Neulinge werden unmittelbar gepackt und in die Welt hineingezogen; Requiem-Veteranen finden eine Fülle neuer Systeme und neuen Hintergrundmaterials vor, um Geschichten zu inspirieren und auszugestalten.

Ein perfektes Buch ist es sicher nicht geworden – aber ein großer Wurf, auf dessen Grundlage Requiem gelassen und optimistisch in die Zukunft blicken kann.

Daumen5maennlich

Artikelbilder: Onyx Path Publishing

 

10 Kommentare

  1. Ich bin gespannt. Im Gegensatz zur Maskerade bin ich mit Requiem nie wirklich warm geworden, da ich diese Storywelt als zu stark reduziert gegenüber dem Vorgänger empfand.

  2. Gerade das hat mich eigentlich immer gereizt und wurde von mir als schöner Kontrast zum „Weltkrieg der Übernatürlichen“ (Metaplot) in V:tM empfunden.

  3. Mehr Hintergrund im Sinne von Story ja, aber Metaplot im V:TM-Stil hält jedenfalls auch mit Blood & Smoke keinen Einzug in V:TR. Das bedeutet zwar, daß nicht mehr alle Handlungselemente ganz unverbunden nebeneinander stehen; aber es deutet nichts darauf hin, daß man das Setting nun im aventurischen Stil aufarbeiten oder in einer Zeitlinie bündeln möchte.

    • Kann ja jeder selbst für sich machen. Gute Kampagnen haben irgendwann eh ein Eigenleben. Aber ein Vampire-DSA? Bitte nicht. Da war Requiem echt gut so.

  4. Private Meinung: Jedes VtR/VtM ohne Atombomben auf die erste Stadt und andere komische Ideen aus der gesamten Gehenna-Storyline ist ein besseres Vampirspiel.

  5. Ich sehe das ganz anders. Ein jedes Rollenspiel ist ein Kind seiner Zeit. Und Maskerade ist ein Kind der 80er, erstellt in den frühen 90ern. Monolithische Organisationen die klar gegen einander stehen. Wenn das mal nicht ein Spiegelbild der Reagan-Ära ist. Requiem hingegen ist erfrischend frei undvielschichtig. Vieles geht, nichts muss. Jeder Clan kann in jeden Bund gehen. Du kannst als Verdammter soviel mehr erreichen, als wenn du Kainit bist. Maskerade hat einen genialen, aber leider total überzogenen Metaplot. Das fehlt vielen. Aber es geht auch ohne. Für mich ist Requiem ein super Remake. Ein Remake ist eben ein Remake. Das muss mir, aber nicht jeden anderen Gefallen. Und wie immmer … erlaubt ist was gefällt! ;-)

    • Hab es mir gleich zugelegt und bin begeistert wie Karsten. Nach langer Zeit bekomme ich wieder richtig Lust auf Vampire.

  6. Zudem Requiem in Deutschland ein totes Pferd ist weil der Geburtshelfer direkt mal beim Entbinden mit dem Dolch nach dem Hirn gesucht hat.

    Der Gehenna Metaplot hat viel vorgebetet. Mit „World of _Darkness_“ hatten die letzten Editionen der alten WoD aber gar nichts mehr zutun. Das war eine „World of ‚wir kloppen uns unterm Flutlichtmast alá Royal Rumble'“.

    So klare Linien sind nett zu meistern. Ich habe gerne mehr Differenzierungsmöglichkeiten und, wenn schon etwas subtiler Horror sein soll, Horror über abgerissene Gliedmaßen hinaus.

    V:tM ist kein Mist. Aber ausgelutscht und der Metaplot der letzten Edition Megaloman.

    Das Reqiuem alles freier, dunkler (undurchsichtiger) und vom Powerniveau deutlich tiefer gestapelt angesetzt hat hat mir immer gut gefallen.

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