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Wenn der Firmenname Bioware fällt, so ist dieser meist Garantie für kontroverse, aber faszinierende Rollenspiele (siehe Dragon Age, Mass Effect, Star Wars: The Old Republic). Mit The Banner Saga haben nun drei ehemalige Bioware-Programmierer ein kleines Spiel vorgelegt, das den Spieler taktisch und emotional herausfordert und sich in Teilen wie ein altes Textadventure spielt. Dazu bereichert es das Rollenspiel-Genre „düsterer Fantasy-Norden“ um ein faszinierendes Setting und einen hervorragenden Soundtrack.

Der Hintergrund

Gleich der erste Satz von The Banner Saga macht den Ton klar: „Die Götter sind tot.“ Die Menschen sahen ihre Sterne fallen und die Sonne hoch am Himmel anhalten. Verzweifelt beten sie vor den übergroßen Göttersteinen und rüsten sich zum Kampf. Denn die Dunkelheit des Weltuntergangs treibt einen alten Feind vor sich her: Die Dredge. Diese Wesen aus Stein wurden einst von einem Bündnis von Menschen (hier deutlich von den Wikingern inspiriert) und Varl (ein tapferes Volk gehörnter Riesen) bezwungen und ans Ende der Welt gedrängt. Doch nun kehren sie zurück, angeführt von Bellower, einem unsterblichen Sundr (Steinmagier), und vernichten alles auf ihrem Weg. Ihnen stellen sich diverse Armeen und die Mender (Zauberer) entgegen, die nach einer Möglichkeit suchen, den Unsterblichen zu vernichten.

Als Spieler schlüpft man abwechselnd in die Rolle einiger Varl-Anführer sowie in die von Brook, einem Jägermeister und alleinerziehenden Vater. Als dessen Dorf Skogr unter den ersten Angriffen der Dredge fällt, beginnt ein endloser Flüchtlingsmarsch nach Westen. Auf dem Weg trifft man in seiner Haut Entscheidungen in klassischer Textadventure-Manier, die noch Kapitel später gravierende Auswirkungen haben können. Nimmt man alle Flüchtlinge auf, oder spart man lieber Rationen und bringt den eigenen Clan durch? Wie bestraft man Aufruhr im Track, ohne die so wichtige Moral zu senken? Dass bei den Reiseereignissen selbst liebgewonnene Charaktere sterben und so Ratlosigkeit und Wut beim Spieler ausgelöst werden, gehört zum Konzept. Wer diese „Unsicherheit“ schon bei Game of Thrones mochte, wird The Banner Saga lieben.

Gesichtslose Gegner: Die Dredge erscheinen zunächst als platte Bösewichte mit Haut und Herzen aus Stein.
Gesichtslose Gegner: Die Dredge erscheinen zunächst als platte Bösewichte mit Haut und Herzen aus Stein.

  

Das Gameplay

Auf der spielerischen Ebene sind die moralischen Entscheidungen auf dem Flüchtlingsweg nicht alles. Denn regelmäßig bittet The Banner Saga zum taktischen Rundenkampf. Auf relativ engem Terrain treten dann drei bis sechs Helden gegen namenlose Dredge an. Alle Charaktere haben dabei drei Werte: Angriff, Rüstung und Willenskraft. Angriff entspricht auch gleich den Lebenspunkten einer Einheit, so dass man Feinde gezielt schwächen kann. Rüstung ist vor allem bei den gegnerischen Dredge hoch und muss zunächst verringert werden, bevor ein tödlicher Streich gelandet werden kann. Willenskraft kann für Extrabewegung, Sonderfähigkeiten und Bonusschaden flexibel eingesetzt werden und regeneriert sich im Kampf.

Schön ausgestaltete Welt: Informationen über alle Orte gibt es per Klick auf der gezeichneten Karte.
Schön ausgestaltete Welt: Informationen über alle Orte gibt es per Klick auf der gezeichneten Karte.

Dazu gibt es dutzende interessante Klassen von Warmaster bis Backstabber, deren Sonderfähigkeiten den Schlüssel zum Sieg ausmachen. Das Ungewöhnliche am System: Gegner und Helden sind immer abwechselnd dran, so dass es oft Sinn ergibt, Dredge nur zu schwächen, damit die kaum noch kampffähigen Einheiten den feindlichen Zug behindern, während man selbst den Rest bezwingt. Das ist zunächst kontraintuitiv, sorgt aber für einige interessante Taktiken.

Kämpfe sind schon ab normalem Schwierigkeitsgrad teilweise bockschwer. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um einen Überfall oder eine große Schlacht handelt, in der der Spieler die Taktik vorgibt und dann mit den Helden in die Bresche springt. Etwas schade sind die begrenzten Schlachtfelder weitgehend ohne Gelände und mit kleinen Aufstellungszonen. Hier, wie beim Gegnerdesign, hätte man noch mehr rausholen können. Warum The Banner Saga auch auf mehr Einsatz der Mender und abwechslungsreicherer Zauberfähigkeiten verzichtet, bleibt ein Rätsel.

Zwischen den Kämpfen steigen Charaktere bis zu fünf Stufen auf, erhalten bessere Werte und einen Ausrüstungsgegenstand. Währung hierfür ist Renown, welches in Kämpfen und durch Entscheidungen gewonnen werden kann. Aber auch hier ist der Spieler in einer moralischen Zwickmühle: Soll er lieber einige Heldenwerte steigern, nützliche Gegenstände kaufen oder mehr Nahrung in den Dörfern auf dem Weg erstehen, um den Track zu versorgen und die Moral hoch zu halten?

Trickreiche Rundentaktik: Oft ist es besser Gegner früh zu schwächen, als direkt umzubringen.
Trickreiche Rundentaktik: Oft ist es besser Gegner früh zu schwächen, als direkt umzubringen.

Grafik

The Banner Saga kommt im zeitlosen Comic-Look daher. Die liebevoll gemalten Charaktere und Landschaften erinnern an den Stil von Eyvind Earle oder Don Bluth. Das fordert weder moderne Computersysteme noch begeistert es grafikwütige Spieler und Call of Duty-Fans. Doch für diese ist das leise und melancholische Epos sowieso kaum geeignet.

Sound

Banner Saga_SoundtrackDie Soundeffekte der Kämpfe sind solide. Leider fehlt den stimmungsvollen Texten ein passender Sprecher – selber lesen gibt dem Spiel aber einen Retro-Charme und erinnert an Textadventures der 90er Jahre. Dafür ist der Soundtrack  von The Banner Saga erstklassig. Dieser wurde von Austin Wintory komponiert, der schon die Musik zum gefeierten Indie-Hit und Spiel des Jahres 2013 Journey lieferte. Die melancholischen, nordischen Töne der insgesamt neunundzwanzig Stücke passen auch jenseits von The Banner Saga zu jedem Rollenspielsetting von Thorwal (DSA) bis Weißwall (Exalted) und sollten in keiner Rollenspiel-Musiksammlung fehlen. Gut, dass man den Soundtrack auch einzeln bei Steam herunterladen kann.

Die harten Fakten:

  • Developer: Stoic
  • Erscheinungsjahr: 2013
  • Sprache: Englisch
  • Plattformen: Windows PC, Linux, Play Station 3, Xbox 360
  • Preis: 22,99 EUR
  • Bezugsquelle: Steam,, Xbox Live, Play Station Store

 

Bonuscontent

Auf Steam wird mit The Banner Saga: Factions zusätzlich der kostenlose Mehrspielermodus angeboten, der sich über Booster-Packs finanziert. Anders als im Hauptspiel misst man sich hier ohne Flüchtlingssorgen mit anderen Spielern in tödlichen Duellen. Aber Vorsicht: Das ist nur etwas für erfahrene Taktiker.

Fazit

Auf der einen Seite ist The Banner Saga ist ein forderndes Taktik-Rollenspiel im Stil von Final Fantasy Tactics. Das unterhält und treibt bereits ab normalem Schwierigkeitsgrad selbst erfahrenen Tabletop-Helden Schweiß auf die Stirn. Doch für Rollenspieler, die sich auf die düstere Geschichte einlassen, ist The Banner Saga andererseits ein wundervoll erzähltes Epos voller Rückschläge und harten Entscheidungen in einer dem Untergang geweihten Wikingerwelt. Wer auch immer vor hat, die Themen Krieg oder Flüchtlinge in die eigene Rollenspielkampagne einzubinden, findet in The Banner Saga eine lohnenswerte Inspiration. Als Alternative zu nordischen Rollenspielen wie Malmsturm oder Vikings ließe sich aus dem Computerspiel auch hervorragend ein Pen’n’Paper-Setting zimmern.

Daumen4Maennlich

Artikelbilder: Stoic

 

3 Kommentare

  1. Klasse Spiel, kann ich nur empfehlen.
    Auch wenn ich persönlich finde das die Kämpfe nicht so sehr herausfordernd sind wie hier beschrieben. Ausser der Endkampf. Aber zum Glück ist das Kämpfen eher nebensächlich.

    PS: Der Jäger heisst Rook, nicht Brook ;)

  2. Habs auch gespielt und geliebt. Die Story ist hammer. Das Kampfsystem ist … ungewöhnlich aber interessant. Ich würd es jedem sofort wieder empfehlen.

  3. Puh, gar nicht gesehen, dass das hier bewertet wurde. Mir gefiel „The Banner Saga“ zuerst richtig gut, auch der ein oder andere Verrat und Konflikt in der Sippe war toll, aber das sich wiederholende Kampfsystem hat mir irgendwann das Spiel verleidet. An einem bestimmten Punkt war es eher frustrierend, zumal sich die Kämpfe häuften, während die Sippe täglich dahinschwand. Vielleicht war’s ja eine Fehlentscheidung, die das bewirkte, aber da hätte ein simples Fallen der Klappe es auch getan.

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