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LARP bietet sehr viele Möglichkeiten der Entfaltung. So ist man auch darin frei, welche Rolle man für sich wählt. Nicht wenige LARPer wählen eine, welche sie gerne auch im echten Leben übernehmen würden. Sie nutzen also das LARP, um ihre Wünsche auszuleben. Oft beinhaltet diese Wahl auch, ein Anführer zu sein.

Ob es sich hierbei nun um einen Hauptmann einer militärischen Einheit, einen Adeligen oder einen gefürchteten Tyrannen handelt, ist erst einmal irrelevant. Diese Rollen haben meist alle eines gemeinsam: sie haben Macht über andere Charaktere, sei es durch Entscheidungsgewalt, Angst oder Magie. Neben der Ausstattung wie Gewandung, Waffen, Rüstung und Ambiente-Materialien ist jedoch eine Sache das Wichtigste: Um diese Rollen glaubhaft darstellen zu können, braucht es Mitspieler, die die gewünschte Reaktion auch zeigen.

Häuptling und Indianer – Howgh! Ich habe gesprochen!

Hauptmann einer Gruppe italienischer Ritter mitsamt Gefolge.
Hauptmann einer Gruppe italienischer Ritter mitsamt Gefolge.

Die gewünschten Reaktionen dieser Mitspieler kann man nun auf zwei grundverschiedene Arten erreichen. Die erste ist, dass man wirklich eine solche Präsenz hat; ein solches Auftreten an den Tag legt, dass man die intendierte Haltung der Mitspieler automatisch erlangt. Die Mitspieler dürfen gar keine andere Wahl haben, als den Charakter so zu behandeln, wie der Spieler der Rolle es sich vorstellt.

Das heißt, dass ich als omnipotenter Magier dafür sorgen muss, dass ich pure Magie durch meine Ausstrahlung vermittle. Das heißt auch, dass ich als Adeliger ehrfurchtgebietend und unglaublich arrogant aussehen muss; das heißt, dass ich als ultimativer Bösewicht allein dank meines Spiels und meines Aussehens Furcht und Schrecken unter den Mitspielern sähen muss.

Zugegeben, eine nicht immer leichte Aufgabe. Sehr viel einfacher ist dies auf dem zweiten Weg zu schaffen. Hierfür wird zwar immer noch eine gute Ausstattung und –strahlung benötigt, jedoch macht eine recht simple, aber dennoch anspruchsvolle Ressource sehr viel wett. Diese Ressource ist, der ein oder andere mag es bereits erraten haben, der Mitspieler. Die halbe Miete ist bereits, Mitspieler dazu zu bewegen, einem bei seinem Spiel zu unterstützen. Idealerweise stammen diese sogar aus der gleichen Spielgruppe.

Menschen sind Rudeltiere. Wenn sie sehen, dass einzelne Leute bereits auf eine bestimmte Art auf einen Charakter reagieren, werden sie oftmals mit einstimmen. Abseits davon braucht ein Hauptmann beispielsweise Untergebene, die seine Befehle ausführen. Ohne gehorsame Befehlsempfänger wird ihm niemand den Hauptmann abnehmen. Im LARP nennt man dieses Prinzip das Häuptling-Indianer-Prinzip. Um einen Häuptling darzustellen, braucht es viele Spieler, die bereit sind, Indianer zu spielen. Eines der bekannteren Probleme ist hierbei, dass Spieler eher Häuptlinge spielen wollen als Indianer. Somit ist dann aber niemand da um das Spiel der Häuptlinge zu unterstützen.

Der ultimative Häuptling

Ab und an kommt es vor, dass es rein IT-technisch gar nicht anders möglich ist, als dass die Charaktere sich einer Rolle unterwerfen. Dieser Fall tritt ein, wenn eine Rolle (meist ein NSC) einen für andere Rollen unerreichbaren Powerlevel innehat. Einem Hauptmann mag man noch Widerworte geben, jedoch sollte es für einen Normalsterblichen eigentlich undenkbar sein, sich gegen gottgleiche Wesen zu wenden. Das Wichtigste hierbei ist meist, dass diese Rolle auf irgendeine Art und Weise absolute Macht innerhalb eines Bezugssystems innehat. Dies verhindert meist effektiv das Auflehnen gegen diese Rolle, da niemand diesen Grad an Macht erreichen kann. Wenn diese absolute Macht innehabende Rolle auftritt, wird der Häuptling zum ultimativen Häuptling.

Hiermit werden bestimmte Erwartungen an diese Rolle geknüpft, was dem oben vorgestellten Mechanismus eine besondere Bedeutung zukommen lässt. OT steht dort nämlich immer noch nur ein Mensch. Als Mensch allerdings wird ihm von seinen Mitspielern ein anderer Respekt entgegengebracht, als der Rolle von den anderen Rollen. Leider kommt es hierbei in der Regel dann auch zu einer Übertragung (Bleed-IN) dieser OT-Einstellung ins IT-Spiel. Der Spieler ist meist nicht gewillt, den eigentlich der Rolle angebrachten Respekt entgegenzubringen, da die Kluft zwischen IT-realistischem Respekt und OT-Respekt vor der Person zu hoch ist.

Doch genau wegen dieser Kluft, wegen der Undarstellbarkeit der Rolle auf dem Niveau, das eigentlich notwendig wäre, um adäquaten Respekt vor dieser Rolle zu entwickeln, ist es notwendig, dass die Spieler freiwillig Indianer sind und so das Erlebnis aller bereichern.

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Das Video zeigt sehr schön, was genau gemeint ist. Zu sehen ist der blaue Avatar des Drachenfestes. Er steht für Freiheit. Für die Freiheit von Sklaverei, von Knechtschaft. Für die Freiheit zu tun, was man will. Er ist ein quasi-göttliches Wesen mit Macht und doch wird er nur von einem Spieler dargestellt, der nicht diese Macht hat. Er lässt seine Kapitäne ertrinken, weil sie seinen Weg nicht verstanden haben; weil sie behaupten den Weg der Freiheit zu gehen, was aber nur ein Lippenbekenntnis von ihnen zu sein scheint. Doch der Spieler sagt nur, dass sie ertrinken und das Wasser aufsteigen spüren und sofort beginnen die anderen Spieler dieses „Ertrinken“ auszuspielen.

Ich zeigte dieses Video meiner Mutter und sie fragte: „Aber, wenn die anderen da jetzt nicht umfallen… Sondern einfach unbeeindruckt stehenbleiben… was ist dann?“ Mit dieser Frage hat sie das Kernproblem erkannt, das hier natürlich überspitzt dargestellt wurde. Es ist sehr schön zu erkennen, wie das Mitspielen der einzelnen Spieler den Gesamteindruck für alle verbessert und intensiviert. Vermutlich hatten die Spieler nicht wirklich Lust, ihre Charaktere ertrinken zu lassen, aber sie sind auf das Angebot eingegangen.

Ein fast schon perfektes Beispiel sind die spanischen Spieler im Hintergrund, die zuschauen und nicht verstehen, was der blaue Avatar sagt. Aber als sie mitbekommen, was die anderen Spieler darstellen (ertrinken) steigen sie sofort ein, spielen mit und „ertrinken“, einfach um die Situation zu vertiefen und weil es passt.

Die Mumien mit ihrem großen Anführer, dem Pharao.
Die Mumien mit ihrem großen Anführer, dem Pharao.

Fazit

Häuptlinge brauchen Indianer. Und wenn euch ein ultimativer Häuptling vorgesetzt wird von der Orga, auch wenn es vielleicht nicht euer favorisiertes Spiel ist, reagiert auf ihn als Indianer.

Spielt mit ihm und nehmt die Häuptlingsrolle als genau das wahr. Behandelt sie wie solch eine. Es geht nicht darum, dem Ego dieser einen Person zu schmeicheln, sondern darum, das Spiel für alle, und damit auch für euch selbst, besser und intensiver zu gestalten. 

Artikelbilder: Nabil Hanano, Drachenfest 2013, Diemelstedt

 

11 Kommentare

  1. Ein schöner Artikel, und sehr treffend.

    Ich hatte in der Vergangenheit öfter einmal das Gefühl, dass Spieler einen Häuptlings-Charakter wollen, aber gleichzeitig nicht zwangsläufig die damit einhergehenden Verpflichtungen. Das trifft natürlich bei weitem nicht auf alle zu, aber ich habe über die Jahre einige Darsteller von Adeligen gesehen, die zwar eine mächtige politische Position in ihrem Land haben, aber gleichzeitig saufend und fluchend mit dem gemeinen Volk in der Taverne sitzen wollten. Da bin ich immer froh, wenn ich gemeinsam mit anderen Spielern auf LARPs bin, die nicht bloß die Vorteile eine Rolle wollen, sondern auch die jeweiligen Einschränkungen in Kauf nehmen.

  2. Ich stimme dir voll und ganz zu, egal ob Häuptling oder Indianer, man sollte sich an die Einschränkungen seiner Rolle halten.
    Wenn der Adelsspieler doch saufen gehen will, soll er sich einen Zweitcharakter mitnehmen oder gleich einen Saufbruder spielen.

    So nimmt er seinem Charakter die Glaubwürdigkeit und die Leute werden ihn weitaus weniger bereitwillig als Häuptling anerkennen als wenn er die Rolle konsequent durchspielen würde.

    Zu diesem Thema, daher danke für den Hinweis an dieser Stelle, werde ich dann auch noch direkt einen Folgeartikel verfassen, der mal die Rolle des Häuptlings generell beschreibt und beleuchtet und eben auch auf die Verpflichtungen eingeht die man damit hat.

    Lg, Betty

    • Bitte :)

      Ich finde es oft einen schmalen grad zwischen den Erwartungen und Verpflichtungen einer bestimmten Rolle (egal ob Kaiser oder Küchenmagd) und dem gekonnten Ausbrechen aus diesen Erwartungen. Ein Adeliger, der gerne in der Taverne saufen will und sich deshalb als gemeiner Bauer verkleidet, um sich unerkannt unter das Volk mischen zu können, wäre in meinen Augen eine geschickte Lösung: Einerseits kann der Darsteller sich dem Tavernenleben hingeben und andererseits spielt er mit den Einschränkungen seiner Rolle; vorrausgesetzt er ist bereit mit den Konsequenzen zu leben, sollte seine Tarnung auffliegen.

      Für ein schönes Spiel müssen sich alle irgendwo in der Mitte Treffen. Einerseits müssen die Häuptlinge großen Wert auf die überzeugende Darstellung ihres Charakters legen, andererseits müssen die Indianer auch ein wenig Vorschusslorbeeren gewähren und darauf eingehen.
      Wir sind im Vampire Live vor einiger Zeit wieder auf dieses Thema gekommen und haben es diskutiert. So mächtig die Ahnen in der Camarilla auch sind, wenn sich zehn Neonaten zusammentun und ihnen einfach den Stinkefinger zeigen, ist der Ahnendarsteller erst einmal gekniffen und, wenn es hart auf hart kommt, mit Pech ziemlich machtlos.

    • Hallo Roger,

      jetzt fragst Du mich was. Ich bin „erst“ seit zehn Jahren dabei und die Katharsis ist schon 2001 entstanden. Aber soweit ich die Geschichte kenne, ist es so wie Du sagst und die Katharsis ist aus dem GBoD heraus entstanden. Matthias habe ich im Spiel nicht mehr kennen gelernt, er hat den Prinzen gespielt ehe ich angefangen habe.
      Hast Du auch Vampire in einer der Chroniken gepsielt bzw. spielst Du noch?

      • Ah, ok, dann hast Du deutlich später angefangen, als ich aufgehört habe. Ich war SL im Fürstentum Vest, war deutschlandweiter Kooordinator für HuC Tremere und habe damals lange lange lange den Lord des Nordreiches gespielt (NRW, Niedersachsen, Hamburg, Bremen) – Richard Anastasius Baron Droste zu Weizenau-Vischering. Mittlerweile habe ich akute Fangzahnallergie und meide VtM Live ;)

        Chronik Eins / C1 war ich.

    • Von der C1 habe ich nicht wirklich viel Ahnung, da ich erst später dazugekommen bin.
      Schade, dass Du keine Lust mehr aufs VtM hast. Falls du es doch irgendwann nocheinmal probieren willst (die verschiedenen Chroniken haben ja durchaus verschiedene Stile) sag einfach Bescheid ;)

  3. Zum Thema:

    Ich habe ja nun auch im Vampire Live 11 Jahre lang einen sehr mächtigen Ahnen gespielt. Durch die hierarchische Struktur von HuC Tremere war die „Unterwerfung“ quasi automatisch gesichert. Schwieriger war es natürlich gegenüber dem Rest der Clans. Hier musste ich mir schlicht meinen Ruf erarbeiten. Anfangs, also als die C1 anfing, waren natürlich einige Spieler dabei, die den coolen Neugeborenen raushängen lassen mussten – wenn die dann allerdings mit gnadenloser Härte einfach hingerichtet wurden während des laufenden Spiels, dann hatten die anderen schnell einen Schockeffekt weg, der dann auch lang gewirkt hat.

    Klar, VtM Live ist durch die innewohnende Finsternis nicht vergleichbar mit zB einer Soldateneinheit mit Hauptmann aus dem LARP, aber hier halfen auch „inszenierte Szenen“. Durch diese haben andere gelernt und mit dieser Basis konnte man sich einen Ruf, eine Position und eine Macht aufbauen.

    Mein Ahn war nachher als der intrigante Schrecken der Nacht verrufen, der mit finstersten Mächten im Bunde stand. Entsprach nicht der Wahrheit, aber reichte, um die Aura des vampirischen Hardliners zu erzeugen, Spieler haben sich dann nach und vor dem Spiel OT unterhalten und Schreckensgeschichten ausgetauscht und voila – fertig war der Ruf, den man haben wollte.

    Gerade das OT Austauschen erzeugt durch Bleed natürlich auch IT Wirkung. Sollte man nie vergessen.

    • Ja, den Effekt kenne ich auch. Ist manchmal etwas anstrengend, wenn sich eine solche Sagengestalt/ Übervampir im Spiel dann alles herausnimmt und alle aufgrund der Gruselgeschichten zu gelähmt vor Angst sind, irgendwie darauf zu reagieren ;)

      Ich habe selbst wie gesagt nie in der C1 gespielt, aber nach dem, was ich von dort höre, hat sich in der Katharsis ein anderer Spielstil entwickelt, gerade auch nachdem wir uns in den letzten Jahren etwas weiter weg von der Pen&Paper Vorgabe hin zu einem schlüssigeren Rollenspiel entwickelt haben.
      Wie gesagt, sag einfach Bescheid, wenn Dich der Blutdurst überkommt ;)

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