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Neue Wege bei Erdenstern – anstatt ein gepresstes Album auf Silberlingen auszuliefern, ist das Album Beyond the Library eine rein digitale Veröffentlichung. Es wird exklusiv über Amazon, Google Play und den iTunes Store vertrieben.

Wir erhielten Kopien der Stücke und beleuchten sie én detail. Das Ensemble hat Musik für Trailer, Computerspiele, Filme, Brett-, Hör- und Ritterspiele als Auftragsarbeiten komponiert. Auf diesem Album werden die verschiedenen Tracks zusammengefasst und einem breiten Publikum zur Verfügung gestellt.

Tracks

Der Erste Inquisitor

Der recht ruhige Track will öfter gehört werden, um all die subtilen Chöre und Streicher vollends zu erfassen. Er erschafft in Summe eine sanfte Klangwand, die sich nach und nach steigert und bald heroische Züge annimmt. Die Becken im Hintergrund klingen oft etwas schwach, muss ich gestehen. Dennoch gibt das Stück eine gute Basisatmosphäre für den Aufbruch ins Abenteuer – die eindringlichen Klänge ab der Hälfte des Stücks laden es dazu ein, dem Abenteuer eine gewisse Epik zu verleihen

These Epic Days

Dumpfe Trommeln schlagen uns entgegen, bald begleitet von Dudelsäcken – William Wallace, ich sehe deine Truppen aufmarschieren! Für richtige Kampfmusik ist das Stück noch zu langsam, das Tempo hat aber zur Mitte eine angenehme Stimmung, so dass eine gewisse Bedeutung in der begleiteten Szene vorhanden sein sollte. Durch die oft martialisch wirkenden Rhythmen empfehle ich einen Einsatz im militärischen Feld. Schade finde ich, dass eine sehr charakteristische und oft gehörte Melodielinie bei Erdenstern wieder ihren Weg auch in dieses Stück gefunden hat. So episch, wie der Titel vermuten lässt, ist er meiner Hörart nach jedoch nicht.

The Reiters

Komischer Titel. Was zuerst recht langweilig beginnt, nimmt schnell Fahrt auf, verlässt aber nie eine gewisse Zurückhaltung. Hier braut sich eine verhängnisvolle Bedrohung auf, die durch Chöre und Streicher gekonnt unterlegt wird. Benutzen würde ich den Track am ehesten als Untermalung einer hektischen Spurenjagd, möglicherweise auch einer zögerlichen Flucht. Eine gewisse Schnelligkeit muss in der Szene vorhanden sein, sonst passen Tempo von Szene und Stück nicht zusammen.

Jenseits der Karten

Ah, welch wunderbare Andeutung ruht in diesen Melodien! Ein unentdecktes Tal, in dem sich zwischen fremdartigen Pflanzen die Hälse gewaltiger Saurier erheben? Ein Sturz durch einen reißenden Bach, der die Gefährten in eine Höhlenwelt voller Kristalle spült? Großartig – genau für solche Szenen kann ich nur schwer etwas anderes empfehlen. Mit unter zwei Minuten Spielzeit ist das Stück auch gerade so lang, dass man direkt danach zu einem anderen Track wechseln kann.

Jenseits der Karten – Erste Begegnung

Jeder von uns kennt die Szenen aus Filmen, in denen die Reisenden eine zauberhafte Umgebung betreten, nur um die Wunder zu bestaunen. Genau für diese ersten Begegnungen mit etwas komplett anderem ist dieses Stück vorgesehen. Es hilft dem Erzähler, die exotische Atmosphäre des fremden Ortes zu erzählen und schafft einen Moment der Ruhe.

Narfland

Was wohl dieses Narfland ist? Auf jeden Fall ein unwirklicher Ort. Vor meinem inneren Auge erheben sich steile Felsnadeln auf einer dunklen Ebene, grünlich schimmernde Kristalle spicken ihre Seiten und über allem treiben lautlos gewaltige leuchtende Wolken rasend schnell über den Himmel. Regen gesellt sich alsbald dazu (auch als Klangeffekt eingespielt) und die Fremdartigkeit verstärkt sich noch, als Wellen durch die Ebene gleiten, die Ebene aus Stein. Das Stück ist mit fast acht Minuten sehr lang und gibt genug Gelegenheiten, eine bedrohliche oder nur andersartige Umgebung zu beschreiben. Es ist auch dezent genug, längere Zeit auf Wiederholung abgespielt zu werden.

Meister Waslik (Narfland) 

Waren die vorherigen Stücke noch von einer gewissen Aufbruchsstimmung bestimmt, gesellt sich hier nun ein sehr ruhiges Stück dazu. Momente der Ruhe für die Spielercharaktere, in denen sie sich erholen und sich über das Erlebte austauschen können, scheinen mir geeignet zu sein. Aber auch eine Reise ohne Zwischenfälle durch eine sich ewig wiederholende Landschaft ist geeignet, durch diesen Track begleitet zu werden. Ich mag die leisen Rhythmen im Hintergrund. Sie erinnern mich etwas an Filmmusik der 80er Jahre.

13 Briefe

Was mir da aus den Boxen entgegenschallt, habe ich angesichts des Titels nicht erwartet. Meine eheste Assoziation ist ein nervenaufreibender Kampf in einem Sword&Sorcery-Setting oder auch die Flucht vor einem Shoggothen in einer etwas deftigeren Cthulhu-Runde. Die aggressiven Dissonanzen und Tempiwechsel machen das Stück zu einer Perle, die jedoch seltenen Einsatz finden wird. Es erinnert ein wenig an die schrille Musik aus Aliens 1.

Night Falls

Ein recht unheimliches und treibendes Stück, gut geeignet für diverse (o)WoD-Systeme oder auch Savage World-Rippers. Die Nacht kommt und die Bestien, die sich nicht wagen, das Antlitz der Sonne zu ertragen, kriechen aus ihren Löchern. Das schwermütige, aber treibende Grundthema verlockt dazu, es oft einzusetzen. So macht es sicher ein gutes Eröffnungsstück zum Beginn jeder Spielsession her.

Hungry

Der sehr finstere Track hat etwas so tief Bedrohliches, dass es Zuhörern mit schwachen Nerven schon die Nackenhaare aufstellen kann. Ein an den Sinnen zerrendes Surren verstärkt den Eindruck noch mehr. Für Horrorszenen ist das nahezu perfekt. Möglicherweise lauert etwas in den Schatten oder der Ort eines grauenhaften Mordes wird untersucht. Gänsehaut garantiert!

The Streets

Gehen wir einmal weg vom Horror, hin zum Noir-Genre, möglicherweise auch Noir-Cyberpunk. Das Stück beinhaltet Spannung und Drama, kann also gut benutzt werden, um beispielsweise eine heruntergekommene Ecke der Stadt zu beschreiben. Erste Bildassoziationen des inneren Kopfkinos werfen Bilder wie aus Sin City in meine Vorstellungen. Schmutzig, dreckig, einsam und zum Scheitern verurteilt.

Change

Ein wiederum eher nachdenkliches Stück, welches auf stille und introvertierte Szenen ausgerichtet sein kann. Wechsel ist für mich immer etwas Brachiales und Neues, daher finde ich den Titel nicht passend. Das Stück kommt jedoch wie gerufen, um als Untermalung zu einer planerischen Szene benutzt zu werden. Die leichte Melancholie, die mitschwingt, bestärkt den Nutzen.

Spirits of Salvation 

Unerwartet glänzt ein ruhiges Stück mit asiatischen Klängen. Zum einen eine gute Reisemusik, zum anderen auch für die Erforschung nicht bedrohlich erscheinender Ruinen. Es ist auch unaufdringlich genug, längere Zeit auf Wiederholung zu laufen. Keines der besten Stücke des Soundtracks, aber nichtsdestotrotz von Nutzen.

Minotaur

Was zuerst wie das Stück für das Auftauchen eines großen Monsters wirkt, verwandelt sich in die imposante Begleitmusik für das Erscheinen eines orientalischen Herrschers. Möglicherweise kann man den Track auch für die Beschreibung eines gewaltigen Bauwerks nutzen. Es beeindruckt durch wuchtige und mächtige Klänge, die Heroik und Heftigkeit nicht missen lassen.

Acacia

Wir bleiben in orientalischen Welten. Wieder ein Stück der etwas ruhigeren Machart, scheint es gut für traurige oder besinnliche Momente zu taugen. Leider gibt es einen Stimmungswechsel ab der zweiten Minute, der jedoch von geschickten Spielleitern benutzt werden kann, um die Atmosphäre zu intensivieren. Mir gefällt das Stück nichtsdestotrotz sehr gut.

Wings of the Dragon

Es gibt typische Erdenstern-Melodiebögen, die für meinen Geschmack einfach zu häufig vorkommen. Der Track hat durchaus die Dynamik, die man ihm zuschreiben mag, liest man den Titel. Dennoch klingt er zu sehr nach aus der Retorte, hat man mehr als nur ein Album von Erdenstern gehört. So beginnt er mich fast zu langweilen. Von etwas Leichtem, Emporhebenden ist nur Minimales zu hören. So sehe ich das Stück als 08/15-Fantasy-Track.

Into The Green – The Heroes Return 

Weiter geht es mit typischen Erdenstern-Melodiebögen. Hier jedoch haben sie ihre Daseinsberechtigungen, handelt es sich doch offenbar um ein Remake eines Stücks vom Album Into the Green. Die Beschreibung der Anwendungszwecke nennt „heroisch, kraftvoll, hoffnungsvoll“. Nein, leider nicht. Viel eher höre ich hier eine getragene Melodie, die vielleicht in ihr Dorf rückkehrende Recken, die mit Gelächter von ihren Taten berichten, begleiten darf. Auch ein ruhigeres Dorffest darf zu den untermalten Szenen gehören.

Thread of Time

Hier wurde ich überrascht – nach belanglosem Harfengezupfe klingt mir plötzlich eine angenehme Frauenstimme entgegen. Ihre melancholische und manchmal fast klagende Stimme erinnert an die Vergänglichkeit. Möglicherweise kann das Stück eingesetzt werden, um eine Szene nach einer Schlacht zu beleuchten: Mütter suchen ihre Männer, Kinder liegen weinend über ihren Vätern, alles ist verwüstet und vernichtet. Der Text jedoch ermutigt zu Taten, aufrecht zu stehen, Chancen zu ergreifen und für die eigene Freiheit einzustehen.

Bonus: Thread Of Time (instrumental)

Entgegen der Annahme, dass das Stück gleich dem vorherigen ist, nur eben ohne Gesang, gibt es schon Unterschiede. Die Rolle der Stimme übernimmt ein Klavier – Chöre und Streicher reichern die Klangwand weiter mit emotionalem Tiefgang an. Die Stimmung bleibt erhalten – das ist auch gut, denn benutzt man die Variante mit Gesang als Eröffnungsstück, kann man dieses Stück weiterlaufen lassen. Der dauernde Gesang würde auf Dauer störend wirken.

Emotionalität

Es hat den Tracks gut getan, dass sie für verschiedene Anlässe und nicht als ein geschlossenes Werk komponiert wurden. Ich bemängelte bereits weiter oben die häufige Nutzung allzu bekannter Melodiebögen. Für Runden, die mehr von Erdenstern kennen, hat das auf Dauer störende Nebenwirkung, denn jede Immersion wird von einem „Och, nicht schon wieder!“ zerstört.

Die Tracks, die nicht von dieser Problematik betroffen sind, wirken frisch und unverbraucht und können so eingesetzt werden, wie ich zuvor vorgeschlagen hatte. Besonders die asiatisch anmutenden Stücke können mit denen anderer großer Komponisten zu Teilen konkurrieren.

Verwendbarkeit

Keines der Stücke ist sonderlich kurz oder hat krasse Themen- und Tempiwechsel. Das macht sie in einer Endloswiederholung gut nutzbar, wenn sich die Szene mal wieder länger zieht, als angenommen.

Daher: Grünes Licht für die Verwendbarkeit.

Preis-/Leistungsverhältnis

Das Album, welches nur als MP3 verfügbar ist, kostet schlappe 8,99 EUR. Das ist angesichts der Darbietung als Download vollkommen im akzeptablen Bereich. Schön hätte ich jedoch noch ein PDF-Booklet gefunden, welches mehr Informationen über den eigentlichen Kompositionszweck der einzelnen Stücke gebeten hätte. Vielleicht eine Idee für einen kostenlosen Download?

Erscheinungsbild

Erdenstern Beyond the Libary CoverDas Cover mit der schwebenden, kugelförmigen Struktur ist wirklich hübsch anzusehen. Ein Booklet fehlt aber.

Die Bitrate der Kodierung der MP3s mit 192Kbit/s ist für den normalen Hörgenuss absolut zureichend. Knarzende Höhen oder wummernde Bässe konnte ich nicht feststellen.

Die harten Fakten:

  • Komponist: Erdenstern
  • Erscheinungsjahr: 2013
  • Format: MP3
  • Spieldauer: 1:33:16
  • ASIN: B00EQCFDOG
  • Preis: 8,99 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Bonus/Downloadcontent

Ein Medley der Stücke kann auf der Produkt-Übersichtsseite des Albums heruntergeladen werden.

Fazit

Mir gefällt die Verschiedenartigkeit der Stücke sehr gut. Es tat dem Album gut, ein Mix aus verschiedenen Kompositionen von verschiedenen Auftragsarbeiten zu sein. Nur selten hörte ich leider allzu bekannte Melodien des Erdenstern-Repertoires. Das bringt frischen Wind und gefällt. Besonders die asiatischen und im Horror positionierten Stücke gefallen mir besonders gut.

In einem Zeitalter, in dem ich selbst seit Jahren keine CD mehr gekauft habe, sondern ebenfalls exzessiv die MP3-Shops nutze, habe ich auch nichts an der neuen Form der Auslieferung auszusetzen. Sie ist zeitgemäß und kosteneffektiv gedacht.

Nachdem ich vom etwas langweiligen Score zu Herokon Online etwas enttäuscht war, gefällt mir hier bis auf wenige Ausnahmen sehr gut, was ich höre. Einiges davon wird sicher bald in der einen oder anderen Tischrollenspiel-Runde seine Anwendung finden.

Daumen4Maennlich

Artikelbild: Erdenstern

 

6 Kommentare

  1. Als treuer Kunde habe ich auch das Album gekauft. Qualität stimme ich zu und das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt. Aber selten warn die Beschreibungen der grundsätzlich tranpsortierten Stimmung so sehr daneben wie dieses Mal. Trotzdem durchaus gut.

  2. Ach ja, als Nachtrag: Den Verkauf via Amazon find ich total sch$&§e. Ich mag das DL-Tool nicht, ich hab gerne ein Booklet und Amazon boykottiere ich eigentlich komplett – das war die erste Ausnahme seit irgendwann 2011. Brutaler Abzug daher in der B-Note.

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