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Shadowrun: Returns ist sicher keine Schönheit im Bereich der PC-Spiele, doch hat es etwas, das vielen hohlen Grafikmonstern heutzutage fehlt: Herz. Das bewiesen schon das Grundspiel und die Kampagne The Dead Mans Switch – Spannende Intrigen um Konzerne, persönliche Motivationen und einen Mörder konnten schon 2013 viele Spieler an die Bildschirme fesseln. Die wenigen Kritikpunkte damals: fehlende Freispeicher-Funktion, linearer Aufbau und blasse Nebencharaktere. Für die zweite Kampagne Dragonfall, die nun als DLC verfügbar ist, hat Entwickler Harebrained Schemes vor allem in diesen Punkten Besserung gelobt. Aber lohnt sich der Kauf des Abenteuers? Wir haben es angespielt und waren positiv überrascht.

Andere Stadt, andere Story

Für Besitzer des Grundspiels vorweg: Mit den Ereignissen aus The Dead Mans Switch hat Dragonfall nichts zu tun und es ist nicht möglich, seinen bereits gespielten Charakter zu importieren. Das würde ja auch kaum Sinn ergeben, spielt man doch nicht in Seattle, sondern parallel zu den Ereignissen dort im Jahr 2054 in Berlin. Eine neue Charaktererstellung als Frischling in den Schatten ist also nötig, wobei neue Portraits zur Verfügung stehen. Dass trotz freier Charaktererstellung der eigene Held über den Verlauf des Abenteuers Konturen gewinnt, liegt an klugen Dialogen, die über frei wählbare Optionen die Vergangenheit des Protagonisten und seine Beziehung zu den anderen Charakteren beleuchten. 

Kaum ist der neue Runner erstellt, findet man sich auch schon an der Seite einer alten Bekannten. Monika ist eine exzellente Deckerin und fürsorgliche Streiterin für den Flux-Staat Berlin. Dort haben die Konzerne kaum Einfluss und Anarchie und materielle Not regieren die Straßen. An ihrer Seite kämpfen die harsche Troll-Scharfschützin Eiger, der pragmatische Elfen-Schamane Dietrich und die schweigsame Straßensamurai Glory und später der vorlaute Decker Blitz. Die erste Aufgabe ist ein gemeinsamer Einbruch, ein gut bezahlter „Standard-Job“ bei dem eigentlich nichts schief gehen kann. Dass natürlich trotzdem einiges schief läuft und dass das Ziel des Einbruchs, das Harfeld-Anwesen, ein dunkles Geheimnis enthält, das die Charaktere für den Verlauf der Story vor sich hertreibt, ist solide Shadowrun-Kost. So enträtseln die Spieler unter anderem den Verbleib von Dr. Adrian Vauclair, der Wissenschaftler und Held, der vor 42 Jahren angeblich den Drachen Feuerschwinge besiegte.

Starke Nebendarsteller: Dragonfall glänzt mit interessanten Charaktergeschichten und knackigen Dialogen.
Starke Nebendarsteller: Dragonfall glänzt mit interessanten Charaktergeschichten und knackigen Dialogen.

Charaktere, die etwas bedeuten

Was die Kampagne von The Dead Mans Switch abhebt ist nicht der Plot selbst, sondern die Ausführung. Dabei wirken die bespielten Karten noch immer etwas leer und Gegner sind selten mehr als namenlose Sicherheitstruppen. Spannung und Atmosphäre entstehen vor allem durch die exzellent geschriebenen Texte und Dialoge (wieder ohne Sprachausgabe), in denen die Handlung bewertet und um Hintergründe ergänzt wird. Dabei entpuppen sich vor allem die Charaktere von Dragonfall als interessante Personen, mit denen sich ein Gespräch lohnt. Jeder des Teams hat etwas zu verbergen und seine eigene Meinung zu den Ereignissen. Und genau durch diese festen Partymitglieder und ihre Wurzeln in Berlins Anarcho-Viertel Kreuzbasar gewinnt die Geschichte mehr Tiefe als der Vorgänger und zieht den Spieler in den Bann – ganz ohne Motion-Capturing oder digitaler Mimik.

Dazu passt auch, dass Dragonfall ein höheres Maß an Freiheit ermöglicht. Einzelne Aufträge können während des zweiten Aktes in beliebiger Reihenfolge absolviert werden und immer wieder werden Nebenmissionen angeboten, die nicht zwangsläufig etwas mit taktischen Kämpfen zu tun haben müssen. Gerade durch passende Etikette, geschickten Einsatz von Decking und einen hinreichend hohen Intelligenz-Wert samt kluger Auswahl von Dialogoptionen lässt sich mancher Kampf ganz umgehen oder lassen sich ganz neue Möglichkeiten freischalten. So macht besonders das Durchspielen als Decker oder Magier deutlich mehr Spaß als noch in The Dead Mans Switch.

Solide Taktik-Kost: Die Kämpfe sind nach wie vor simpel und fordernd, aber niemals unfair.
Solide Taktik-Kost: Die Kämpfe sind nach wie vor simpel und fordernd, aber niemals unfair.

Technische Verbesserungen

Auch auf der technischen Seite gibt es nennenswerte Verbesserungen. So ist nun das Speichern außerhalb von Kämpfen an fast jedem Punkt möglich. Im Bereich der Taktik wurden mit mehr stärkenden Ley-Linien für Magier und diversen hackbaren Sicherheitssystemen interessante Optionen auf den meisten Karten hinzugefügt. Trotzdem bleibt der Kampf in Shadowrun: Returns kurzweilige Standardkost, die anderen Rundenstrategie-Titeln wie XCOM unterlegen ist.

Dafür hat der Spieler in Dragonfall eine neue Aufgabe: Ein Team von Shadowrunnern zu managen. Die einzelnen Nebencharaktere steigern zwar alleine und verbessern automatisch ihre Rüstung und Waffen, können aber individuell mit Ausrüstung, Medikits und Granaten ausgestattet werden. Wem Eiger, Glory und Co. nicht zusagen, der kann natürlich nach wie vor externe Runner für einzelne Jobs und spezielle Aufgaben anwerben.

Die har­ten Fakten:

  • Ent­wick­ler: Harebrained Schemes
  • Erschei­nungs­jahr: 2014
  • Spra­che: Deutsch, Eng­lisch, etc
  • Platt­for­men: Win­dows PC, Mac OS, Android, Linux
  • Preis: 14,99 USD
  • Bezugs­quelleSteam

 

Fazit

Das Abenteuer im anarchistischen Flux-Staat Berlin ist fesselnd und transportiert die düstere und etwas verrückte Atmosphäre des Rollenspiels perfekt auf den PC. Vor allem beim Thema Handlungsoptionen und Charaktertiefe ist Dragonfall der Kampagne des Grundspiels deutlich überlegen und gehört plottechnisch mit zum Interessantesten, das PC-Rollenspiele in den letzten Jahren zu bieten hatten. Wer schon The Dead Mans Switch mochte, kann bedenkenlos zugreifen.

Aber auch sonst ist Dragonfall endlich die Kampagne, die Shadowrun: Returns verdient hatte und damit für alle Cyberpunkfreunde ein Kaufgrund. Altbackene Grafik hin oder her: Dragonfall macht alles richtig und zeigt eindrucksvoll, wie man Shadowrun als Computerspiel umsetzen kann. Und von soviel Herz und Tiefe können sich manche aktuelle Rollenspiel-Titel eine Scheibe abschneiden.

Daumen5maennlich

Artikelbilder: Harebrained Schemes

 

7 Kommentare

  1. Dragonfall ist nicht geplant das es auf deutsch erscheinen soll, die sogenannten ‚har­ten Fakten‘ sind also zu ändern, da sie so wie sie aktuell (Stand 21.11.2014) da stehen falsch sind.

    „Harebrained Schemes [Entwickler] 15. Juli um 19:36 Uhr
    Sorry for the confusion, the campaign Dead Man’s Switch has been localized, however, at this time we do not have any plans to localize the campaign Dragonfall.“

    • Danke für den Hinweis. Ich finde es auch schade, dass sie sich gegen eine Lokalisierung entschieden haben, wie zunächst angedacht (und meines Wissens auch schon in Entwicklung).

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