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Splittermond stellt in mehreren Fällen ein Novum in der deutschen Rollenspiel-Landschaft dar. Zum einen hat es nie gekannte Aufmerksamkeit bereits in der Entwicklungsphase erlebt – die Marketingmaschine lief auf vollen Touren -, zum anderen ist es, neben Das Schwarze Auge, das erste wirklich ursprünglich deutsche Fantasy-Rollenspiel, welches große Unterstützung durch eine Vielfalt kommender Quellenbücher erhalten soll.

Mancherorts wird gemunkelt, dass sich das System anschickt, DSA vom Thron zu stoßen. Die starke Mitarbeit ehemaliger DSA-Autoren wie u.a. Thomas Römer legt den Schluss nahe, dass Splittermond in Konkurrenz treten will. Eine Prognose lässt sich zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht abgeben. Dennoch erbaut der Band Die Welt ein gutes Fundament für eine in meinen Augen erfolgreiche und bei der Spielerschaft beliebte Spielwelt.

Inhalt

Zu Zeiten, in denen die veröffentlichten Splittermond-Regeln sich nach wie vor in der Beta-Phase befinden, ist bereits das erste grobe und oberflächliche Bild der Welt Lorakis auf dem Markt. Der Weltenband bringt dem angehenden Spieler den neuen Superkontinent nahe und beschreibt Landstriche, Herrscher, Einwohner, Glaube, Flora und Fauna, kurze Exkurse in die Geschichte und Gefahren wie Bedrohungen jedes Landstriches.

Eines fällt direkt auf – Lorakis ist groß. Über fünfzig Regionen warten darauf, erkundet zu werden. Vielleicht zu groß, mag nun der eine oder andere Leser denken – hier greift jedoch ein Designclou der Macher. Gewaltige Tore verbinden weit voneinander entfernte Orte und ermöglichen so den schnellen Wechsel des Ortes hin zur anderen Seite des Kontinents. Die Verbindungen zwischen den Toren führen durch die Anderswelten, hier die Welt der Feen.

Man hüte sich davor, nun an kleine geflügelte Tinkerbells zu denken! Was dort haust und kraucht, kann sowohl zauberhaft und wunderschön sein, scheint aber viel öfter aus einem Albtraum oder den finstersten Fantasien einer ins Falsche verquerten Welt zu stammen. Besonders der Einfluss der Feenwelten gibt Lorakis seinen ganz eigenen Charme und nicht nur an den Toren sind die Grenzen dünn. So manche Bestie stromert durch das Land und macht vor Recken und Stadtwachen nicht halt.

Sandläufer der Vargen.
Sandläufer der Vargen.

Übrigens: Dreht man die Karte der Spielwelt leicht nach rechts und wendet ein wenig Abstraktion gepaart mit Phantasie an, erkennt man schnell Europa, Asien und Nordafrika. Wieso auch nicht? Die Nähe hilft schnell, den Regionen Klimate und Kulturen zuzuweisen.

Lorakis hebt sich aber auch durch eine andere Sache ab – die Einwohnerzahlen sind ungewohnt hoch für klassische Fantasywelten. Wir reden hier von einigen Millionen denkender und fühlender Wesen. Bedenkt man andererseits, dass in Splittermond grundsätzlich jeder magisch begabt ist (wenn auch viele nur im geringen Maß), erklären sich die hohen Einwohnerzahlen schlicht durch bessere medizinische Versorgung.

Jede der Regionen wird nun einzeln in einem eigenen Kapitel vorgestellt, begleitet durch ein Vorwort, welches den Landstrich generell beschreibt. Jedes Kapitel wird durch eine Box eröffnet, die einige wichtige Worte zur Landschaft, Bevölkerung, Heraldik, Herrschaft, Movern&Shakern, Religion und – besonders charmant – zur vorherrschenden Stimmung in der Region liefert. Natürlich gehören auch kleine Karten zu einer Zonenbeschreibung und auch hier punktet Splittermond. Jede Region hat ein oder zwei „weiße Flecken“. Diese Unterzonen werden niemals in kommenden Quellenbüchern und Abenteuern thematisiert und bieten dem SL so Freiraum, eigene Geschichten zu entwerfen, ohne mit dem Kanon zu kollidieren.

Ich selbst betrachte kanonische Informationen immer als Anhaltspunkte und Inspirationen und nie als festgeschriebene Wahrheiten – ich erkenne aber an, dass es diesen Spielertypen gibt und dass auch dieser Freiräume im Storydesign zugestanden braucht.

Es würde zu weit führen, nun jede Region einzeln zu besprechen. Man spürt zwar unterschiedliche Designansätze und Autoren am Werk, jedoch fügen sich die Zonen gut zusammen und sind offenbar auch aufeinander abgestimmt. Dieses merkt man an politischen und ethnischen Strömungen, die teils auch Grenzen zu den Nachbarn überschreiten. Besonders gefallen hat mir der arabisch-persische Flair von Farukan. Doch auch die anderen Zonen müssen sich nicht verstecken und punkten durch Settings, in denen man sich leicht zurechtfindet, die aber dennoch oft einen besonderen Funken Kreativität einverleibt bekommen haben. Das setzt sie von allzu bekannter Fantasy-Einheitskost gekonnt ab. Vom eisigen Norden über wilde Wüsten, europäisch anmutende Ritterbastionen, weitläufige Dschungel bis hin zu Insel-Archipelen, alles ist vertreten. Es gibt sogar eine Welt unterhalb von Lorakis!

Arabisch bis asiatisch wird es im Osten von Lorakis.
Arabisch bis asiatisch wird es im Osten von Lorakis.

Das Buch wendet sich nicht nur den Regionen zu. Wie man es von einem Weltenband erwartet, gehören auch Informationen zu den Völkern, der Geschichte, der Sagen- und Mythenwelt und auch – im Fall Splittermond – zu den Portalen und Anderwelten in das Potpourri. Diese Erwartungshaltung wird vollends erfüllt. Zwar sind alle gegebenen Informationen eher grober Natur, werden aber in folgenden Kapiteln vertieft. Dieser Blick vom Groben ins Feine sagt mir zu und ist meiner Meinung nach der einzige Weg, Informationen verarbeitungsgerecht aufzubereiten.

Die hinteren Kapitel, die Beleuchtung der Geschichte und Details zu den Mondpfaden, sollten in meinen Augen Spielleitern vorbehalten sein. Gelungen sind auch die Kapitel zu Wissenschaft, Magie, Handel, Kriegsführung und Sprachen. Auch hier merkt man die besonderen Eigenheiten von Splittermond und wieder greift ein Glied ins andere.

Ein kurzer Abschnitt beleuchtet sogenannte Kulturmodelle. Hierbei handelt es sich um regelseitige Auswirkungen für die Charaktererschaffung von Alter Egos aus den verschiedenen Zonen. Ohne Regelwerk lässt sich jedoch damit nur wenig anfangen.

Oh – und dann gibt es diesen Kasten am Ende der Götterübersicht. Den sollten Spieler keinesfalls lesen und auch für SL ist er etwas versteckt. Man neigt dazu, ihn am Ende eines langen Buches zu übersehen.

Preis-/Leistungsverhältnis

Für den Preis von knapp 40 EUR bekommt man viel Inhalt. Sehr viel. So viel, dass man nicht viel an einem Stück lesen kann, weil die Informationen so konzentriert aufbereitet sind. Der attraktive Hardcover-Band punktet zudem durch ein gutes Layout.

Für mich ist der Preis mehr als angemessen: denn Lorakis lebt nach der Lektüre des Hardcover-Bandes. Auf das folgende Regelwerk kann ich also nur gespannt sein.

Erscheinungsbild

SplittermondOptisch und auch haptisch ist der Hardcover-Band ein Augenschmaus. Aus stabilem Papier und Karton gefertigt, wartet jede Seite mit Ziermustern auf, die an keltische Tribals erinnern. Der Band ist vollfarbig und jede Seite wird von dem Splittermond so eigenen Blau hinterlegt. Lange Textwände kommen erst gar nicht auf.

Auch wenn wirklich viel – und ich meine sehr viel – Inhalt geboten wird, lockern immer wieder Kästen, Illustrationen und andere Eyecatcher das Gesamtbild auf. So wird der Leser ein Stück weit an die Hand genommen und das Buch hilft ihm, die Informationen passend auf abendgerechte Häppchen zu segmentieren.

Sollte dieser Standard gehalten werden, wird Splittermond in meinen Augen sicherlich ein hübsches Zierstück jedes Spieleregals werden

Die harten Fakten:

  • Verlag: Uhrwerk Verlag
  • Autor(en): Tobias Hamelmann, Uli Lindner, Thomas Römer
  • Erscheinungsjahr: 2014
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 280
  • ISBN: 3942012774
  • Preis: 39,95 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon, Sphärenmeisters Spiele

 

Bonus/Downloadcontent

Auf der Download-Seite der Splittermond-Website finden sich wertvolle Addenda. Unter anderem sind dies Karten der Welt, drei Abenteuer und die Schnellstart-Regeln. Ein Besuch lohnt sich also.

Fazit

Ich bin ein großer Skeptiker und zudem kein Fantasy-Freund. Ich gehe sogar soweit zu sagen, dass ich Fantasy nichts mehr abgewinnen kann, sofern es kein Sword&Sorcery oder High Fantasy ist. Das hat sich mittlerweile geändert. Lorakis lebt vor meinem inneren Auge – und es ist abwechslungsreich genug, dass sich für jeden Spielstil und jede Spielrunde ein Ort finden lässt, der alle anspricht.

Es ist jedoch nicht so bunt, dass ich davon abgestoßen bin. Abgestürzte Raumschiffe findet man nirgendwo – das weiß zu gefallen, im Gegensatz zu anderen Welten wie Golarion. Die neue Welt ist groß und ohne das parallele Sichten der mitgelieferten Weltenkarte ist man schnell verloren bei der ersten Berührung. Die Beschreibungen der Regionen und dortigen Besonderheiten sind gut gelungen und vermitteln ein gut verständliches Gesamtbild. Die Vermengung verschiedener Kulturen über die Landstriche hinweg lässt das Gerüst realistisch erscheinen und erschafft viel Abwechslung. Die Bedeutung der Feenwelten ist in dieser Form ein Novum und besonders reizvoll.

Natürlich – einige Ideen zu Völkern und Orten kennt man auch aus anderen Settings, Romanen, Filmen und weiteren Inspirationsquellen. Das fällt aber nicht weiter ins Gewicht, sondern verlockt eher, mehr zu lesen und auch eine Runde durch diese Orte zu schicken. Ab und an muss man schmunzeln, wenn es um Braunlinge und um Na’Vi – Verzeihung, Dämmerelfen – geht.

Der gegebene Überblick ist vollkommen zureichend – ich bräuchte nicht einmal die weißen Flecken, in denen sich Spielleiter austoben können. Für mich ist jedes Buch immer nur eine Inspiration, aber keine festgeschriebene Wahrheit. Ich bräuchte auch keine weiteren Regionalbände. Lorakis lebt – aber das schrieb ich bereits.

Wer also einen Blick auf eine bekannte und doch vielgestaltig neue Fantasy-Welt werfen will, die sich ohne große Probleme auch auf andere Regelsets anwenden lässt, der sollte nicht vor dem Kauf zurückschrecken.

Daumen5maennlich

Artikelbilder: Uhrwerk Verlag

 

7 Kommentare

  1. „Optisch und auch hap­tisch ist der Hardcover-Band ein Augen­schmaus“. Klingt äußerst schmerzhaft, der haptische Augenschmaus.

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