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Über zu wenig Abwechslung bei den Abenteuern des größten deutschen Rollenspielsystems DSA kann man sich nun wirklich nicht beschweren. Der vorliegende Band nimmt aber trotzdem eine Sonderstellung ein, und zwar, weil die Redaktion das Thema Horror bisher, wenn überhaupt, eher stiefmütterlich behandelt hat.

Inhalt 

Enthalten sind vier Gruppenabenteuer, die alle ein bestimmtes klassisches Thema aus dem Grusel- oder Horrorgenre aufgreifen. Die Spieldauer pro Abenteuer ist variabel und liegt, je nach Spielstil der Gruppe, zwischen einem und mehreren Abenden. Die Abenteuer sind für drei bis fünf erfahrene Helden ausgelegt, also im AP-Bereich von 2.100 bis 9.100 Punkten, wobei ich persönlich mindestens eine Erfahrung von 4.000 AP empfehlen würde, da die Werte der Gegner zwischen den Abenteuern stellenweise extrem schwanken.

Essollte aber auch kein Problem sein, sehr viel erfahrenere Charaktere zu spielen, da sich die Abenteuer sowieso kaum durch bloßes Gemetzel, sondern eher durch geschicktes Kombinieren und Rätsellösen bewältigen lassen. Womit wir schon beim Punkt wären: Die Spieler müssen sich für diese Abenteuer deutlich umstellen. Denn wenn die Helden mit voller Ausrüstung und guter Beleuchtung in einen Grabhügel marschieren, hält sich der Gruselfaktor stark in Grenzen. Sind sie aber ohne Waffen, Rüstung  und Lichtquellen in selbigen eingemauert, dann sieht das schon ganz anders aus …

Nachfolgend stelle ich die einzelnen Abenteuer kurz vor.

Geisterjahrmarkt beginnt trügerisch klassisch: Menschen sind verschwunden und wollen von den Helden gerettet werden. Die erste Anlaufstelle ist ein in der Nähe gelegener, verlassener Jahrmarkt.

Während hier einige Sachen den Helden gefährlich werden können, geht die Hauptgefahr von einem sehr mächtigen und absolut wahnsinnigen Wesen aus, das die Helden zu einem grausamen Spiel um das Leben seiner Opfer und ihr eigenes Leben zwingt. Nun gilt es die Prüfungen zu bestehen und einen Weg zu finden, den übermächtigen Feind doch noch zu besiegen. Das knifflige für den Spielleiter hierbei ist es, den Spielern so wenig Freiraum wie möglich, aber so viel wie nötig zu geben. Lässt man den Charakteren in diesem Abenteuer zu viel Freiraum, zerstört man schnell die Atmosphäre der Ausweglosigkeit.

Das Abenteuer ist räumlich nicht festgelegt, der Ort der Handlung kann eigentlich jedes beliebige kleine Dorf sein. 

Die Nacht der geifernden Mäuler ist das am freiesten gestaltbare und potentiell langwierigste Abenteuer. Die Gruppe erhält von der Boronkirche den Auftrag, einen ihrer Geweihten in einen Ort der befreiten Warunkei zu begleiten. Bruder Boronifatius soll sich hier um die Bevölkerung und die Neuweihe des Boronangers kümmern. Da in den Schattenlanden, auch in der kürzlich befreiten Warunkei, praktisch jederzeit mit Angriffen von Dämonen, Untoten oder degenerierter Bevölkerung gerechnet werden muss, kann er besonders magische oder kämpferische Unterstützung brauchen.

In besagtem Dorf gibt es tatsächlich mehr als genug Arbeit: Aufbauarbeiten, Aufklärung von Straftaten aus Zeiten borbaradianischer Besatzung und die Überprüfung der „Dorfführung“ auf Korruption. Das Abenteuer ist auf ein Höchstmaß an Flexibilität ausgelegt, macht sich die gesamte Handlung doch nur an zwei Handlungspunkten fest, nämlich der Weihe des Boronangers und dem daraus entstehenden Problem – welches hier aus Gründen der Spoiler-Vermeidung nicht genannt wird. Der Weg zwischen diesen zwei Punkten kann von den Spielern absolut frei bestimmt werden. Dem Spielleiter werden hier sehr viele Möglichkeiten an die Hand gegeben, angefangen bei einer sehr ausführlichen Beschreibung des Dorfes, über einige schmutzige Geheimnisse der Bevölkerung bis hin zu einer großen Anzahl an liebevoll gestalteten NSC. Je nachdem, mit wem die Spieler interagieren, verändert sich auch der Ausgang des Abenteuers.

Vor allem Spieler mit Hang zu sozialem Spiel und Detektivgeschichten kommen hier voll auf ihre Kosten … auch wenn die Chance, das Finale zu überleben ohne ausreichende kämpferische und magische Unterstützung verschwindend gering ist. Da dieses Ungleichgewicht dem Autor allerdings anscheinend selbst aufgefallen ist, sind dem Abenteuer mehrere spielfertige Charaktere beigefügt.

Diese können von den Spielern also verwendet werden, um das Abenteuer zu erleben, ohne den Verlust des geliebten eigenen Helden zu riskieren.

Im nächsten Abenteuer, Das letzte Stündlein, geht es für die Helden nach Thalusa, eine berüchtigte Hafenstadt.

Für alle, die jetzt „Mhmm, davon hab ich doch schon mal gehört …“ murmeln: Diese Stadt ist die Heimat des Sultans Dolguruk des Schwarzen und seinem Richtschwert, dem Tausendjährigen Zweihänder, welches eines der berüchtigsten Schwerter Aventuriens ist.

Soviel zum Hintergrund, sind die Helden doch aus ganz anderen Gründen hier. Sie haben von einer befreundeten Kapitänin den Auftrag erhalten, ihren verschollenen Onkel zu finden, der die Finanzen ihrer Familie verwaltet. Die Grundstimmung in der Stadt ist geprägt von Verzweiflung, Hunger und dem allgegenwärtigen Tod. Die regelmäßigen Hinrichtungen sind das größte Ereignis für die Bevölkerung und Egoismus, Brutalität und Grausamkeit bilden die Stimmung in der Bevölkerung. Nachdem die Spieler Nachforschungen bezüglich des Gelehrten, also dem Onkel der Auftraggeberin, angestellt haben, machen sie eine äußerst unangenehme Entdeckung: Der Gesuchte wurde der Grabschändung beschuldigt und zum Tode verurteilt. Der schrullige Gelehrte hat allerdings schon einen absolut sicheren Plan, wie man ihn retten kann, nämlich sollen sich die Helden einfach mit ihm in der Grabstätte einmauern lassen.

Was sich zunächst wie die Idee eines Wahnsinnigen anhört, könnte bei richtiger Planung sogar mit völliger Sicherheit funktionieren. Die Stätte der „Hinrichtung“ ist bekannt, nämlich der Grabhügel, den der Gelehrte tatsächlich geöffnet hat, um seine Nachforschungen voranzutreiben. Es müssen also Vorräte und Werkzeuge versteckt werden, um das Grab so bald wie möglich unbemerkt wieder zu verlassen. Nun kommen wir allerdings zum schwierigsten Teil des Plans, der dafür sorgen soll, dass die Helden zusammen mit dem Verurteilten begraben werden. Hier ist Improvisation von Spielleitung wie Spielern gleichermaßen gefragt und ich glaube, dass dies der rollenspielerisch aufwändigste Teil des Abenteuers ist. Allerdings wird hier eher davon ausgegangen, dass die Helden eine Grabschändung nur vortäuschen. Soweit der Plan …

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wäre da nicht das Problem, dass die Verurteilten zwar im richtigen Grabhügel, allerdings im falschen Eingang eingemauert werden. Das heißt die Gruppe muss sich nun mit absoluter Finsternis, Wasser- und Nahrungsknappheit und einem schwindenden Luftvorrat beschäftigen. Allerdings birgt das alte Sultansgrab ein großes Geheimnis, und ich würde wetten, dass die Spieler erst relativ spät begreifen, worin sie sich eigentlich wirklich befinden.

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Während der erste Teil des Abenteuers auf maximale Modularität ausgelegt ist, ist der Ablauf des zweiten Teils weitestgehend vorgegeben. Ich würde dies allerdings nicht als große Einschränkung betrachten, schließlich befinden sich die Helden in einem unterirdischen  Grabkomplex, und an so einem Ort hat man bekanntlich nicht viele Möglichkeiten, in welche Richtung man geht.

Hast du jemals den Film The Cell gesehen? Dann hast du eine grobe Vorstellung davon, was dich in Hinter dem Spiegel, dem letzten Abenteuer dieses Bandes, erwartet.

Den Auftakt macht ein augenscheinlich tollwütiges schwarzes Kaninchen, das eine alte Wahrsagerin angreift. Nachdem die Helden es verscheucht haben, werden sie von einem mitreisenden Händler für das Wegstück bis zur nächsten Herberge als Leibwache angeheuert.

Was dann folgt ist … skurril.

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Die Helden werden natürlich, aller Erwartung nach, nach diesem langen und anstrengenden Reisetag bald zu Bett gehen. Und somit beginnt das Abenteuer, genauer gesagt eine Reise durch diverse (Alp-)Traumwelten, verursacht von einer in einem Spiegel eingesperrten Fee und ihrem bösen Bewacher, einer Art Libelle aus spiegelndem Kristall mit Giftzähnen.

Nun müssen sie die Fee befreien und zwar mit Hilfe von lustigen Rätseln, Nüssen aus dem Nest von Killer-Eichhörnchen, einem Traum im Traum und nebulösen Ratschlägen abgetrennter Köpfe. Ich denke,das Wort „skurril“ ist in diesem Zusammenhang etwas untertrieben.

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Aber trotzdem, oder gerade deswegen, ist es das Abenteuer, das ich persönlich am originellsten finde, auch wenn es meiner Meinung nach nicht viel mit Horror zu tun hat. Es ist eher im Kern so grotesk und verdreht, dass es abstoßend und zugleich faszinierend wirkt – so als würde man auf einem LSD-Trip Alice im Wunderland anschauen und dazu Death-Metal hören.

Preis-/Leistungsverhältnis

20,00 EUR für ein schickes Hardcover mit vier Kurzabenteuern meiner Meinung nach nicht zu hoch angesetzt, vor allem, da hier Material für deutlich mehr als vier Spielabende geboten wird.

Alternativ ist das Buch auch als PDF für 15,00 EUR erhältlich.

Erscheinungsbild

DSA Dämmerstunden CoverBeginnen wir bei dem, was man als Erstes sieht: Dem Cover, das zwar künstlerisch sehr ansprechend ist, aber was den Stil angeht, eher weniger zu DSA passt. Oder in allen anderen Publikationen wurden Ghule bis jetzt schlichtweg immer falsch abgebildet. Aber da ich den Traum von einem einheitlichen Illustrationsstil schon lange aufgegeben habe, will ich nicht länger als nötig auf diesem Punkt herumreiten. Die übrigen Illustrationen, vor allem die Porträts der wichtigen NSC, sind bis auf wenige Ausnahmen stilistisch und künstlerisch einwandfrei, abgesehen von vielleicht etwas zu dunklen Hintergründen.

Beim Schriftsatz habe ich keinerlei Beanstandungen, Schriftgröße und Übersichtlichkeit gehen völlig in Ordnung. Das Buch ist ein durchweg hochwertig gefertigtes Hardcover mit angenehmer Papierstärke und -textur. Besonders hervorzuheben ist hier auch, dass ich für eine DSA-Publikation nur sehr wenige Rechtschreibfehler gefunden habe.

Das einzig wirklich Störende sind die dunklen Hintergründe bei den Text-Handouts, die als Kopien viel zu dunkel werden.

Weniger gefällt mir allerdings die separat erhältliche PDF-Version. Weder das Inhaltsverzeichnis, noch Hinweise auf andere Stellen im Buch sind klickbar. Hier besteht also noch Verbesserungsbedarf.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Ulisses Spiele
  • Autor(en): Muna Bering, Roman Bering, Jan Bratz, Dominic Hladek, Martin John
  • Erscheinungsjahr: 2012
  • Sprache: Deutsch
  • Format: DIN A4
  • Seitenanzahl: 116
  • ISBN: 978-3-86889-234-5
  • Preis: Hardcover: 20,00 EUR; PDF: 15,00 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon (Druck), Sphärenmeisters Spiele (Druck), DriveThruRPG.com (PDF)

 

Fazit

Wenn man einmal etwas Besonderes spielen bzw. leiten möchte, sollte man sich diesen Abenteuerband genauer ansehen. Das Horrorthema wurde gut verarbeitet, und die vier Abenteuer greifen jeweils ein klassisches Thema aus dem Genre auf.

Die Abenteuer sind originell und die Handlung selten allzu vorhersehbar. Der Aufwand für den Spielleiter hält sich in Grenzen, die Eigeninitiative der Spieler ist je nach Abenteuer unterschiedlich stark gefragt.

Allerdings muss an dieser Stelle gesagt sein, dass der Schwierigkeitsgrad und die „Härte“ und Menge der Gegner zwischen den Abenteuern stark schwanken. Wenn man also alle Abenteuer nacheinander oder in einem kurzen Zeitabstand spielen möchte, müssen einige kleinere Anpassungen vom Spielleiter vorgenommen werden.

Die Verarbeitung geht bis auf die etwas zu dunkel geratenen Handouts und das stilistisch wenig passende Coverbild völlig in Ordnung. 

Daumen4Maennlich

Artikelbilder: Ulisses Spiele GmbH

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3 Kommentare

  1. Zufälle gibt es. Da bereite ich doch gerade eines der Abenteuer für meine Gruppe vor. Ich kann der Rezension durchweg zustimmen. Mir sagen die Abenteuer aus der Anthologie sehr zu. Mal gucken wie das erste meiner Gruppe gefallen wird.

    Die Handouts muss man übrigens nicht unbedingt kopieren. Die gibt es mittlerweile glücklichwerweise auch bei Ulisses als PDF zum herunterladen und ausdrucken auf der Produktseite ( http://www.ulisses-spiele.de/produkte/96/daemmerstunden/ ) verlinkt.

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