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LARP simuliert einen kleinen Ausschnitt aus dem Leben der bespielten Charaktere. Meist ist dies ein Abenteuer, das erlebt wird, sodass neben Weltenrettung und schreienden Jungfrauen in Not das restliche Leben der Charaktere eher in den Hintergrund tritt. Doch irgendwann, und sei es nach hunderten von Weltenrettungen, holt die meisten Spieler dann doch der Charakteralltag ein. Sie sind nicht mehr zufrieden damit, ihren Charakter ein Abziehbild-Held sein zu lassen und suchen danach, diesen zu vertiefen und mit Leben zu füllen. Hinzu kommen all die Kleinigkeiten, die das Leben einer Person ausmachen.

Seien es persönliche Bindungen wie Ehen oder Streitereien oder das Verdienen des Lebensunterhaltes in kleinen wie größeren Maßstäben. Und gerade, wenn man festgeschriebene Hintergründe wie LARP-Länder bespielt, werden schnell auch Handelsbeziehungen in größeren Maßstäben wichtig. Hier bieten sich natürlich, unter anderem, die Herrschaftshäuser sowie Handelskontore verschiedener Gesellschaften als Hintergründe an. Für viele mag dies alles nur notwendig sein, um den Anschein von Leben hinter dem eigentlichen Plot zu generieren, den sogenannten Fluff. Doch gibt es auch ebensolche, denen dies nicht reicht. Jene, die ein System haben wollen, um mit Rohstoffen oder anderen Gütern Handel zu treiben und damit zu spielen. Und genau dieses hat in der weiten LARP-Welt viele verschiedene Handelssysteme entstehen lassen. Ein paar davon möchte ich heute einmal genauer betrachten.

Die Rohstoffbeschaffung als Hauptspielziel

Konquistadoren-LARP

Bei den Konquistadoren  dreht sich alles um die Rohstoffe. Die gesamte Siedlung besteht aus dem einzigen Grund, die (mehr oder minder) reichen Rohstoffvorkommen auszubeuten. Das Konzept beruht auf starkem PvP-Spiel und beinhaltet mehrere Stellschrauben, die von der Orga und teilweise auch den Spielern genutzt werden können. Am Anfang stehen die Rohstoffe, hier dargestellt durch Säcke im Wald, welche die einzelnen konkurrierenden Familien finden oder sich gegenseitig abjagen können. Die Orga kontrolliert hierbei, wann wie viele Rohstoffe im Spiel sind und kann so dafür sorgen, dass das Angebot nicht zu hoch wird und immer ein entsprechender, spielfördernder Mangel herrscht.

Diese Rohstoffe können an verschiedenen Maschinen veredelt werden (zweiter Flaschenhals in der Produktionskette) und können dann, in ihren verschiedenen Veredelungsstufen, untereinander oder an die Bank verkauft werden. Bei der Bank richtet sich der Wert der einzelnen Güter wie bei einer simplen Börse nach Angebot und Nachfrage. So steigt bzw. fällt der Preis einzelner Waren mehrfach im Verlauf einer Veranstaltung. Durch diese und weitere Möglichkeiten der Einflussnahme wird ein Handelsspiel aufgebaut. Allein durch das Ziel, der Beste zu sein, werden die Spieler angeregt, ihre Möglichkeiten möglichst gut zu nutzen. Zugleich ist durch die wirkliche, physische Anwesenheit der Rohstoffe der Bezug der Spieler viel höher als zu imaginären Gütern irgendwelcher physisch nicht existenter Handelskontore in ausgedachten LARP-Ländern.

Rahmenbedingungen:

  • eine Vielzahl verschiedener, ineinandergreifender Spielmechanismen, um ein lebendiges Wirtschaftsspiel auf der Con zu gewährleisten.
  • physische Anwesenheit von Rohstoffen und allen anderen Handelsgütern
  • daraus folgt ein dementsprechend kleiner Maßstab des Handels (keine Schiffsladungen/Schürfrechte etc.)
  • direkterer Bezug der Spieler zu den Handelswaren und den Funktionsweisen des Systems

Der Handel als Nebenspielziel für eine realistischere Welt

FATE (Endzeit)

Die Endzeit ist hart und verstrahlt. Mangel ist an der Tagesordnung und man prügelt sich um die wenigen Ressourcen, die es in dieser gottverdammten Einöde noch gibt. Um Mangel zu symbolisieren und als Spielinhalt durchzusetzen, hat Lost Ideas (LI)  einen Rohstoff sowie eine Währung ins Spiel gebracht, mit dessen Hilfe sie Angebot und Nachfrage ziemlich genau kontrollieren. Zum einen ist dies die Währung, die Chids. Die Orga weiß jederzeit genau, wie viel Chids in Umlauf sind, denn nur sie selbst bringen diese ins Spiel. Hierdurch wird dem Wertverfall vorgebeugt, der in offenen Fantasy-Kampagnen oftmals im Währungssystem dadurch zum Tragen kommt, dass Kupfer-/Silber-/Goldmünzen OT käuflich zu erwerben sind und auch dadurch, dass man in unterschiedlichen Conreihen unterschiedliche Umrechnungssysteme hat.

Ist ein Silber nun 3 Kupfer oder 10? In der FATE-Endzeit gibt es dieses Problem nicht. Auf dem FATE wird nur mit Chid bezahlt und wie viele es davon gibt, kontrolliert LI selbst. Kontrolle haben sie auch über das hauptsächliche Gut, dass jeder Bewohner der Endzeit braucht: Anti-Strahlungsmittel in Form von Rad-EX. Sie setzen den Preis dafür fest sowie die Quantität, in der es verfügbar ist. Allein dadurch wird alles andere, was an Handel oder Raub oder Mord geschieht, durch diese beiden Stellschrauben festgelegt – Quantität an Chids und Quantität an Rad-EX. Hierdurch hat man ein weitaus simpleres Handelssystem als beim Konquistadoren-LARP, aber auch ein weitaus freieres/realistischeres, da es durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird.

Wieder wird hier mit vor allen Dingen physischen Werten gehandelt und nicht mit imaginären, was das Handelssystem in dem Maßstab erst möglich macht. Dies hat natürlich den Nachteil, dass andere Güter (wie Nahrung, Werkzeug etc.) nicht von der Quantität reguliert werden und so der „Mangel“, der simuliert werden soll, oftmals eher in den Hintergrund tritt und viele unterschiedliche Spielansichten aufeinandertreffen – damit wird die Welt verwässert. Eventuell wäre dort eine weitere Auffächerung notwendig, damit jeder Spieler Cons für seinen Spielstil finden kann.

Rahmenbedingungen:

  • zwei Hauptressourcen (Chids und Rad-EX) werden von der Orga kontrolliert
  • Rest entwickelt sich durch freies Spiel
  • Nutzung, um Mangel in der Spielwelt zu simulieren
  • durch Reduzierung auf nur zwei Ressourcen werden die restlichen Ressourcen ggf. zu wenig reguliert

Rohstoffhandel als Nebenbeschäftigung für eine lebendigere Welt

Broken Crown

Die ersten beiden Systeme sind vor allen Dingen durch direkten und handhabbaren Handel geprägt. Was allerdings, wenn das dem Spieler zu wenig ist? Wenn er doch mit Schürfrechten/Wagen-/Schiffsladungen handeln will, um beispielsweise seinem Land einen Vorteil zu verschaffen? Die Broken Crown-Orga hat sich diesem Thema angenommen und ein kleines (zugegeben noch recht experimentelles) Wirtschaftssystem aufgebaut, welches gleichermaßen mit imaginären Gütern als auch reellen, handhabbaren Werten arbeitet. Die SIM, so heißt der Teil der Orga, der sich mit der Simulation der Welt beschäftigt, legt für jedes bespielte Fürstentum sowohl Kapazitäten für verschiedene Waren als auch den Bedarf an anderen Waren fest.

Durch eine geschickte Verteilung, werden so die Fürstentümer gezwungen, in Handelsbeziehungen zu treten. Dargestellt werden die einzelnen Kapazitäten über vorher erstellte und von der SIM ausgehändigte Zertifikate. Diese sind jeweils mit einem vorher festgelegten Richtwert versehen, damit man eine gemeinsame Handelsposition hat. In Zukunft ist geplant, ähnlich wie beim weiter oben erwähnten Konquistadoren-LARP, eine Börse zum An- und Verkauf von Zertifikaten einzurichten und das System zu verfeinern. Zertifikate können ebenso anderweitig als durch Handel (Diebesspiel, IT-Erpressung etc.) erlangt werden und bieten so viele Spielmöglichkeiten, den eigenen Bedarf zu decken. Je nachdem, wie gut ein Fürstentum den eigenen Bedarf deckt, bekommt es in Zukunft kleine Vorteile gegenüber anderen Fürstentümern, die hierbei nicht ganz so erfolgreich waren.

Hier wird also eine Verbindung zwischen reellen Waren (Zertifikaten) und den dazugehörigen imaginären Waren (Schiffsladungen etc.) hergestellt, um das Beste aus beiden Welten zu vereinen. Es ist ein Hybride, der dem rein imaginären und damit eher planlosen und unregulierten Handel einen fassbaren Gegenstand (Zertifikate) entgegensetzt, um ihm so mehr Gewicht und Spielsinn zu geben.

Rahmenbedingungen:

  • Bedarf und Kapazitäten werden vorher von der Orga festgelegt
  • freies Spiel mit vielen Möglichkeiten innerhalb dieser Grenzen
  • physische Anwesenheit von sowohl Zertifikaten als auch imaginären Gütern, die nur in der Spielwelt bestehen
  • Erarbeitung von Spielvorteilen der einzelnen Fürstentümer

 

…. und noch vieles mehr …

Natürlich sind dies bei Weitem nicht alle Möglichkeiten, Handelssysteme im LARP darzustellen. Sie sollen stellvertretend nur für drei Varianten stehen, wie es möglich ist, den Handel mit IT-Waren für den Spieler fassbarer zu gestalten und zu regulieren. Selbstverständlich gibt es auch die Möglichkeiten, rein mit imaginären Gütern zu handeln. Früher hat so im Kampagnenspiel von Mythodea beispielsweise jedes Siegelgebiet seine eigenen Rohstoffe und Waren bekommen, die es mittels Kampagnenpunkten erarbeiten und einsetzen konnte, um so beispielsweise Vorteile zu erlangen.

Dies waren rein imaginäre Werte, die in der Regel nie dargestellt wurden und sonst auch nur als imaginäre Werte auf Cons gehandelt wurden. Dies hat für meinen Geschmack immer den Nachteil, dass es im Kopf des Spielers an Gewicht fehlt. Man kann ihm keinen wirklichen Gegenwert entgegensetzen, da beide Seiten mit rein fiktiven Angeboten in die Verhandlung hineingehen. Mir persönlich fehlt dort zu sehr die Basis, die mir erlaubt, die Suspension of disbelief zu nutzen und mich auf das Spiel vollends einzulassen.  

Artikelbild: Freeimages.com by 1mblack

 

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