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Die Nachtwache, englisch Night’s Watch, schützt die viele hundert Schritt hohe eisige Mauer im Norden von Westeros. Diese wurde nach der Langen Nacht errichtet und hält Eisdämonen, Untote und die wilden Stämme der Menschen aus dem Norden ab. Einst war die Nachtwache viele Tausend Mann stark und der Stolz des Reiches. Doch Kriege, wechselnde Herrschaftsgeschlechter und die kargen Landstriche südlich der Mauer haben ihre Zahl schwinden lassen.

Das Quellenbuch zur Nachtwache für das Lied von Eis und Feuer- / Game of Thrones-Rollenspiel wirft einen konzentrierten Blick auf sowohl die Wache selbst, aber auch Jenevon jenseits der Mauer. Dabei betritt es nicht-kanonischen Grund, der aber für eine erfolgreiche Tischrollenspiel-Kampagne dringend nötig ist.

„Die Nacht bricht an und meine Wache beginnt. Sie wird erst mit meinem Tod enden. Ich werde mir keine Frau nehmen, kein Land, keine Familie. Ich werde keine Krone tragen und keinen Ruhm ernten. Ich lebe und sterbe auf meinem Posten. Ich bin das Schwert in der Dunkelheit. Ich bin der Wächter auf den Wällen. Ich bin das Feuer, das in der Kälte wärmt, das Licht, das den Morgen bringt, das Horn, das die Schlafenden weckt, der Schild, der das Reich der Menschen schützt. Ich weihe mein Leben und meine Ehre der Nachtwache, für diese Nacht und allen Nächten, die kommen werden.“

Inhalt

Herkunft zählt nicht mehr, wenn man „das Schwarz anlegt“, sich also zur Nachtwache begibt, ein schwarzer Bruder wird. Adlige stehen neben Schwerverbrechen, die die Wahl bekommen haben: Hinrichtung oder Nachtwache. Nach der harten, oftmals nahezu drakonischen, Ausbildung durch unnachgiebige Mentoren sprechen die neuen Rekruten den obigen Schwur. Sie werden einer der drei Abteilungen der Nachtwache zugeteilt, als da sind:

  • Grenzer – jene, die ausreiten und die Mauer durchschreiten, um im feindlichen Norden auf Bedrohungen zu reagieren. Krieger durch und durch.

  • Baumeister – ein Monument wie die Mauer benötigt Wartung, ebenso die Burgen entlang der Mauer. Aber auch schweres Kriegsgerät wie Ballista, Skorpione und Mangoneln wollen gebaut werden.

  • Kämmerer – eine Militäreinheit wie die Nachtwache kann nicht ohne einen ausgeklügelten verwalterischen Unterbau funktionieren. Kämmerer sind nicht nur die Burschen der Herren der Festungen, sondern auch Boten, Einkäufer, Verwalter von Grund- und Boden und vieles mehr.

Durch den Niedergang der Wache in den letzten Jahren ist nicht nur die Anzahl der Mitglieder geschwunden, sondern auch die Anzahl der Festungen entlang der Mauer. Von den einstigen sechzehn Befestigungen sind nur noch drei intakt und werden bemannt: Castle Black, der Shadow Tower und East Watch by the Sea. Den Romanen folgend sind die Festungen im Quellenbuch eingedeutscht in Schwarze Festung, Schattenturm und Ostwacht an der See.

Auch andere Eigennamen folgen dem Übersetzungskodex der Romane und so müssen Leser der englischen Bücher immer wieder umdenken. Das fällt jedoch nicht allzu schwer.

Apropos Romane – dort sind die Informationen sehr fragmentiert: Hier eine Legende, da eine Person, dort eine Festung. Das Buch schafft es sehr gut, die einzelnen Fragmente zusammenzuführen und gibt einen konzentrierten und auch sprachlich sehr gut aufbereiteten Überblick über die Nachtwache. Das Buch behandelt die Ereignisse zu der Zeit, da Robert Baratheon noch auf dem Eisernen Thron sitzt.

So beschäftigen sich die vollen ersten zwei Kapitel mit der Geschichte, dem wirtschaftlichen Aufbau und der Mauer selbst. Weiterhin werden die Ländereien, die einstige Herrscher der Nachtwache zur Verfügung stellten (genannt „Die Schenkung“), die Burgherren und bedeutenden Mitgliedern der Wache vorgestellt. Natürlich widmet sich ein ganzes Kapitel der speziellen Charaktererschaffung für die Nachtwache.

Während die Spieler im Grundspiel ein eigens erschaffenes Adelshaus steuern, übernimmt in der Nachtwache eine Burg, die wieder bemannt wird, diese Rolle. Das bringt einen interessanten Aspekt ins Spiel, denn hier heißt es vor allem Mängelverwaltung zu betreiben. Die Nachtwache ist nicht sonderlich von Nächstenliebe erfüllt, sondern hat stets das Bestehen der Wache im Gesamten im Sinn, wie auch die Erfüllung der Aufgaben. Was passiert, wenn ein Nahrungstransport zu einer anderen Festung umgeleitet wird, aber einige gefangene Wildlinge inhaftiert sind, die ernährt werden wollen? Solchen alltäglichen Fragen kann sich eine Kampagne zuwenden, hauptsächlich gilt ihr Fokus aber dem Schutz des Reiches vor den Dingen von jenseits des Eismonumentes.

Das Buch wäre nicht komplett, wenn es nicht auch einen Blick jenseits der Mauer werfen würde. Die Menschenstämme, die dort leben, werden von den Westerosi nur abfällig Wildlinge genannt – sie aber nennen sich das Freie Volk. Auch hier gilt für die Zusammenstellung, dass die stark aufgeteilten Informationshäppchen aus den Romanen sehr gut konzentriert werden. Das macht das Quellenbuch auch für Nichtrollenspieler interessant, die einfach nur die Romanserie von G.R.R. Martin mögen.

Jeder Stamm erhält eine eigene Vorstellung und in dieser werden die jeweils einzigartigen Charakteristika gut herausgearbeitet. Als Richtline für SC erfüllen sie somit einen guten Zweck und ermöglichen es zum Beispiel, einen Hornfuss von einem Thenn gut zu unterscheiden.

Die Stämme kennen keine feudalistische Kultur, sondern ehren Aufrichtigkeit und Stärke. Das wird an einigen Bräuchen klar – so muss zum Beispiel ein Freier eine Braut regelrecht rauben. Hat er es schlecht gemacht, kann es gut sein, dass er nach der ersten gemeinsamen Nacht nie wieder erwacht, weil sie seine Kehle im Schlaf durchgeschnitten hat.

Neben den Stämmen wird auch die Geographie, sogar mit einer schicken Karte, beschrieben. Siedlungen und besondere Orte erhalten auch eine eigene, teils recht charmant geschriebene, Schilderung.

Während Charaktere der Nachtwache eine eigene Burg erschaffen, kreieren Spieler von Charakteren des Freien Volkes ihren eigenen Stamm. Diese verläuft ähnlich der Erschaffung eines Hauses aus dem Grundregelwerk, verfügt aber im Bereich der Besitztümer schlicht über kleinere Dimensionen. Das Freie Volk unterscheidet sich in vielen Belangen von Westerosi, aber vor allem durch den Fakt, dass Frauen die gleiche Kraft und Macht zugestanden wird wie Männern. Das ist auch hier ein Unterschied zum Grundregelwerk. Eine Brienne von Tarth ist selten – eine Speerfrau nicht.

Sowohl bei der Wache als auch beim Freien Volk ist die Charaktererschaffung an das jeweilige Umfeld angepasst, was sich in veränderten Tabellen und neuen Vor- und Nachteilen auswirkt. Sehr schön illustriert sind auch die jeweiligen Beispielcharaktere, mit denen sich sofort losspielen ließe.

Für beide Arten von Spielrunden werden Szenario-Ideen und Abenteuerhäppchen geboten.

Das letzte Kapitel verlässt den offiziellen Kanon und weist auch korrekterweise darauf hin. Der eigentliche Feind jenseits der Mauer sind nicht die Wildlinge, es sind die Dämonen aus dem Eis. Um jene abzuhalten, wurde einst die Mauer errichtet. Nun scheint es, als ob eine neue lange Nacht anbrechen könnte und die Schrecken erheben sich erneut.

Von einigen Legenden haben Romanleser schon gehört, so zum Beispiel vom Winterkönig. Jener war einst ein Mitglied der Wache. Er nahm sich eine von den Anderen, so die nur ängstlich geflüsterte Bezeichnung für den Feind, zur Braut und hatte vor, die gesamte Nachwache zu unterwerfen. Nur mit vereinten Kräften konnte er gestoppt werden. Er verstieß gleich mehrfach gegen den Schwur, denn er begehrte nach Macht und nach einem Weib.

Was macht nun eigentlich einen Winter so schrecklich, in einer Welt, in der Heere aus zehntausenden Soldaten bestehen? Auf Westeros vergehen die Jahreszeiten langsamer – ein Kind kann im Frühling geboren werden und wird im Sommer erwachsen. Winter in Westeros gleichen Eiszeiten, die fünfzehn oder mehr Jahre andauern …

Mit dieser Kälte kommen die Anderen und ihre Fußtruppen, ruhelose Tote. Im nur wenige Seiten umfassenden letzten Abschnitt finden sich weitere Legenden, Ideen für die Handlung von Spielabenden und natürlich auch Werte. Und diese haben es fürwahr in sich – alleine die Sonderfertigkeiten der Anderen sind mehr als gefährlich.

Preis-/Leistungsverhältnis

29,95 EUR mag viel erscheinen, wenn man bedenkt, dass der Quellenband nur 148 Seiten, inklusive Index, umfasst. Dennoch ist der Band durch den Inhalt, hier in Form des konzentrierten Wissens um die Wache und das Freie Volk, herausragend gestaltet. Auch optisch spricht er an. Die vielen Abenteuerideen lassen sich unschwer in bestehende Kampagnen einflechten. Sie finden sicher auch Anwendung in einer Kampagne, die sich um die nördlichen Lehen rund um das von Haus Stark zentriert.

Erscheinungsbild

GoT Nachtwache CoverDas Quellenbuch rund um die Nachtwache ist ein Hardcover, welches von der gleichen Szene kämpfender schwarzer Brüder geziert wird, die auch bereits im englischen Original von Green Ronin Verwendung fand.

Der Textsatz unterstützt die Leserlichkeit gut und immer wieder lockern kleinere optische Elemente lange Texte auf. Oft finden sich Zitate aus den Romanen und passendes Artwork. Optisch ist er mehr als ansprechend gestaltet.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Mantikore Verlag
  • Autor(en): Joseph Carriker, Lee Hammock et al
  • Erscheinungsjahr: 2014
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 148
  • ISBN: 978-3-939212-51-5
  • Preis: 29,95 EUR (Druck), 17,99 EUR (PDF)
  • Bezugsquelle: Amazon (Druck) , DriveThruRPG (engl. | PDF), Ulisses-Ebooks (deu. | PDF) Sphärenmeister (Druck)

 

Bonus/Downloadcontent

Auf der Download-Seite des Mantikore Verlages finden sich einige Goodies, wie der Charakterbogen. Diese sind aber auf das Spiel im Ganzen ausgerichtet sind, nicht auf das Quellenbuch.

Fazit

Das Quellenbuch rund um die Nachtwache und den eisigen Norden von Westeros hat mir viel Freude bereitet. Mag es daran liegen, dass ich gerade, getrieben vom Kielwasser der Serie, die Bücher lese oder die Informationen generell einfach gut aufgebaut sind. Leser erhalten nach der Lektüre ein wirkliches Gefühl für die Struktur, das Ambiente und die Aufgaben der Grenzeinheit.

Es gelingt der Übersetzung gut, die jeweiligen Stimmungen von der Grenzwacht auf der einen Seite und der Freiheit der Wildlinge auf der anderen Seite zu präsentieren. Desweiteren zeigt der Band einen guten Weg, wie man im Game of Thrones-Rollenspiel auch einfach etwas anderes als nur höfische Intrigen spielen kann. Damit gewinnt das Spiel deutlich, denn die verschiedenen Schattierungen des Kontinents und der Menschen auf ihm werden damit klarer.

Auch innerhalb der Wache zeigt sich diese Diversität. Militärisch orientierte Spieler, die viel Action wollen, werden mit Grenzern im Kampf gegen Untote und Wildlinge ihre wahre Freude haben. Spieler, die eher Wert auf Interaktion und Politik legen, werden mit den Kämmerern genug zu tun haben. Soll das Spiel sich einmal ganz anders anfühlen, spielt die Runde die Teile eines Wildingstammes, der ums tägliche Überleben kämpfen muss und dabei weder Winter, noch Untote, noch andere Stämme fürchtet.

Fans der Welt und des Spieles rate ich uneingeschränkt zum Kauf, denn ich fand keine Mankos. Für Romanleser sind gute zwei Drittel des Buches eine gute Zusammenfassung, Spieler können alles benutzen.

Daumen5maennlich

Artikelbilder: Mantikore Verlag

 

 

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