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Das lange Warten ist vorbei! Kaum eine Veröffentlichung habe ich so sehnsüchtig herbeigesehnt wie das neue Settingbuch zu The One Ring: Rivendell. Bei The One Ring stand bisher die Welt des Hobbits eindeutig im Mittelpunkt: Das Regelwerk beschrieb die Charaktererschaffung, Kulturen und natürlich das Spiel selbst. In Tales of Wilderland wurden spielbare Einzelabenteuer hinzugefügt. Wilderland als Setting wurde dann durch The Heart of the Wild detailliert, eine epische Kampagne dazu lieferte The Darkening of Mirkwood. Letzteres setzte The Heart of the Wild zum Spielen voraus.

Das Erfolgsrezept scheint man jetzt auch nur geringfügig ändern zu wollen. Rivendell beinhaltet Setting-Informationen zu den Landen westlich der Misty Mountains: Das östliche Eriador, die verlorenen Reiche Arnor, Angmar und Eregion, Rivendell selbst und angrenzende Regionen. Die Karte reicht von Bree im Westen bis an die Berge und damit verschiebt sich der Fokus vom Hobbit schon sehr stark zum ersten Band des Herrn der Ringe. Mehrere wichtige Stationen der Reise Frodos und seiner Gefährten sind hier beschrieben – zumindest, bevor es in die Minen von Moria geht.

Es ist bereits jetzt bekannt, dass ein Abenteuerband namens Ruins of the North erscheinen wird, und dieser wird auch Rivendell als Settingbuch (und der Karten wegen) voraussetzen. Wobei die Verlagsentscheidung durchaus nachvollziehbar ist: Ursprünglich war ja ein ähnliches Modell wie bei Fantasy Flight Games Star-Wars-Reihe geplant – also jedes neue Setting (Rivendell, Horse-lords of Rohan) wieder mit den vollen Regeln zu veröffentlichen. Das haben uns die Schöpfer von The One Ring dann doch erspart, damit halte ich die Koppelung von Abenteuerband und Settingband für hinnehmbar.

Inhalt

Tolkiens Werk war ja mal in D&D als Inspiration gelistet – im berühmten Appendix N. Wer jetzt diese liebevolle Beschreibung Rivendells liest, der fühlt sich nicht nur an Bilbos und Aragorns Passagen in den Ring-Romanen erinnert, der kann auch einen großen Respekt vor dem Original spüren. Mag D&D Elfen und Hobbits als Klassen und später spielbaren Rassen ein Denkmal gesetzt haben, dieses Buch verneigt sich viel tiefer vor dem detailreichen Stil Tolkiens als Erschaffer einer Welt als D&D das je konnte oder wollte. Ganz ehrlich, so etwas überrascht mich in einem Rollenspielprodukt! Das Produkt heißt eben nicht Eriador, sondern Rivendell und die Autoren offenbaren durchaus, was die eigentliche Magie des Last Homely House ausmacht.

Elrond allein zu Haus

Der nachfolgende Settingteil ist detailreich gestaltet und interessant, ich stelle mir aber dann doch die Frage, wie man in diesen Landen als Gruppe zurechtkommen soll. Alle Rückszugsorte (Sanctuary) befinden sich entlang der East Road: Bree, Rivendell, und ein Refugium der Ranger. D.h. im Umkehrschluss, dass zumindest laut Settingband fast die ganze Karte keinen dieser für The One Ring zentralen Orte hat. Hinzu kommt, dass zwar Bree, die Brücke über den Brandywine und der Old Forest auf der Karte sind, aber explizit darauf hingewiesen wird, dass die Beschreibung dieser Orte in einem weiteren Settingband kommen wird. Rivendell ist also das einzige Sanctuary, das in diesem Band auch beschrieben wird. (Ein Veröffentlichungsdatum für den Band mit Bree findet sich nicht. Mehr zu den Plänen des Verlags hier.)

Zum Vergleich: Das als dichter besiedelt beschriebene Wilderland beschreibt mehrere Sanctuaries, die sogar den Spielern bekannt sind – fast ein ganzes Dutzend ist hier für Spieler in der einen oder anderen Form von Beginn an zugänglich. Hinzu kommen noch kleinere Zufluchtsorte wie das Easterly Inn, die Dörfer Stonyford und The Toft – aber diese muss die Gruppe erst entdecken, bzw. von ihrer Existenz erfahren. Rivendell eignet sich eindeutig nur für starke, erfahrene Gruppen, die lange, strapazenreiche Reisen unternehmen können, ohne auf Zuflucht angewiesen zu sein. Der SL oder der angekündigte Abenteuerband Ruins of the North mögen da noch ein oder zwei Orte nachpflegen, aber der Settingband beschreibt in dieser Hinsicht praktisch nichts.

Wer den Wegen Frodos folgen will, findet in diesem Band die Barrow Downs, Weathertop, die Midgewater Marshes, die East Road, die Last Bridge, die Trollshaws, Rivendell, den Redhorn Pass und Caradhras. Darüber hinaus sind die verlorenen Königreiche von Arnor beschrieben, die bösen Lande von Angmar, sowie das ebenso verlassene Eregion und die Flussquerung von Tharbad, wo einst eine große Brücke stand. Die Orks von Mount Gram runden das Ganze ab. Die südlich gelegenen Dunlands werden hingegen Bestandteil des Bandes Horse-lords of Rohan sein, ebenso wie Isengard. Wer Details zu den einzelnen Ruinen will, wird auf den Abenteuerband Ruins of the North warten müssen.

Aufrüstung

Insgesamt ist der Band definitiv dafür da, auch fortgeschrittene Gruppen zu fordern. Im Rahmen der Veröffentlichungen kommt das gut hin, einige Gruppen werden ja schon länger spielen. Regeln für knackigere Monster sind ebenso enthalten wie die für die Erschaffung magischer Gegenstände und Artefakte. Man merkt an den gelisteten Target Numbers, dass die Latte jetzt höher gelegt wird. Werte von 18 oder 20, die für Anfänger schwer zu packen sind, tauchen jetzt häufig als Zielwerte der Proben auf, auch bei Corruption Tests – wo der Spieler nochmal einiges an Erfahrung investieren muss, bevor er hinreichend hohe Werte in Wisdom hat.

Welche Monster findet man in solch scheinbar leeren Landen? Tatsächlich enthält Rivendell eine ganze Fülle Untoter – von den Barrow Wights aus der Ring-Trilogie über Geister, Erscheinungen, wandelnde Tote hin zum Witch King of Angmar, den mächtigsten der Nazgul. Teil dieses Bandes ist ja schließlich seiner verlorenen Heimstatt gewidmet. Dazu gibt es noch erwähnenswerte Trolle entlang der East Road und andere Gefahren. Es werden aber nicht nur einfach mehr Monster gelistet, es werden neue Monstereigenschaften präsentiert, mit denen man die Gefährlichkeit existierender Kreaturen noch weiter erhöhen kann.

Im Gegenzug dürfen Spieler sich nun mit magischen Gegenständen rüsten. In The One Ring ging es hauptsächlich um Gegenstände besonders guter Machart, die man immer weiter verbessern konnte. Jetzt gibt es auch besonders magische obendrein. Zuerst war ich anhand dieses Bruchs etwas verwirrt – schließlich musste man sich die ursprünglichen Aufwertungen mit Erfahrungspunkten kaufen! Aber tatsächlich stellen die magischen Artefakte eine sinnvolle Erweiterung der bestehenden Regeln dar, und kein Punkt der ursprünglichen Investition muss deswegen verschwendet sein. Magische Qualitäten werden durch verschiedene Ereignisse entdeckt, und das graduelle Ansteigen der Nützlichkeit ist auch gewahrt. Alte Aufwertungen kann man gegen neue eintauschen und kulturelle Besonderheiten werden auch nicht durch magische ersetzt. Das ist auch stimmig: Wie sollte auch ein über Jahrhunderte verschollenes Schwert direkten Bezug zum Beispiel zur Kultur der Beornings oder der Woodmen of Wilderland haben?

Hierbei tritt bei den Waffen und Rüstungen insbesondere der Valour-Wert in den Vordergrund. War bisher Valour vorrangig bei Angstproben und bei sozialen Begegnungen nützlich, kann dieser besondere Mut jetzt auch in Verbindung mit einer magischen Waffe massiv die Eigenschaften derselben verstärken. Das gleiche gilt für Wisdom in Verbindung mit Nichtwaffen – ein magischer Ring oder Spiegel kann dem Weisen halt mehr nützen als dem Haudrauf. Ein magisches Mithril-Kettenhemd kann leicht wie Luft sein, ein Umhang die Spielfigur unerkannt durch einen Raum voller Goblins führen. Manche Waffen spielen ihre Stärken gegen bestimmte Feinde aus, die mächtigsten elfischen ihre gegen alles Böse aus Mordor. Die Vorteile sind teilweise massiv, und sollten eher einer Kampagne im fortgeschrittenen Stadium vorbehalten bleiben.

Ober-Elfe oder gleich Aragorn?

Regelteil und Regionales wechseln sich denn auch munter ab. Passen die magischen Schätze eher zum angestrebten Powerlevel, und vielleicht sogar noch zu all den versprochenen Ruinen, so sind die zwei neuen Heroic Cultures zutiefst mit der Region verbunden: die Rangers of the North und die High Elves of Rivendell.

Beide Kulturen werden im Buch als übermäßig stark beschrieben. Es braucht allerdings ein bisschen an Recherche, bis man erkennt, was denn eigentlich so stark sein soll an den Rangers. Bei genauerem Hinsehen merkt man, dass die Werte der drei Hauptattribute die Summe 17 erreichen anstatt 14 bei den Kulturen aus Wilderland. Der Charakter startet mit 14 Extraskillpunkten anstatt 10 als previous experience. Die erlernbaren Virtues und die Cultural Rewards sind auch sehr mächtig. Der Preis hierfür ist aber auch hoch: Normalerweise regenerieren Charaktere Hope aus dem Fellowship Pool. Ein Ranger kann das nicht! Er regeneriert regulär nur dann einen Punkt Hope, wenn seinem besten Kumpel, dem Fellowship Focus, nichts passiert. Ranger müssen mit ihrem Hope-Pool also noch viel stärker haushalten als andere, was die höheren Attributwerte im Laufe einer Kampagne deutlich relativiert. Sowohl Rangers als auch High Elves haben höhere Kosten, ihre Waffenskills zu steigern, das Gleiche gilt für Wisdom und Valour. Die zusätzlichen Skillpoints zu Beginn sind somit besonders gut im Steigern von Waffenfertigkeiten angelegt, reguläre Skills folgen schließlich der normalen Progression.

Hochelfen können wiederum keine Shadow-Punkte regulär abbauen, sie können dies nur durch das Markieren eines Skills tun. Das reduziert zwar den Shadow-Wert einmalig, dafür kann es passieren, dass der Shadow-Wert genau dann wieder steigt, wenn man den Skill braucht und schlecht würfelt. Beide Kulturen sind also besonders anfällig für den Zustand Miserable – die Rangers, falls sie mehr Hope ausgeben, als sie auffüllen können, die High Elves, wenn ihr Shadow zu schnell steigt. Bei den regulären Startwerten der Skills starten beide Kulturen auf dem gleichen Level wie alle anderen: 29 Punkte, die so verteilt werden, dass Skillrang 1 einen Punkt kostet, Rang 2 drei und Rang 3 sechs Kaufpunkte.

Ein bisschen schlampig wirkt, dass die Anführer dieser neuen Kulturen keine Meinung übereinander haben, und die Meinung anderer Kulturen über diese beiden Völker werden auch nicht explizit nachgereicht. Bei den Rangers mag das noch angehen, schließlich leben sie ja im Verborgenen. Es wirkt aber so, als hätte man einfach das Template aus dem Basisbuch übernommen. Ich nehme an, im Adventurer’s Companion wird diese Einstellungsfrage für alle spielbaren Kulturen vollständig behandelt werden.

Im Auge des Bösen

Ein kleiner aber feiner Satz an Zusatzregeln unter dem Titel Eye of Mordor bildet noch besser die Grundstimmung der Ring-Romane ab. Je sichtbarer oder mächtiger eine Gruppe ist, desto mehr Widrigkeiten werden dieser Gruppe durch den Schatten im Land selbst und durch den Feind entgegengestellt. Eine Gruppe Hobbits fällt erst mal nicht besonders auf, aber wer mit Rangers oder gar High Elves reist, Magie anwendet oder sich in anderer Weise besonders bemerkbar macht, wird früher oder später zum Gejagten.

Dieser Regelteil hilft, die düstere Grundstimmung des Dritten Zeitalters zu transportieren. Eine besonders gefährliche Queste wie die Reise nach Osten und Süden in den ersten beiden Ringbänden wird so besonders gut im Spiel abgebildet. Man merkt, dass sich die Reihe vom Hobbit wegentwickeln wird, auch wenn Rivendell in beiden Werken eine Rolle spielt.

Preis-/Leistungsverhältnis

Rivendell ist eindeutig nicht billig. Auf den 144 Seiten ist aber einiges an Inhalt geboten. Das Produkt wirkt hochwertig in jeder Hinsicht, man kriegt also auch etwas für sein Geld.

Erscheinungsbild

Rivendell Cover The One Ring ReviewWie andere Produkte zu The One Ring glänzt Rivendell auch insbesondere durch seine Präsentation. Das Buch ist analog zu dem bereits erschienenen The One Ring: The Heart of the Wild strukturiert, und auch in der grafischen Gestaltung orientiert es sich stark an diesem Vorbild. Wird eine Region der Karte genauer beschrieben, wird auch der entsprechende Kartenausschnitt präsentiert. Eine ausreichende Anzahl Illustrationen ist im Buch vorhanden, jede einzelne davon weiß zu überzeugen. Der gute Eindruck der Gesamtserie in Bezug auf Layout, Ästhetik und Lesbarkeit setzt sich auch hier fort.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Cubicle 7 Entertainment
  • Autor(en): Francesco Nepitello u.a.
  • Erscheinungsjahr: 2014
  • Sprache: Englisch
  • Format: PDF
  • Seitenanzahl: 144
  • Preis: 22,99 USD
  • Bezugsquelle: DriveThruRPG.com (PDF)

 

Bonus/Downloadcontent

Keiner.

Fazit

Eine Bewertung eines Buches steht ja auch immer unter dem Einfluss der eigenen Erwartungshaltung. Ich hatte mir von Rivendell erhofft, dass ich damit eine Wilderland-Kampagne flüssig nach Eriador erweitern würde können. Das ist nicht der Fall. Tatsächlich versteckt sich in Rivendell ein Erweiterungsregelwerk und eine Region, die das Spiel mit erfahreneren Gruppen ermöglicht und interessant hält. Es bleibt abzuwarten, auf welchem Schwierigkeitsgrad sich andere zukünftige Bände ansiedeln.

Die Gesamtnote beeinflusste auch das Klein-Klein, das mit der Zerhackstückelung der Regionen betrieben wird. Spielen in der Welt des Rings wird so erschwert, und da der Verlag die Bücher zwar kontinuierlich, aber in einem vierteljährlichen Rhythmus auf den Markt bringt, kann es durchaus noch ein Jahr dauern, bis signifikante Teile der Spielwelt abgedeckt sein werden. Wann Rohan kommt wissen wir, auch die spielbaren Kulturen werden dieses Jahr noch deutlich erweitert werden, aber wann das westliche Eriador, Lorien, die braunen Lande, Mordor oder Gondor kommen werden, wissen wir noch nicht. Geduld ist gefragt!

Ansonsten gilt: Der Band ist liebevoll gestaltet. Die Regeln wirken aus einem Guss. Die Regionalbeschreibungen sind sehr gut, auf Ruins of the North darf man darum sehr gespannt sein. Mit der Erweiterung zum Eye of Mordor wurde ein Mechanismus nachgepflegt, um das Spiel mit dramatischen Begegnungen sinnvoll zu erweitern.

Die Reihe bleibt sich selbst und dem zugrundeliegenden Material treu. Für eingefleischte Spieler von The One Ring ist das Buch definitiv ein Muss!

Daumen4Maennlich

Artikelbilder: Cubicle 7 Entertainment

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