Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

Western-Feeling und fernöstliche Kampfkunst? Was sich auf den ersten Blick anhört wie Vanilleeis und Oliven entpuppt sich bei näherem Hinsehen als spannende Verbindung mit Zündstoff. Durch die Entdeckung farbiger Jade und ihrer mystischen Eigenschaften ist die Welt nicht mehr wie sie war.

Kausao City, erbaut auf einem der reichsten Jadevorkommen weltweit, ist Dreh- und Angelpunkt des Jadehandels. Die vier größten Nationen herrschen dort gemeinsam im Form des Neuner-Rates: Je zwei Gesandte einer Nation mit einem unabhängigen Gouverneur an der Spitze.

Der amtierende Gouverneur sitzt bereits viel zu lange auf seinem Thron und die Bevölkerung, die zum Abbau der wertvollen Jade gezwungen wird, leidet unter Korruption und Unterdrückung wie nie zuvor. Um diesem tyrannischen Regime die Stirn zu bieten, hat sich eine lose Gemeinschaft, die Jianghu, zusammengefunden und dem Rat und seinen Schergen den Kampf angesagt.

Inhalt

Kernelement des Fate-Settings ist das Mineral Jade, dessen unterschiedlichen Färbungen fantastische Eigenschaften zugeschrieben werden: Grüne Jade ist für ihre Härte und Schutzwirkung bekannt und wird vor allem zur Herstellung von Hiebwaffen und Rüstungen verwendet. Rote Jade leistet mit ihrer explosiven Natur in der Schusswaffen- und Sprengstoff-Fertigung gute Dienste. Aus blauer Jade werden medizinische Gerätschaften hergestellt oder die Steine selbst werden zur Kühlung eingesetzt. Weiße Jade ist mit dem Element der Luft verbunden und wird dafür eingesetzt, die mächtigen Luftschiffe der großen Nationen in den Lüften zu halten. Schwarze Jade, die nur in und um Kausao City vorkommt und deren Fähigkeiten noch nicht einmal zur Gänze erforscht wurden, rundet das Mineralienquintett ab.

Wer jetzt an Geisterstein aus Deadlands denkt, liegt genau richtig. Wie das mystische Gestein aus dem Horror-Western Rollenspiel sorgt auch Jade nicht nur für einen steten Quell gewalttätiger Auseinandersetzungen, sondern auch für unerhörte technische Entwicklungen. Während Kausao City eine Mischung aus einer Western-Boomtown und einer feudalchinesischen Stadt darstellt, erlaubt der Einsatz von Jade Technologien wie Schusswaffen, Fluggeräte oder Energieschwerter.

Dabei wirkt dieser Technologiesprung keinesfalls plump oder unpassend, im Gegenteil, Jade als mystisches Gestein fügt sich sehr schön in den Hintergrund mit ein und wirkt für diese Welt glaubhaft.

Die vier größten Nationen von Jadepunk sind an Völkern aus unserer Welt angelehnt und sorgen für einen interessanten Kulturenmix. Das von Irland und Schottland inspirierte Aerische Imperium haust in den Cairn-Bergen und hat mit seinen fliegenden Schiffen die Lufthoheit der Welt inne. Wenig überraschend finden sich in ihrer Heimat die größten Vorräte an weißer Jade, aber auch rote Jade steht den Aeren zur Verfügung. Das Seefahrervolk der Kaiyu wiederum verfügt über große Vorkommen blauer Jade und ist Südseestämmen nachempfunden. Die nomadischen Naramel ähneln in Aussehen und Verhalten den afrikanischen Tuareg. Als letzte große Nation werden die Túyang vorgestellt, eine Art chinesisches Volk. Mit den Almac und Gahul werden zudem zwei geringere Nationen eingeführt, die im Laufe der Jahre von den großen Reichen an den Rand der Auslöschung gebracht wurden. Ein kurzes Kapitel über Religionen in Kausao City rundet die Weltbeschreibung ab.

Kausao City selbst wird leider nur knapp beschrieben, bleibt in großen Teilen absichtlich vage, um den Spielern die Möglichkeit zu geben, selbst die Details gestalten zu können. Kausao City ist grundsätzlich eine gespaltene Stadt: Auf der einen Seite stehen der Rat der Neun, seine Wachen und Beamten, reiche Jade-Händler und Unternehmer, auf der anderen Seite die unterdrückte Bevölkerung, die in bitterer Armut ihr Dasein fristen muss. In dieser Stadt ist ein Leben nur das Bestechungsgeld wert, dass man zu zahlen imstande ist.

Nach einer sehr kurzen Einführung zu den einzelnen Vierteln folgt ein ebenso kurzes Kapitel über die Jianghu und deren Ziel, die herrschenden Verhältnisse zu stürzen. Dabei sind die Motive keinesfalls nur edel. Obwohl der Großteil der Jianghu aus Selbstlosigkeit handelt, existieren auch Organisationen innerhalb der Jianghu, die nur den eigenen Vorteil im Sinn haben. Leider bleibt diese Beschreibung sehr oberflächlich. Es existiert jeweils nur eine Beispielorganisation für eine wohlmeinende bzw. für eine egoistische Ausrichtung der Jianghu und die Ausgestaltung wird vollkommen der Spielgruppe überlassen. Die Beschreibung kommt daher insgesamt etwas dünn daher und es bleiben viele Fragen offen, was einen schalen Beigeschmack hinterlässt.

Jadepunk gibt sich bei den Regeln FAE-typisch schlank. Anders als das Grundregelwerk sind die Fähigkeiten nicht nach Herangehensweise, sondern nach der einzunehmenden Rolle gegliedert:  Aristokrat, Ingenieur, Entdecker, Kämpfer, Gelehrter und Schurke. Alles was ein Charakter tun oder lassen kann subsumiert sich unter einer dieser Fähigkeiten. Auf die üblichen Stunts und unterschiedliche Stressbalken wurde komplett verzichtet, dafür wurden Assets eingeführt, die eine Zwitterrolle zwischen Aspekten und Stunts einnehmen. Ein Asset kann übrigens selbst auch eigene Aspekte haben, womit die Erstellung eines Assets in Einzelfällen beinahe an die Komplexität eines eigenen Charakters heranreichen lässt. Ein Asset kann hier so ziemlich alles sein, von persönlichen Waffen oder Jadetech-Gegenständen über Gefolgsleute bis zu speziellen Kampfkunststilen. 

Dies erweitert die schlanken FAE-Regeln um ein mächtiges Instrument zur Ausgestaltung der regelbedingt sehr einfach gehaltenen Charaktere. Die sonstigen FAE-Regeln wurden übernommen und um einige wenige sinnvolle Regelanpassungen, wie zum Beispiel den sehr gelungenen Duellregeln, ergänzt.

Ein abschließendes Kapitel für den Spielleiter wiederholt nochmal die grundlegenden Informationen des FAE-Regelwerks und ergänzt diese um eine NPC-Übersicht und Sonderregeln zur Erstellung eigener Stadtviertel. Einige Beispielcharaktere und ein Index runden das Regelwerk ab.

Preis-/Leistungsverhältnis

Für knapp 15 USD erhält man eine spannende Welt, die auf 139 Seiten leider ein bisschen dünn beschrieben ist. Bedenkt man, dass man für einen geringen Aufpreis zum Teil die doppelte und dreifache Menge an Inhalten erhält, ist der Preis nicht unbedingt überteuert, ein wirkliches Schnäppchen ist das Werk aber auch nicht.

Erscheinungsbild

Jadepunk FATE CoverDer tolle Einband verspricht, was der Band nicht halten kann. Das PDF präsentiert sich puristisch. Nur wenige Seiten verfügen über einen eigenen Hintergrund und wenn dies der Fall ist, stört dieser leider auch noch den Textfluss, da der Kontrast zum Text nicht immer ausreichend ist. Ansonsten ist die Lesbarkeit sehr gut. Die Qualität der Illustrationen schwankt zwischen ordentlich und stimmungsvoll, leistet sich aber ab und an auch einen Ausrutscher nach unten.

Randinformationen sind stets hinterlegt, aber selten einheitlich. Munter wechseln sich braune Farbkleckse, aus der Seite herausgerissene Bereiche und Pergament ab und sorgen so für einen sehr unruhigen Eindruck. Die Karte von Kausao City wurde auch bewusst einfach gehalten und gibt nur einen rudimentären Einblick in die Stadt. Entfaltungsmöglichkeiten schön und gut, aber hier erwarte ich von einem professionellen Rollenspielprodukt einfach mehr.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Reroll Productions
  • Autor(en): Ryan M. Danks, Jacob Possin, Mike Olson
  • Erscheinungsjahr: 2014
  • Sprache: Englisch
  • Format: PDF
  • Seitenanzahl: 139
  • ISBN: 978-0-615-98624-1
  • Preis: 14,99 USD PDF, 23,95 EUR Print
  • Bezugsquelle: DriveThruRPG, Sphärenmeister

 

Fazit

Jadepunk hinterlässt bei mir einen gespaltenen Eindruck: Die Idee der Welt hat mich innerhalb von Sekunden in ihren Bann gezogen und mich zum Weiterblättern animiert. Das Konzept strahlender Helden, die sich einem grausamen Regime entgegenstellen und zwischen östlichen und westlichen Haudraufmethoden wählen können? Grandios!

Leider sind die bereitgestellten Informationen sehr steril gehalten und schaffen es nicht, den Funken überspringen zu lassen. Das Produkt hat unheimlich viel Potential, das aber durch uninspirierte und zu oberflächliche Beschreibungen verschenkt wird. Hoffnung auf weiterführende Informationen versprechen bereits erschienene und geplante Supplements, die allerdings nicht in die Bewertung dieses Bandes geflossen sind.

Obwohl die Regeln nach Angaben der Autoren sowohl auf Fate Core als auch FAE basieren, ist es ein deutlicher FAE–Ableger. Die hinzugekommenen Sonderregeln der Assets geben dem Spiel aber im Vergleich zum ursprünglichen Regelwerk mehr Möglichkeiten, den eigenen Charakter und dessen Umfeld auszugestalten. Die Duellregeln sind sehr einfach gehalten, aber so gut geworden, dass sie ein fester Bestandteil meiner Fate Core-Runde werden.

Der völlige Verzicht auf die Darstellung eines funktionierenden sozialen Gefüges ist sehr enttäuschend. Die maue Präsentation tut ihr Übriges, den spannenden Ersteindruck deutlich zu beschädigen. Mit etwas Kreativarbeit kann dieser im unteren Preissegment angesiedelte Rohdiamant aber mit Sicherheit zum Funkeln gebracht werden.

Daumen4Maennlich

In eigener Sache: Durch den Hinweis eines aufmerksamen Lesers wurden wir auf eine elementare Schwäche der Rezension hingewiesen: Als Autor dieser Rezension bin ich vom Ursprungssystem Fate Core ausgegangen, da dieses sowohl bei DriveThruRPG, als auch im Buch selbst, sowie der Webseite der Autoren angegeben war. Leider kannte ich zu diesem Zeitpunk FAE noch nicht und habe die Parallelen nicht erkannt. Aus diesem Grund haben wir uns gemeinsam entschieden, die Rezension noch einmal offline zu nehmen und mit dem neu gewonnen Wissen über das FAE-System noch einmal zu überarbeiten.

Artikelbilder: Reroll Productions

 

6 Kommentare

  1. Vielleicht ist dies dem Rezensenten nicht aufgefallen, aber Jadepunk ist NICHT auf Fate Core als Regelbasis aufgesetzt, sondern auf FATE ACCELERATED EDITION (FAE).

    Daher die „krass vereinfachten Regeln“ – denn die sind in FAE nämlich auch schon so.

    Es wurden nur die sechs Apporaches aus FAE durch sechs „Rollen“ ersetzt. Ansonsten bietet Jadepunk kaum über die FAE-Regeln hinausgehende Settingregeln.

    Die meisten Schwachstellen wurden ja in der obigen Produktbeschreibung schon erwähnt (und einige, die keine Schwachstellen sind), was aber die echte PERLE in diesem Rollenspiel ist, das erschließt sich erst nach einigen Spielsitzungen so richtig: Das ASSET-System. Damit kann man wirklich verdammt viel cooles Zeug anstellen, so daß ich dieses auch schon für viele andere eigene Settingadaptionen „ausgeborgt“ habe. Man kann eben nicht nur klassische „Verrückte Erfindungen“ damit erstellen, sondern auch elaborierte Kampfstile entwickeln oder – und das ist sehr wichtig! – eigene Gefolgsleute, Organisationen, Besatzungen von Luftschiffen, usw. als Asset weiterentwickeln. Das Asset-System ist enorm mächtig und stellt gegenüber den FAE-Basis-Regeln eine echte und detailvertiefende Erweiterung dar. – Und die Duell-Regeln sollten auch nicht unterschlagen werden, da sie ebenfalls übertragbar sind – sogar nach Fate Core rückübertragbar..

    Zu Jadepunk gibt es inzwischen einige interessante Supplements, in denen u.a. auf die unterschiedlichen Arten Jade, die ja alle unterschiedliche Eigenschaften transportieren können, eingegangen wird.

    Das Entwickler-Team ist übrigens auf Google+ ständig zugänglich, ansprechbar und gerade Jacob Possin ist ein richtig guter Spielleiter, bei dem es einfach Spaß macht nicht nur Jadepunk, sondern auch andere Fate-Rollenspiele zu spielen.

    Um diesem Produkt gerecht zu werden, hätte der Verfasser der Produktdarstellung vielleicht ein paar Spielsitzungen inklusive der Weiterentwicklung eigener Assets aktiv spielen sollen, statt nur von der reinen „Papierform“ – und da, siehe das Übersehen, daß es sich um ein FAE-Rollenspiel und nicht um ein Fate Core Rollenspiel handelt, vielleicht auch noch mal genauer lesen sollen, was wirklich in dem dünnen Büchlein steht.

    Jadepunk kann für Martial Arts Enthusiasten, für Wu-Xia-Freunde usw. sicher nicht mit Tian Xia mithalten. Das ist einfach das detailliertere und fokussiertere Produkt (und auf Fate Core Basis aufsetzend). – Aber dafür bietet Jadepunk einfach mehr Vielfalt und den Kulturkonflikt West-Nah-Ost-Fern-Ost, sowie Technik gegen spirituelle Vervollkommnung. Das bietet Tian Xia nicht.

    • Hallo Frank, danke für deinen Hinweis, auch wenn er nicht ganz korrekt ist. FAE ist Teil der Fate Core-Produktfamilie und sowohl auf DriveThru, als auch auf der Website der Spieleautoren wird JADEPUNK als Fate Core umschrieben. Aber du hast natürlich mit deinen Ausführungen zu den Assets vollkommen recht. Ich persönlich mag sie auch sehr und finde sie sehr mächtig.

  2. Hört sich ja echt cool an. Leider kann ich irgendwie den Artikel auf der Seite nicht finden. Was ist denn da los? :)

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein