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Hamburg, 1888 – Das erste zivile Luftschiff bricht von Hamburg nach München auf. Stop! Das war eigentlich 1909 und auch auf einer anderen Strecke, nämlich Bodensee nach Bitterfeld. Denn wir befinden uns nicht auf der realen LZ5, sondern auf einem anderen Zeppelin, einem rein fiktiven Meisterwerk menschlicher Schaffenskunst.

Das Steampunk-Hörspiel Die letzte Instanz entführt den Hörer auf genau eben jene Reise von Hamburg nach Berlin. Wir haben dem Independent-Projekt, welches sich über StartNext.de finanziert hat, konzentriert gelauscht.

Story & Autor

Vier Menschen werden wie vom Zufall zusammengeführt und sind die einzigen Reisenden auf der besagten Luftfahrt. Der Journalist Hermann Kühn, der Preußen-Offizier Friedrich Adalbert vom Lehn, die Varieté-Tänzerin Chantal LaGrande und die gealterte Feministin Elsa Stahl treffen an Bord des Zeppelins aufeinander und bestaunen das Wunder der Technologie.

Doch bald werden die ersten von ihnen mit ihren Taten aus der Vergangenheit konfrontiert. Es dauert nicht lange, bevor gegenseitige Anschuldigungen beginnen. Dann eskaliert die Geschichte – in Verrat, Selbstsucht und Sünden.

Marco Ansing in seinem Element. Foto: S. Zimmermann
Marco Ansing in seinem Element. Foto: S. Zimmermann

Hier punkten die zugegebenermaßen archetypischen Rollen. Sei es der schneidige, überall Kommunisten und Vaterlandsverräter vermutende Offizier, seien es die mit leicht französischem Akzent agierende Chantal LaGrande oder auch der stets aufmerksame und hinterfragende Journalist. Nur die Feministin Elsa Stahl wirkt manchmal nicht so resolut, wie sie vermutlich angedacht ist.

Die Gruppendynamik stimmt einfach an dieser Stelle. Die Geschichte greift darüber hinaus auch einige zeitgenössische Themen des auslaufenden 19. Jahrhunderts auf und fügt sich so gut in das Steampunk-Genre ein.

Das Skript lässt die Akteure sich die Bälle zuspielen und so die Situation schnell hocheskalieren. Bald wird aber auch klar, dass eine höhere Macht die Finger im Spiel hat. Hier wechselt der Grundtenor vom schneidigen europäischen Steampunk mehr in Richtung Horrorgefilde. Letztlich kulminiert alles in einer fürchterlichen Konklusion, die den Hörer erschüttert zurücklässt.

Spoiler

Die Zusammenführung der Protagonisten geschah nicht so zufällig, wie zuvor vermutet. Alles folgt einem Plan. Katharsis, Reinigung ist hier der zentrale Punkt.

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Das Kammerspiel, denn nichts anderes ist es, besticht durch seine besondere Note und das Zusammenspiel der Akteure. Der Ort des Geschehens, ein Zeppelin, wird nur am Ende des Hörspiels wichtig.

Das Regisseursteam, bestehend aus Marco Ansing und Kristina Lohnfeldt, spielt geschickt mit Klischees und Erwartungen der Zuhörer. Mal werden diese erfüllt, mal werden die Zuhörer jedoch mit einer anderen Wendung als erwartet konfrontiert und dann von den Ereignissen überrascht. Der fantastische Faktor liegt im mittleren Segment, es dürften sich also viele Fans dafür finden lassen.

Im Paket mit der Hörspiel-CD wird auch die DVD mit der Aufzeichnung in Hamburg verkauft. Die Aufzeichnung beinhaltet keine Aufführung in Form eines Theaterstücks, sondern gewandete Sprecher hinter Mikrophonen. Dazu gibt es ein Konzert der Band Drachenflug.

Sprecher & Klang

Die Stimmen der Akteure sind hinreichend gut gesprochen, anders kann man es nicht sehen. Besonders sticht der schneidige Preuße, gesprochen im Hörspiel von Detlef Tams, mit seinem dauernd leicht übersteuerten Tonfall heraus. Es macht einfach Spaß, ihm zu lauschen. Interessanterweise wird er auf der Bühnenvorführung nicht von Tams, sondern von Carsten Krabbe gesprochen, der ihn auch anders interpretiert.

Doch auch die anderen Sprecher müssen sich nicht verstecken. Stets sauber, aber nicht überbetont, lassen sie ihre Rollen zum Leben erwachen. Eines darf man nicht vergessen: Alle Rollen sind wunderbar überzeichnet und erlangen mit ihrer Lebendigkeit Wirkung.

Auch das Regisseursteam ist selbst in Rollen geschlüpft. So wurde Marco Ansing zu dem Fadenzieher hinter den Kulissen und Kristina Lohfeld nahm die Rolle der gealterten Feministin Elsa Stahl ein. Lohfeld vermag es leider nicht, mich von ihrer Rolle zu überzeugen. Zu jugendlich wirkt die Stimme, zu wenig klingt sie nach einer Matrone höheren Jahrgangs.

Live von der Aufführung. Foto: CorneredRing
Live von der Aufführung. Foto: CorneredRing

Wiba Stein und Martin Sabel überzeugen in ihren Rollen als Tänzerin und Journalist. Es wird jedoch nicht klar, ob der französische Dialekt der Erstgenannten absichtlich „falsch“ klingt oder es nur mangelnde Übung ist. Er ist dennoch angenehm zu hören.

Die Geräuschkulissen-Untermalung von Natalia Obscura und Evie Ex Machina ist voll gelungen. Bald fühlt man sich wirklich an Bord eines von Spukerscheinungen durchzogenen Luftschiffes. Auch die musikalische Untermalung – gespielt von der Steampunk-Band Drachenflug und komponiert von Michael Freiherr von Dunkelfels – will gefallen, betont sie doch zunehmend den düsteren Grundtenor des kriminalistischen Kammerstücks.

Der Klang der Aufzeichnung ist dagegen weniger nach meinem Geschmack. Er wirkt wie von Mikrofonen im Raum aufgenommen und nicht direkt vor den Mündern der Sprecher. Das ist schade und nimmt die Intensität aus den Geschehnissen.

Preis-/Leistungsverhältnis

Die CD, nebst DVD der Aufführung vom August 2013 und Konzert der Band Drachenflug, lässt sich für 10 EUR bei Marco Ansing direkt bestellen. Die Versandkosten in Höhe von 2 EUR kommen hinzu.

Das macht das Hörspiel zu einem Schnäppchen, welches ich Steampunk-Fans ans Herz legen möchte. Die Auslieferung erfolgt in Form einer Doppel-CD Hülle mit kleinem Inlay.

Bonus/Downloadcontent

Der CD liegt eine DVD mit Aufzeichnung des Hörspiels und einem Konzert der begleitenden Band bei. Weitere Online-Inhalte existieren außer dem Trailer nicht.

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Erscheinungsbild Cover/Verpackung

Das Plakat der Aufführung.
Das Plakat der Aufführung.

Das Cover wird von einem brennenden Zeppelin geziert, davor befindet sich ein viktorianisch gekleideter Herr, der zufrieden mit seinem Werk wirkt. Das ganze Bildelement ist im Jugendstil gehalten.

Das passt gut zum Gesamteindruck. Das Menü der beiliegenden DVD ist einfach und zweckmäßig.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Marco Ansing
  • Autor(en): Marco Ansing, Kristina Lohfeld
  • Erscheinungsjahr: 2013
  • Sprache: Deutsch
  • Format: CD & DVD
  • Preis: 10 EUR (zzgl. Versand)
  • Bezugsquelle: https://www.marco-ansing.de

 

Fazit

Ich empfand das Hörspiel als sehr spannend. Fast war ich enttäuscht, als es schon nach 50 Minuten zu Ende war. In dieser Zeit jedoch gelingt es den Sprechern und dem Skript, eine dichte Horror-Atmosphäre glaubhaft an den Hörer zu übertragen.

Die Sprecher machen ihre Sache, bis auf kleine Schwächen, wirklich gut. Sie überzeichnen die Rollen dermaßen, dass diese fast karikiert werden und ließen mich so das eine oder andere Mal schmunzeln. Das reinigende Ende, der Höhepunkt des eigentlichen Kammerspiels, kam so überraschend, dass ich vermutet hatte, ich hätte etwas verpasst.

Ein etwas langsameres Pacing und eine Dehnung auf vielleicht 70 Minuten hätten dem Gesamtspannungsbogen gut getan. Dennoch spreche ich diesem Independent-Projekt meinen Respekt aus.

Schwächen sehe ich nicht in der Aufführung, sondern in der Aufzeichnung derselben. Klang, Handlung und Stimme gehören zusammen, wie man in jedem aktuellen Film sehen kann. Leider ist der Klang nicht sonderlich und so leidet auch der Rest.

Marco Ansing, wenn auch kein Unbekannter in der Szene, war mir persönlich noch nicht bekannt. Nach Sichtung seiner bisherigen Veröffentlichungen bin ich jedoch zuversichtlich, bald mehr von ihm zu hören.

Daumen4Maennlich

Artikelbilder: © Marco Ansing, © S. Zimmermann

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